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Urteil vom 22.03.2023 · IWW-Abrufnummer 235769

Landesarbeitsgericht Nürnberg - Aktenzeichen 7 Sa 239/20

Die Festlegung unterschiedlich hoher Nachtarbeitszuschläge bei regelmäßiger Nachtarbeit oder ständiger Nachtschichtarbeit einerseits und unregelmäßiger Nachtarbeit andererseits im Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in den Betrieben der Milchindustrie, für das Molkerei- und Käsereigewerbe sowie für die Arbeitnehmer in den Betrieben der Schmelzkäseindustrie in Bayern in der Fassung vom 15.11.1999 verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG .


Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Würzburg vom 13.05.2020 - 1 Ca 1333/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe der tariflichen Nachtarbeitszuschläge.

Der 1969 geborene Kläger ist seit dem 04.05.1992 bei der Beklagten als gewerblicher Mitarbeiter in Vollzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 3.306,00 € brutto in der Tarifgruppe Vi (3) beschäftigt. Er leistet regelmäßig Nachtschichtarbeit.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet aufgrund beidseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in den Betrieben der Milchindustrie, für das Molkerei- und Käsereigewerbe sowie für die Arbeitnehmer in den Betrieben der Schmelzkäse-industrie in Bayern in der Fassung vom 15.11.1999 (im Folgenden: MTV Milchindustrie) Anwendung.

Der MTV Milchindustrie lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 4

Schichtarbeit, Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit

1.- 4. ...

5. a. Regelmäßige Nachtarbeit oder ständige Nachtschichtarbeit ist die nach festem Zeitplan geleistete Arbeit, im Molkerei- und Käsereigewerbe die in der Zeit von 20.00 Uhr bis 5.00 Uhr oder von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit, in der Milchindustrie die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr oder 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit ...

b. Unregelmäßige Nachtarbeit ist die in der Zeit von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr von Fall zu Fall geleistete Arbeit.

Sie liegt auch vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb fester Zeitpläne einzelne Nachtschichten zu leisten hat oder kurzfristig ein Wechsel des Rhythmus von der ersten oder zweiten in die dritte Schicht bzw. von Normalarbeitszeit in die Nachtschicht angeordnet wird.

6. ...

§ 5

Zuschläge für Schichtarbeit, Mehrarbeit und Nachtarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit

Die Zuschläge betragen:

1. In der Milchindustrie

a. - b. ...

c. für regelmäßige Nachtarbeit bzw. Nachtschichtarbeit 25 % d. für unregelmäßige Nachtarbeit 50 %

2. Im Molkerei- und Käsereigewerbe

a. - d. ...

e. für regelmäßige Nachtarbeit, die nach festem Zeitplan geleistet wird, und für Nachtschichtarbeit, die im wöchentlichen Wechsel mit Tagesarbeit durchgeführt wird 25 % für unregelmäßige Nachtarbeit 50 %

zur Stundenvergütung.

...

§ 12 Schichtfreizeit

1. a) Arbeitnehmer, die ausschließlich in Nachtarbeit beschäftigt sind, erhalten je einen Tag Schichtfreizeit für 45 geleistete Nachtschichten,

b) Arbeitnehmer, die regelmäßig im Dreischichtbetrieb arbeiten, erhalten je einen Tag Schichtfreizeit für 15 geleistete Nachtschichten.

2. ..."

Im Zeitraum vom 01.01.2019 bis 28.02.2019 hat der Kläger im Rahmen von Nachtschichten insgesamt 82,25 Arbeitsstunden geleistet und erhielt für diese Stunden zusätzlich zu seinem Stundenlohn einen Nachtschichtzuschlag von 25 %. Er begehrt die Differenz zwischen dem bezahlten Zuschlag von 25 % für Nachtschichtarbeit und dem Zuschlag von 50 % für Nachtarbeit.

Der Kläger machte in der 1. Instanz geltend, der geringere Zuschlag für Nachtschichtarbeit verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dies führe zur Unwirksamkeit der tariflichen Regelung. Er könnte deshalb den Zuschlag für Nachtarbeit in Höhe von 50 % verlangen.

Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen. Das Erstgericht führte zur Begründung unter anderem aus, zu der möglichen Zweckbestimmung bei den unterschiedlich hohen Zuschlägen zähle auch die wirtschaftliche Anreizfunktion für den Arbeitnehmer, überhaupt für die Arbeit in der Nacht zur Verfügung zu stehen.

Das Urteil wurde dem Kläger am 22.05.2020 zugestellt. Er legte dagegen am 16.06.2020 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 24.08.2020 am 13.08.2020.

Er trägt im Berufungsverfahren vor:

Bei den Zuschlägen für unterschiedliche Formen der Nachtarbeit werde gleichheitswidrig unterschieden. Es bestünden bei Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass der Unterschied in der Höhe des Zuschlages gerechtfertigt sein könnte. Vor dem Hintergrund der gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit sei jede Nachtarbeit für den Menschen schädlich und habe negative gesundheitliche Auswirkungen. Es gebe auch keinen Gewöhnungseffekt.

Die tariflichen Regelungen zum Zuschlag für Nachtarbeit fänden ihre Grenze in der Regelung des § 6 Abs. 1 ArbZG. Danach seien die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse bei der menschengerechten Gestaltung der Arbeit zu berücksichtigen bei der Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeitnehmer.

Für die vorgenommene Differenzierung fehle vor diesem Hintergrund ein sachlicher Grund. Beide Formen der Nachtarbeit seien planbar entweder durch den Schichtplan oder durch eine Anfrage. Im Zuschlag für die Nachtarbeit sei auch kein Mehrarbeitszuschlag enthalten. Die zusätzliche Schichtfreizeit nach § 12 MTV könne keine Berücksichtigung finden, da entgegen arbeitswissenschaftlicher Erkenntnis nicht zeitnah gewährt. Die Nachteile bei der Teilhabe am sozialen Leben überwögen beim Nachtschichtarbeitnehmer gegenüber dem Arbeitnehmer, der nur ausnahmsweise Nachtarbeit verrichte. Die Nachteile im Hinblick auf die Gesundheit seien bei beiden Gruppen gleich und könnten eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen.

Der Kläger und Berufungskläger stellt folgende Anträge:

1) Das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 13.05.2020, Aktenzeichen: 1 Ca 1333/19, wird aufgehoben.

2) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 412,07 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 229,21 EUR brutto seit dem 01.03.2019 sowie aus 182,86 EUR brutto seit dem 01.04.2019 zu zahlen.

3) Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt:

Die Berufung ist zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt in der Berufung vor:

Die Berufung verkenne den Bedeutungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG und die hieraus den Tarifvertragsparteien zugebilligte Gestaltungsmacht. Daraus ergebe sich insbesondere, dass die Tarifvertragsparteien nicht verpflichtet seien, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genüge ein sachlicher Grund für die getroffene Regelung. Dieser liege in der unterschiedlichen Planbarkeit der Freizeit mit der Einbettung der regelmäßigen Nachtschichtarbeit in Schichtpläne. Dies sei bei der unvorhergesehenen Nachtarbeit nicht in dieser Form gegeben. Zu berücksichtigen seien auch die Schichtfreizeiten, die nur bei Nachtschichtarbeit gewährt würden. Darüber hinaus diene der erhöhte Zuschlag auch als Anreiz zur Erbringung unregelmäßiger Nachtarbeit.

Der Nachtzuschlag von mindestens 25 % in jedem Fall sei ausreichend und angemessen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ferner wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung des Klägers vom 13.08.2020 und den weiteren Schriftsatz vom 02.12.2020 und die Berufungserwiderung vom 21.09.2020.

Das Verfahren wurden terminlos gestellt mit Beschluss vom 03.12.2020 im Hinblick auf die Verfahren beim BAG - 10 AZR 332/20 - und - 10 AZR 333/20 (A) -. Nach Aufruf der Angelegenheit mit Schriftsatz der Klagepartei vom 28.12.2022 wurde das Verfahren fortgeführt.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Nachzahlung von Nachtarbeitszuschlägen in der geltend gemachten Höhe. Ein Anspruch ergibt sich weder aus dem Tarifvertrag noch aus dem Gleichheitssatz. Für die Ungleichbehandlung bei der Gewährung unterschiedlich hoher Zuschläge für unregelmäßige und für regelmäßige Nachtarbeit im MTV besteht ein sachlicher Grund.

Das Erstgericht ist insoweit mit sorgfältiger und zutreffender Begründung zum zutreffenden Ergebnis gelangt. Das Gericht nimmt nach eingehender eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage daher Bezug auf die sorgfältigen und richtigen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Erstgerichtes und macht sich diese zu eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen führt das Gericht noch aus:

1. Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 5 Ziffer 2 f) MTV. Der Kläger leistet regelmäßig Nachtarbeit. Ihm steht deshalb gemäß § 5 Ziffer 2 e) MTV ein Zuschlag von 25 % zur Stundenvergütung zu. Die Beklagte hat diesen Anspruch auch unstreitig erfüllt.

2. Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung mit § 5 Ziffer 2 f) MTV in Höhe von weiteren 25 % zur Stundenvergütung für unregelmäßig geleistete Nachtarbeit.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, mit Arbeitnehmern, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, gleich behandelt zu werden. Die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit in der Höhe der Nachtzuschläge verstößt nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 GG. Sie bewegt sich im Rahmen der den Tarifvertragsparteien zustehenden Einschätzungsprärogative.

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt den Tarifvertragsparteien als selbstständigen Grundrechtsträgern aufgrund der durch Artikel 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht, BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 -, Rn. 43.

Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer Gruppenbildung führen, mit der Art. 3 GG verletzt wird, BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 -, Rn. 44.

Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dieser Grundsatz entfaltet auch in privatrechtlichen Beziehungen im Wege der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Wirksamkeit. Aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an die Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen, BVerfG, Urteil vom 13.12.2016 - 1 BvR 713/13 -, Rn. 18. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen, BVerfG, Urteil vom 07.05.2013 - 2 BvR 909/06 -, Rn. 74 und BVerfG, Beschluss vom 24.03.2015 - 1 BvR 2880/11 -, Rn. 38. In diesem Zusammenhang sind Einschätzungsprärogative und Handlungsspielräume der Tarifvertragsparteien zu beachten vor dem Hintergrund der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG. Im Einzelfall sind deshalb Koalitionsfreiheit und darauf aufbauende Tarifregelungen und damit kollidierende Grundrechte wie der Gleichheitssatz zu einem Ausgleich zu bringen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz mit dem Ziel möglichst weitgehender Wirksamkeit für die Beteiligten, BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 - 1 BvR 3080/09 -, Rn. 32 und im Anschluss daran BAG, Urteil vom 09.12.2020 - 10 AZR 334/20 -, Rn. 28.

Dabei ist es grundsätzlich den Tarifvertragsparteien als Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Die aus dem Gleichheitssatz folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können, BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 -, Rn. 44.

(2) Unter Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich für den vorliegenden Fall kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist. Dieser sachliche Grund muss aus dem Tarifvertrag erkennbar sein. Ein solcher sachlicher Grund kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt, BAG, Urteil vom 20.06.2018 - 4 AZR 339/17 -, Rn. 19.

b) Der Ausgleich für Nachtarbeit kann nach der gesetzlichen Grundkonzeption in

§ 6 Abs. 5 ArbZG in Freizeit oder in Geld erfolgen, wobei diese Möglichkeiten gleichrangig nebeneinanderstehen und sich nicht in einem Stufenverhältnis zugunsten eines Freizeitausgleiches entgegenstehen. Bei einem Ausgleich in Geld kommen verschiedene damit verfolgte Zwecke in Betracht. Diese sind der Ausgleich für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Arbeitnehmer, in präventiver Absicht die Vermeidung oder wenigstens Reduzierung der Nachtarbeit durch die höhere Kostenlast für die produktive Stunde und der Ausgleich für die erschwerte Teilhabe des Arbeitnehmers am sozialen Leben, BAG, Urteil vom 05.09.2002 - 9 AZR 202/01 -, Rn. 20 und Rn. 48. Die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben kann sich auch daraus ergeben, dass für Arbeitnehmer, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, die Planbarkeit der Freizeit erschwert ist, BAG, Urteil vom 22.02.2023 - 10 AZR 332/20 -. Die erhöhte Kostenlast beim Arbeitgeber wirkt beim Arbeitnehmer förderlich, fallweise mit der Nachtarbeit im Einzelfall einverstanden zu sein durch den dabei entstehenden finanziellen Vorteil.

c) Hier ergibt sich der sachliche Grund nicht aus der Tatsache, dass die gesundheitliche Belastung durch die Nachtarbeit unterschiedlich wäre. Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich für jeden Menschen schädlich und hat negative gesundheitliche Auswirkungen, BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 49 und BAG, Urteil vom 18.10.2017 - 10 AZR 47/17 - Rn. 39. Ein Gewöhnungseffekt tritt bei regelmäßig wiederkehrender Nachtarbeit nicht ein.

Hier gewährt der Tarifvertrag einen Ausgleich für die gesundheitliche Belastung durch die Nachtarbeit sowohl in der Variante der regelmäßigen Nachtarbeit wie der Nachtschichtarbeit als auch der Variante der unregelmäßigen Nachtarbeit. Er beträgt der Höhe nach 25 % der Stundenvergütung und entspricht damit auch den Vorstellungen in der Literatur zum angemessenen Ausgleich, Baeck/Deutsch, ArbZG, ArbZG, Kommentar, 4. Auflage 2020, § 6, Rn. 85 und die dort zitierte Rechtsprechung des BAG.

d) Bei der unregelmäßigen Nachtarbeit erhöht sich dieser Ausgleich um weitere 25 % auf 50 % der Stundenvergütung. Der sachliche Grund für die Differenzierung ergibt sich aus der Tatsache der erschwerten Planbarkeit der Freizeit für Arbeitnehmer, die unregelmäßig Nachtarbeit leisten, und dem in diesem Zusammenhang erforderlichen zusätzlichen Anreiz für Arbeitnehmer, diese unregelmäßige Nachtarbeit zu leisten. Dabei bezieht sich diese Unregelmäßigkeit gleichermaßen auf die zeitliche Lage dieser Nachtarbeit wie auch auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit. Der Arbeitnehmer, der unregelmäßig zur Nachtarbeit herangezogen wird, weiß im Regelfall nicht mit längerer Vorlaufzeit, wann dies der Fall ist. Seine Nachtarbeit hat den Charakter einer Einspringtätigkeit, die typischerweise kurzfristig anfällt. Dieser Ausnahmecharakter der unregelmäßigen Nachtarbeit wird auch deutlich, wenn die soziale Wirklichkeit betrachtet wird. Nach unbestrittenem und damit zugestandenem Vorbringen der Beklagten wurden in den Jahren 2018 und 2019 im Betrieb W... 88.354,64 Stunden Nachtschichtarbeit mit einem Zuschlag von 25 % geleistet und dafür 421.163,08 € Vergütung aufgewendet. Im gleichen Zeitraum wurden im Betrieb W... nur 9,83 Stunden unregelmäßige Nachtarbeit erfasst mit einem Kostenaufwand von 101,90 €.

Der Arbeitnehmer, der regelmäßige Nachtarbeit bzw. Nachtschichtarbeit leistet, weiß auch im Regelfall auf Grund bestehender Rollschichtpläne oder Rahmenschichtpläne längerfristig, an welchen Tagen er zur Arbeitsleistung herangezogen wird und an welchen Tagen er Freizeit hat. Er kann aus dem praktizierten Rollrhythmus häufig auch schon längerfristig beurteilen, an welchen Arbeitstagen er zu welcher Schicht und damit auch zur Nachtarbeit eingeteilt ist. Dem haben die Tarifvertragsparteien Rechnung getragen mit ihrer differenzierten Regelung. Diese gewährt dem gelegentlich und damit unregelmäßig Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmer einen weiteren Zuschlag von 25 % der Stundenvergütung auf die Nachtarbeitsstunden, sodass er auf einen Zuschlag von 50 % der Stundenvergütung kommt. Dem regelmäßig bzw. in Schichtarbeit Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmer wird dieser Zuschlag nicht gewährt.

Einer weitergehenden Darstellung dieses Differenzierungsgrundes im Tarifvertrag selbst bedurfte es nicht. Die Tarifvertragsparteien haben schon von vorneherein zwei unterschiedlich zu behandelnde Gruppen von Arbeitnehmern bestimmt mit der unterschiedlich getroffenen Bestimmung von regelmäßiger Nachtarbeit oder ständiger Nachtschichtarbeit mit der "in der Zeit von 20:00 Uhr bis 05:00 Uhr oder von 21:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleisteten Arbeit" im Molkerei- und Käsereigewerbe bzw. in der Milchindustrie der "in der Zeit von 21:00 Uhr bis 05:00 Uhr oder von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr" geleisteten Arbeit einerseits und der unregelmäßigen Nachtarbeit, die "in der Zeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr von Fall zu Fall geleistet" wird. Allein die unterschiedlich geregelte Höhe des Nachtarbeitszuschlages und die Unterscheidbarkeit der beiden betroffenen Gruppen von Arbeitnehmern spricht dafür, dass sich die Tarifvertragsparteien darüber einig waren, dass diese beiden betroffenen Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedlich behandelt werden können und auch unterschiedlich behandelt werden sollten.

e) Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolgt seitens des Gerichtes nicht. Es liegt im Ermessen der Tarifvertragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen, BAG, Urteil vom 22.02.2023 - 10 AZR 332/20 -. Abgesehen davon bringen die Tarifvertragsparteien mit der deutlich unterschiedlichen Höhe der Zuschläge für Nachtschichtarbeit und für unregelmäßige Nachtarbeit auch zum Ausdruck, dass sie einerseits regelmäßige Nachtschichtarbeit in ihrer Branche für notwendig und erforderlich halten, andererseits über die massive Verteuerung der unregelmäßigen Nachtarbeit die Arbeitgeber soweit als möglich dazu anhalten wollen, letztere im Betrieb zu vermeiden durch die damit einhergehende massive Verteuerung. Nach den unstreitigen Zahlen zur regelmäßigen und unregelmäßigen Nachtarbeit im Betrieb W... haben die Tarifvertragsparteien mit ihrer Regelung auch einen Beitrag dazu geleistet, die Beklagte sehr nachhaltig vom Einsatz von Arbeitnehmern in Nachtarbeit abzuhalten, die dabei nicht regelmäßig zum Einsatz kommen. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes, wonach unregelmäßige Nachtarbeit nur in sehr geringem Umfang vorkommt, kann seitens des Gerichtes ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien die unregelmäßige Nachtarbeit als einen Ausnahmetatbestand verstanden wissen wollten, welcher die unregelmäßige Nachtarbeit für die Arbeitgeber verteuern und gleichzeitig Arbeitnehmern, die keine regelmäßige Nachtarbeit leisten, als deutlicher Anreiz für die ausnahmsweise anfallende Tätigkeit in der Nacht dienen sollte. Dieser Aspekt rechtfertigt als sachlich vertretbarer Grund die Differenzierung bei der Höhe des Zuschlages für die regelmäßige Nachtarbeit oder ständige Nachtschichtarbeit einerseits und die unregelmäßige Nachtarbeit andererseits.

f) In diesem Zusammenhang ist auch auf die Freischichten nach § 12 MTV hinzuweisen, die nur den Arbeitnehmern zugutekommen, die entweder ausschließlich in Nachtarbeit beschäftigt sind, oder die regelmäßig im Dreischichtbetrieb arbeiten. Der Kläger, der zur zweiten Gruppe zählt, erhält für 15 geleistete Nachtschichten einen Tag Schichtfreizeit. Dies relativiert den unterschiedlichen Nachtzuschlag in erheblichem Umfang um nahezu 50 %.

Die Berufung ist unbegründet und zurückzuweisen.

III.

Die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels trägt der Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO.

VorschriftenArt. 3 Abs. 1 GG, § 6 Abs. 1 ArbZG, § 12 MTV, Art. 9 Abs. 3 GG, § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO, § 69 Abs. 2 ArbGG, § 5 Ziffer 2 e) MTV, Artikel 3 Abs. 1 GG, Artikel 9 Abs. 3 GG, Art. 3 GG, § 6 Abs. 5 ArbZG, § 97 Abs. 1 ZPO