Beschluss vom 09.05.2023 · IWW-Abrufnummer 236142
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - Aktenzeichen 26 Ta (Kost) 6005/23
1. In Teilentscheidungen enthaltene Kostenentscheidungen sind, soweit sie gegen den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung verstoßen, regelmäßig so unbestimmt, dass sie nicht als Grundlage für einen Kostenfestsetzungsbeschluss dienen können. Derartige Entscheidungen sind wirkungslos und können insbesondere keine Rechtskraftwirkung entfalten.
2. Hat das Gericht während des Verfahrens eine danach wirkungslose Teilentscheidung getroffen, ist es durch diese nicht gehindert, über die Kosten letztlich einheitlich zu entscheiden. Die Entscheidung ergeht von Amts wegen.
3. Das Rechtsmittel einer Partei kann nur einheitlich als selbständiges Rechtsmittel oder als unselbständiges Anschlussrechtsmittel geführt werden. Dabei kann es für die Kostenfolge nicht entscheidend darauf ankommen, ob das Rechtsmittel ursprünglich schon innerhalb der Rechtsmittelfrist oder erst danach bis zum Ablauf der Frist für ein zulässiges Anschlussrechtsmittel ( § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO ) eingegangen ist (vgl. grundlegend zur Kostenfolge: BGH 7. Februar 2007 - XII ZB 175/06 , Rn. 13; 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10 , Rn. 12).
Tenor: 1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 5. Dezember 2022 - 2 Ca 1105/20 -, durch den das Arbeitsgericht durch ihn auszugleichende Kosten festgesetzt hat, aufgehoben. 2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. 3. Die Rechtsbeschwerde wird für die Beklagte zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss, den das Arbeitsgericht (Rechtspflegerin) auf eine Kostenentscheidung stützt, die durch das Landesarbeitsgericht im Berufungsverfahren im Zuge einer Rücknahme der klägerischen Berufung ergangen ist, obwohl über die Berufung der Beklagten noch nicht entschieden worden war.
Der Kläger hat gegen das ihm am 14. September 2021 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin am 16. September 2021 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14. November 2021 - mit einem am 15. November 2021, einem Donnerstag, bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Beklagte hat am 6. November 2021 Berufung eingelegt und diese mit einem am 14. November 2021 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen und dem Kläger am 18. November 2021 zugestellten Schriftsatz begründet.
Der Kläger hat sich der Berufung der Beklagten mit einem am 20. Dezember 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz mit denselben Anträgen wie in der Berufungsbegründung angeschlossen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers mit Beschluss vom 20. Januar 2022 als unzulässig auf dessen Kosten verworfen, da die Berufungsbegründung verspätet eingegangen sei. Die Beklagte hat ihre Berufung mit Schriftsatz vom 2. März 2022 zurückgenommen.
Das Landesarbeitsgericht hat am 18. März 2022 wie folgt entschieden: "Der Beklagten und Berufungsklägerin werden nach der Rücknahme der Berufung die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten auferlegt. Dazu gehören auch die Kosten der Anschlussberufung." Zur Begründung hat es ua ausgeführt: "Auch der hier vorliegende Fall, dass eine zunächst unzulässige Berufung als Anschlussberufung fortgeführt wird, rechtfertigt keine Abweichung von der Grundregel des § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO." Die Rechtsbeschwerde ist zugelassen, aber nicht eingelegt worden.
Das Arbeitsgericht (Rechtspflegerin) hat im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens am 5. Dezember 2022 zwei Kostenbeschlüsse gefertigt. In einem Beschluss hat es "nach dem rechtskräftigen Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 20. Januar 2022" die von dem Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 1.159,60 Euro nebst Zinsen festgesetzt. Ausgehend von einem Gesamtstreitwert in Höhe von 52.581,48 Euro entfielen auf die Berufung des Klägers 33.177,70 Euro. Die 1,1 Verfahrensgebühr sei daher von 1.510,30 Euro auf 1.139,60 Euro zu kürzen.
In dem zweiten Beschluss vom 5. Dezember 2022 hat es "nach dem vorläufig vollstreckbaren Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 18. März 2022" die seitens der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 4.598,64 Euro nebst Zinsen festgesetzt.
Der Kläger hat gegen den ihm am 19. Dezember 2022 zugestellten Beschluss bei dem Arbeitsgericht am 22. Dezember 2022 Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass der angefochtene Beschluss nicht den "rechtskräftigen Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 18. März 2022, mit dem der Beklagten angesichts ihrer Berufungsrücknahme die Kosten der Berufung und der Anschlussberufung auferlegt worden" seien, berücksichtige. Das Landesarbeitsgericht habe mit seinem Beschluss vom 18. März 2022 seine Kostenentscheidung vom 20. Januar 2022 konkludent aufgehoben. Über die Kosten seiner Berufung (der des Klägers) bzw. seiner Anschlussberufung könne nicht unterschiedlich entschieden werden. Aber auch wenn das möglich wäre, hätte der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss die Kostengrundentscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 18. März 2022 und seinen daraufhin erfolgten Kostenfestsetzungsantrag nicht berücksichtigt. Die Entscheidung darüber sei nachzuholen und bei der Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses zu berücksichtigen.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Das Landesarbeitsgericht habe in seiner Entscheidung vom 18. März 2022 die Kostenentscheidung vom 20. Januar 2022 gerade nicht aufgehoben. Mit der Entscheidung vom 20. Januar 2022 sei über die Kosten der klägerischen Berufung und durch die vom 18. März 2022 über die Kosten der Berufung der Beklagten einschließlich der Kosten der Anschlussberufung entschieden worden. Im Rahmen des Kostenfestsetzungsbeschlusses in Bezug auf die Entscheidung vom 18. März 2022 seien die vom Kläger mit Antrag vom 28. Juli 2022 angemeldeten Kosten auch in vollem Umfang berücksichtigt worden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 20. Januar 2022 rechtfertigt eine Festsetzung zugunsten der Beklagten nicht. Für den mit der Beschwerde angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss gibt es keine die Verteilung der Kosten rechtfertigende Kostengrundentscheidung.
1) Grundlage der Kostenfestsetzung ist ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel (§ 103 Abs. 1 ZPO). Der im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 104 ZPO zu treffende Kostenfestsetzungsbeschluss füllt lediglich die Kostengrundentscheidung hinsichtlich der Höhe des zu erstattenden Kostenbetrags aus. Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist deshalb sowohl hinsichtlich seiner Entstehung als auch seines Bestandes von der Kostengrundentscheidung abhängig. Fehlt es an einer wirksamen Kostengrundentscheidung, bewirkt die Akzessorietät, dass der Kostenfestsetzungsbeschluss von Beginn an keine rechtlichen Wirkungen entfaltet (vgl. BAG 12. Oktober 1962 - 5 AZR 268/60, zu I 2 b der Gründe; BGH 5. Mai 2008 - X ZB 36/07, Rn. 5; 21. März 2013 - VII ZB 13/12, Rn. 11).
Das Kostenfestsetzungsverfahren der §§ 103 ff. ZPO ist ein weitgehend verselbständigtes Nachverfahren, das den Rechtspfleger (§ 104 Abs. 1 ZPO) und die ihm im Rechtszug übergeordneten richterlichen Instanzen (vgl. § 104 Abs. 3 ZPO) damit beauftragt, den Kostengrundausspruch eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels in Bezug auf die Höhe der zu erstattenden Kosten in richterlicher Unabhängigkeit und frei von Weisungen zu ergänzen und zu vervollständigen. Trotzdem ist jedoch das Kostenfestsetzungsverfahren in vielerlei Beziehung von dem Kostengrundausspruch des zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels abhängig. Diese weitgehende Abhängigkeit des Kostenfestsetzungsverfahrens von dem Bestand und dem Inhalt der Kostengrundentscheidung muss aber dann, wenn diese fehlt, dazu führen, dass ein trotzdem durchgeführtes Kostenfestsetzungsverfahren an einem entscheidenden und wesentlichen Mangel leidet, sodass die in einem solchen Kostenfestsetzungsverfahren ergangenen Entscheidungen wirkungslos sind und auch keinerlei Rechtskraftwirkungen entfalten können. Denn nur eine so verstandene Abhängigkeit des Kostenfestsetzungsverfahrens von dem Bestand und Inhalt einer richterlichen Kostengrundentscheidung rechtfertigt es, mit dem Kostenfestsetzungsverfahren den Rechtspfleger zu beauftragen, der dabei eine Art richterliche Tätigkeit ausübt. Diese richterliche Tätigkeit des Rechtspflegers ist nur diejenige eines "Nachrichters", für die der Rechtspfleger die Legitimation nur hat, wenn ein zur Vollstreckung geeigneter Titel vorliegt, der die Kostengrundentscheidung enthält. Fehlt diese Legitimation, dann betätigt sich der Rechtspfleger ohne gesetzliche Ermächtigung auf einem richterlichen Gebiet, wenn er trotzdem im Rahmen eines Kostenfestsetzungsverfahrens Entscheidungen trifft. Das ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und auch im Hinblick auf die Notwendigkeit, richterliche Tätigkeiten nur ihren vom Gesetz anerkannten Trägern vorzubehalten, nicht zulässig (vgl. BAG 12. Oktober 1962 - 5 AZR 268/60, zu I 2 b der Gründe).
2) Hier fehlt es an einer bindenden richterlichen Entscheidung über "die Kosten des Rechtsstreits" durch den Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 20. Januar 2022.
a) Bei der Verteilung der zweitinstanzlichen Kosten wären die Gegenstände der Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts vom 20. Januar 2022 und vom 18. März 2022 zu berücksichtigen gewesen. Durch die Teilkostenentscheidung vom 20. Februar 2022 ist nicht über die "Kosten des Rechtsstreits" (Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung) entschieden worden. Die Entscheidung vom 20. Januar 2022 konnte auch nicht in materielle Rechtskraft erwachsen. Entscheidungen, die so unbestimmt sind, dass auch durch Auslegung nicht ermittelt werden kann, welcher prozessuale Anspruch in welchem Umfang entschieden werden sollte, erlangen keine innere Rechtskraft im Sinne von § 322 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH 6. März 1952 - IV ZR 80/51 - BGHZ 5, 240, 244 ff.; Creutzfeldt, Die arbeitsgerichtliche Kostenentscheidung und das isolierte Kostenurteil, RdA 2004, 281, 282). Dies ist bei den in den Teilentscheidungen enthaltenen Kostenentscheidung regelmäßig der Fall (zur Kostenentscheidung im Teilurteil vgl. BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 465/99, Rn. 141; LAG Brandenburg 2. Mai 2002 - 9 Sa 522/01, zu III der Gründe). Wie mit einem Teilurteil kann auch mit einer anderen Entscheidung über den Teil eines Streitgegenstands grundsätzlich keine Kostenentscheidung verbunden werden, da sich die Kosten der einzelnen Verfahrensstadien nicht trennen lassen und bei Erlass der Teilentscheidungen nicht feststeht, in welchem Umfang die Parteien jeweils obsiegen und unterliegen und wie demzufolge die Kosten zu verteilen sind. Eine Kostenentscheidung ist erst möglich, wenn die Verteilung der Kostentragungspflicht endgültig feststeht (vgl. BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 465/99, Rn. 141; LAG Berlin-Brandenburg 7. Dezember 2022 - 26 Ta (Kost) 6240/21).
b) Fest standen die Kostentragungspflichten hier zum Zeitpunkt der Rücknahme der Berufung durch die Beklagte. Aus den Gründen der Entscheidung vom 20. Februar 2022 ergibt sich, dass sich die Kostenentscheidung nur auf die durch den Kläger eingelegte Berufung bezog. Die Entscheidung vom 18. März 2022 bezieht die Kosten der Anschlussberufung mit ein. Die Entscheidung berücksichtigt auch, dass eine zunächst unzulässige Berufung als Anschlussberufung fortgeführt werden kann. Allerdings wird die Entscheidung vom 20. Januar 2022 nicht erwähnt. Es spricht aber viel dafür, dass das Landesarbeitsgericht die Kostenproblematik im Falle der Fortführung einer unzulässigen Berufung als Anschlussberufung berücksichtigt hat. Das Rechtsmittel einer Partei kann nur einheitlich als selbständiges Rechtsmittel oder als unselbständiges Anschlussrechtsmittel geführt werden. Dabei kann es für die Kostenfolge nicht entscheidend darauf ankommen, ob das Rechtsmittel ursprünglich schon innerhalb der Rechtsmittelfrist oder erst danach bis zum Ablauf der Frist für ein zulässiges Anschlussrechtsmittel (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) eingegangen ist. Denn auch ein unselbständiges Anschlussrechtsmittel kann grundsätzlich schon innerhalb der Rechtsmittelfrist erhoben werden. Auch insoweit ist - wie bei der Bemessung des Umfangs eines eingelegten Rechtsmittels - entscheidend auf den Rechtsmittelantrag und dessen Begründung abzustellen. Nur wenn danach ein selbständiges Rechtsmittel vorliegt, muss über dessen Streitgegenstand unabhängig von dem gegnerischen Rechtsmittel entschieden werden, wenn nicht auch insoweit eine Erledigung oder Rücknahme erklärt wird. Ob dies allerdings der Fall ist, muss eine Auslegung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben ergeben, zumal im Zweifel ein prozessual zulässiges Prozessverhalten zu unterstellen ist (vgl. grundlegend auch zur Kostenfolge: BGH 7. Februar 2007 - XII ZB 175/06, Rn. 13; 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, Rn. 12).
Weil die Frist für die Begründung einer selbständigen Berufung bei Eingang der Berufung hier schon abgelaufen war, wäre das Rechtsmittel des Klägers deswegen insgesamt als unselbständige Anschlussberufung auszulegen gewesen.
c) Aus den oben unter 2a) dargelegten Gründen gab es am 18. März 2022 noch keine bindende Entscheidung über die Kosten der klägerischen (Anschluss-)Berufung. Das Landesarbeitsgericht konnte hierüber also zu diesem Zeitpunkt noch befinden. Könnte die Entscheidung vom 18. März 2022 nicht in diesem umfassenden Sinne zu verstehen sein, gäbe es allerdings auch zugunsten des Klägers keine Kostengrundentscheidung und damit keine Grundlage für einen Kostenfestsetzungsbeschluss, der eine Festsetzung seiner Kosten hätte rechtfertigen können (vgl. dazu auch LAG Berlin-Brandenburg 7. Dezember 2022 - 26 Ta (Kost) 6240/21). Über die Pflicht zur Kostentragung ist von Amts wegen zu entscheiden, ohne dass es eines Antrages bedarf (§ 308 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits ist geboten, sobald die Kostentragungspflicht endgültig feststeht, wie es regelmäßig der Fall ist, wenn eine Instanz - wie hier - voll erledigt ist. Während mit einem Teilurteil (§ 301 ZPO) oder anderen Teilentscheidungen eine Kostenentscheidung nicht verbunden werden kann, weil bei deren Erlass noch nicht feststeht, in welchem Umfange die eine oder die andere Partei unterliegt, ist nach endgültigem Obsiegen bzw. Unterliegen im Berufungsverfahren zwingend eine abschließende Entscheidung über die Kosten zu treffen. Ist das nicht geschehen, ist dies gegebenenfalls nachzuholen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 7. Dezember 2022 - 26 Ta (Kost) 6240/21).
Die Frage, ob die Entscheidung vom 18. März 2022 umfassend war, wofür allerdings viel spricht, kann hier offenbleiben, weil es nicht um den zugunsten des Klägers ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss geht. Jedenfalls für die zu seinen Lasten ergangene Kostenfestsetzungsentscheidung gibt es keine Grundlage.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Von der Erhebung einer Gerichtsgebühr wird angesichts des Erfolgs der Beschwerde abgesehen.
IV.
Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungsrelevanten Rechtsfragen zugelassen.