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Beschluss vom 13.03.2023 · IWW-Abrufnummer 235680

Landesarbeitsgericht Hamburg - Aktenzeichen 7 Ta 5/23

1. Der Gegenstandswert für die Freistellung eines Arbeitnehmers, die länger als einen Monat dauert, ist pauschalierend in Höhe eines Monatsgehaltes des Arbeitnehmers festzusetzen. Der Grund für diese Bewertung liegt darin, dass der Freistellungsanspruch das "Gegenstück" zum Beschäftigungsanspruch ist, welcher ebenfalls pauschal mit einem Monatsgehalt bewertet wird.

2. Für die Wertfestsetzung sind grundsätzlich nur solche Streitgegenstände werterhöhend zu berücksichtigen, über die zuvor außergerichtlich oder gerichtlich gestritten worden ist.

3. Ansprüche, über die typischerweise im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen gestritten wird, wie Zeugnis, Beschäftigung oder Freistellung, sind stets werterhöhend zu berücksichtigen.


Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 01. Dezember 2022 - 17 Ca 305/22 - wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die befristete Beschwerde richtet sich gegen die Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit, hier gegen die Höhe eines festgesetzten Vergleichsmehrwertes in einem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren.

Im Ausgangsverfahren stritten die Parteien über eine Kündigungsschutzklage wegen einer von der Beklagten ausgesprochenen Beendigungskündigung vom 27. September 2022 zum 31. März 2023, nachdem die Klägerin seit dem 15. Februar 2018 zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 4.250,00 € beschäftigt war.

Mit gerichtlichem Vergleich vom 11. November 2022 - 17 Ca 305/22 - (Bl. 116 ff. d.A.) vereinbarten die Parteien u.a. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Kündigung vom 27. September 2022 mit Ablauf des 31. März 2023, ferner unter Ziff. 4 eine unwiderrufliche Freistellung der Klägerin für die Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, unter Ziff. 6 eine Zeugnisregelung mit sehr guter Leistungs- und Verhaltensbeurteilung.

Das Arbeitsgericht Hamburg hat durch Beschluss vom 01. Dezember 2022 - 17 Ca 305/22 - (Bl. 136. d.A.) auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach Anhörung der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten den Gegenstandswert für die Klage auf 12.750,00 € und für den Vergleich auf einen Mehrwert von 8.500,00 € festgesetzt.

Gegen den ihr nicht förmlich zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit einem am 14. Dezember 2022 (Bl. 148 d.A.) beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt.

Zur Begründung führt die Beschwerde aus, die Festsetzung sei falsch, da die Freistellung nicht streitig gewesen sei und bezog sich dazu auf den Streitwertkatalog der Arbeitsgerichtsbarkeit Ziff. 25.1.4. und ein Schreiben ihrer Rechtsschutzversicherung vom 08. Dezember 2022.

Das Arbeitsgericht Hamburg hat der Beschwerde durch Beschluss vom 17. Februar 2023 - 17 Ca 305/22 - (Bl. 231 f. d.A.) nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Klägerin und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme zur Nichtabhilfeentscheidung des Arbeitsgerichts. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin verwies daraufhin aus seiner bisherige Ausführungen. Eine weitergehende Stellungnahme - auch der Klägerin persönlich - ist nicht erfolgt.

II.

Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden.

a) Die Beschwerde ist statthaft, weil sie von einem Beschwerdeberechtigten eingelegt worden ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 € übersteigt (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG).

aa) Beschwerde einlegen können die Antragsberechtigten. Dies ist ua. der "Auftraggeber" (§ 33 Abs. 2 Satz 2 RVG), d.h. hier die Klägerin als Auftraggeberin ihrer Prozessbevollmächtigen.

bb) Der Beschwerdewert ist der Unterschiedsbetrag zwischen derjenigen entstandenen und voraussichtlich noch entstehenden Gesamtvergütung des Rechtsanwalts (Gebühren und Auslagen einschließlich Umsatzsteuer), die sich aufgrund der bisherigen Festsetzung ergibt und derjenigen entstandenen und voraussichtlichen Gesamtvergütung, die sich nach dem behaupteten und mit der Beschwerde erstrebten Wert ergibt (Touissant, Kostenrecht, 52. Aufl., § 33 RVG Rn. 27 mwN.). Dieser Unterschiedsbetrag beläuft sich auf mehr als 200,00 € und erreicht damit den erforderlichen Beschwerdewert. Der erstrebte Wert für den Vergleich führt - gegenüber dem vom Arbeitsgericht festgesetzten Mehrwert von insgesamt 8.500,00 € - zu einer um mehr als 200,00 € geringeren anwaltlichen Gesamtvergütung, die die Klägerin zu tragen hätte.

b) Die Beschwerde ist in der gesetzlichen Frist und Form bei dem dafür zuständigen Arbeitsgericht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 Satz 3, Abs. 7 Satz 1 und 3 RVG). Gegen den der Klägerin offenbar nicht förmlich zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts hat die Klägerin und Beschwerdeführerin einen beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen Schriftsatz eingereicht, der den angefochtenen Beschluss bezeichnet und die Erklärung enthält, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt werde. Ungeachtet eines fehlenden Zustellungsnachweises kann der angegriffene Beschluss vom 01. Dezember 2022 der Klägerin nicht vor dem 01. Dezember 23022 zugegangenen sein. Nach alledem hat die Klägerin die Beschwerdefrist gemäß § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG gewahrt.

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit (§ 33 Abs. 1 RVG) beträgt für die Klage 12.750,00 €, der Vergleichsmehrwert beträgt - wie vom Arbeitsgericht zutreffend festgesetzt - 8.500,00 €.

a) Für die Klage war ein Wert von 12.750,00 € anzusetzen.

aa) Der Wert für den auf die Kündigung vom 27. September 2022 bezogenen punktuellen Kündigungsschutzfeststellungsantrag (Klagantrag zu 1.) war entsprechend § 42 Abs. 2 GKG auf ein Vierteljahresverdienst anzusetzen, dh. (3 x 4.250,00 € =) 12.750,00 €.

bb) Dem allgemeinen Feststellungsantrag (Klagantrag zu 2.) war kein besonderer Wert beizumessen. Ein allgemeiner Feststellungsantrag gemäß § 256 ZPO ist neben einer Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG grundsätzlich nicht werterhöhend zu berücksichtigen (LAG Hamburg, Beschluss vom 30. Juni 2005 - 8 Ta 5/05 -, juris).

b) Für den Vergleich war ein Mehrwert von 8.500,00 € anzusetzen.

aa) Die Freistellungsregelung in Ziff. 4 des Vergleichs hat das Arbeitsgericht zutreffend mit einem Bruttomonatsgehalt (4.250,00 €) bewertet.

(1) Der Gegenstandswert für die Freistellung eines Arbeitnehmers, die länger als einen Monat dauert, ist pauschalierend in Höhe eines Monatsgehaltes des Arbeitnehmers festzusetzen (LAG Hamburg, Beschluss vom 05. Dezember 2022 - 7 Ta 28/22 -; Beschluss vom 08. Juni 2017 - 8 Ta 10/17 -, Rn. 4, juris; Beschluss vom 14. September 2016 - 6 Ta 23/16 -, Rn. 17, juris; Beschluss vom 07. Dezember 2011 - 7 Ta 31/11 -, juris). Der Grund für diese Bewertung liegt darin, dass der Freistellungsanspruch das "Gegenstück" zum Beschäftigungsanspruch ist, welcher ebenfalls pauschal mit einem Monatsgehalt bewertet wird.

(2) Grundsätzlich ist zwar zutreffend, dass nur solche Streitgegenstände werterhöhend zu berücksichtigen sind, über die zuvor zumindest außergerichtlich gestritten worden ist. Das gilt jedoch nicht für Ansprüche, über die typischerweise im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen gestritten wird wie Zeugnis, Beschäftigung bzw. Freistellung (LAG Hamburg, Beschluss vom 08. Juni 2017 - 8 Ta 10/17 -, Rn. 4, juris).

Ein Mehrvergleich liegt auch dann vor, wenn der Vergleich einen bislang nicht streitigen Anspruch unter Veränderung oder Gestaltung seines Inhalts einbezieht. Eine solche Regelung ist Teil der Gesamtlösung zur Beilegung des Rechtsstreits und damit Teil des gerichtlichen Vergleichs. Nicht zu folgen ist der Auffassung, wonach ein Vergleichsmehrwert nicht entstehen soll, wenn über den einbezogenen Anspruch zuvor kein Streit der Parteien. Ein gerichtlicher Vergleich kann auch solche Teile umfassen, hinsichtlich derer es noch keine Auseinandersetzung der Parteien gab (vgl. BAG, Beschluss vom 16. Februar 2012 - 3 AZB 34/11 -, Rn. 18, juris). Maßgeblich für den Wert eines Vergleichs sind allein die Gegenstände, auf die sich seine Regelungen erstrecken. Wird über den Streitgegenstand des Verfahrens hinaus eine weitere Regelung zwischen den Parteien getroffen, so ist diese bei der Berechnung des Vergleichswertes zu berücksichtigen, ohne dass es darauf ankommt, welche Motive die Parteien zu der entsprechenden Regelung bewegt haben (LAG Hamburg, Beschluss vom 14. September 2016 - 6 Ta 23/16 -, Rn. 13, juris).

Nach diesen Grundsätzen ist eine Freistellungsregelung in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich zur Erledigung eines Kündigungsrechtsstreits grundsätzlich geeignet, einen Vergleichsmehrwert auszulösen, ohne dass es darauf ankommt, ob sich eine der Parteien zuvor eines Anspruchs auf oder eines Rechts zur Freistellung berühmt hat. Denn mit der Freistellungsvereinbarung werden als Teil der durch den Vergleich erreichten Gesamtlösung die arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung und die hiermit korrespondierende Verpflichtung des Arbeitgebers zur vertragsgemäßen Beschäftigung des Arbeitnehmers abweichend geregelt; beide Seiten verzichten wechselseitig auf ihre Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag. Die Wertung des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG steht der Berücksichtigung eines Mehrwerts nicht entgegen. Die Freistellung betrifft die Beschäftigung des Arbeitnehmers während des bestehenden Arbeitsverhältnisses und damit einen anderen Gegenstand als das "Bestehen, Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses" i.S. des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG (LAG Hamburg, Beschluss vom 14. September 2016 - 6 Ta 23/16 -, Rn. 15, juris).

(3) Gründe für eine Abweichung von dieser Rechtsprechung sind nicht ersichtlich, ergeben sich insbesondere nicht aus dem sog. Streitwertkatalog.

Die Empfehlungen der mandatslos errichteten sogenannten "Streitwertkommission" sind nicht bindend. Sie sind weder Rechtssätze noch Rechtsprechung (vgl. LAG Hamburg, Beschluss vom 31. März 2021 - 5 TaBV 12/19 - Rn. 9, juris; LAG Hamburg, Beschluss vom 27. April 2021 - 4 Ta 5/21 - Rn. 22, juris) und mangels eigener Argumentation für die Rechtsanwendung ungeeignet (LAG Hamburg, Beschluss vom 21. Januar 2022 - 4 Ta 14/21 -, Rn. 19, juris).

bb) Auch für die Zeugnisregelung in Ziff. 6 des Vergleichs hat das Arbeitsgericht zu Recht einen Wert in Höhe eines Bruttomonatsverdienstes (4.250,00 €) angesetzt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Hamburg beträgt der Gegenstandswert einer Zeugnisregelung ein Bruttomonatsgehalt des Arbeitnehmers, sofern über den Inhalt des Zeugnisses eine Regelung getroffen wurde (LAG Hamburg, Beschluss vom 01. März 2022 - 7 Ta 1/22 -, juris; Beschluss vom 04. Mai 2017 - 8 Ta 2/17 -, Rn. 4, juris, mwN.).Zeugnisregelungen in einem Vergleich sind auch dann werterhöhend zu berücksichtigen, wenn über sie zuvor nicht gestritten worden ist (LAG Hamburg, Beschluss vom 21. Dezember 2012 - 8 Ta 23/12 -, juris).

III.

1. Da die Beschwerde keinen Erfolg hatte, war die Gebühr nach Nr. 8614 Kostenverzeichnis als Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nicht zu ermäßigen oder zu bestimmen, dass eine Gebühr nicht zu erheben wäre.

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Beteiligten des Beschwerdeverfahrens einander keine Kosten zu erstatten haben (§ 33 Abs. 9 Satz 2 RVG).

3. Gegen diesen Beschluss findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht nicht statt (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

Hinweise

Rechtskraft: ja

Vorschriften§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG, § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG, § 33 Abs. 3 Satz 3, Abs. 7 Satz 1 und 3 RVG, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG, § 33 Abs. 1 RVG, § 42 Abs. 2 GKG, § 256 ZPO, § 4 KSchG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 3 Abs. 2 GKG, § 33 Abs. 9 Satz 2 RVG, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG