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Urteil vom 19.08.2022 · IWW-Abrufnummer 236019

Landesarbeitsgericht Düsseldorf - Aktenzeichen 12 SaGa 11/22

1. Das vertragliche Wettbewerbsverbot gilt während der gesamten rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses. Ein Arbeitnehmer darf deshalb grundsätzlich auch nach Zugang einer von ihm gerichtlich angegriffenen fristlosen Kündigung des Arbeitgebers keine Konkurrenztätigkeit ausüben, falls sich die Kündigung später als unwirksam herausstellt.

2. Die Unterlassung von Wettbewerb kann grundsätzlich auch nach einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber und nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage durch den Arbeitnehmer im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht werden. Dem steht nicht entgegen, dass sich dabei beide Parteien widersprüchlich verhalten. Dies ist im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu berücksichtigen, steht aber deren Erlass nicht absolut entgegen.

3. Im Hinblick darauf, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über die einstweilige Verfügung regelmäßig im Kündigungsschutzverfahren noch nicht feststeht, ob die Kündigung wirksam oder unwirksam ist, gilt Folgendes:


a) Der Unterlassungsanspruch kommt dann in Betracht, wenn die streitige Kündigung ausgehend von den Erkenntnismöglichkeiten im einstweiligen Verfügungsverfahren offensichtlich unwirksam ist.


b) Ist dies nicht der Fall, hat im Hinblick auf das für beide Parteien betroffene Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG eine umfassende Folgenabwägung stattzufinden. Hierbei ist auch der Stand des Kündigungsschutzverfahrens zu berücksichtigen. So ändert ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil die Interessenlage maßgeblich. Hat sich der Arbeitnehmer mit seiner Rechtsansicht betreffend die Kündigung durchgesetzt, kann von ihm grundsätzlich erwartet werden, dass er einen konkret und unmittelbar gegen den Arbeitgeber gerichteten Wettbewerb in Form der selbständigen Tätigkeit unterlässt.


Tenor:1. Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 12.07.2022 - 1 Ga 6/22 - wird zurückgewiesen.2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Verfügungskläger auferlegt.

Tatbestand

Der Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagter) war seit dem 01.10.2007 bei dem Verfügungskläger bzw. dessen Rechtsvorgängern (im Folgenden: Kläger) zuletzt als Steuerberater mit einem monatlichen Bruttogehalt von 10.200,00 Euro beschäftigt. Grundlage war der noch mit der Sozietät C., O. und N. geschlossene Anstellungsvertrag vom 13.09.2007. In diesem hieß es u.a.:

"1. Beginn, Dauer und Inhalt des Arbeitsverhältnisses ... Herr T. hat seine Arbeitskraft ausschließlich der Sozietät C. - O. - N. zu widmen oder in deren Auftrag einzusetzen. ... 9. Schriftform Vertragsänderungen und Absprachen außerhalb der vorgesehenen Regelung bedürfen der Schriftform."

Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot enthielt der Arbeitsvertrag nicht. Der Kläger beriet und betreute als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in seiner Kanzlei mit mindestens zwei Niederlassungen in M. mindestens 500 Mandanten aus M., L., M., C., M. und X. sowie aus E. und C..

Der Beklagte hatte unter dem Mandantennummernkreis 19XXX eine Mehrzahl von privaten Mandaten, u.a. Familienangehörige, abgelegt, welcher er betreute. Hierzu benutzte der Beklagte die Betriebsmittel des Klägers. Die Tätigkeit des Beklagten erfolgte gegenüber diesen Mandanten kostenfrei. Ob diese Tätigkeit mit Kenntnis und Einwilligung des Klägers und des inzwischen zum 30.06.2021 ausgeschiedenen Partners N. erfolgte, ist zwischen den Parteien streitig. Im Zusammenhang mit der Anhörung des Beklagten am 10.12.2021 betreffend die vom Kläger als unzulässiger Wettbewerb eingeordnete Tätigkeit des Beklagten für den Mandantenkreis 19XXX kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Parteien, die sowohl in ihrem Inhalt als auch im Hinblick auf die Frage, ob sie nur verbal oder auch körperlich ausgetragen wurde, zwischen den Parteien streitig ist.

Mit Schreiben vom 15.12.2021 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.05.2022. In diesem Schreiben stellte er den Beklagten vorsorglich für den Fall, dass die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beenden sollte, bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist frei. Aufgrund der fristlosen Kündigung erhielt der Beklagte im Hinblick auf den Bezug von Arbeitslosengeld eine zwölfwöchige Sperrzeit. Der Beklagte erhob gegen die fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung vom 15.12.2021 Kündigungsschutzklage, die bei dem Arbeitsgericht Solingen zum Az. 4 Ca 3/22 anhängig ist. Er begehrt dort daneben Annahmeverzugslohnansprüche für die Zeit bis zum 31.05.2022 und hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die vorläufige Weiterbeschäftigung als Steuerberater bei dem Kläger. Der Kläger macht widerklagend Ansprüche aus § 61 HGB geltend.

Unter dem 17.01.2022 erteilte der Kläger dem Beklagten ein Zeugnis. In diesem hieß es u.a.:

"Herr T. erfüllte alle seine Aufgaben mit persönlichem Engagement und versuchte, auch bei starkem Arbeitsanfall die anstehenden Arbeiten termin- und sachgerecht zu erledigen. Aufgrund seines guten Allgemein- und Fachwissens war es jederzeit möglich, Herrn T. bei unterschiedlichen Branchen und Problemstellungen einzusetzen. Besondere Stärken von Herrn T. sind seine gute Auffassungsgabe sowie sein ergebnisorientiertes Arbeiten. Er zeigte stets großes Interesse und Aufgeschlossenheit neuen Aufgaben und Themenbereichen gegenüber, auch wenn dies ihn teilweise an seine Kapazitätsgrenzen führte. Die ihm übertragenen Aufgaben erledigte Herr T. zu meiner vollen Zufriedenheit. Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Mandanten und Mitarbeitern war jederzeit zuvorkommend und kollegial. Herr T. hat in einer Vielzahl von Fällen Wettbewerbstätigkeit als Steuerberater unter Verstoß gegen § 60 HGB ausgeübt. Aus diesem Grunde habe ich das Arbeitsverhältnis am 15.12.2021 außerordentlich, hilfsweise fristgerecht gekündigt."

Mit E-Mail vom 30.01.2022 teilte der Kläger dem ausgeschiedenen Gesellschafter N. mit, dass er den Beklagten am 15.12.2021 fristlos gekündigt habe, weil er eine erhebliche Nebentätigkeit des Beklagten festgestellt habe. Er selbst habe ihm zu keinem Zeitpunkt eine solche Genehmigung erteilt. Herr N. antwortete am 31.01.2022 wie folgt:

"Hallo H. Deine E-Mail habe ich erhalten, vielen Dank dafür. Was die Tätigkeit von Herrn T. betrifft, kann ich mich zwar nicht genau daran erinnern, wann wir ihm die Genehmigung erteilt haben. Wie ich Herrn T. kenne, stellt der eine solche Behauptung aber nicht auf, wenn es so nicht war. dafür ist er viel zu genau. Da möchte ich mich jedenfalls nicht festlegen. ..."

Der Beklagte schloss am 29.04.2004 eine Berufshaftpflichtversicherung als Steuerberater ab. Ab dem 01.05.2022 machte er sich als Steuerberater an seinem privaten Wohnsitz selbständig. Dieser lag von zwei Kanzleiräumen des Klägers ca. 2,8 km bzw. 4,2 km entfernt. Der Beklagte mietete weder eigene Räumlichkeiten an noch stellte er Personal ein. Er betreute u.a. folgende ehemalige Mandanten des Klägers: 1. S. T. system GmbH; 2. Eheleute S.; 3. T. GbR; 4. Transport E.; 5. Fußpflege D.; 6. Eheleute D.; 7. Eheleute T. 8. I. N.; 9. Erbengemeinschaft N.; 10. Eheleute X. und D. T.; 11. T. T.; 12. H. T.. Ob es sich dabei um zehn oder zwölf Mandate handelte, ist zwischen den Parteien im Hinblick darauf, ob es sich bei den Mandaten "D." um drei oder ein Mandat handelt, streitig. Mit diesen Mandanten hatte der Kläger im Jahr 2021 einen Umsatz von 41.600 Euro erwirtschaftet. Dies entsprach ca. 2 % des Gesamtumsatzes des Klägers. Die Kündigungsschreiben der genannten Mandanten waren weitgehend identisch formuliert. Nach Kenntniserlangung von der Wettbewerbstätigkeit des Beklagten am 30.05.2022 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten mit Schreiben vom 10.06.2022 erneut fristlos und hilfsweise fristgerecht. Hiergegen erhob der Beklagte Kündigungsschutzklage als Klageerweiterung in dem Verfahren Arbeitsgerichts Solingen zum Az. 4 Ca 3/22. Mit gleichlautenden Schreiben vom 20.06.2022, die bei dem Kläger am 21.06.2022 eingingen, forderte der Beklagte vom Kläger die Handakten und die diesem vorliegenden Daten betreffend von ihm nun betreute Mandanten bis einschließlich 2019 an.

Am 06.07.2022 fand in dem Verfahren Arbeitsgericht Solingen zum Az. 4 Ca 3/22 ein Kammertermin statt. Dieser endete mit der Bestimmung eines neuen Kammertermins, zu dem vorsorglich die Zeugen S. N. und L. I. geladen wurden. Der neue Kammertermin ist inzwischen auf den 16.11.2022 terminiert.

Mit Schreiben vom 09.08.2022 forderten die Eheleute S. den Kläger auf, ihre Steuerdaten an den Beklagten zu übertragen. Mit Schreiben vom 12.08.2022 forderte der Beklagte den Kläger zur Übertragung der Steuerdaten der Eheleute und X. und L. auf. Ebenfalls mit Schreiben vom 12.08.2022 erinnerte der Beklagte den Kläger an die Herausgabeverlangen mit Schreiben vom 20.06.2022.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte sei aktiv an seine ehemaligen Mandanten herangetreten. Die weitgehend inhaltsgleichen Kündigungsschreiben legten eine Vorformulierung durch den Beklagten nahe. Der Kläger hat gemeint, er betreibe in seinem Geschäftszweig Wettbewerb. Er könne deshalb die Unterlassung von Wettbewerbstätigkeiten in seinem Marktbereich verlangen. Der Kläger ist der Ansicht gewesen, das Arbeitsverhältnis sei aufgrund der außerordentlichen Kündigung vom 15.12.2021 beendet. Gleichwohl obliege das für die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestehende Wettbewerbsverbot einem Arbeitnehmer auch dann, wenn der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung ausspreche, deren Wirksamkeit der Arbeitnehmer gerichtlich angreife. Dem Beklagten sei dabei ein besonders hoher Verschuldensgrad vorzuwerfen. Er betreibe nicht lediglich Wettbewerb in seinem Marktbereich, sondern werbe sogar seine Mandanten ab. Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes sei durch den Verfügungsanspruch indiziert. Die Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot begründeten die Wiederholungsgefahr. Letzteres werde überdeutlich durch das nun auch offen gegenüber ihm erfolgende Auftreten am Markt und im Zusammenhang mit dem Herausgabe/Übergabe-Verlangen in Bezug auf die Handakten der benannten Mandanten. Zudem habe der Beklagte im Rahmen der Kammerverhandlung zum Kündigungsschutzverfahren am 06.07.2022 erklärt, er könne ca. 200 Mandanten seiner Steuerberaterkanzlei "zu sich holen".

Der Kläger hat beantragt,

1. dem Beklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, zu untersagen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens betreffend die von ihm gegenüber dem Beklagten am 15.12.2021 und 10.06.2022 ausgesprochenen Kündigungen (erstinstanzlich Arbeitsgericht Solingen 4 Ca 3/22) in Nordrhein-Westfalen einer selbständigen oder angestellten Tätigkeit als Steuerberater nachzugehen, die Folgendes zum Inhalt hat: Erbringung von Steuerberatungs- und Buchhaltungsdienstleistungen jeglicher Art nach § 1 StBerG im eigenen oder im fremden Namen sowie die werbend nach außen in Erscheinung tretende Vorbereitung einer künftigen eigenen freiberuflichen Tätigkeit als Steuerberater, insbesondere das Abwerben von seinen Mandanten, Bearbeitung von ehemaligen seiner Mandaten und die Tätigkeit als Steuerberater unter der Kanzleiadresse C. straße 23, M..

Hilfsweise für den Fall, dass die Kammer den Antrag zu Ziffer 1 als räumlich zu weit gefasst sieht, als Hilfsantrag zu Ziff. 1:

4. dem Beklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, zu untersagen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens betreffend die von ihm gegenüber dem beklagten am 15.12.2021 und 10.06.2022 ausgesprochenen Kündigungen (erstinstanzlich Arbeitsgericht Solingen 4 Ca 3/22) in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Köln einer selbständigen oder angestellten Tätigkeit als Steuerberater nachzugehen, die Folgendes zum Inhalt hat: Erbringung von Steuerberatungs- und Buchhaltungsdienstleistungen jeglicher Art nach § 1 StBerG im eigenen oder im fremden Namen sowie die werbend nach außen in Erscheinung tretende Vorbereitung einer künftigen eigenen freiberuflichen Tätigkeit als Steuerberater, insbesondere das Abwerben von seinen Mandanten, Bearbeitung von seinen ehemaligen Mandaten und die Tätigkeit als Steuerberater unter der Kanzleiadresse C.-Straße 23, M..

Hilfsweise für den Fall, dass die Kammer den Antrag zu Ziffer 1 und den dazu als Hilfsantrag gestellten Antrag zu Ziffer 4 als räumlich zu weit gefasst sieht, als Hilfsantrag zu Ziffer 1 und 4:

5. dem Beklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, zu untersagen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens betreffend die von ihm gegenüber dem Beklagten am 15.12.2021 und 10.06.2022 ausgesprochenen Kündigungen (erstinstanzlich Arbeitsgericht Solingen 4 Ca 3/22) im Regierungsbezirk Köln und den Kreisen Mettmann, sowie den Städten T., X. und S. einer selbständigen oder angestellten Tätigkeit als Steuerberater nachzugehen, die Folgendes zum Inhalt hat: Erbringung von Steuerberatungs- und Buchhaltungsdienstleistungen jeglicher Art nach § 1 StBerG im eigenen oder im fremden Namen sowie die werbend nach außen in Erscheinung tretende Vorbereitung einer künftigen eigenen freiberuflichen Tätigkeit als Steuerberater, insbesondere das Abwerben von seinen Mandanten, Bearbeitung von seinen ehemaligen Mandaten und die Tätigkeit als Steuerberater unter der Kanzleiadresse C. Straße 23, M..

Hilfsweise für den Fall, dass die Kammer den Antrag zu Ziffer 1 und die dazu als Hilfsantrag gestellten Anträge zu Ziffer 4 sowie 5 als räumlich zu weit gefasst sieht, als Hilfsantrag zu Ziffer 1 und 4 sowie 5:

6. dem Beklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, zu untersagen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens betreffend die von ihm gegenüber dem Beklagten am 15.12.2021 und 10.06.2022 ausgesprochenen Kündigungen (erstinstanzlich Arbeitsgericht Solingen 4 Ca 3/22) in der Stadt M. und den Kreisen Mettmann, Rheinisch-Bergischer-Kreis sowie den Städten T., X. und S. einer selbständigen oder angestellten Tätigkeit als Steuerberater nachzugehen, die Folgendes zum Inhalt hat: Erbringung von Steuerberatungs- und Buchhaltungsdienstleistungen jeglicher Art nach § 1 StBerG im eigenen oder im fremden Namen sowie die werbend nach außen in Erscheinung tretende Vorbereitung einer künftigen eigenen freiberuflichen Tätigkeit als Steuerberater, insbesondere das Abwerben von seinen Mandanten, Bearbeitung von seinen ehemaligen Mandaten und die Tätigkeit als Steuerberater unter der Kanzleiadresse C. straße 23, M..

Äußerst hilfsweise für den Fall, dass die Kammer den Antrag zu Ziffer 1 und die dazu als Hilfsantrag gestellten Anträge zu Ziffer 4 bis 6 als räumlich zu weit gefasst sieht, als Hilfsantrag zu Ziffer 1 und 4 bis 5:

7. dem Beklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, zu untersagen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens betreffend die von ihm gegenüber dem Beklagten am 15.12.2021 und 10.06.2022 ausgesprochenen Kündigungen (erstinstanzlich Arbeitsgericht Solingen 4 Ca 3/22) in der Stadt M. einer selbständigen oder angestellten Tätigkeit als Steuerberater nachzugehen, die Folgendes zum Inhalt hat: Erbringung von Steuerberatungs- und Buchhaltungsdienstleistungen jeglicher Art nach § 1 StBerG im eigenen oder im fremden Namen sowie die werbend nach außen in Erscheinung tretende Vorbereitung einer künftigen eigenen freiberuflichen Tätigkeit als Steuerberater, insbesondere das Abwerben von seinen Mandanten, Bearbeitung von seinen ehemaligen Mandaten und die Tätigkeit als Steuerberater unter der Kanzleiadresse C. strasse 23, M..

Der Beklagte hat beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Er hat behauptet, an keinen einzigen Mandanten des Klägers aktiv herangetreten zu sein, geschweige denn solche Mandanten abgeworben zu haben. Er habe sich nicht an die Mandanten gewendet, sondern nur solche Mandate übernommen, die an ihn herangetragen worden seien. Dies betreffe insbesondere auch die seitens des Klägers benannten Mandate. Eine aktive Anwerbung ergebe sich auch aus keiner der vom Kläger angeführten eidesstattlichen Versicherungen. Er habe auch nicht erklärt, er könne 200 Mandate zu sich holen. Vielmehr habe sein Prozessbevollmächtigter im Rahmen von Vergleichsverhandlungen zu einer Beendigungslösung geäußert, ob es dem Kläger lieber sei, statt eine Abfindung zu zahlen, dass er seine Kündigungsschutzklage zurücknehme und dann 200 Mandate abwerbe. In seinem derzeitigen Tätigkeitsumfang "auf Sparflamme" sei es ihm neben der Tatsache, dass er sich jeder Abwerbung von Mandanten des Klägers enthalten habe und bis auf Weiteres auch enthalten werde, auch gar nicht möglich, 200 Mandanten zu betreuen bzw. zu bearbeiten. Er ist der Ansicht, ein Unterlassungsanspruch stünde dem Kläger nicht zu und falls doch allenfalls dann, wenn er zugleich eine Karenzentschädigung mindestens in Höhe der Regelungen der §§ 74 ff. HBG anbiete.

Zudem seien sämtliche Unterlassungsanträge räumlich und inhaltlich zu weit gefasst. Sie erfassten z.B. erkennbar Tätigkeiten auch außerhalb des Marktbereichs des Klägers, wie eine Tätigkeit als angestellter Syndikussteuerberater. Es sei zu beachten, dass im derzeitigen Marktumfeld die zugelassenen Steuerberater und Steuerberatungsgesellschaften die Nachfrage nach Steuerberatungs- und Buchhaltungsdienstleistungen nicht decken könnten, so dass auch die Kanzlei des Klägers neue Mandatsanfragen ablehne bzw. bestehende Mandate kündige, um der Nachfrage nachkommen zu können. Faktisch finde ein Wettbewerb in dem Marktumfeld nicht statt. Seine zum Bestreiten des Lebensunterhalts unabdingbar gewordene Tätigkeit "vom Küchentisch" seiner Privatwohnung aus, stelle sich daher im Verhältnis zum Kläger nicht als Wettbewerb dar.

Ein Schutz des Klägers sei auch deshalb nicht notwendig, weil er nach Obsiegen in den Kündigungsschutzverfahren wieder beim Kläger tätig werde und seine selbständige Tätigkeit ein Ende finde. So habe er seine Tätigkeit nur als Vorübergehende eingerichtet und keine höheren oder langfristigen Investitionen - die monatlichen Kosten beliefen sich auf 214,70 Euro - vorgenommen. Alle "verlorenen" Mandate würde der Kläger damit zurückgewinnen. Dieser sei nicht auf die sofortige Untersagung durch das Gericht so dringend angewiesen, dass er ein Hauptsacheverfahren nicht abwarten könne, ohne einen unverhältnismäßigen Schaden zu erleiden. Eine existentielle Gefährdung sei angesichts des geringen Umfangs der bearbeiteten Mandate im Verhältnis zum Gesamtumsatz des Klägers ersichtlich nicht gegeben.

Obwohl der Kläger das Arbeitsverhältnis als beendet ansehe, habe er dieses nicht ordnungsgemäß abgerechnet. Es ginge dem Kläger einzig und alleine darum, ihn finanziell zu ruinieren. So habe er ihm die Urlaubsabgeltung für drei Monate in Höhe von 25.421,58 Euro nicht gewährt. Er habe die noch offenen 1.060 Überstunden mit einem Wert von 63.981,60 Euro nicht abgerechnet. Es fehle zudem die Erfolgsprämie von 10.000,00 Euro. Dies alles habe ihn vor dem Hintergrund der Sperrzeit in eine schwere finanzielle Zwangslage gebracht.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Klägers abgewiesen. Gegen das ihm am 14.07.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.07.2022 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm der begehrte Unterlassungsanspruch zustehe. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestehe das Wettbewerbsverbot während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses. Dies gelte auch für die Dauer eines Kündigungsschutzverfahrens, falls sich die Kündigung später als unwirksam herausstelle.

Der Wettbewerb des Beklagten sei auf Dauer angelegt. Dies belegten die vorformulierten Kündigungsschreiben und der angeforderte Datenübertrag. Es liege auch keine Situation vor, welche einer Freistellung unter Anrechnung anderweitigen Verdienstes entspreche. Er habe durch keine Erklärung zum Ausdruck gebracht, mit den Wettbewerbshandlungen des Beklagten einverstanden zu sein. Vielmehr habe er schon die erste Kündigung mit den Wettbewerbshandlungen des Beklagten begründet.

Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Risikoabwägung sei fehlerhaft. Sein Mandantenstamm sei gefährdet, weil der Beklagte im Gütetermin angekündigt habe, dass er ohne weiteres 200 Mandanten abwerben könne. Entgegen der Einlassung des Beklagten finde unter Steuerberatern selbstverständlich Wettbewerb statt. Es sei zudem unwahrscheinlich, dass der Beklagte nicht noch weitere Mandanten abgeworben habe. So sei bei Einkommenssteuermandaten kein Datenübertrag erforderlich, weshalb für ihn nicht erkennbar sei, ob der Beklagte weitere seiner Mandanten betreue. Aber selbst wenn dem nicht so sei, sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte in seiner unmittelbaren Nähe tätig werde.

Der Umstand, dass er in die Mandatsbeziehungen, welche der Beklagte abgeworben hatte, eintreten oder die Gewinne abschöpfen könne, sei nicht zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Es seien weit höhere Umsatzverluste als die 41.600,00 Euro zu befürchten. Zudem gingen mit der Geltendmachung der Ansprüche aus § 61 HGB ein finanzieller Aufwand und ein prozessuales Risiko einher. Die Mandanten könnten auch nicht beliebig mit hin- und hergenommen werden. Zudem sei zu befürchten, dass der Beklagte bei einer Rückkehr in das Arbeitsverhältnis weiterhin Wettbewerb betreibe.

Seine Rechtsansicht sei nicht widersprüchlich. Zwar sei die Kündigung vom 15.12.2021 wirksam. Solange der Beklagte aber mit der Kündigungsschutzklage den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses begehre, habe er sich des Wettbewerbs zu enthalten. Insbesondere hätte der Beklagte außerhalb seines Marktbereichs als angestellter oder selbständiger Steuerberater tätig werden können. Seine Steuerberaterpraxis werde bereits dadurch beeinträchtigt, dass der Beklagte mit Kenntnis seiner internen Abläufe in unmittelbarer räumlicher Nähe tätig werde. Weder die Berufsfreiheit noch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten rechtfertigten dies. Wenn die Kündigung vom 15.12.2021 wirksam sei, habe der Beklagte sich gemäß § 241 Abs. 2 BGB für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits des Wettbewerbs zu enthalten. Sei die Kündigung rechtsunwirksam, ändere dies nichts an seinem Unterlassungsanspruch. Der Verfügungsgrund folge bereits aus der abstrakten Gefahr der Beeinträchtigung seines Marktbereichs.

Die Kündigung vom 15.12.2021 sei deshalb begründet, weil der Beklagte über mehrere Jahre im bestehenden Arbeitsverhältnis in erheblichem Ausmaß Wettbewerb unter Ausnutzung seiner Kanzleistruktur betrieben habe. Der Beklagte habe in der Zeit vom 06.03.2013 bis zum 10.12.2021 eine Mehrzahl von privaten Mandaten unter dem Mandantenkreis 19XXX ohne Einwilligung betreut. Dies sei ihm, dem Kläger bis zum 05.12.2021 unbekannt gewesen. Eine Erlaubnis zur - gar vergütungsfreien - Betreuung privater Mandate hätten weder er noch der ausgeschiedene Gesellschafter N. dem Beklagten erteilt. Er hätte diese Praxis auch nicht geduldet, weil nicht sämtliche Post über seinen Schreibtisch gehe. Der Verzicht auf Rechnungen bei Steuerberatungsleistungen für Bekannte und Angehörige sei auch kein kanzleiübliches Vorgehen. Vielmehr erfolge eine Abrechnung zu geringeren Gebühren. Es ergebe sich eine Gesamtsumme nicht abgerechneter Leistungen des Beklagten von 119.920,00 Euro. Schließlich belegten die inzwischen eingegangenen Herausgabeverlangen der privaten Mandanten des Beklagten, dass zu seiner Kanzlei gerade keine Mandatsverhältnisse bestanden hätten.

Am 10.12.2021 habe der Beklagte ihm gedroht, "ein Fass aufzumachen, wenn er ihm eines aufmache". Er habe ihn mehrmals beschuldigt, Bewirtungsbelege geschrieben zu haben, obwohl er daran nicht teilgenommen habe. Zu seinem Schwiegersohn habe er ausgeführt, dass dieser "keine Ahnung" habe und "permanent irgendwelchen Stuss erzähle". Auf die von dem Beklagten nach seinem Vortrag gelöschten 1.500 Daten angesprochen, habe dieser entgegnet, dass sein Schwiegersohn "sich beim Bohren in der Nase verletzten und nicht einmal das Loch finden werde." Es sei schließlich zum Streit darüber gekommen, ob es sich bei den Unterlagen, welche der Beklagte mitnehmen wollte, um kanzleiinterne Vorgänge gehandelt habe. Als der Beklagte kanzleiinterne Unterlagen habe an sich nehmen wollen, sei es zu einer kurzen Rangelei gekommen.

Nach der Kündigung vom 15.12.2021 habe er festgestellt, dass der Beklagte einen weiteren Mandanten, Herrn T. betreut habe. Mit einem weiteren Mandanten habe ein privater Termin des Beklagten in seiner Kanzlei stattgefunden. Die fristlose Kündigung sei als Tat- und Verdachtskündigung begründet.

Die weitere Kündigung vom 10.06.2022 stütze sich auf die inzwischen aufgenommene selbständige Wettbewerbstätigkeit des Beklagten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 12.07.2022 - 1 Ga 6/22 - abzuändern und den Beklagten nach den erstinstanzlichen Haupt- und Hilfsanträgen zu 1., 4, 5., 6. und 7. zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entgegen der Behauptung des Klägers sei dieser nicht nur an zwei, sondern an drei Standorten in M. mit insgesamt ca. 2.500 Mandanten tätig.

Es sei nicht so, dass er den finanziellen Ruin des Klägers bezwecke, sondern umgekehrt dieser seinen. Zu berücksichtigen sei, dass er erst ca. 4,5 Monate nach der Kündigung ab dem 01.05.2022 begonnen habe, sich "am Küchentisch" selbständig zu machen, um sein wirtschaftliches Überleben sicherzustellen. Er bleibe dabei, dass er sich nicht aktiv an die Mandanten des Klägers gewandt habe. Vielmehr hätten diese von sich aus dem Kläger den Rücken gekehrt. Der Umsatzverlust belaste den Kläger nicht unverhältnismäßig. Er bleibe außerdem dabei, dass nicht er es gewesen sei, der angekündigt habe, er könne dem Kläger 200 Mandate abwerben. Bei seinem derzeitigen Tätigkeitsumfang sei ihm dies auch gar nicht möglich.

In der Sache habe das Arbeitsgericht richtig entschieden. Die Rechtsansicht, dass auch während des Kündigungsschutzverfahrens das Wettbewerbsverbot zu beachten sei, sei unzutreffend. Vielmehr sei dazu das - nicht erfolgte - Angebot einer Karenzentschädigung erforderlich. Auch im bestehenden Arbeitsverhältnis werde das Wettbewerbsverbot für Vorbereitungshandlungen gelockert. Die Situation hier sei im Übrigen sehr wohl mit einer Freistellung vergleichbar. Außerdem müsse sein Risiko bewertet werden, dass ihm das böswillige Unterlassen anderweitigen Erwerbs vorgehalten werde. Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bei Unwirksamkeit der Kündigung in seine Mandatsbeziehungen eintreten und den Gewinn abschöpfen könne. Die Störung in seinem Marktbereich habe außerdem der Kläger selbst durch seine unwirksame Kündigung vom 15.12.2021 herbeigeführt. Hinzu komme, dass der Kläger die Bearbeitung von Steuererklärungen mangels Kapazitäten ablehne. Die örtliche Nähe resultiere schlicht aus der Tatsache seiner Wohnanschrift, an der er aus Kostengründen seine "Küchenkanzlei" eingerichtet habe. Hinzu komme, dass in M. alleine 18 Steuerberater ansässig seien. Der Kläger könne den Wettbewerb außerdem durch Rücknahme der Kündigung sofort beenden. Aufgrund des erteilten Zeugnisses habe er keine Chance gehabt, sich auf eine unselbständige Tätigkeit zu bewerben. Zu Recht habe das Arbeitsgericht Solingen die wechselseitigen Positionen abgewogen und sei dem Ergebnis gelangt, dass die Untersagung des Wettbewerbs zu einer erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigung auf seiner Seite führe. Aufgrund seiner langjährigen beruflichen Verpflichtungen in M. dürfte ein Fußfassen außerhalb dieses Gebietes ihn deutlich einschränken. Es fehle außerdem an einem Verfügungsgrund.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass die fristlose und hilfsweise Kündigung vom 15.12.2021 rechtswirksam sei. Er behauptet, er habe mit Zustimmung auch des Klägers seine privaten Kunden betreut. Dabei seien über einen Zeitraum von 14 Jahren alle Abreden zum Arbeitsvertrag formlos vereinbart und im EDV-System abgebildet worden. Grund für die Kündigung sei vielmehr eine E-Mail von ihm vom 03.12.2021, in der er den Schwiegersohn des Klägers mit einer Vielzahl von Vorkommnissen des Jahres 2021 konfrontiert habe. Dies habe den Schweigersohn zur Ermittlung der angeblichen Wettbewerbstätigkeit veranlasst. Der Beklagte behauptet, ihm sei bereits vor dem 31.12.2014 durch Herrn N. gestattet worden, für Personen, zu denen er in enger persönlicher Bindung stehe, Hilfe in Steuersachen zu leisten. Arbeitgeberseitige Bedingung sei gewesen, dass dies über das EDV-System läuft, damit dies nachvollzogen werden könne. Genau dafür sei der Nummernkreis 19XXX angelegt worden. So sei seine unentgeltliche Hilfeleistung in Steuersachen an dem DATEV-Arbeitsplatz jederzeit nachvollziehbar gewesen. Die privaten Mandanten seien aus der Mandantenübersicht ersichtlich gewesen. Für seine Version spreche auch die E-Mail von Herrn N. vom 30.01.2022. Es habe sich bei den privaten Mandanten auch tatsächlich nur um solche gehandelt, mit denen er eng persönlich verbunden war (Familie und enge gute, langjährige Freunde). Dem Kläger seinen auch deshalb keine Gebühren entgangen, weil diese privaten Mandanten den Kläger gar nicht kostenpflichtig mandatiert hätten. Unabhängig davon habe der Kläger die angeblich abrechnungsfähigen Beträge falsch ermittelt. Entgegen der Behauptung des Klägers sei es in dessen Kanzlei von 2013 bis 2019 durchaus üblich gewesen, auch andere Mandate unentgeltlich zu bearbeiten.

Unabhängig von der erteilten Genehmigung habe der Kläger Kenntnis von seinen privaten Mandaten gehabt, weil sämtliche Post übers seinen Schreibtisch gelaufen und vom Kläger zur Kenntnis genommen worden sei.

Am 10.12.2021 habe er ohne weiteres mitgeteilt, dass es sich bei dem Mandantenkreis 19XXX um enge persönliche Bekannte handele, die er seit zehn Jahren mit Zustimmung von Herrn N. und dem Kläger betreue. Der Kläger habe einen Anruf bei Herrn N. am 10.12.2021 verweigert. Es habe sich dann ein intensives Streitgespräch entwickelt. Er habe dem Kläger aber weder gedroht noch sei er ausfallend geworden. Es sei auch zu keiner Rangelei gekommen. Alleine der Kläger sei körperlich übergriffig geworden. Dieser habe ihn an beiden Schultern gepackt und aus dem Büro gezogen. Er, der Beklagte, habe sich am 10.12.2021 als einziger Beteiligter besonnen und entsprechend mitteleuropäischer Höflichkeitsformen verhalten.

Den angeblichen Fall T. habe der Kläger bereits vor der Kündigung gekannt. Mit dem weiteren Mandanten habe es keinen privaten, sondern einen dienstlichen Termin gegeben, den er im Zeitsystem erfasst habe. Warum keine Abrechnung des Termins erfolgte, entziehe sich seiner Kenntnis. Als angestellter Steuerberater habe er nur seine Leistungen in den als "LEA" bezeichneten Zeitberichten zu erfassen gehabt. Es sei dann am Kläger gewesen, die Leistungen abzurechnen.

Zu keinem Zeitpunkt habe er während des bestehenden Arbeitsverhältnisses dem Kläger Mandate vorenthalten oder unter Ausnutzung von dessen Kanzleistruktur Wettbewerb betrieben. Die weitere fristlose Kündigung vom 10.06.2022 diene dazu, ihn persönlich und wirtschaftlich zu zerstören.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle in beiden Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet, weil die vom Kläger geltend gemachten Unterlassungsanträge diesem weder mit den Haupt- noch mit den Hilfsanträgen zustehen. Der Kläger kann von dem Beklagten nicht die Unterlassung von Wettbewerb verlangen. Es fehlt ihm zum jetzigen Zeitpunkt an einem Verfügungsanspruch. Von einem solchen konnte die erkennende Kammer mit den Maßstäben des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht ausgehen. Die hier aufgrund der besonderen Interessenlage vorzunehmende Abwägung geht zum jetzigen Zeitpunkt zu seinen Lasten aus.

I. Der Kläger begehrt eine Leistungsverfügung, denn der Zuspruch des begehrten Antrags würde dem Beklagten die von ihm aufgenommene selbständige Tätigkeit als Steuerberater aber auch eine unselbständige Tätigkeit als Steuerberater in dem räumlich gestaffelten Umfang ab sofort bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Kündigungsschutzverfahren Arbeitsgericht Solingen - 4 Ca 3/22 - verbieten. Nach ganz herrschender Auffassung ist eine Leistungsverfügung (ausnahmsweise) zulässig.

1. Es bedarf zunächst eines Verfügungsanspruchs. Dieser ist ebenso wie der erforderliche Verfügungsgrund glaubhaft zu machen (§§ 920 Abs. 2, 936 ZPO). Anders als in Konstellationen, in denen eine Partei den (vollen) Beweis für eine Behauptung zu erbringen hat, ist eine Glaubhaftmachung selbst bei Vorliegen vernünftiger Zweifel nicht ausgeschlossen. Nach den zu § 294 ZPO entwickelten Grundsätzen genügt zur Glaubhaftmachung ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung. An die Stelle des Vollbeweises tritt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Die Behauptung ist schon dann glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen (BGH 21.10.2010 - V ZB 210/09, juris Rn. 7; BeckOK ZPO Vorwerk/Wolf, 36. Edition, § 294 Rn. 3). Dies ist auch im Wege des Indizienbeweises möglich. Die Haupttatsache ist glaubhaft gemacht, wenn die auf die Hilfstatsachen gestützte Schlussfolgerung überwiegend wahrscheinlich erscheint, ohne dass dadurch bereits alle anderen Möglichkeiten praktisch ausgeschlossen sein müssen (BGH 09.02.1998 - II ZB 15/97, juris Rn). Die Wahrscheinlichkeitsfeststellung unterliegt ebenfalls dem Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens gemäß § 286 ZPO (BGH 21.12.2006 - IX ZB 60/06, juris Rn. 12; BGH 21.10.2010 a.a.O. Rn. 7).

2. Bei der Leistungsverfügung kommt hinzu, dass an den Verfügungsgrund (§ 940 ZPO) strenge Anforderungen zu stellen sind: (1) Der Antragsteller muss auf die sofortige Erfüllung seines Anspruchs dringend angewiesen sein, (2) die geschuldete Handlung ist, wenn sie ihren Sinn nicht verlieren soll, so kurzfristig zu erbringen, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist, und (3) der dem Antragsteller aus der Nichterfüllung drohende Schaden steht außer Verhältnis zu dem Schaden, der dem Antragsgegner aus der sofortigen - vorläufigen - Erfüllung droht (LAG Düsseldorf 17.11.2010 - 12 SaGa 19/10, juris Rn. 12; LAG Düsseldorf 19.09.2012 - 12 SaGa 17/12, juris Rn. 7).

II. Der Zuspruch der einstweiligen Verfügung scheitert bereits daran, dass der Kläger keinen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht hat.

1. Anders als das Arbeitsgericht folgt die erkennende Kammer der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage des Wettbewerbsverbots während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens. Dieses geht zutreffend von den folgenden Grundsätzen aus:

a) Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt. Die für Handlungsgehilfen geltende Regelung des § 60 Abs. 1 HGB normiert einen allgemeinen Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen seines Arbeitnehmers geschützt werden. Der Arbeitnehmer darf im Marktbereich seines Arbeitgebers Dienste und Leistungen nicht Dritten anbieten. Dem Arbeitgeber soll dieser Bereich uneingeschränkt und ohne die Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offenstehen. Dem Arbeitnehmer ist aufgrund des Wettbewerbsverbots nicht nur eine Konkurrenztätigkeit im eigenen Namen und Interesse untersagt. Ihm ist ebenso wenig gestattet, einen Wettbewerber des Arbeitgebers zu unterstützen. Allerdings darf er, wenn ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach § 74 HGB nicht vereinbart ist, schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach seinem Ausscheiden die Gründung eines eigenen Unternehmens oder den Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen vorbereiten. Verboten ist lediglich die Aufnahme einer werbenden Tätigkeit, etwa durch Vermittlung von Konkurrenzgeschäften oder aktives Abwerben von Kunden. Bloße Vorbereitungshandlungen erfüllen diese Voraussetzungen regelmäßig nicht (BAG 23.10.2014 - 2 AZR 644/13, juris Rn. 28 m.w.N.).

b) Das vertragliche Wettbewerbsverbot gilt während der gesamten rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses. Ein Arbeitnehmer darf deshalb grundsätzlich auch nach Zugang einer von ihm gerichtlich angegriffenen fristlosen Kündigung des Arbeitgebers keine Konkurrenztätigkeit ausgeübt haben, falls sich die Kündigung später als unwirksam herausstellt. Er ist in der Regel auch während des - für ihn erfolgreichen - Kündigungsschutzprozesses an das vertragliche Wettbewerbsverbot gebunden. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Karenzentschädigung angeboten oder er vorläufig weiterbeschäftigt wird. Seine Obliegenheit aus § 615 Satz 2 BGB, nicht böswillig anderweitigen Erwerb zu unterlassen, rechtfertigt es nicht, eine Konkurrenztätigkeit im Geschäftsbereich des Arbeitgebers aufzunehmen (BAG 23.10.2014 - 2 AZR 644/13, juris Rn. 29 m.w.N.; i Gdrs. zustimmend z.B. Oetker, HGB, 7. Aufl. 2021 , § 60 Rn. 6; a.A. MüKoHGB/Thüsing, 5. Aufl. 2021, § 60 Rn. 21).

c) Soweit der Beklagte im Anschluss an die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 04.07.1995 (- 9 Sa 484/95, NZA-RR 1996, 2; diese Möglichkeit des Arbeitgebers von seinem Ansatz der analogen Anwendung des § 162 BGB aufzeigend Oehlschläger, Die Konkurrenztätigkeit 2020, 209) davon ausgeht, dass der Kläger von ihm die Unterlassung von Wettbewerb bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens nur verlangen könne, wenn er ihm eine Karenzentschädigung anbietet, folgt die Kammer dem ebenso wie das Bundesarbeitsgericht (BAG 28.01.2010 - 2 AZR 1008/08, juris Rn. 23; BAG 23.10.2014 - 2 AZR 644/13, juris Rn. 29) nicht. Dafür gibt es keine Grundlage. Ist die Kündigung rechtswirksam, darf der Arbeitnehmer bei fehlendem nachvertraglichem Wettbewerbsverbot diesen ohne eine solche Entschädigung ausüben. Ist die Kündigung rechtsunwirksam, besteht das Arbeitsverhältnis ebenso wie das Wettbewerbsverbot fort. Maßgeblich ist die objektive Rechtslage. Die Schwierigkeit, dass diese ungewiss sein kann, stellt sich nicht nur hier, sondern z.B. auch im Hinblick auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch für den Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses (vgl. dazu grundlegend BAG 27.02.1985 - GS 1/84, juris und zuletzt BAG 31.03.2022 - 8 AZR 207/21, juris Rn. 73). Bei einer weiteren Kündigung aufgrund eines Wettbewerbsverstoßes kann dem im Rahmen der Interessenabwägung Rechnung getragen werden (BAG 23.10.2014 - 2 AZR 644/13, juris Rn. 30 ff.). Hier kann dies im Rahmen einer Folgenabwägung erfolgen.

d) Entgegen der Ansicht des Klägers hat der Beklagte nicht immer und ohne weiteres aus einer vertraglichen Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens Wettbewerb zu unterlassen. Richtig ist, dass das Wettbewerbsverbot während der Dauer des Kündigungsschutzverfahrens nicht aufgehoben ist. Voraussetzung ist aber, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht. So formuliert das Bundesarbeitsgericht wie oben dargestellt, "falls sich die Kündigung später als unwirksam herausstellt." Und es stellt auf die Zeit "während des - für ihn erfolgreichen - Kündigungsschutzprozesses" ab. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 23.02.2015 - 2 SaGa 1/15 für eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers; s. dazu auch LAG Hamm 17.07.2015 - 10 SaGa 17/15, juris) führt dazu zutreffend Folgendes aus: "Die Auffassung der Verfügungsklägerin, dass der Arbeitnehmer so lange an das vertragliche Wettbewerbsverbot gebunden sei, bis über die Wirksamkeit einer von ihm ausgesprochenen Eigenkündigung durch rechtskräftiges Urteil entschieden sei, ist unzutreffend. Vielmehr kann der Arbeitgeber im Wege der einstweiligen Verfügung nach Ausspruch einer außerordentlichen Eigenkündigung des Arbeitnehmers die Unterlassung von Wettbewerb aufgrund des arbeitsvertraglichen Wettbewerbsverbots nur dann verlangen, wenn im einstweiligen Verfügungsverfahren davon auszugehen ist, dass sich die außerordentliche Kündigung im Hauptsacheverfahren als unwirksam erweist." Dies trifft zu und hier gilt im Grundsatz nichts anderes. Es ist bei der hier in Rede stehenden arbeitgeberseitigen Kündigung allerdings zu beachten, dass sich beide Parteien widersprüchlich verhalten. Der Arbeitgeber beruft sich vorrangig auf die Wirksamkeit einer schon zuvor erklärten Kündigung, erwartet aber vom Arbeitnehmer ein Verhalten, das dieser nur bei Unwirksamkeit der Kündigung schuldet. Hätte im Übrigen der Arbeitgeber keine Kündigung erklärt, hätte aller Voraussicht nach der Arbeitnehmer keinen Anlass für die Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit gehabt. Der Arbeitnehmer wiederum erstrebt die Feststellung einer Unwirksamkeit der früheren Kündigung, verstößt aber mit der Aufnahme von Konkurrenztätigkeiten gegen gerade dann bestehende Unterlassungspflichten (BAG 25.04.1991 - 2 AZR 624/90, juris Rn. 60; BAG 23.10.2014 - 2 AZR 644/13, juris Rn. 31). Diese Besonderheit ist im Rahmen der einstweiligen Verfügung zu berücksichtigen, steht aber deren Erlass nicht absolut entgegen.

2. Die Frage des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht deshalb obsolet, weil die konkret vom Kläger ausgesprochenen Kündigungen vom 15.12.2021 und 10.06.2022 mit einer sofortigen Freistellung unter Anrechnung anderweitigen Verdienstes vergleichbar wären. Dies ist hier nicht der Fall.

a) Bei einer unwiderruflichen Freistellung unter dem Vorbehalt der Anrechnung etwaigen anderweitigen Verdienstes kann der Arbeitnehmer gem. § 157 BGB in der Regel davon ausgehen, in der Verwertung seiner Arbeitsleistung frei und nicht mehr an vertragliche Wettbewerbsverbote (§ 60 HGB) gebunden zu sein. Dies ergibt sich aus der bei der Auslegung der Freistellungserklärung zu berücksichtigenden beiderseitigen Interessenlage. Der Arbeitnehmer kann auf Grund seiner beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten für den Arbeitgeber erkennbar oftmals einen Verdienst nur durch eine Tätigkeit erzielen, die im Wettbewerb zum Geschäftsfeld des Arbeitgebers steht. Wenn der Arbeitgeber gleichwohl durch die Freistellung den Annahmeverzug mit der Möglichkeit der Verdienstanrechnung herbeiführt, macht er deutlich, dass ihn Wettbewerbshandlungen des Arbeitnehmers in der Zeit der Freistellung nicht stören. Einen abweichenden Willen hat der Arbeitgeber in der Freistellungserklärung zum Ausdruck zu bringen (BAG 06.09.2006 - 5 AZR 703/05, juris Rn. 22).

b) Hier konnte der Beklagte erkennen, dass der Kläger mit seinem Wettbewerb als Steuerberater nicht einverstanden ist. Bereits die erste Kündigung vom 15.12.2021 wurde ausweislich ihres Textes wegen des angeblichen Wettbewerbs durch den Beklagten ausgesprochen. Trotz der in der Kündigungserklärung enthaltenen hilfsweisen Freistellungserklärung konnte der Beklagte deshalb bereits zu diesem Zeitpunkt erkennen, dass der Kläger mit einem Wettbewerb durch ihn nicht einverstanden ist. Unabhängig davon ist aufgrund des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsantrags auch auf die zweite Kündigungserklärung vom 10.06.2022 abzustellen. Diese ist wegen der vom Beklagten ab dem 01.05.2022 aufgenommenen selbständigen Wettbewerbstätigkeit ausgesprochen worden. Dadurch wird für den Beklagten sehr deutlich, dass der Kläger mit diesem Wettbewerb nicht einverstanden ist. Spätestens jetzt muss ihm klar sein, dass der Beklagte keinen Wettbewerb dulden möchte. Die hilfsweise Freistellungserklärung in dem Kündigungsschreiben vom 10.06.2022 ändert daran nichts.

3. Maßgeblich für den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch ist deshalb, ob davon auszugehen ist, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer am 19.08.2022 noch fortbesteht. Davon kann derzeit nicht ausgegangen werden.

a) Auch an dieser Stelle zeigt sich die Widersprüchlichkeit des Verhaltens beider Parteien. Der Kläger muss zum Erfolg seiner einstweiligen Verfügung im Widerspruch zum Kündigungsschutzverfahren darlegen und glaubhaft machen, dass seine Kündigungen vom 15.12.2021 und 10.06.2022 rechtsunwirksam sind, wobei dies betreffend die zweite Kündigung nur für die fristlose gilt, weil die ordentliche Kündigungsfrist erst am 30.11.2022 endet. Der Beklagte hingegen muss ebenfalls konträr zu seiner Position im Kündigungsschutzverfahren darlegen und glaubhaft machen, dass die genannten Kündigungen wirksam sind, um Wettbewerb betreiben zu können.

b) Auf diesen Widerspruch kommt es zunächst dann nicht an, wenn die umstrittenen Kündigungen offensichtlich rechtsunwirksam sind.

aa) Die Ungewissheit über den Fortbestand des gekündigten Arbeitsvertrags kann in einem solchen Fall nicht zu einer Verschiebung der Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien gegenüber der Zeit des unangefochtenen Bestands des Arbeitsverhältnisses führen, weil dann in Wahrheit objektiv gar keine Ungewissheit besteht (vgl. insoweit für den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers BAG 27.02.1985 - GS 1/84, juris Rn. 83). Eine offensichtlich unwirksame Kündigung liegt vor, wenn sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne, dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängen muss. Die Unwirksamkeit der Kündigung muss also ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegen (BAG 27.02.1985 - GS 1/84, juris Rn. 85).

bb) Das ist hier betreffend die fristlose Kündigung vom 15.12.2021 nicht der Fall. Legt man den Vortrag des Klägers zur dieser Kündigung zu Grunde, ist sie rechtswirksam. Wenn der Beklagte über einen Zeitraum von mehreren Jahren unter Ausnutzung der Kanzleistruktur des Klägers unentgeltlich Steuerberatung für private Mandanten betrieben hat, liegt darin an sich ein Grund für eine fristlose Kündigung. Er hat dann zunächst unabhängig davon, ob der Beklagte daraus hätte Einnahmen erzielen können, in erheblichem und dauerhaften Umfang die Kanzleistruktur privat benutzt und zugleich eine unentgeltliche Wettbewerbstätigkeit zu Lasten des Klägers ausgeübt. Dessen Marktbereich hätte diesem nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung gestanden, was selbst dann gilt, wenn die privaten Kunden nicht ohne weiteres bereit gewesen wären, die entgeltlichen Dienste des Klägers - ggfs. zu reduzierten Preisen - in Anspruch zu nehmen. Ob für den Wert der Beratungsleistungen dasjenige anzusetzen ist, wovon der Kläger ausgeht oder der geringere Umfang, den der Beklagten zu Grunde legt, ist unerheblich. Einer Abmahnung hätte es nicht bedurft, weil dem Beklagten klar sein musste, dass er sein Arbeitsverhältnis auf das Spiel setzt, wenn er unter Ausnutzung der Kanzleistruktur dauerhaft private Mandanten steuerlich berät. Auch die Interessenabwägung fällt zu seinen Lasten aus. Dies gilt erst recht, wenn der Vortrag des Klägers zu dem Verhalten des Klägers am 10.12.2021 zutrifft. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist nach dem Vortrag des Klägers gewahrt. Anders stellt sich all dies dar, wenn der Vortrag des Beklagten zur Einwilligung oder aber Duldung seitens des Herrn N. und durch den Beklagten zutrifft. Dann liegt in der Tätigkeit des Beklagten für die privaten Mandanten keine Pflichtverletzung. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass das Arbeitsgericht u.a. Herrn N. als Zeugen geladen hat. Wenn der Kläger den Beklagten mit der unzutreffenden Behauptung der nicht eingewilligten Wettbewerbstätigkeit gekündigt und damit konfrontiert hat, dann erscheint das Verhalten des Klägers nach dem insoweit unterstellten Klägervortrag in einem anderen Licht. Es bleibt zwar pflichtwidrig, rechtfertigt aber ggfs. keine Kündigung, weil vorrangig eine Abmahnung auszusprechen ist oder die Interessenabwägung zu Gunsten des Beklagten ausfällt. Jedenfalls besteht ein Bewertungsspielraum seitens des Arbeitsgerichts. Von einer offensichtlich unwirksamen Kündigung kann nicht ausgegangen werden.

c) Aber auch dann, wenn man den oben dargestellten Maßstab der Glaubhaftmachung anlegt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die fristlose Kündigung vom 15.12.2021 rechtsunwirksam ist. Dies gilt auch, wenn man hier wechselseitig die Darlegungs- und Beweislast wie im Kündigungsschutzverfahren zu Grunde legt. Auf dieser Grundlage vermag die Kammer nicht mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger die angebliche Einwilligung als Rechtfertigungsgrund für die Wettbewerbstätigkeit des Beklagten nicht wird widerlegen können. Letztlich muss der Prozessausgang in dem Kündigungsschutzverfahren insoweit als offen angesehen werden. Ihre eigenen Versionen haben beide Parteien mit jeweils eidesstattlichen Versicherungen belegt. Es ist unter Würdigung der Gesamtumstände aber nicht davon auszugehen, dass eine der beiden Versionen glaubhafter ist. Daran ändert insbesondere die zur Akte gereichte E-Mail des Zeugen N. vom 30.01.2022 nichts. Herr N. spricht in dieser E-Mail nur eine Vermutung aus, nämlich dass es so wie er den Beklagten kenne, dieser keine unzutreffende Behauptung aufstelle. Anderseits äußert er, dass er sich nicht genau erinnern könne, wann die Genehmigung erteilt worden sei. Und abschließend äußert er, dass er sich nicht festlegen möchte. Die Äußerungen gehen in der Tendenz zwar in die Richtung der Version des Beklagten. Anderseits möchte Herr N. sich eben gerade nicht festlegen. Entscheidend wird sein, dass dieser in der Beweisaufnahme mit dem Kundenkreis 19XXX zu konfrontieren ist. Wenn die Genehmigung erteilt worden ist, dann müsste er nach der Version des Beklagten diesen Mandantenkreis kennen, weil dies ja gerade so arbeitgeberseitig veranlasst gefordert worden sei. Gleiches gilt für die Frage, welche Praxis betreffend die Betreuung privater Mandate in der Praxis galt. Mit den Maßstäben und Erkenntnisquellen des einstweiligen Verfügungsverfahrens vermag die Kammer dem nicht vorzugreifen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger den Kündigungsschutzprozess betreffend die fristlose Kündigung vom 15.12.2021 verlieren wird, ist derzeit nicht gegeben.

d) Kann nach dem oben Gesagten bereits nicht davon ausgegangen werden, dass nach dem 15.12.2021 überhaupt noch ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat, kommt der Erlass einer Unterlassungsverfügung derzeit weder mit dem Hauptantrag noch mit den Hilfsanträgen in Betracht.

III. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen hat die erkennende Kammer im Hinblick auf den im Kündigungsschutzverfahren bereits zur ersten fristlosen Kündigung vom 15.12.2021 offenen Prozessausgang eine Folgenabwägung vorgenommen, die zu Lasten des Klägers ausgeht. Ein streitiges Dauerrechtsverhältnis ist gegeben. Welche Folgen ergeben sich, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigungen mit Wettbewerbsverbot fortbesteht und keine Unterlassungsverfügung ergeht ? Und welche Folgen ergeben sich, wenn spätestens die fristlose Kündigung vom 10.06.2022 wirksam ist, d.h. kein Wettbewerbsverbot mehr besteht und gleichwohl eine Unterlassungsverfügung ergeht ? Im Hinblick auf den anzulegenden Maßstab hat die erkennende Kammer sich dabei von den Wertungen, die bei einer Leistungsverfügung an den Verfügungsgrund (§ 940 ZPO) zu stellen sind, leiten lassen.

1. Richtig ist, wovon bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen ist, dass Art. 12 Abs. 1 GG für beide Parteien berührt ist. Die Berufsausübungsfreiheit des Klägers wird durch die von dem Beklagten unstreitig ausgeübte selbständige Wettbewerbstätigkeit berührt. Dies gilt auch unter Würdigung der Einwände des Beklagten. Insbesondere, dass es zwischen Steuerberatern und Steuerberatungsgesellschaften keinen Wettbewerb gebe, erschließt sich der Kammer nicht. Der Beklagte macht genau das. Bei einer auch nur vorläufigen Untersagung dieser Tätigkeit wird hingegen in die Berufsausübungsfreiheit des Beklagten eingegriffen. In Abwägung aller Umstände ist jedenfalls derzeit bei einer Interessen- und Folgenabwägung das Interesse des Beklagten überwiegend. Dies ergibt sich insbesondere aus Folgendem:

2. Die Kammer hat dabei zunächst die weitere Kündigung vom 10.06.2022 in den Blick genommen. Diese ist - insoweit die Unwirksamkeit der ersten Kündigung unterstellt - weder als fristlose noch als ordentliche ohne einen Bewertungsspielraum offenkundig rechtsunwirksam. Gleichwohl sprechend in Anwendung der Abwägungsgesichtspunkte, welche das Bundesarbeitsgericht bei einer Kündigung wegen Wettbewerbstätigkeit während der Dauer des Kündigungsschutzverfahrens nach einer - hier unterstellt - ersten unwirksamen Kündigung anlegt (BAG 23.10.2014 - 2 AZR 644/13, juris, Rn. 32), gute Gründe dafür, dass diese in der Interessenabwägung als außerordentliche rechtsunwirksam aber als ordentliche mit Ablauf des 30.11.2022 rechtswirksam sein kann. Ist die erste Kündigung vom 15.12.2021 rechtsunwirksam, dann erfolgte diese nicht wegen einer Wettbewerbstätigkeit, was für den Beklagten spricht. Dieser hat zudem gut 4,5 Monate nach Ausspruch der fristlosen Kündigung gewartet, bis er sich selbständig gemacht hat. Derzeit hat der Beklagte auch noch keine Investitionen getroffen (Anmietung von Räumen, Einstellung von Mitarbeitern), die es ihm nicht gestatten oder aber erheblich erschweren würden, nach gewonnenem Kündigungsrechtsstreit zum Kläger zurückzukehren. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte mit dieser Ausstattung 200 Mandanten betreuen könnte. All dies spricht für den Beklagten. In Ansehung der im Übrigen langen und - die Unwirksamkeit der ersten Kündigung unterstellt - beanstandungsfreien Beschäftigungszeit spricht mehr für eine Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung jedenfalls in der Interessenabwägung. Für die ordentliche Kündigung gilt dies tendenziell eher nicht. Zu würdigen sind die Art und die Auswirkungen der Konkurrenztätigkeit. Werden die Interessen des Klägers nur abstrakt gefährdet oder wird diesem bereits unmittelbar Schaden zugefügt? Hier ist zu berücksichtigen, dass der vom Beklagten ausgeübte Wettbewerb intensiv ist. Er wird in unmittelbarer räumlicher Nähe mit dem gleichen Mandantenkreis zu seinem Arbeitgeber tätig. Hinzu kommt, dass er bereits mehrere Mandanten des Klägers betreut und diesem mindestens 41.600,00 Euro Umsatz entzogen hat. Anderseits ist hier die Frage zu beantworten, ob Grund dafür die Kündigung war oder aber der Kläger die Mandanten seinerseits hätte betreuen können. Keinesfalls stand dem Kläger indessen sein Marktbereich noch uneingeschränkt zur Verfügung. Jedenfalls im ungestörten Arbeitsverhältnis müsste sich kein Arbeitgeber einen solchen Wettbewerb gefallen lassen. Abschließend kann die Kammer dies auf der Grundlage des ihr unterbreiteten Sachverhalts nicht bewerten, auch wenn betreffend die ordentliche Kündigung mehr für die Position des Klägers spricht.

3. Unterstellt man die Unwirksamkeit der Kündigung vom 15.12.2021 als außerordentliche und als ordentliche, dann bestand das Arbeitsverhältnis zunächst bis zum 10.06.2022 fort. Geht man weiter davon aus, dass auch die fristlose Kündigung vom 10.06.2022 das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, könnte der Kläger vom Beklagten derzeit die Unterlassung von Wettbewerb verlangen. Endete das Arbeitsverhältnis aber am 30.11.2022, beträfe dies nur einen weiteren Zeitraum von 3,5 Monaten ausgehend vom 19.08.2022. Untersagte die Kammer dem Beklagten für diesen Zeitraum den Aufbau seiner Steuerberatungspraxis und stellte sich hinterher heraus, dass bereits die Kündigung vom 15.12.2021 das Arbeitsverhältnis beendet hat und er Wettbewerb betreiben durfte, dann hätte die Kammer tief und erheblich in seine Berufsausübungsfreiheit eingegriffen. Dies bliebe seinen Kunden nicht unverborgen, denn er könnte dann seine Tätigkeit als selbständiger Steuerberater jedenfalls in dem Geschäftsgebiet des Klägers nicht mehr ausüben und deren fristgebundene Angelegenheiten nicht weiter bearbeiten. Dies kann den Aufbau der Selbständigkeit des Beklagten gänzlich gefährden. Der Kläger hingegen kann dann, wenn sich herausstellt, dass ein Wettbewerbsverbot jedenfalls bis zum 30.11.2022 bestand, Schadensersatz vom Beklagten verlangen oder aber in die Geschäfte eintreten. Er ist jedenfalls derzeit nicht dringend auf die Unterlassung des Wettbewerbs durch den Beklagten angewiesen. Für einen noch kurzen Übergangszeitraum ist es ihm zuzumuten, den Wettbewerb des Beklagten mit den Auswirkungen auf seinen Geschäftsbetrieb hinzunehmen. Dabei hat die Kammer auch den aktuellen Umfang der Wettbewerbstätigkeit gewürdigt. Das Gericht ist weiter wie bereits das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte die Mandanten des Klägers nicht gezielt angesprochen hat. Dies hat der Kläger durch seine eidesstattlichen Versicherungen gerade nicht belegt. Aus den ggfs. vorformulierten Kündigungsschreiben lässt sich ein aktives Anwerben nicht ableiten. Die Kammer hat bei ihrer Abwägung zudem berücksichtigt, dass der Kläger selbst bei Unwirksamkeit beider Kündigungen nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens schutzlos ist. Stellt sich die Prognose der Kammer betreffend die ordentliche Kündigung vom 10.06.2022 als unzutreffend heraus und erkennt das Arbeitsgericht in erster Instanz am 16.11.2022 zudem, dass die Kündigungen vom 15.12.2021 und 10.06.2022 beide als fristlose und ordentliche rechtsunwirksam sind, hat sich die Sachlage grundlegend geändert. Es steht deren Unwirksamkeit damit zwar noch nicht endgültig fest. Aber die Parteien hatten Gelegenheit, dem Arbeitsgericht in einem ordentlichen Prozessverfahren die zur rechtlichen Beurteilung der Kündigungen aus ihrer Sicht erforderlichen Tatsachen vorzutragen, dafür Beweis anzutreten und ihre Rechtsauffassungen darzustellen. Wenn ein Gericht daraufhin eine die Instanz abschließende Entscheidung trifft und die Unwirksamkeit der Kündigungen feststellt, so ist damit zumindest eine erste Klärung der Rechtslage im Sinne des klagenden Arbeitnehmers eingetreten (vgl. für den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers BAG 27.02.1985 - GS 1/84, juris Rn. 94). Dies ändert zur Überzeugung der Kammer die Interessenlage. Es besteht für den Fall des Unterliegens mit den Kündigungsschutzanträgen ein Unterlassungsanspruch des Klägers im Hinblick auf den vom Beklagten betriebenen Wettbewerb, wobei die Kammer zum genauen Umfang ausdrücklich keine abschließenden Angaben macht. Die Gegeninteressen des Beklagten treten dann zurück. Er hat sich mit seiner Rechtsansicht betreffend die Kündigungen durchgesetzt. Dann kann von ihm zumindest erwartet werden, dass er den hier konkret und unmittelbar gegen den Kläger gerichteten Wettbewerb in Form der selbständigen Tätigkeit unterlässt. Er hat zudem bereits im Kündigungsschutzverfahren Annahmeverzugslohnansprüche geltend gemacht, so dass er auch finanziell abgesichert ist. Für die Zukunft kann er den ebenfalls hilfsweise für den Fall des Obsiegens geltend gemachten Weiterbeschäftigungsantrag durchsetzen. All dies rechtfertigt dann nicht mehr, den Wettbewerb des Klägers jedenfalls in Form der selbständigen Tätigkeit zuzulassen. Die Folgeabwägung kehrt sich nach dem Obsiegen des Klägers in erster Instanz um. Die Kammer hatte keine Entscheidung dazu zu treffen, was geschieht, wenn der Beklagte anders als bislang Räumlichkeiten anmietet und/oder Mitarbeiter einstellt. Dies kann unabhängig von einer erstinstanzlichen Entscheidung die Sachlage ändern. Da dafür aktuell keine Anhaltspunkte bestehen, konnte dies der Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden und rechtfertigt - wie bereits ausgeführt - derzeit nicht den Erlass einer einstweiligen Verfügung.

B. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt (§ 97 Abs. 1 ZPO).

C. Gegen dieses Urteil ist kein Rechtmittel gegeben (§ 72 Abs. 4 ArbGG).

Dr. GotthardtWinterhoffHoffman-Gaubig

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