Urteil vom 20.09.2022 · IWW-Abrufnummer 236015
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 11 Sa 12/22
1. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB verlangt, dass die Verjährung erst mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nachgekommen ist (vgl. auch BAG 20. Dezember 2022 - 9 AZR 266/20 nach EuGH 22. September 2022 - C-120/21 ).
2. Die Verjährung des Urlaubsanspruches kann frühestens mit dem Ende der Elternzeit beginnen (Anschluss an LAG Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 15. November 2019 - 9 Sa 47/19 - Rn. 32 und BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Rn. 12 ff.). Denn der Arbeitnehmer soll seinen vor und während der Elternzeit erworbenen Urlaub nach der Elternzeit auch nehmen können.
3. Da bei der Elternzeit die beiderseitigen Rechte und Pflichten suspendiert sind, liegt ein Fall der unverschuldeten Arbeitsversäumnis nach § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrIG vor.
4. Die Auffassung, eine Kürzung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG müsse auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich sein, das Bundesarbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung vom 19. Mai 2015 (9 AZR 725/13) nicht beachtet, dass der historische Gesetzgeber bei Abfassung des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG noch die Surrogationstheorie vor Augen gehabt habe, überzeugt nicht, weil daraus kein Ergebnis, das gegen den Gesetzeswortlaut verstößt, abgeleitet werden kann.
In der Rechtssache
- Beklagte/Berufungsklägerin -
Proz.-Bev.:
gegen
- Klägerin/Berufungsbeklagte -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 11. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Steuerer, den ehrenamtlichen Richter Leser und den ehrenamtlichen Richter Sievers auf die mündliche Verhandlung vom 20.09.2022
für Recht erkannt:
Tenor:1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Lörrach - vom 10.02.2022 - 9 Ca 158/21 wird auf deren Kosten zurückgewiesen.2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach der Elternzeit.
Die Klägerin war bei der Beklagten ab 1. Februar 2009 als Therapeutin zunächst in Vollzeit, ab Juni 2010 in Teilzeit mit 36 Wochenstunden, zuletzt an fünf Arbeitstagen in der Woche mit einer monatlichen Vergütung von 3.700,00 € brutto beschäftigt.
Ab 24. August 2015 war die Klägerin in Mutterschutz. Daran schlossen sich nahtlos eine Elternzeit für das erste Kind, ein weiterer Mutterschutz wegen einer zweiten Schwangerschaft und sodann direkt anschließend eine Elternzeit für das zweite Kind bis 25. November 2020 an. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis zum Ablauf dieser Elternzeit.
Aus dem Jahr 2015 war noch ein Resturlaubstag offen. Arbeitsvertraglich vereinbart ist ein jährlicher Urlaubsanspruch von 29 Tagen.
Mit ihrer am 21. Mai 2021 beim Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Lörrach - eingereichten Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 24.932,42 € brutto an sie nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. April 2021 zu bezahlen und vorgetragen, sie habe bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses einen offenen Urlaubsanspruch von insgesamt 146 Tagen (1 Tag aus 2015, je 29 Tage aus 2016 bis 2020) gehabt, welcher abzugelten sei. Wegen des Rechenwerks wird auf die Klageschrift erster Instanz, dort Seite 5 (= Abl. 5) Bezug genommen.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt, die Klage abzuweisen und vorgetragen, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Urlaubsabgeltung nach § 17 BEEG sei letzten Endes nicht richtig. Die gesetzliche Vorschrift sei auf der Basis der damals noch von der Rechtsprechung vertretenen Surrogationstheorie entstanden, so dass die Regelung dahin zu verstehen sei, dass nicht nur der Urlaubsanspruch während des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses, sondern auch der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst entstandene Urlaubsabgeltungsanspruch durch Erklärung des Arbeitgebers gekürzt werden könne.
Wenn dem Grunde nach überhaupt ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung bestehe, betrage dieser jedoch 0,00 €. Denn nach dem Referenzprinzip des § 11 BUrlG sei bei der Berechnung der Urlaubsvergütung der Verdienst in den letzten 13 Wochen vor Vertragsende zu Grunde zu legen. In dieser Zeit habe die Klägerin jedoch gar kein Einkommen gehabt.
Hinsichtlich etwaiger Ansprüche aus den Jahren 2015 bis 2017 erhebe sie hilfsweise Verjährungseinrede.
Mit Urteil vom 10. Februar 2022 - 9 Ca 158/21 - hat das Arbeitsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben und ausgeführt, der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ergebe sich aus § 17 Abs. 3 BEEG. Danach habe der Arbeitgeber den noch nicht gewährten Urlaub abzugelten, wenn das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit ende oder - wie hier - im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt werde.
Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 25. November 2020 habe die Klägerin einen offenen Urlaubsanspruch von insgesamt 146 Tagen gehabt.
Unstreitig sei zu Beginn des ersten Mutterschutzes im Jahr 2015 noch ein Tag Erholungsurlaub aus diesem Kalenderjahr offen gewesen. Dieser Anspruch sei bis zum Ende der letzten Elternzeit erhalten geblieben, §§ 17 Abs. 2 BEEG, 24 Satz 2 MuSchG. Dieses Fristenregime gehe § 7 Abs. 3 BUrlG vor, d.h. der Urlaub sei nicht mit dem 31. März des Folgejahres nach Entstehen des Urlaubsanspruchs verfallen (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17; LAG BW 16. September 2021 - 4 Sa 62/20).
Auch während der Mutterschutzfristen und der Elternzeit entstünden Urlaubsansprüche (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Rn. 10 für die Elternzeit). Diese blieben gemäß § 17 Abs. 2 BEEG, § 24 Satz 2 MuSchG bis zum Ende der letzten Elternzeit stehen; die Verfallregelung des § 7 Abs. 3 BUrlG finde in der Elternzeit/im Mutterschutz keine Anwendung (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17). Es gebe keinen Anlass, von dieser gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuweichen (vgl. BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 -, 19. Mai 2015 - 9 AZR 725/13 -, 19. März 2019 - 9 AZR 495/17). Damit seien in den Jahren 2016 bis 2019 jeweils Urlaubsansprüche von 29 Tagen entstanden, mithin insoweit 116 Tage.
Gleiches gelte für das Kalenderjahr 2020. Das Ende der Elternzeit habe in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres gelegen, weshalb es keine Quotelung nach § 5 BUrlG gebe. Die arbeitsvertragliche Regelung der Parteien (dort § 5) weiche hiervon letztlich nicht ab, was es weiter ausgeführt hat.
Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die Urlaubsansprüche aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 nicht verjährt. Bei während Mutterschutz- und Elternzeit entstandenen Urlaubsansprüchen, die erst nach Ende der Elternzeit genommen werden könnten, beginne die Verjährung frühestens ab dem Ende der Elternzeit. § 17 Abs. 1 und Abs. 2 BEEG stünden einem früheren Beginn der Verjährung entgegen (LAG BW 15. November 2019 - 9 Sa 47/19 - Rn. 40). Hier treffe das Gesetz eine klare Regelung: der vor dem Mutterschutz und der Elternzeit offene Urlaub und auch der während weiterer Mutterschutzfristen und Elternzeiten entstandene Urlaubsanspruch werde auf das Jahr des Endes der Elternzeit und auf das dem folgenden Kalenderjahr übertragen.
Dass die Beklagte keine Kürzung dieser Urlaubsansprüche während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses erklärt habe, sei unstreitig. Die dafür nötige rechtsgeschäftliche Erklärung (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Leitsatz 3; 19. März 2019 - 9 AZR 362/18) sei nicht abgegeben worden. Entgegen der Ansicht der Beklagten könne der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht mehr durch eine Erklärung des Arbeitgebers gekürzt werden (BAG 19. Mai 2015 - 9 AZR 725/13). Dieser Grundsatzentscheidung sei zu folgen. Das Bundesarbeitsgericht habe sich in der genannten Entscheidung mit dem Problem des Verständnisses von Urlaub und Urlaubsabgeltung unter dem Gesichtspunkt der Surrogationstheorie und nach Aufgabe dieser Theorie auseinandergesetzt. Es gebe keinen Anlass, diese höchstrichterlich entschiedene Frage erneut aufzuwerfen.
Die Höhe der Urlaubsabgeltung betrage 24.932,42 € brutto. Das Urlaubsentgelt bemesse sich gemäß § 11 BUrlG grundsätzlich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten habe. Dieser Zeitraum liege hier in der Elternzeit, in der die Klägerin keine Arbeitsvergütung erhalten habe. Das aber führe entgegen der Auffassung der Beklagten nicht dazu, dass die Urlaubsabgeltung 0,00 € betrage. Vielmehr blieben gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis einträten, für die Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht. Während der Mutterschutzfristen und der Elternzeit werde Arbeit unverschuldet versäumt, weil die Rechte berechtigt in Anspruch genommen würden. Der Verdienstausfall während der Mutterschutzfristen und der Elternzeit bleibe somit unberücksichtigt. Abzustellen ist daher auf den zuletzt erzielten Verdienst im aktiven Arbeitsverhältnis. Die Klägerin habe in ihrer aktiven Zeit einen monatlichen Bruttoverdienst von verstetigt 3.700,00 €, in dreizehn Wochen = 3 Monaten also 11.100,00 € erhalten. Bei der 5-Tage-Woche ergebe das einen Tagessatz von 170,77 €. Bei 146 abzugeltenden Tagen errechne sich daher die Urlaubsabgeltung mit 24.932,42 € brutto.
Gegen das der Klägerin am 15. Februar 2022 zugestellte Urteil wendet sich diese mit ihrer am 8. März 2022 eingereichten und am 12. April 2022 fristgerecht ausgeführten Berufung.
Zur Begründung führt die Klägerin aus, das Arbeitsgericht habe ihr hinsichtlich der in den Jahren 2015, 2016 und 2017 entstandenen Urlaubsansprüche zu Unrecht die Einrede der Verjährung versagt. Neuere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere die beiden Beschlüsse vom 7. Juli 2020 (9 AZR 245/19 und 9 AZR 401/19), vor allem aber auch der Vorlagebeschluss vom 29. September 2020 (BAG 9 AZR 266/20) zeigten die sehr eindeutige Tendenz, auch Urlaubsansprüche grundsätzlich dem Verjährungsregime der §§ 194 ff. BGB zu unterstellen. Anders als das Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 15. November 2019 annehme, beginne die Verjährung dieser Ansprüche dabei nicht erst mit dem Ende der Erziehungszeit, sondern - wie insbesondere das Landesarbeitsgerichts Düsseldorf am 18. August 2010 (12 Sa 650/10) festgestellt habe - mit dem Schluss des Urlaubsjahres. Es gebe wenige Rechtsnormen, die für sich so umfassende Geltung beanspruchten wie § 194 Abs. 1 BGB. Danach unterlägen alle Ansprüche, mit Ausnahme der sofort in § 194 Abs. 2 BGB genannten der Verjährung. Urlaub sei vom Gesetz ausdrücklich als "Anspruch" ausgestaltet. Rechtsdogmatisch gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Urlaubsanspruch nicht der Verjährung unterliegen solle. Dass dies auch der Haltung des Bundesarbeitsgerichts entspreche, ergebe sich aus den zitieren Entscheidungen und sei insbesondere auch den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2011 (C-214/10 - NZA 2011, 1333) geschuldet, wenn dieser feststelle, dass "ein Recht auf ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub aus mehreren Bezugszeiträumen, die während eines Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit erworben werde, dem europarechtlichen Zweck des Urlaubsanspruchs gerade nicht" entspreche.
Kämen Verfallsfristen nach § 7 Abs. 3 BUrlG nicht mehr zum Tragen, weil der Arbeitgeber es versäumt habe, den Arbeitnehmer dazu anzuhalten, den Urlaub zu nehmen, damit dieser nicht verfalle, bleibe im deutschen Recht allein noch das Verjährungsregime, um diesem Zweck zu genügen.
Dass der während der Elternzeit entstehende Urlaubsanspruch daneben noch der Kürzungsmöglichkeit des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG unterliege, spreche nicht gegen die Verjährung, denn es seien Fallkonstellationen denkbar, in denen der Arbeitgeber zwar von seinem Recht zur Kürzung keinen Gebrauch mache, sich dann aber später sehr wohl auf die Möglichkeiten der Verjährung berufen wolle. Abgesehen davon führe auch die Kürzung des Urlaubsanspruchs nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG in der Regel zu Überhangansprüchen, die sich rechnerisch schlicht daraus ergäben, dass die Kürzungsmöglichkeit immer nur für den vollen Monat und dann für 1/12 des Gesamturlaubsanspruchs bestehe, so dass Elternzeitphasen unter einem Monat gerade keine Kürzungsmöglichkeiten eröffneten, wohl aber Urlaubsansprüche begründeten. In jedem Fall sei es auch hier möglich, dass es zu einer unbegrenzten Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub aus mehreren Bezugszeiträumen komme, was nach den Worten des Europäischen Gerichtshofs dem europarechtlichen Zweck des Urlaubsanspruchs gerade nicht entspreche. Wie dieser in seiner vorgenannten Entscheidung feststelle, könne dem eigentlichen Zweck der Urlaubsgewährung nur dann Rechnung getragen werden, wenn die Kumulation von Urlaubsansprüchen eine "gewisse zeitliche Grenze nicht überschreite" (EuGH a.a.O. Rn. 33). Dabei stelle der Europäische Gerichtshof fest, dass ein tariflicher Übertragungszeitraum von 15 Monaten den Zweck der zeitlich nahen Gewährung von Urlaub noch wahre. Umgekehrt dürfe aber eine deutlich über diese Frist hinausgehende Kumulation der Urlaubsansprüche europarechtlichen Vorgaben nicht mehr entsprechen, was für das nationale Recht die Anwendung der Verjährungsvorschriften dann zwingend mache, weil nur diese noch ein neben § 7 BUrlG und § 17 BEEG bestehendes Fristenregime begründeten.
Dieser europarechtlichen Vorgabe sei auch bei der Beantwortung der Frage Rechnung zu tragen, wann die Verjährung der Urlaubsansprüche beginne. Das Landesarbeitsgericht selbst habe sich in der vorgenannten Entscheidung auf den Standpunkt gestellt, die Verjährung könne frühestens mit Ende der Elternzeit beginnen, weil ansonsten § 17 Abs. 2 BEEG leerliefe. Das sei insoweit dogmatisch nicht schlüssig, als grundsätzlich auch verjährte Urlaubsansprüche eben noch erfüllbar seien und deswegen auch noch ohne weiteres der Kürzung unterliegen könnten. Die Verjährung führe ja nicht zum Wegfall des Anspruchs, sondern nur zu einem Leistungsverweigerungsrecht.
Vor allem aber führe die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts in der Konsequenz dazu, dass eben doch über mehrere Jahre, ja bei Geburt mehrerer Kinder auf gleichsam unabsehbare Zeit hin Urlaubsansprüche aus verschiedenen Bezugszeiträumen kumuliert würden, was dem europarechtlich vorgegebenen Zweck des Urlaubs zuwiderlaufe. Wolle man den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entsprechen, sei es unausweichlich, an das allgemeine Fristenregime des Verjährungsrechts anzuknüpfen, wie dies beispielsweise das Landesarbeitsgericht Düsseldorf noch im Jahr 2010 - zugegebenermaßen recht apodiktisch - getan habe (LAG Düsseldorf 18. August 2010 - 12 Sa 650/10).
Fehlerhaft sei die Entscheidung des Arbeitsgerichts allerdings auch da, wo es die Urlaubsabgeltung mit 24.932,42 € errechne. Nach § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG bemesse sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen vor Beginn des Urlaubs. Wie das Gericht richtig feststelle, sei das Urlaubsentgelt und auch die Urlaubsabgeltung bei Anwendung dieser Norm mit 0,00 € zu bemessen. Zu Unrecht beziehe sich das Gericht dann auf § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, der für Kurzarbeit, Arbeitsausfälle und "unverschuldete Arbeitsversäumnis" eine Ausnahme von der Berechnung des Urlaubsentgelts anhand der letzten 13 Wochen anordne. Die Erziehungszeit sei keine "unverschuldete Arbeitsversäumnis" im Sinne der Vorschrift und dieser auch nicht gleichzusetzen. Die in § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG enthaltene Aufzählung sei abschließend (ErfK/Gallner, § 11 BUrlG Rn. 23). Die Norm könne also nur dann herangezogen werden, wenn die Erziehungszeit einer unverschuldeten Arbeitsversäumnis entspreche. Unter einer unverschuldeten Arbeitsversäumnis verstehe man jedoch lediglich die Freistellung nach § 616 BGB, die Erkrankung im Sinne des § 1 Abs. 1 EFZG sowie die vereinbarte unbezahlte Freistellung (ErfK/Gallner, § 11 BUrlG Rn. 23). Elternzeit sei gerade keine vereinbarte unbezahlte Freistellung, sondern nach § 16 Abs. 1 BEEG als grundsätzlich zu erfüllender Anspruch ausgestaltet, den der Arbeitgeber unter gewissen Umständen zwar ablehnen könne (§ 16 Abs. 1 Nr. 7 BEEG), der aber ansonsten keine Vereinbarung voraussetze. Es gebe daher keinen Grund, die Berechnung der Urlaubsabgeltung eines Arbeitnehmers, der gerade die Elternzeit beendet habe, zu privilegieren. Man dürfe nicht vergessen, dass der in Elternzeit befindliche Arbeitnehmer den Urlaub letztlich nicht durch Arbeitsleistung erarbeitet habe.
Sie vertrete weiter die Auffassung, dass das Bundesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung vom 19. Mai 2015 nicht beachtet habe, dass der historische Gesetzgeber bei Abfassung des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG noch die Surrogationstheorie vor Augen gehabt habe, weshalb aus damaliger Sicht gar keine Veranlassung bestanden habe, das Kürzungsrecht des Arbeitgebers ausdrücklich auch auf den Urlaubsabgeltungsanspruch zu beziehen. Nach damaliger Rechtslage sei der Urlaubsabgeltungsanspruch nichts anderes als eine Fortsetzung des Urlaubsanspruchs gewesen. Es wäre beinahe falsch gewesen, diesen in § 17 Abs. 1 BEEG gesondert zu erwähnen, um klarzustellen, dass das Kürzungsrecht des Arbeitgebers auch noch nach Ende des Arbeitsverhältnisses bestehe.
Die Beklagte beantragt,
das am 10.02.2022 unter dem Aktenzeichen 9 Ca 158/21 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern in Lörrach - abzuändern und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung, und trägt im Wesentlichen vor, das Arbeitsgericht lehne nicht grundsätzlich ab, dass Urlaubsansprüche verjähren könnten, sondern führe richtig aus, dass die Verjährung von Urlaubsansprüchen, die während des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit entstünden, frühestens ab dem Ende der Elternzeit beginne (so auch LAG BW 15. November 2019 - 9 Sa 47/19 - Rn.32). Denn einem früheren Beginn der Verjährung stünden die besonderen Regelungen des § 17 Abs. 1 und 2 BEEG entgegen.
Das Kürzungsrecht aus § 17 Abs. 1 BEEG trage dem Umstand Rechnung, dass die Arbeitspflicht während der Elternzeit ruhe und der in der Elternzeit befindliche Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht in Anspruch nehmen könne. Die gesetzliche Kürzungsbefugnis vermeide ein Ansammeln von Urlaub gegen den Willen des Arbeitgebers für Zeiten, in denen die Arbeitspflicht elternzeitbedingt ruhe (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Rn. 17). Daraus ergebe sich im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass sich der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers über die Elternzeit hinweg grundsätzlich ansammeln könne und zumindest für die Dauer der Elternzeit der Verjährung unterliege. Der von der Beklagten erwogene Restanwendungsbereich der Verjährung sei wohl rein theoretischer Natur und für die Auslegung der Vorschrift nicht entscheidend. Schon aus § 17 Abs. 1 BEEG ergebe sich folglich, dass die Verjährung der Urlaubsansprüche frühestens mit dem Ende der Elternzeit beginnen könne. Besonders deutlich werde dies bei einem Blick auf § 17 Abs. 2 BEEG. Denn nach § 17 Abs. 2 BEEG habe der Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer den ihm zustehenden Urlaub vor dem Beginn der Elternzeit nicht oder nicht vollständig erhalten habe, den Resturlaub nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren.
Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei es gerade, sicherzustellen, dass die Inanspruchnahme von Elternzeit nicht zum Verfall des Erholungsurlaubs führe. (BAG 20. Mai 2008 - 9 AZR 2019/07 - Rn. 15). Beginne die Verjährung bereits mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Elternzeit beginne, verjähre der Urlaubsanspruch regelmäßig, was dem Zweck des § 17 Abs. 2 BEEG zuwider liefe (LAG BW 15. November 2019 - 9 Sa 47/19 - Rn. 32). Insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer mehrere Elternzeiten in Anspruch nehme, verfalle dann sein Urlaubsanspruch fast ohne Ausnahme. § 15 BEEG gewährleiste dem Arbeitnehmer aber gerade das Recht, eine oder auch mehrere Elternzeiten in Anspruch zu nehmen (vgl. BAG 20. Mai 2008 - 9 AZR 2019/07 - Rn. 36). Das würde die Anspruchserhaltungsnorm des § 17 Abs. 2 BEEG jedoch regelmäßig - entgegen ihrem klaren Wortlaut - konterkarieren.
Zwar seien die Ausführungen der Beklagten rein theoretisch natürlich richtig, dass auch ein verjährter Urlaubsanspruch freiwillig noch erfüllt und gewährt werden könnte. Am Ergebnis ändere dies allerdings nichts, denn § 17 Abs. 2 BEEG wolle sicherstellen und nicht der Beliebigkeit des Arbeitgebers anheimstellen, dass die Inanspruchnahme von Elternzeit nicht zum Verfall des Erholungsurlaubs führe (ebenda, Rn. 16). Eine Verjährung mit dem Ende des Jahres, in dem die erste Elternzeit in Anspruch genommen wird, beginnen zu lassen, führe faktisch zum Verfall des Urlaubsanspruches entgegen dem klaren Wortlaut von § 17 Abs. 2 BEEG.
Damit könne die Verjährung des Urlaubsanspruches frühestens mit dem Ende der Elternzeit beginnen (LAG BW 15. November 2019 - 9 Sa 47/19 - Rn. 32). Dies ergebe sich auch aus dem in der Rechtsprechung zu Grunde gelegten Verständnis des Verhältnisses von § 7 Abs. 3 BUrlG zu § 17 Abs. 1 und 2 BEEG (z.B. BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Rn. 12 ff.). Denn danach solle der Urlaubsanspruch eben dem besonderen Regime des § 17 BEEG und gerade nicht dem Verfall nach § 7 Abs. 3 BUrlG unterliegen, damit der Arbeitnehmer vor und während der Elternzeit erworbenen Urlaub auch nehmen könne. Nichts Anderes könne für die Verjährung gelten.
Dass eine Vorschrift vorsehe, die Verjährung abweichend von dem in § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB festgelegten Zeitpunkt beginnen zu lassen, sei nichts Besonderes, sondern häufig, z. B. auch in §§ 438 und 634a BGB, vorgesehen. Entgegen den Ausführungen der Beklagten seien im Übrigen auch die unverjährbaren Ansprüche nicht abschließend in § 194 Abs. 2 BGB aufgeführt, sondern das BGB sehe solche auch z.B. in §§ 758, 898, 902, 924 BGB vor (BeckOK BGB/Henrich, BGB § 194 Rn. 24).
Anders als es die Beklagte meine, stehe auch das Europarecht der Übertragung von Urlaubsansprüchen aus verschiedenen Bezugszeiträumen und dem daraus resultierenden Ansammeln von Urlaubsansprüchen nicht entgegen, was sie weiter ausführt.
Das Arbeitsgericht habe auch zu Recht den Urlaubsabgeltungsanspruch mit 24.932,42 € nach § 11 Abs. 1 S. 1, S. 3 BUrlG bemessen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG blieben Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum in Folge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis einträten, für die Berechnung des Urlaubsentgeltes außer Betracht. Die während der Mutterschutzfristen und der Elternzeit versäumte Arbeit sei unverschuldet, da die Klägerin lediglich ihre gesetzlichen Rechte in Anspruch nehme. Arbeitsversäumnis sei im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nur dann verschuldet, wenn der Arbeitnehmer gröblich gegen Verhaltenspflichten verstoße, deren Einhaltung von jedem verständigen Menschen im eigenen Interesse, sich nicht selbst zu schädigen, erwartet werden könne (LAG Thüringen 28. April 2021 - 6 Sa 304/18 - Rn. 61), wovon hier keine Rede sein könne.
Zu Recht sei das Arbeitsgericht auch der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Kürzungsrecht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 1 BEEG (vgl. nur BAG 19. Mai 2015 - 9 AZR 725/13; 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - LS 3) gefolgt und habe festgestellt, dass eine Kürzungserklärung nur innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses möglich sei und daher der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht durch eine Kürzungserklärung nach Ende des Arbeitsverhältnisses gekürzt werden könne.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2b ArbGG). Sie ist auch frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO). Die Berufungsbegründung lässt zudem iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände erkennen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben soll. Sie ist daher zulässig.
II.
Die Berufung ist aber unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht mit richtigen und vollständigen Erwägungen (zu I 1 und 2 der Entscheidungsgründe, Seiten 4 bis 7 des Urteils), denen sich die Berufungskammer anschließt und dies nach § 69 Abs. 2 ArbGG feststellt, der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die dort aufgeführten Gründe kann verwiesen werden.
Lediglich im Hinblick auf die Berufungsbegründung besteht Anlass zu folgenden Ausführungen:
1. Richtig trägt die Beklagte vor, dass auch Urlaubsansprüche der Verjährung unterliegen können. Allerdings verlangt eine richtlinienkonforme Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB, dass die Verjährung erst mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nachgekommen ist (BAG 20. Dezember 2022 - 9 AZR 266/20 nach EuGH 22. September 2022 - C-120/21), woran es vorliegend fehlt. Die zitierten Entscheidungen wurden zwar erst nach Verkündung des Berufungsurteils verkündet, bestätigen jedoch das, wovon die Kammer ohnehin ausgegangen ist. Bereits deshalb kann sich die Beklagte nicht auf Verjährung berufen.
2. Von obigen Ausführungen abgesehen kann die Verjährung des Urlaubsanspruches frühestens mit dem Ende der Elternzeit beginnen, wie es das Arbeitsgericht richtig ausgeführt hat. Das ergibt sich sowohl aus der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG BW 15. November 2019 - 9 Sa 47/19 - Rn. 32) als auch aus dem in der Rechtsprechung zu Grunde gelegten Verständnis des Verhältnisses von § 7 Abs. 3 BUrlG zu § 17 Abs. 1 und 2 BEEG (z.B. BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Rn. 12 ff.; Brose/Weth/Volk MuSchG, § 17 BEEG Rn. 26 m.w.N.). Denn der Arbeitnehmer soll seinen vor und während der Elternzeit erworbenen Urlaub nach der Elternzeit auch nehmen können, was durch die gegenteilige Auffassung der Beklagten konterkariert würde. Dass der Beginn einer Verjährung durchaus von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB abweichen kann, zeigen nicht nur die von der Beklagten unter Verweis auf Henrich (BeckOK BGB/Henrich, BGB § 194 Rn. 24) genannten Beispiele, sondern auch die unter Ziff. 1 aufgeführte Entscheidung des BAG (BAG 20. Dezember 2022 - 9 AZR 266/20 nach EuGH 22. September 2022 - C-120/21).
3. Dass der Europäische Gerichtshof eine Höchstbegrenzung von Urlaubsansprüchen festgestellt habe oder will, wie es die Beklagte meint, ergibt sich weder aus der oben zitierten Entscheidung vom 22. September 2022 noch aus der von der Beklagten zitierten "Schulte"-Entscheidung (EuGH 22. November 2011 - C 214/10). Dort trug der Europäische Gerichtshof lediglich dem Umstand Rechnung, dass es aufgrund der Entscheidung im Verfahren "Schultz-Hoff" vom 20. Januar 2009 (C-350/06), dass ein Urlaubsanspruch bei Dauererkrankung nicht zum 31. März des Folgejahres verfallen könne, vor allem in Deutschland wegen den häufigen ungekündigten Arbeitsverhältnissen Langzeiterkrankter und der sich ergebenden erforderlichen Bilanzrückstellungen zu entsprechenden Kündigungen gekommen war, was der Europäische Gerichtshof nicht beabsichtigt hatte. Das hat mit dem vorliegenden Fall nichts zu tun.
4. Soweit die Beklagte meint, dass nach § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG das Urlaubsentgelt mit 0,00 € zu bemessen sei, kann ihr die Berufungskammer ebenfalls nicht folgen:
a) Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub ergibt sich nicht aus § 11 BUrlG, sondern aus § 1 BUrlG (BAG 22. Januar 2019 - 9 AZR 10/17). Das Bundesurlaubsgesetz gibt hiernach nicht nur einen Freistellungsanspruch, sondern auch einen Anspruch auf Bezahlung. Die Vorschrift verlangt, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeitspflicht und damit auch die Urlaubsabgeltung "bezahlt" sein muss. Sie entspricht insoweit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie/88/EG, der den Anspruch auf Freistellung und den auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzelnen Anspruchs behandelt (BAG 10. Februar 2015 - 9 AZR455/13).
b) § 11 BUrlG regelt nicht die Anspruchsgrundlage (so schon der schriftliche Bericht des Ausschusses für Arbeit BT-Drucks. IV/207), sondern stellt die Regeln auf, wie sich die zu zahlende Vergütung berechnet (Arnold/Tillmanns, BUrlG § 11 Rz. 2). Diese ermitteln sich aus einem Zeitfaktor und einem Geldfaktor (ErfK/Gallner § 11 BUrlG Rn. 2a m.w.N.; Arnold/Tillmanns, BUrlG a.a.O. Rz. 11).
aa) Der Zeitfaktor regelt den konkreten Urlaubsanspruch, entspricht also hier arbeitsgerichtlich festgestellten 146 Urlaubstagen, gegen die die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung - mit Ausnahme der noch zu behandelnden Kürzung - keine erheblichen Einwendungen vorgebracht hat.
bb) Hinsichtlich des Geldfaktors gilt: Da das "Referenzprinzip" Anwendung findet (ErfK/Gallner § 11 BUrlG Rn. 2a), muss dieser aus dem "Bezugszeitraum" ermittelt werden. Hierfür hat der Gesetzgeber den vermuteten, jeweils aktuellen Zeittraum der typischen Entgeltzahlung von 13 Wochen vor Beginn des Urlaubs gewählt, in dem die dort bezogene Vergütung noch verschiedenen Korrekturen unterworfen wird (vgl. hierzu Arnold/Tillmanns a.a.O. Rz. 12 ff.).
Bei Auslegung dieser Vorschrift muss § 1 BUrlG als Anspruchsgrundlage für den "bezahlten" Urlaubsanspruch beachtet werden
c) Das Arbeitsgericht hat § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG richtig angewandt.
aa) Der Auffassung der Beklagten, eine unverschuldete Arbeitsversäumnis könne nach der Kommentierung im Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (ErfK/Gallner, § 11 BUrlG Rn. 23) nur vorliegen, wenn "lediglich" eine Freistellung nach § 616 BGB, eine Erkrankung im Sinne des § 1 Abs. 1 EFZG sowie die vereinbarte unbezahlte Freistellung vorliege, weil dies dort "so abschließend zitiert" werde, ist nicht zu folgen:
Der zitierte Kommentar nennt entgegen der Auffassung der Beklagten nur Beispiele unverschuldeter Arbeitsversäumnis und nicht abschließende. Denn die von der Beklagten zitierte "Abschließlichkeit" bezieht sich nicht auf die "Gesamtumstände", sondern nur auf den gesetzlich zitierten Ausnahmekatalog, der vorliegend den Begriff "unverschuldete Arbeitsversäumnis" nennt. Welche Geschehnisse konkret hierunter zu subsumieren sind, ist also gerade nicht gesetzlich abschließend definiert.
bb) Damit scheitert die Auffassung der Beklagten, § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG könne nicht greifen, weil die Elternzeit keine vereinbarte unbezahlte Freistellung, sondern nach § 16 Abs. 1 BEEG als grundsätzlich zu erfüllender Anspruch ausgestaltet sei, den der Arbeitgeber unter gewissen Umständen zwar ablehnen könne (§ 16 Abs. 1 Nr. 7 BEEG), der aber ansonsten keine Vereinbarung voraussetze.
cc) Die unverschuldete Arbeitsversäumnis grenzt sich, abgesehen von den im gesetzlichen Ausnahmekatalog des § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG genannten Begriffen Kurzarbeit und den Arbeitsausfällen aufgrund eines Ereignisses in der Risikosphäre des Arbeitgebers, von ihrem Gegenteil, nämlich der verschuldeten Arbeitsversäumnis ab. Um Fälle unverschuldeter Arbeitsversäumnis handelt es sich, wenn der Arbeitnehmer seiner Arbeitspflicht aufgrund von Umständen, die er nicht zu vertreten hat, nicht nachkommen kann (Tillmanns in Arnold/Tillmanns, BUrlG, § 11 Rn. 70). "Vertreten müssen" ist Vorwerfbarkeit, was nicht vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer seine Rechte ausübt. Da bei der Elternzeit die beiderseitigen Rechte und Pflichten suspendiert sind, liegt somit ein Fall der unverschuldeten Arbeitsversäumnis nach § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG vor, wie es das Arbeitsgericht richtig erkannt hat.
5. Die Ausführungen der Beklagten, eine Kürzung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG müsse auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich sein, das Bundesarbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung vom 19. Mai 2015 nicht beachtet, dass der historische Gesetzgeber bei Abfassung des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG noch die Surrogationstheorie vor Augen gehabt habe, überzeugen nicht, weil daraus kein Ergebnis, das gegen den Gesetzeswortlaut verstößt, abgeleitet werden kann. Was der Gesetzgeber geregelt hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Surrogatstheorie aufgegeben werden könnte, führt angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift zu keinem analogiefähigen Zustand bezüglich der Urlaubsabgeltung.
§ 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG setzt voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht, woran es fehlt, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und dem Arbeitnehmer ein Abgeltungsanspruch zukommt. Das Bundesarbeitsgericht hat vor dem Hintergrund der Aufgabe der Surrogationstheorie im Jahr 2012 seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, nach der eine Kürzung des Urlaubsanspruchs auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Frage kam. Damit kann der Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr durch Kürzung des - nicht mehr vorhandenen - Urlaubsanspruchs eine Kürzung der Abgeltungsansprüche erreichen (BAG 19. Mai 2015 - 9 AZR 725/13 - mit ausführlicher Begründung Rn. 10, 13 ff.). Das Gesetz unterstellt hier allein den "Erholungsurlaub" der Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers, nicht dagegen den Abgeltungsanspruch (BAG 5. Juli 2022 - 9 AZR 341/21 - Rn. 38; 19. März 2019 - 9 AZR 362/18 - Rn. 32). Die Berufungskammer hält diese Auffassungen für richtig und sieht keinen Grund, von den zitierten Entscheidungen abzuweichen.
Folglich konnte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben.
III.
1. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.
2. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.
SteuererLeserSieversVerkündet am 20.09.2022