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Urteil vom 27.04.2023 · IWW-Abrufnummer 236083

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 10 Sa 7/22

1. Ohne Übertragung von Überwachungsaufgaben nach § 292 Abs. 2 Satz 1 InsO ist ein Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren nicht verpflichtet, von sich aus den Insolvenzschuldner auf die Einhaltung seiner Obliegenheiten nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu überprüfen.

2. Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB von der Abtretung von pfändbaren Forderungen eines Insolvenzschuldners an einen Treuhänder (§ 287 Abs. 2 InsO) kann der zur Zahlung der Bezüge Verpflichtete (§ 292 Abs. 1 Satz 1 InsO) - hier die Arbeitgeberin - auch dann haben, wenn bereits der Insolvenzverwalter noch vor der Bestellung eines Treuhänders auf die Abtretung hingewiesen hat.

3. Die Erfüllung der Informationspflicht durch den Treuhänder gegenüber dem "zur Zahlung der Bezüge Verpflichteten" nach § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO ist nicht zwingend erforderlich, damit der zur Zahlung der abgetretenen Forderung Verpflichtete Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB von der Abtretung hat.

4. Die Berufung auf fehlende Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB kann gegen Treu und Glauben verstoßen.


In der Rechtssache
- Kläger/Berufungskläger -
Proz.-Bev.:
gegen
- Beklagte/Berufungsbeklagte -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 10. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Zimmermann, den ehrenamtlichen Richter Bertsch und den ehrenamtlichen Richter Monka auf die mündliche Verhandlung vom 27.04.2023
für Recht erkannt:

Tenor:1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm - Kammern Ravensburg - vom 1. Dezember 2021 - 7 Ca 153/21 - abgeändert:Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.573,34 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 25. März 2021 zu bezahlen.2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz.3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger als Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahrens des Streitverkündeten - nachfolgend der Schuldner - verlangt von der Beklagten die Zahlung pfändbaren Arbeitseinkommens aus den Jahren 2017 und 2018, das die Beklagte bereits an den Schuldner ausgezahlt hat.

Am 14. Januar 2016 wurde über das Vermögen des Schuldners mit Beschluss des Amtsgerichts R. (3 IN 14/16) das Insolvenzverfahren eröffnet. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten des § 295 InsO nachkommt und die Voraussetzungen für eine Versagung nach den §§ 290, 297 bis 295 InsO nicht vorliegen. Vorangegangen war der am 6. Januar 2016 gestellte Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung nach § 287 Abs. 2 InsO, der unter anderem folgende Abtretungserklärung enthielt:

"Für den Fall der gerichtlichen Bestimmung eines Treuhänders (§ 288 Satz 2 InsO) trete ich hiermit meine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abtretungsfrist) an den Treuhänder ab."

Zum Insolvenzverwalter wurde Herr Rechtsanwalt D. bestimmt. Nach seinem Tod wurde mit Beschluss des Amtsgerichts R. vom 28. Juni 2016 (20 IN 14/16) der Kläger zum neuen Insolvenzverwalter bestellt.

Der Schuldner war zunächst seit dem 2. Juli 2016 als Bohrhelfer bei der Beklagten bis Ende des Jahres 2016 beschäftigt. Mit Schreiben vom 29. August 2016 zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten seine Bestellung als Insolvenzverwalter an und wies unter anderem auf Folgendes hin:

"Der Schuldner hat seine pfändbaren Bezüge im Rahmen des Restschuldbefreiungsantrages an den Insolvenzverwalter abgetreten. Der Insolvenzverwalter wird die pfändbaren Bezüge daher bis einschließlich Dezember 2021 (Erteilung der Restschuldbefreiung) für die Insolvenzmasse einziehen. Eine der Abtretung entgegenstehende Abrede im Arbeitsvertrag ist im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens unwirksam, § 287 Abs. 3 InsO. (...)."

Die Beklagte bestätigte den Eingang des Schreibens am 5. September 2016 und führte die pfändbaren Bezüge des Schuldners an den Kläger als Insolvenzverwalter für die Zeit bis Dezember 2016 ab.

Mit Beschluss des Amtsgerichts R. (20 IN 14/16) vom 6. April 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners aufgehoben und der Kläger als Treuhänder bestellt. Die Überwachung der Erfüllung der Obliegenheiten des Schuldners wurde ihm ausdrücklich nicht übertragen.

Mit Wirkung ab dem 18. April 2017 wurde der Schuldner erneut bei der Beklagten als Bohrhelfer bis Dezember 2018 beschäftigt. Die Beklagte zahlte ihm die vollen Nettovergütungen aus, an den Kläger leistete sie keine Zahlungen. Die Entgeltabrechnung für April 2017 (Anlage K 5, Bl. 12 der erstinstanzlichen Akte) weist ebenso wie die nachfolgenden Abrechnungen als "Eintrittsdatum" den 18. April 2017 aus, als "Erst-Eintritt" den 4. Juli 2016. Die Personal-Nummer des Klägers lautete durchgehend - also auch im Jahr 2016 - auf 2774.

Streitig ist zwischen den Parteien, wann der Kläger von der erneuten Beschäftigung des Schuldners erfahren hat. Mit Schreiben vom 23. März 2018 (Anlage K 12, Bl. 105 der erstinstanzlichen Akte) forderte der Kläger den Schuldner auf, "vollständige Einkommensnachweise für das Jahr 2017 und bis heute" vorzulegen. Spätestens im Juni 2019 legte der Schuldner dem Kläger Abrechnungen der Beklagten für die Zeit ab April 2017 vor (Anlage BerK 4, Bl. 134 ff. der Berufungsakte). Nach Aufforderung durch den Kläger mit E-Mail vom 8. März 2021 legte die Beklagte dem Kläger die vollständigen Abrechnungen für die Monate April 2017 bis Dezember 2018 vor (vgl. Anlage K 5, Bl. 12 ff. der erstinstanzlichen Akte). Mit Schreiben vom 10. März 2021 bat der Kläger die Beklagte um Zahlung der tabellarisch dargestellten Klagesumme bis 24. März 2021 (Anlage K 6, Bl. 33 f. der erstinstanzlichen Akte). Mit Schreiben vom 22. März 2021 bat die Beklagte um Vorlage der Kopie der Abtretungserklärung, die ihr zugegangen sei, und erhob für das Jahr 2017 die Einrede der Verjährung. Der Kläger weigerte sich zunächst, da die Unterlagen bereits vorlägen. Mit weiterem Schreiben vom 20. April 2021 teilte die Beklagte mit, die Unterlagen seien nicht mehr vorhanden, es stehe aber außer Frage, dass die Abtretung vom Kläger angezeigt worden sei, eine Abtretungsurkunde sei allerdings bislang nicht vorgelegt worden. Mit E-Mail vom 21. April 2021 übersandte daraufhin der Kläger der Beklagten die Abtretungserklärung des Schuldners - den Antrag auf Restschuldbefreiung - (Anlage B 1, Bl. 86 f. der erstinstanzlichen Akte). Die Beklagte zahlte in der Folge nicht.

Der Kläger hat vorgetragen, nach seiner Bestellung zum Treuhänder sei er zunächst davon ausgegangen, dass der Schuldner kein pfändbares Einkommen beziehe. Er könne eine Anzeige gemäß § 292 Abs. 1 InsO nur veranlassen, wenn er das entsprechende Arbeitsverhältnis kenne. Der Schuldner habe entgegen seinen Obliegenheiten aber keine Einkommensnachweise vorgelegt. Erst als er dem Kläger im Juni 2019 mitgeteilt habe, dass er seit 14. Januar 2019 in einem neuen Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber als der Beklagten stehe, habe er auch vereinzelt von der Beklagten erstellte Lohnabrechnungen aus den Jahren 2017 und 2018 vorgelegt. Die Beklagte könne sich weder auf § 410 BGB berufen noch habe sie gemäß § 407 Abs. 1 BGB schuldbefreiend an den Insolvenzschuldner leisten können. Die Beklagte habe von der Abtretung der pfändbaren Vergütungsansprüche an ihn durch das Schreiben vom 29. August 2016 seit dem 1. September 2016 Kenntnis gehabt. Darin sei ausdrücklich ausgeführt, dass auf ihn die pfändbaren Bezüge des Schuldners bis einschließlich Dezember 2021 übergegangen seien. Aus der Abtretungsanzeige vom 29. August 2016 sei erkennbar gewesen, dass der Schuldner seine pfändbaren Bezüge aufschiebend bedingt für den Fall der Bestellung eines Treuhänders im Rahmen des Restschuldbefreiungsverfahrens an ihn als Treuhänder abgetreten habe. Die Nennung des "Insolvenzverwalters" in diesem Schreiben sei offensichtlich vor dem Hintergrund der gängigen Insolvenzpraxis erfolgt, wonach der Insolvenzverwalter nach Verfahrensaufhebung regelmäßig auch als Treuhänder bestellt werde. Um das Ziel des § 287 InsO nicht zu vereiteln, dürften bei der Auslegung des § 407 Abs. 1 BGB im Rahmen einer Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO keine zu hohen Anforderungen an die Kenntnis des Arbeitgebers von der Abtretung der pfändbaren Lohnanteile gestellt werden. Hinzu komme, dass die Arbeitgeberin, der die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mitgeteilt worden sei, schuldbefreiend solange an den Insolvenzverwalter hätte leisten können, bis sie positive Kenntnis von der Verfahrensaufhebung erlangt hätte. Sie bedürfe daher nicht des Schutzes des § 407 BGB. Auch nach den Grundsätzen des § 242 BGB und § 82 InsO analog könne sich die Arbeitgeberin im Falle des Vergessens eines den Arbeitnehmer betreffenden Insolvenzverfahrens nicht auf die Regelung des § 407 BGB berufen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 8.573,34 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. März 2021 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

Klageabweisung.

Sie hat vorgetragen, aus der Klage sei schon nicht zu entnehmen, dass und wann der Kläger zum Treuhänder bestellt worden sei. Mit der E-Mail vom 20. April 2021 habe er nur die Abtretungsurkunde bzw. den Antrag auf Restschuldbefreiung in Kopie vorgelegt. Die dortige Abtretung sei aufschiebend bedingt nur für den Fall der Bestimmung eines Treuhänders erfolgt. In dem - inhaltlich unrichtigen - Schreiben vom 29. August 2016 werde nur eine Abtretung an den Insolvenzverwalter angezeigt. Eine Abtretungserklärung sei diesem Schreiben nicht beigefügt gewesen. Von einer Abtretung an den Kläger als Treuhänder habe die Beklagte erst im Jahr 2021 Kenntnis erlangt. Ungeachtet dessen habe der Insolvenzverwalter mit dem Schreiben vom 29. August 2016 nicht die Abtretung an einen Treuhänder anzeigen können, da es diese damals noch gar nicht gegeben habe. Es sei ungewiss gewesen, ob der bisherige Insolvenzverwalter überhaupt der neue Gläubiger werde. Sie selbst sei davon ausgegangen, dass der Schuldner seinen Obliegenheiten, dem Treuhänder jeden Wechsel der Beschäftigungsstelle anzuzeigen, nachgekommen sei. Dies habe er ihr gegenüber per E-Mail vom 19. Mai 2021 auch bestätigt. Sie selbst habe zuvor keine positive Kenntnis von der Abtretung an den Treuhänder gehabt. Der Kläger könne sich auch nicht auf den Rechtsgedanken des § 82 InsO berufen. Er habe die Möglichkeit gehabt, der Beklagten die Abtretung nach seiner Bestellung zum Treuhänder anzuzeigen. Sie bestreite, dass der Kläger erst im Juni 2019 von der Beschäftigung bei der Beklagten in den Jahren 2017 und 2018 erfahren habe. Im Übrigen habe es im Jahr 2017 bei ihr einen großen Brandschaden gegeben, von dem auch Teile des Büros und die früheren Personalunterlagen des Schuldners in Mitleidenschaft gezogen worden seien.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Dezember 2021 abgewiesen. Der Kläger habe es versäumt, die Beklagte nach § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO rechtzeitig von der Abtretungserklärung des Insolvenzschuldners nach § 287 Abs. 2 InsO zu informieren. Das Schreiben vom 29. August 2016, das eine künftig beabsichtigte Abtretung der pfändbaren Lohnbestandteile beinhalte, ersetze die Anzeige nach § 292 Abs. 1 InsO nicht. Denn erst nach Beginn der Wohlverhaltensphase und rechtskräftiger Aufhebung des Insolvenzverfahrens sei der Kläger Inhaber der pfändbaren Teile der Vergütungsforderung des Schuldners geworden. Zum Zeitpunkt der Bestellung des Klägers zum Treuhänder am 6. April 2017 habe die Beklagte weder hiervon gewusst noch habe zu diesem Zeitpunkt überhaupt zwischen dem Schuldner und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis bestanden. Die Beklagte habe deshalb mit befreiender Wirkung an den Insolvenzschuldner zahlen können.

Das Urteil ist dem Kläger am 16. Dezember 2021 zugestellt worden. Am 13. Januar 2022 ist sein Antrag beim Landesarbeitsgericht eingegangen, ihm Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zu bewilligen. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2022 ist ihm Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Am 30. Dezember 2022 hat er Berufung eingelegt, diese sogleich begründet und Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

Zur Begründung hat er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft und weitergehend vorgetragen, da kein Überwachungsauftrag nach § 292 Abs. 2 InsO erteilt worden sei, habe keine Verpflichtung bestanden, von sich aus etwaige Arbeitgeber des Schuldners zu ermitteln oder ihn über seine Einkommensverhältnisse zu befragen. Es obliege (allein) dem Schuldner, dem Treuhänder unaufgefordert die relevanten Informationen zu erteilen. Der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten sei auch nicht der Nachweis gelungen, dass er vor dem Jahr 2019 von dem erneuten Arbeitsverhältnis des Schuldners mit der Beklagten erfahren habe. Die Offenlegung der bedingten Vorausabtretung des Schuldners an den späteren Treuhänder mit Schreiben vom 29. August 2016 genüge, um Kenntnis von der Abtretung i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB zu begründen. Die Beklagte habe bei der Wiedereinstellung des Schuldners im April 2017 offensichtlich schlicht vergessen, dass ein Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet worden sei. Ansonsten hätte sie sicherlich im Schutze des § 82 InsO (analog) mangels Kenntnis von der Verfahrensaufhebung die pfändbaren Bezüge an den Kläger abgeführt. Der Kläger habe dagegen weiterhin davon ausgehen dürfen, dass der Schuldner kein pfändbares Einkommen erziele, sondern nur Einkünfte auf Grundlage der sozialen Sicherung beziehe. Die Unkenntnis des Klägers vom Einkommen ab April 2017 werde auch aus seinem Schreiben an den Schuldner vom 23. März 2018 deutlich sowie der Auflösung des Treuhandkontos am 10. April 2018 zur Vermeidung unnötiger Kontoführungsgebühren. Selbst das Arbeitsverhältnis mit einem neuen Arbeitgeber seit Januar 2019 habe der Schuldner erst mit fünfmonatiger Verspätung mitgeteilt.

Der Kläger beantragt zuletzt:

Das Urteil des Arbeitsgericht Ulm - Kammern Ravensburg - vom 1. Dezember 2021 - 7 Ca 153/21 -, das dem Kläger am 16. Dezember 2021 zugestellt wurde, wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 8.573,34 Euro nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 25. März 2021 zu bezahlen

sowie

dem Kläger gegen die Versäumung der Berufungsfrist und Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren.

Die Beklagte beantragt:

Die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt weiterhin die Auffassung, sie habe in Unkenntnis der Abtretung an den Treuhänder und damit schuldbefreiend an den Schuldner gezahlt. Das Schreiben vom 29. August 2016 stamme vom Insolvenzverwalter, damals sei auch tatsächlich das Insolvenzverfahren anhängig gewesen. Die Bestellung eines Treuhänders sei völlig ungewiss gewesen, zumal die Begründung des gesetzlichen Rechts- und Pflichtenkreises des Treuhänders nicht nur der Ernennung durch die Ernennungsbehörde bedürfe, sondern auch der Annahme des Amtes durch den Treuhänder. Personenidentität zwischen Insolvenzverwalter und Treuhänder liege häufig vor, sei aber nicht zwingend. Für die analoge Anwendung des § 82 InsO fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Kläger habe auch nicht davon ausgehen dürfen, dass der Schuldner kein pfändbares Einkommen beziehe. Er müsse als wichtigste Aufgabe die eingehenden Gelder entgegennehmen und sie verteilen. Damit gingen Kontrollpflichten hinsichtlich der Berechnung des pfändbaren Einkommens sowie der Information der Drittschuldner einher.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat im Berufungstermin am 27. April 2023 Beweis erhoben über den Zeitpunkt der Kenntnis des Klägers von der Beschäftigung des Schuldners bei der Beklagten im Jahr 2017 durch Vernehmung des Schuldners. Hinsichtlich des Beweisergebnisses wird Bezug genommen auf das Protokoll des Berufungstermins (v.a. Bl. 159 ff. der Berufungsakte).

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

1. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchstabe b) ArbGG statthaft.

2. Der Kläger hat zwar die Fristen für die Einlegung und Begründung der Berufung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht gewahrt. Ihm war jedoch gemäß § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne sein Verschulden verhindert war, die Fristen zu wahren. Er hat innerhalb der Rechtsmittelfrist alles in seinen Kräften Stehende und Zumutbare getan, um das - in seiner Mittellosigkeit liegende - Hindernis für die Wahrung der beiden Fristen zu beheben. Der Kläger hat am 13. Januar 2022 und damit noch innerhalb der am 17. Januar 2022, einem Montag, endenden Berufungseinlegungsfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch einzulegende Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts beantragt und dem Antrag die erforderlichen Unterlagen und Belege beigefügt. Ihm wurde durch Beschluss des Berufungsgerichts vom 22. Dezember 2022, der ihm am 29. Dezember 2022 zugestellt wurde, antragsgemäß Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt. Er hat am 30. Dezember 2022 und damit innerhalb der gesetzlichen Frist nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO beim Berufungsgericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt und Berufung eingelegt sowie diese gleichzeitig begründet. Damit hat er auch die versäumten Prozesshandlungen innerhalb der nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO maßgeblichen Frist nachgeholt. Unschädlich ist, dass sein Antrag nicht ausdrücklich die Wiedereinsetzung in die ebenfalls bereits abgelaufene Berufungsbegründungsfrist beinhaltet hat. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung muss nicht ausdrücklich gestellt werden, sondern kann auch stillschweigend in einem Schriftsatz enthalten sein (st. Rspr., vgl. nur BGH 12. Juni 2019 - XII ZB 432/18 - Rn. 10 m.w.N.). Das ist hier der Fall. Dem Kläger war bewusst, dass er nicht nur die Berufungs-, sondern auch die Berufungsbegründungsfrist versäumt hatte. Seine Ausführungen zu den Wiedereinsetzungsgründen wegen der Versäumung der Berufungsfrist gelten in gleichem Maße für die Berufungsbegründungsfrist. Der Kläger hat die Berufung auch sogleich begründet und damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Berufung durchführen will. Es ergäbe keinen Sinn, zwar die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist, nicht jedoch in die Berufungsbegründungsfrist zu beantragen, da die Berufung dann weiterhin unzulässig wäre.

3. Die Berufung enthält auch eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Urteil des Arbeitsgerichts.

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Deshalb hat der Berufungskläger die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält (st. Rspr., vgl. nur BAG 10. Dezember 2019 - 3 AZR 122/18 - Rn. 27 m.w.N.). Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will (BAG 8. Mai 2008 - 6 AZR 517/07- Rn. 30).

b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung. Der Kläger hat sich mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts im Einzelnen auseinandergesetzt und dargestellt, weshalb das Ergebnis nichtzutreffend sein soll. Er hat nicht nur auf sein Vorbringen in erster Instanz verwiesen. Dass er in seinem Berufungsvorbringen an seiner bereits in erster Instanz geäußerten Rechtsansicht festgehalten und insofern Argumente aus der ersten Instanz wiederholt hat, ist Bestandteil seiner Auseinandersetzung mit dem Urteil des Arbeitsgerichts gewesen. Sinn der Berufung ist es gerade, dem Berufungskläger die Überprüfung der Rechtsansicht der ersten Instanz - und damit seiner eigenen, abweichenden - durch die zweite Instanz zu ermöglichen (BGH 7. Juni 2018 - I ZB 57/17 - Rn. 10).

II.

Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger ist prozessführungsbefugt (nachfolgend 1.). Die Beklagte hatte Kenntnis von der Abtretung der Entgeltansprüche des Schuldners im pfändbaren Umfang an den Kläger, jedenfalls kann sie sich nicht auf Unkenntnis hiervon berufen. Sie konnte daher nicht schuldbefreiend an den Schuldner zahlen (nachfolgend 2.). Die Forderung für das Jahr 2017 ist nicht verjährt (nachfolgend 3.). Die Höhe der Forderung ist auch zutreffend vom Kläger berechnet worden (nachfolgend 4.).

1. Der Kläger ist prozessführungsbefugt.

a) Der Kläger ist im Umfang der geltend gemachten pfändbaren Entgeltbestandteile aufgrund der Abtretung des Schuldners vom 14. Januar 2016 (§ 287 Abs. 2 InsO) Inhaber der Forderung und damit berechtigt, diese im eigenen Namen gegen die Beklagte geltend zu machen und Zahlung an sich zu verlangen (vgl. BeckOKInso/Riedel Stand 15. Januar 2023 Rn. 2 und 10.1 m.w.N.; MünchKommInsO/Stephan 4. Aufl. § 292 Rn. 39 m.w.N.). Seine Ernennung zum Treuhänder ist durch Vorlage des Beschlusses des Amtsgerichts R. vom 6. April 2017 belegt. Die Abtretungserklärung des Schuldners liegt vor.

b) Die Wirkungen der Abtretungserklärung setzten erst mit der rechtskräftigen Aufhebung des Insolvenzverfahrens und der Bestellung des Klägers zum Treuhänder ein. Ab diesem Zeitpunkt wurde er Inhaber der gemäß § 287 Abs. 2 InsO abgetretenen Forderungen und war in der Wohlverhaltensphase des Schuldners berechtigt, die pfändbaren Einkommensteile bei der Beklagten als Drittschuldnerin einzuziehen.

aa) Im vorliegenden Rechtsstreit begann das Arbeitsverhältnis, aus dem die Ansprüche des Klägers resultieren, am 18. April 2017. Der Beschluss des Amtsgerichts, mit dem das Insolvenzverfahren aufgehoben und der Kläger als Treuhänder bestellt worden ist, datiert vom 6. April 2017, also zu einem Zeitpunkt vor dem ersten Arbeitstag. Ein Rechtsmittel gegen den Bestellungsbeschluss des Amtsgerichts sieht § 288 InsO nicht vor. Allerdings war gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG die sofortige Erinnerung statthaft, weil ein Rechtspfleger den Beschluss gefasst hat. Dass dieser Rechtsbehelf eingelegt worden ist, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.

bb) Wird angenommen, dass es zudem der Annahme des Treuhänders bedarf (vgl. nur MünchKommInsO/Stephan 4. Aufl. § 292 Rn. 28 m.w.N.), so liegt auch diese Voraussetzung vor. Der Kläger geriert sich gerade als Treuhänder und macht Ansprüche geltend, die seine Stellung als Treuhänder voraussetzen. Daraus ergibt sich jedenfalls konkludent seine Annahme.

2. Die Zahlungen an den Schuldner haben die Beklagte nicht von ihrer Zahlungspflicht gegenüber dem Kläger befreit. Anders als das sorgfältig begründete Urteil des Arbeitsgerichts hält das Berufungsgericht dafür, dass das Schreiben vom 29. August 2016 der Beklagten "Kenntnis" i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB vermittelt hat und es deshalb unerheblich ist, dass der Kläger die Beklagte nach der Bestellung zum Treuhänder nicht - erneut - nach § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO informiert hat. Es hat genügt, der Beklagten "Kenntnis" i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB dadurch zu verschaffen, dass der Kläger bereits während des Insolvenzverfahrens mit dem Schreiben vom 29. August 2016 auf die Abtretung der pfändbaren Entgeltansprüche im Rahmen des Restschuldbefreiungsverfahrens hingewiesen hat. Das Schreiben unterscheidet zwar nicht zwischen den einzelnen Verfahrensabschnitten im Restschuldbefreiungsverfahren nach §§ 286 ff. InsO. Die Information, die Abtretung sei an den Insolvenzverwalter - statt richtigerweise an den Treuhänder - erfolgt, ändert aber nichts daran, dass die Beklagte gewusst hat, dass der Schuldner bis Dezember 2021 nicht mehr im Umfang der pfändbaren Bestandteile Inhaber seiner Entgeltansprüche gegenüber der Beklagten ist. Es ist deshalb auch unerheblich, dass zum Zeitpunkt des Schreibens vom 29. August 2016 die pfändbaren Beträge tatsächlich vom Insolvenzverwalter für die Insolvenzmasse einzuziehen waren, ab April 2017 dagegen vom Treuhänder. Soweit die Beklagte die Auffassung vertreten hat, der Kläger habe seine Pflichten als Treuhänder verletzt, führt dies weder zu einer gegenüber § 407 Abs. 1 BGB erhöhten Schutzwürdigkeit noch dazu, dass bei der Beklagten keine Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB bestanden hat. Jedenfalls ist es ihr nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf Unkenntnis zu berufen.

a) Die Nichterfüllung der Pflicht nach § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO, die zur Zahlung der Bezüge Verpflichteten nach der Bestellung zum Treuhänder über die Abtretung zu informieren, führt allein nicht dazu, dass die Beklagte nicht mehr leisten muss. Dieser Schutzzweck kommt § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zu. Das zeigt das dem Treuhänder gesetzlich zugewiesene Aufgabenspektrum sowie das Ziel, das mit diesen Aufgaben verfolgt wird.

aa) Die Aufgaben des Treuhänders beschränken sich nach § 292 Abs. 1 InsO darauf, den zur Zahlung der Bezüge Verpflichteten über die Abtretung zu unterrichten (Satz 1) sowie die Beträge, die er durch die Abtretung erlangt, und sonstige Leistungen des Schuldners oder Dritter von seinem Vermögen getrennt zu halten und einmal jährlich auf Grund des Schlussverzeichnisses an die Insolvenzgläubiger zu verteilen (Satz 2). Die Aufgabe des Treuhänders beschränkt sich gemäß § 292 Abs. 1 InsO also im Wesentlichen darauf, die Abführungsbeträge entgegenzunehmen und zu verteilen (BGH 1. März 2018 - IX ZB 32/17 - Rn. 15). Für selbständig tätige Schuldner ist entschieden, dass einen Treuhänder nicht die Pflicht trifft, die Beträge festzusetzen, die der Schuldner abzuführen hat, und den Schuldner oder seine (selbständige) Tätigkeit zu kontrollieren (BGH 17. Januar 2013 - IX ZB 98/11 - Rn. 23). Nichts anderes kann für einen unselbständig tätigen Schuldner gelten (zutreffend Moderegger NZI 2018, 628, 630). Die besondere Aufgabe, den Schuldner zu überwachen, ob er seine Obliegenheiten nach § 295 InsO erfüllt, hat der Treuhänder nur, wenn sie ihm von der Gläubigerversammlung gemäß § 292 Abs. 2 InsO ausdrücklich übertragen worden ist. Erst dann ist er verpflichtet zu überwachen, ob der Schuldner eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt oder sich bei Beschäftigungslosigkeit darum bemüht und nachzufragen, welche Maßnahme der Schuldner ergriffen hat (Uhlenbruck/Sternal InsO 15. Aufl. § 292 Rn. 60 f.; BeckOKInsO/Riedel Stand 15. Januar 2023 § 292 Rn. 32; BGH 1. März 2018 - IX ZB 32/17 - Rn. 15). Nur dann hat er auch einen über die in § 14 InsVV geregelte Regelvergütung (§ 293 Abs. 2 i.Vm. § 65 InsO) hinausgehenden Anspruch nach Zeitaufwand (§ 15 Abs. 1 InsVV), ansonsten richtet sich die Vergütung nach der Höhe der bei ihm eingehenden Beträge, die zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung stehen, bis 31. Dezember 2020 aber mindestens 100,00 Euro pro Tätigkeitsjahr, seit dem 1. Januar 2021 mindestens 140,00 Euro gemäß § 14 Abs. 3 InsVV a.F. und n.F. (vgl. im Einzelnen Moderegger NZI 2018, 628, 630). Die geringe Mindestvergütung spiegelt wider, dass es sich bei den Pflichtaufgaben eines Treuhänders um schlichte Verwaltung der Tilgungsmittel handelt und damit der Pflichtenkreis eines Treuhänders i.S.d. § 292 Abs. 1 InsO ein äußerst eingeschränkter ist (ebenso Jaeger/Preuß InsO § 292 Rn. 6).

bb) Sinn der Informationspflicht ist es, den Aufbau eines Treuhandvermögens zu ermöglichen, das der Befriedigung der Gläubiger dient. Dazu ist es notwendig, dass der Treuhänder diejenigen, die zu einer Zahlung verpflichtet sind, von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO unterrichtet. Nach der Übernahme des Amtes hat er deshalb Vorkehrungen dafür zu treffen, um zu gewährleisten, dass ein möglichst vollständiger Eingang der pfändbaren Bezüge während der - im streitgegenständlichen Rechtsstreit - sechsjährigen Wohlverhaltensperiode auf dem Treuhandkonto eingeht. Da der zur Zahlung der Bezüge Verpflichtete Bekanntmachungen nicht verfolgen muss, aus denen sich die Tatsache der Abtretung von Ansprüchen an einen Treuhänder ergibt (vgl. Jaeger/Preuß InsO § 292 Rn. 12), ist eine möglichst unverzügliche Information dieses Personenkreises - hier: der Beklagten - erforderlich. Die Befreiung des zur Zahlung der Bezüge Verpflichteten von seiner Leistungspflicht gemäß § 407 Abs. 1 BGB bei Leistungserbringung an den Schuldner wird grundsätzlich erst infolge einer Information des Treuhänders ausgeschlossen (Andres/Leithaus InsO 4. Aufl. §292 Rn. 2). Ist der zur Zahlung der Bezüge Verpflichtete nicht bereits aus dem Insolvenzverfahren aktenkundig, ist der Treuhänder seinerseits darauf angewiesen, dass der Schuldner seine Informationsobliegenheiten gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO ihm gegenüber erfüllt (Jaeger/Preuß a.a.O. Rn. 15; vgl. auch BGH 22. Oktober 2009 - IX ZB 249/08 -Rn. 13).

cc) Sinn und Zweck der Informationspflicht nach § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO sind daher auf die Befriedigung der Gläubiger gerichtet, nicht aber auf den Schutz des zur Zahlung der Bezüge Verpflichteten. Diese sind hierauf auch nicht angewiesen: Kommt der Treuhänder seiner Informationspflicht nicht nach, wird es in aller Regel an der Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB fehlen und die Drittschuldner können mit befreiender Wirkung an den Schuldner zahlen.

b) Es genügt, dass die Beklagte bereits aufgrund des Schreibens vom 29. August 2016 vom Restschuldbefreiungsverfahren bzgl. ihres Arbeitnehmers, dem Schuldner, wusste. Mit dieser Kenntnis konnte sie nicht mehr schuldbefreiend an den Schuldner zahlen. Es ist ihr jedenfalls nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf Unkenntnis zu berufen.

aa) § 407 Abs. 1 BGB trägt der Tatsache Rechnung, dass die Abtretung zu ihrer Wirksamkeit nicht der Mitteilung an den Schuldner bedarf. Geschützt ist das Vertrauen des Schuldners der abgetretenen Forderung - hier der Beklagten - darauf, dass der Altgläubiger - hier der Schuldner - nach wie vor der (verfügungsbefugte) Gläubiger der Forderung ist (vgl. MünchKommBGB/Kieninger 9. Aufl. § 407 Rn. 1). Dem Schuldner schadet daher auch nur positive Kenntnis, nicht schon Kennenmüssen (h.M., vgl. nur MünchKommBGB/Kieninger a.a.O.; BGH 5. März 1997 - VIII ZR 118/96 - zu II. 2. a) der Gründe). Die Quelle der Kenntnis ist dagegen unerheblich (BGH 18. März 2004 - IX ZR 177/03 - zu II. 4. b bb) der Gründe). Zudem unterliegt dieser weitreichende Schutz des Schuldners einer zweifachen Einschränkung: Zum einen begründet der Zugang der Abtretungsanzeige die Vermutung, dass der Schuldner auch (positive) Kenntnis von ihr erlangt hat, zum anderen kann es dem Schuldner, dessen Kenntnis nicht erwiesen oder nicht zu vermuten ist, nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich auf seine Unkenntnis zu berufen (BGH 5. März 1997 - VIII ZR 118/96 - zu II. 2. a) der Gründe).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen, hatte die Beklagte Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB von der Abtretung der Forderung an den Kläger (nachfolgend (1)), jedenfalls ist es ihr nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf Unkenntnis zu berufen (nachfolgend (2)).

3. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung für das Jahr 2017 erhoben. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme greift sie aber nicht durch.

a) Ansprüche für das Jahr 2018 verjährten gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2021. Die Klage ist im Mai 2021 beim Arbeitsgericht erhoben worden und hat die Verjährung gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Insofern hat die Beklagte die Einrede der Verjährung auch nicht erhoben.

b) Ansprüche für das Jahr 2017 verjährten dagegen bereits zum 31. Dezember 2020, sofern dem Kläger i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. BGB grob fahrlässige Unkenntnis im Jahr 2017 entgegen zu halten wäre. Dieser Vorwurf kann gegenüber dem Kläger aber nicht erhoben werden. Die Aussage des als Zeuge vernommenen Schuldners hat zur Überzeugung des Berufungsgerichts geführt, dass der Kläger nicht bereits im Jahr 2017 von der neuen Beschäftigung des Klägers ab April 2017 erfahren hat.

aa) Nach § 199 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. BGB muss sich der Kläger die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände entgegenhalten lassen, wenn er sie ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen grob fahrlässiger Unkenntnis trägt die Beklagte (vgl. nur Grüneberg/Ellenberger BGB 82. Aufl. § 199 Rn. 50 m.w.N.).

bb) Der Kläger musste den Schuldner nicht von sich aus zur Auskunft über seine aktuelle Beschäftigungssituation im Jahr 2017 auffordern. Er hatte keinen Überwachungsauftrag gemäß § 292 Abs. 2 InsO (vgl. hierzu bereits II. 2. a) aa) der Gründe). Die Pflichten nach § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO beinhalten nicht, bei ausbleibenden Zahlungen durch den zur Zahlung der Bezüge Verpflichteten i.S.d. § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO beim Schuldner nachzuhaken.

4. Die Forderung ist inklusive der Zinsforderung zutreffend berechnet.

a) Der Kläger hat die pfändbaren Anteile zutreffend berechnet. Einige kleinere Darstellungsfehler haben sich nicht ausgewirkt, da die Summe im Ergebnis richtig ist. Zum besseren Verständnis wird die Darstellung des Klägers zunächst wiedergegeben. Sodann schließen sich die vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen im Rahmen der Überprüfung der Forderung an.

- Für Juli 2017 hat der Kläger den Nettolohn mit 1.886,92 Euro versehentlich um 100,00 Euro zu gering angegeben. Die unpfändbaren und pfändbaren Bezüge hat er aber zutreffend ermittelt.

- In der Spalte "nach Abzug unpfändbarer Anteile" ist der Betrag aufgeführt, der sich ergibt, wenn die Spesen vom Nettoverdienst abgezogen werden. Hieraus hat er sodann die pfändbaren Anteile berechnet. Einzig im November 2017 ist ein kleiner Rechenfehler aufgetreten: Der Betrag in der Spalte "nach Abzug unpfändbarer Anteile" beläuft sich auf 1.820,62 Euro, nicht nur 1.820,02 Euro. Die pfändbaren Bezüge gemäß § 850c ZPO bleiben jedoch identisch.

- Für September 2017 hat der Kläger einen zu hohen pfändbaren Betrag angegeben: Statt 473,28 Euro sind nur 431,34 Euro pfändbar. Dies hat sich aber auf die Richtigkeit der Gesamtsumme nicht ausgewirkt.

- Von Mai 2018 bis September 2018 ist bei der Wiedergabe der Beträge in der Spalte "nach Abzug unpfändbarer Anteile" jeweils ein Zahlendreher aufgetreten: Statt 34 Cents sind es 43 Cents. Auch dies hat sich bei der Berechnung der Gesamtforderung nicht ausgewirkt.

b) Die Zinsforderung folgt aus § 286 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB. Wie sich aus den vorgelegten Entgeltabrechnungen ab April 2017 ergibt, war die Vergütung des Schuldners nach monatlichen Zeitabschnitten bemessen. Sie ist deshalb gemäß § 614 Satz 1 i.V.m. Satz 2 BGB erst nach der Leistung der Dienste und damit am ersten des Folgemonats fällig geworden (BGH 10. Juli 2014 - IX ZR 192/13 - Rn. 35; BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 62; 12. Februar 2014 - 4 AZR 317/12 - Rn. 16). Abweichende anwendbare tarifliche Bestimmungen sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Die älteste Forderung für April 2017 wurde damit am 1. Mai 2017 fällig. Der Kläger hat Zinsen jedoch erst ab dem 25. März 2021 entsprechend seiner Zahlungsaufforderung geltend gemacht. Ab diesem Zeitpunkt waren sie jedenfalls zuzusprechen.

III.

1. Die Beklagte trägt als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits sowohl in erster als auch zweiter Instanz (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

2. Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Die Entscheidung hängt maßgeblich davon ab, ob der Kläger Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB hatte oder i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2. 2. Alt. BGB ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis hätte erlangen müssen. Fragen grundsätzlicher Bedeutung sind dabei nicht zu beantworten gewesen, zumal zumindest bei der Frage der Verjährung das Ergebnis einer Beweisaufnahme entscheidend gewesen ist.

ZimmermannBertschMonka

Verkündet am 27.04.2023

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