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Beschluss vom 09.02.2023 · IWW-Abrufnummer 236018

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 5 Ta 1/23

1. § 42 Abs. 2 Satz 1 a.E. GKG erfasst Abfindungen, die in Bestandsstreitigkeiten, insbesondere gerichtlichen Vergleichen, zur Kompensation der Auflösung von Arbeitsverhältnissen vereinbart werden.

2. Die Vorschrift findet keine Anwendung auf Abfindungen, die auf gesonderten Rechtsgrundlagen beruhen, beispielsweise auf vorgerichtlichen Aufhebungsverträgen.


Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten
1.
- Beteiligter -
2.
- Beteiligter/Beschwerdeführer -
3.
- Beteiligte -
4.
- Beteiligter -
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 5. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Krets ohne mündliche Verhandlung am 09.02.2023 beschlossen:

Tenor:1. Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Mannheim - 7 Ca 155/22 vom 17.11.2022 dahingehend abgeändert, dass der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert von EUR 80.808,55 auf EUR 240.808,55 angehoben wird.2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.

Wegen des Sach- und Streitstandes bis zur Vorlage an das Beschwerdegericht wird auf die Sachverhaltswiedergabe im angegriffenen Beschluss in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Im Übrigen wird von der Wiedergabe des Sachverhalts abgesehen, da der Beschluss des Beschwerdegerichts einem weiteren Rechtsmittel nicht unterfällt.

II.

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers ist statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch teilweise begründet. Streitig ist im Wesentlichen, ob Antrag Ziffer 6, der auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Anfechtung eines vorgerichtlichen Aufhebungsvertrags gerichtet ist, bei der Wertfestsetzung mit dem Betrag der im Aufhebungsvertrag vorgesehenen Abfindung zu berücksichtigen oder gemäß § 42 Abs. 2 GKG hiervon abzusehen ist. Nach Auffassung der Streitwertbeschwerdekammer ist die vorliegende Abfindung gemäß Aufhebungsvertrag keine Abfindung im Sinne des § 42 Abs. 2 GKG; sie ist mithin streitwertrechtlich berücksichtigungsfähig. Aufgrund des Feststellungs- statt Leistungsantrags ist ein Abschlag in Höhe von 20% vorzunehmen und der Streitwert daher um EUR 160.000,00 (80% der Abfindung i.H.v. EUR 200.000,00) zu erhöhen. Es liegt keine wirtschaftliche Identität mit Antrag Ziffer 1 vor.

1. Berücksichtigung der Abfindung (Antrag Ziffer 6): EUR 160.000,00

Die Abfindung aus dem Aufhebungsvertrag ist als wirtschaftliches Interesse des Klägers an der Feststellung der Unwirksamkeit der Anfechtung des Aufhebungsvertrags streitwertrechtlich zu berücksichtigen (mit einem Abschlag von 20%).

a) Gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG ist für die Wertberechnung bei Streitigkeiten über das Bestehen, Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend; eine Abfindung wird nicht hinzugerechnet.

b) Im vorliegenden Fall handelt es sich auch bei Antrag Ziffer 6 um eine Bestandsstreitigkeit im Sinne des § 42 Abs. 2 GKG. Eine Streitigkeit über die Wirksamkeit einer Anfechtung eines Aufhebungsvertrags stellt einen Rechtsstreit über das - aus dem Blickwinkel des klagenden Arbeitnehmers - "Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses" dar. Eine Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG a.E. - keine Hinzurechnung der Abfindung - ist daher grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

c) Die im auf den 30.06.2022 datierten Aufhebungsvertrag geregelte Abfindung ist jedoch keine im Sinne des § 42 Abs. 2 GKG. § 42 GKG erfasst Abfindungszahlungen, die in Bestandsstreitigkeiten, insbesondere gerichtlichen Vergleichen, zur Kompensation der Auflösung von Arbeitsverhältnissen vereinbart werden (LAG Nürnberg vom 22.08.2022 - 2 Ta 54/22, Rn. 13, juris). Sie findet keine Anwendung auf Abfindungen, die auf gesonderten Rechtsgrundlagen beruhen, wie etwa auf § 113 BetrVG, Tarifverträgen, Sozialplänen oder sonstigen Vereinbarungen (vgl. Ziffer I. 1. letzter Absatz des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit vom 09.02.2018, NZA 2018, 498; Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz vom 27.04.2015 - 8 Ta 12/15, Rn. 20, juris; LAG Düsseldorf vom 25.07.2022 - 4 Ta 204/22, Rn.9). Bei diesen stellt die Abfindung keine Kompensation für die Hinnahme einer (möglicherweise) unwirksamen Kündigung dar, die zu dem Gegenstandswert einer Bestandsschutzklage gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 GKG nicht hinzuzurechnen ist (LAG Nürnberg a.a.O.).

d) Vorliegend stellt der Abfindungsanspruch aus dem auf den 30.06.2022 datierten Aufhebungsvertrag keine Kompensation für die Hinnahme der streitgegenständlichen Kündigung(en) dar, sondern beruht auf einer eigenständigen Anspruchsgrundlage, d.h. dem vorgerichtlichen Aufhebungsvertrag. Nach Sinn und Zweck des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG sollen nur solche Abfindungen nicht beim Streitwert berücksichtigt werden, die gerade Gegenleistung für die Akzeptanz einer streitgegenständlichen Kündigung sind.

Konsequenterweise wäre auch nach den Ausführungen des Arbeitsgerichts ein auf die Abfindung gerichteter Zahlungsantrag ohne weiteres bei der Bemessung des Streitwerts zu berücksichtigen gewesen. Nach Auffassung der Streitwertbeschwerdekammer macht es aber im Hinblick auf die Frage der grundsätzlichen Berücksichtigung der Abfindung keinen Unterschied, ob der Abfindungsanspruch mittels Leistungs- oder Feststellungsklage geltend gemacht wird. Hinzu kommt vorliegend, dass der Antrag auch nicht auf "Feststellung einer Abfindungszahlung", sondern umfassender auf die Unwirksamkeit der Anfechtung des Aufhebungsvertrags gerichtet ist. Auch mit dem vorliegenden Feststellungsantrag richtet sich das wirtschaftliche Interesse des Klägers indes im Ergebnis auf die Zahlung der Abfindung. An der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2022 - der arbeitnehmerseitigen Hauptleistungspflicht aus dem Aufhebungsvertrag - hat der Kläger aufgrund der arbeitnehmerseitig jederzeit bestehenden (ordentlichen) Kündigungsmöglichkeiten kein gesteigertes wirtschaftliches Interesse. Es ist indes ein Abschlag in Höhe von 20% zu machen, weil es sich um einen Feststellungsantrag handelt und damit über den sich aus dem Aufhebungsvertrag folgenden Abfindungsanspruch selbst bei Stattgabe der Klage kein (vollstreckbarer) Titel vorgelegen hätte.

2. Keine wirtschaftliche Identität zwischen Antrag Ziffer 1 und Ziffer 6.

Zwischen Antrag Ziffer 1 und Ziffer 6 besteht keine wirtschaftliche Identität.

a) Grundsätzlich findet gemäß § 39 Abs. 1 GKG eine Zusammenrechnung der Werte mehrerer Streitgegenstände statt, soweit nichts anderes bestimmt ist. Eine Ausnahme liegt bei wirtschaftlicher (Teil-)Identität der Ansprüche vor (Rechtsgedanke des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Maßgeblich ist insoweit nicht der zivilprozessuale Streitgegenstand i.S.d § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, sondern der kostenrechtliche Streitgegenstand. Nach diesem kostenrechtlichen Gegenstandsbegriff sind für das Merkmal "desselben Gegenstandes" zwei Voraussetzungen erforderlich, nämlich dass die Ansprüche nicht nebeneinander bestehen können und dass sie auf dasselbe Interesse gerichtet sind (LAG Baden-Württemberg 14.05.2012 5 Ta 52/12 juris).

b) Nach diesen Grundsätzen liegt keine wirtschaftliche Teilidentität zwischen den Ansprüchen Ziffer 1 und Ziffer 6 vor. Antrag Ziffer 1 betrifft das wirtschaftliche Interesse an der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29.07.2022, Antrag Ziffer 2 betrifft umgekehrt das entgegengesetzte Interesse des Klägers an der Zahlung der Abfindung bei gleichzeitiger Beendigung zum 31.12.2022.

3. Gesamtbetrag

Da die übrigen Gegenstandswerte unstreitig waren und auch zutreffend bewertet wurden, ergibt sich ein Gesamtbetrag von EUR 80.808,50 + EUR 160.000,00 = EUR 240.808,50.

III.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG); Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Der Vorsitzende: Dr. Krets

Vorschriften§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG, § 42 Abs. 2 GKG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 42 GKG, § 113 BetrVG, § 42 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 GKG, § 39 Abs. 1 GKG, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG, § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG