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Beschluss vom 09.03.2023 · IWW-Abrufnummer 235675

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - Aktenzeichen 26 Ta (Kost) 6009/23

1. Geht es um Forderungen auf Ersatz gegenwärtigen und/oder künftigen Schadens, bemisst sich der Wert nicht nur an der Höhe des bereits eingetretenen und künftig zu besorgenden Schadens. Abzustellen ist auch darauf, wie wahrscheinlich der Eintritt und die Höhe des künftigen Schadens sind. Ein weiteres, wesentliches Kriterium für die Bemessung des Werts ist der Gesichtspunkt, wie hoch das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Gläubiger ist.

Die im Streitwertrecht ausschlaggebende wirtschaftliche Betrachtungsweise darf Zweifel an der Realisierbarkeit und tatsächlichen Realisierung eines Anspruchs nicht ignorieren.

2. Die Gefahr einer Verwirklichung einer Schadenersatzpflicht bzw. die Gefahr der ernstlichen und erfolgreichen Inanspruchnahme kann im Einzelfall so unwahrscheinlich sein, dass dem Antrag jede selbstständige wirtschaftliche Bedeutung fehlt oder nur der Ansatz eines "Erinnerungswertes" gerechtfertigt ist (vgl. LAG Hamm 27. Juli 2007 - 6 Ta 357/07 , Rn. 34, mwN). Irreale Berühmungen sind auf sinnvolle Werte zurückzuführen (Ziemann, jurisPR-ArbR 1/2017 Anm. 5, mwN; LAG Berlin-Brandenburg 8. April 2020 - 6005/20, Rn. 11).

3. Der Streitwertkatalog empfiehlt dementsprechend in Ziff. I. Nr. 23, dass sich der Wert einer solchen Klage nach dem wirtschaftlichen Interesse der klagenden Partei richte; abzustellen sei auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, die Höhe des (auch künftigen) Schadens sowie das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme (so auch LAG Nürnberg 28. Juli 2021 - 2 Ta 71/21 , Rn. 10).


Tenor:

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 27. Januar 2023 - 20 Ca 10746/22 und 20 Ca 12007/22 - teilweise abgeändert und der Gegenstandswert unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen auf 18.760 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beklagtenvertreter machen mit der Beschwerde die Festsetzung eines höheren Gegenstandswerts für einen Widerklageantrag geltend.

Mit der Klage hat sich der Kläger, der bei der Beklagten als Installateur beschäftigt war, gegen die Wirksamkeit einer Kündigung gewandt. Hintergrund der Kündigung war, dass der Kläger in den Räumlichkeiten eines Kunden eigene Waffen benutzt und Schießübungen veranstaltet hat.

Die Beklagte hat mit der Widerklage die Verurteilung des Klägers beantragt, das Mitführen jeglicher Waffen in den Räumen und Fahrzeugen der Beklagten und ihrer Kunden zu unterlassen und dies nachzuweisen. Darüber hinaus hat sie die Feststellung beantragt, dass der Kläger zum Ersatz aller Schäden verpflichtet sei, die durch sein Verhalten entstanden seien und noch entstehen würden. Zur Begründung der Schadensersatzforderung hat sie sich darauf berufen, der Geschäftsführer des Kunden sei sehr verärgert gewesen und habe mitgeteilt, dass ernsthaft erwogen werde, den Auftrag mit der Beklagten fristlos zu kündigen. Die Beklagte erziele mit der Betreuung des Kunden einen Dreijahresumsatz in Höhe von 2.400.000 Euro.

Dieser Betrag - so meinen die Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Rahmen des Beschwerdeverfahrens - sei (gemindert um 20 vH) im Rahmen der Bemessung des Gegenstandswerts für den Widerklageantrag zu 3) anzusetzen.

Die Parteien haben am 30. November 2022 einen Vergleich geschlossen.

Das Arbeitsgericht hat den Wert für den Kündigungsschutzantrag mit drei Bruttoeinkommen berücksichtigt. Für die Wiederklageanträge hat es insgesamt wegen vermeintlicher wirtschaftlicher Identität 5.000 Euro angesetzt und der hiergegen gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 15. Februar 2023 nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

1) Geht es um Forderungen auf Ersatz gegenwärtigen und/oder künftigen Schadens, bemisst sich der Wert nicht nur an der Höhe des bereits eingetretenen und künftig zu besorgenden Schadens. Abzustellen ist auch darauf, wie wahrscheinlich der Eintritt und die Höhe des künftigen Schadens sind. Ein weiteres, wesentliches Kriterium für die Bemessung des Werts ist der Gesichtspunkt, wie hoch das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Gläubiger ist. Die im Streitwertrecht ausschlaggebende wirtschaftliche Betrachtungsweise darf Zweifel an der Realisierbarkeit und tatsächlichen Realisierung eines Anspruchs nicht ignorieren. Die Gefahr einer Verwirklichung einer Schadenersatzpflicht bzw. die Gefahr der ernstlichen und erfolgreichen Inanspruchnahme kann im Einzelfall so unwahrscheinlich sein, dass dem Antrag jede selbstständige wirtschaftliche Bedeutung fehlt oder nur der Ansatz eines "Erinnerungswertes" gerechtfertigt ist (vgl. LAG Hamm 27. Juli 2007 - 6 Ta 357/07, Rn. 34, mwN). Irreale Berühmungen sind auf sinnvolle Werte zurückzuführen (Ziemann, jurisPR-ArbR 1/2017 Anm. 5, mwN; LAG Berlin-Brandenburg 8. April 2020 - 6005/20, Rn. 11).

Der Streitwertkatalog empfiehlt dementsprechend in Ziff. I. Nr. 23, dass sich der Wert einer solchen Klage nach dem wirtschaftlichen Interesse der klagenden Partei richte; abzustellen sei auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, die Höhe des (auch künftigen) Schadens sowie das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme (so auch LAG Nürnberg 28. Juli 2021 - 2 Ta 71/21, Rn. 10).

Es ist der Betrag maßgeblich und festzusetzen, den das Gericht auf Grund der Darlegungen des Klägers - hier der Widerklägerin - als angemessen erachtet, sofern ein Mindestbetrag nicht genannt ist (vgl. BGH 12. Juni 2012 - X ZR 104/09, Rn 5).

b) Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist ein Gegenstandswert für das Verfahren in dem im Tenor ausgewiesenen Umfang angemessen.

aa) Soweit die Beklagtenvertreter den gesamten Umsatz der Beklagten für drei Jahre berücksichtigt wissen wollen, handelt es sich um nicht ganz reale Vorstellungen. Bei der Berechnung eines potentiellen Schadens ist in derartigen Konstellationen nicht so sehr der Umsatzverlust, sondern eher die Gewinnerwartung relevant. Ob der Auftrag eine Laufzeit von noch drei Jahren hatte, ist nicht erkennbar. Jedenfalls ist aber die Aussage des Kunden, man habe eine außerordentliche Kündigung des Vertrags in Erwägung gezogen, auch nach Darstellung der Beklagtenvertreter in der Situation des Ärgers getroffen worden. Es gibt weder Anhaltspunkte dafür, dass es tatsächlich zu einer Kündigung wegen des Vorfalls gekommen ist, noch sind überhaupt relevante Folgeprobleme aufgezeigt worden. Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus angemessen, von einem eher geringen Risiko eines Schadenseintritts auszugehen. Das Risiko ist mit 5.000 Euro jedenfalls hinreichend bewertet.

bb) Allerdings war insoweit mangels wirtschaftlicher Identität mit den Unterlassungsanträgen eine Zusammenrechnung vorzunehmen, § 39 Abs. 1 GKG, wodurch sich der Gesamtgegenstandswert um 5.000 Euro erhöht hat.

Hinsichtlich der Unterlassungsanträge und des auf den Schadensersatzanspruch gerichteten Antrags ist nicht von wirtschaftlicher Identität auszugehen. Bei den Unterlassungsanträgen geht es um Verhaltensweisen, die weitere schwerwiegende Pflichtverletzungen des Klägers verhindern sollten. Bei dem auf den Schadensersatzantrag bezogenen Widerklageantrag geht es um Schäden, die durch den eventuellen Entzug des gesamten Auftrags aufgrund schwerwiegender Pflichtverletzungen des Klägers hätten entstehen können. Das sind wirtschaftlich gesehen unterschiedliche Gesichtspunkte, zumal die Unterlassungsanträge nicht nur die Räumlichkeiten des einen, sondern aller Kunden sowie die der Beklagten betrafen.

II.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist angefallen. Sie wird angesichts des teilweisen Erfolgs der Beschwerde auf ½ reduziert.

IV.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorschriften§ 39 Abs. 1 GKG, § 33 Abs. 9 RVG