Urteil vom 18.04.2023 · IWW-Abrufnummer 236144
Landesarbeitsgericht Thüringen - Aktenzeichen 1 Sa 248/22
1. § 41 Nr. 3 Satz 2 KAVO EKD-Ost verweist für die Arbeitszeit der privatrechtlich beschäftigten Lehrkräfte auf die Arbeitszeitbestimmungen für vergleichbare beamtete Lehrkräfte im Staatsdienst.
2. Kraft dieser Verweisung in § 41 Nr. 3 Satz 2 EKD-Ost findet auch § 9 ThürLehrAzVO mit den dort geregelten Altersabminderungsstunden Anwendung.
Tenor: 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 14.04.2022 - Az. 6 Ca 1217/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von zwei Altersabminderungsstunden ab dem Schuljahr 2021/2022.
Die Klägerin hat am ... 2021 ihr 55. Lebensjahr vollendet. Sie wird aufgrund Arbeitsvertrags vom ... 1995 (auszugsweise Bl. 11 der Akte) von der Beklagten im Evangelischen D... in A... als Lehrerin für die Fächer B... und C... beschäftigt. Träger des Evangelischen D... ist die Beklagte, eine Stiftung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.
Unstreitig findet kraft arbeitsvertraglicher Verweisung in § 2 des Arbeitsvertrags auf das Arbeitsverhältnis die kirchliche Arbeitsvertragsordnung EKD-Ost in der jeweils geltenden Fassung Anwendung. Mit Ausnahme des prozentualen Teilzeitanteils in § 1 des Arbeitsvertrages enthielt der ursprüngliche Arbeitsvertrag keine Regelungen zum Umfang der Arbeitszeitverpflichtung. Mit Änderungsvertrag vom 01.08.2021 (Bl. 106 der Akte) änderten die Parteien die zwischenzeitlich erfolgte Vollzeitbeschäftigung der Klägerin auf eine Teilzeitbeschäftigung von 24/26 Stunden Unterrichtspflichtzeit, was einem prozentualen Anteil von 92,31 % entspricht.
Die kirchliche Arbeitsvertragsordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland Ost (KA VO EKD-Ost, im folgenden "KAVO") vom 20.01.2010, zuletzt geändert am 12.12.2022, enthält in §§ 6 bis 10 und 24 Regelungen zur regelmäßigen Arbeitszeit, zu Sonderformen der Arbeit, zu Bereitschaftszeiten, zum Arbeitszeitkonto sowie zur Berechnung und Auszahlung des Entgelts.
§ 41 KAVO lautet auszugsweise:
"§ 41
Sonderregelung für Beschäftigte als Lehrkräfte
Nr. 1
Zu § 1 - Geltungsbereich
(1) Diese Sonderregelungen gelten für Beschäftigte als Lehrkräfte an allgemein-bildenden Schulen und berufsbildenden Schulen (Berufs-, Berufsfach- und Fachschulen).
...
Nr. 3
Zu §§ 6 - 10 und 24
- Arbeitszeit, Zeitzuschläge, Überstundenvergütung, Vergütung Teilzeitbeschäftigter
Die §§ 6 - 10 und 24 finden keine Anwendung. Es gelten die Bestimmungen für vergleichbare beamtete Lehrkräfte entsprechend. Sind solche nicht vorhanden, so sind arbeitsvertraglich Regelungen zu treffen.
Nr. 4
Zu § 12 ff. - Eingruppierung
(1) Die Eingruppierung richtet sich nach den jeweiligen Landesregelungen für vergleichbare Lehrkräfte.
...
Nr. 5
Zu §§ 15 ff. - Entgelt
Durch Dienstvereinbarung (§ 36 MVG-EKD) kann vereinbart werden, dass die für Lehrer an den entsprechenden staatlichen Schulen geltenden Entgelt-bzw. Besoldungsregelungen einschließlich der Regelungen für eine Jahressonderzahlung anzuwenden sind.
Nr. 7
Zu §§ 27, 28 und 30 - Urlaub, Zusatzurlaub, Arbeitsbefreiung 19 (1) Die §§ 27, 28 und 30 finden keine Anwendung. Es gelten die Bestimmungen für die entsprechenden Lehrkräfte im Landesdienst.
..."
Die Thüringer Verordnung über die Arbeitszeit der beamteten Lehrer (Thüringer Lehrerarbeitszeitverordnung - ThürLehrAzVO) vom 05.09.2014 hat auszugsweise den nachfolgenden Inhalt:
"§ 1 Geltungsbereich
Diese Verordnung gilt für im Geschäftsbereich des für das Schulwesen zuständigen Ministeriums an staatlichen Schulen tätige Lehrer im Beamtenverhältnis.
§ 2 Regelmäßige Arbeitszeit
(1) Regelmäßige Arbeitszeit der Lehrer beträgt im Jahresdurchschnitt 40 Stunden in der Woche.
(2) Die regelmäßige Arbeitszeit nach Absatz 1 setzt sich zusammen aus der Pflichtstundenzahl und den sonstigen Tätigkeiten.
§ 3 Pflichtstundenzahl
(1) Die Pflichtstundenzahl ist die Zahl der Unterrichtsstunden, die von vollbeschäftigten Lehrern in den Unterrichtswochen durchschnittlich regelmäßig wöchentlich zu erbringen ist. Bei teilzeitbeschäftigten Lehrern verringert sich die Pflichtstundenzahl anteilig.
(2) Eine Unterrichtsstunde im Sinne dieser Verordnung wird mit 45 Minuten berechnet.
§ 4 Pflichtstundenzahl der Lehrer an allgemeinbildenden Schulen und beruflichen Gymnasien
(1) Die Pflichtstundenzahl wird an den allgemeinbildenden Schulen wie folgt festgelegt:
...
3. Gemeinschaftsschule, Gymnasium und Gesamtschule 26 Pflichtstunden in den Klassenstufen 5 - 9
...
§ 9 Altersabminderung
(1) Lehrer erhalten aus Altersgründen eine Abminderung
1. um zwei Pflichtstunden, wenn sie das 55. Lebensjahr vollendet haben oder im jeweiligen Schuljahr nach § 45 Abs. 2 des Thüringer Schulgesetzes vom 6. August 1993 (GVBl. S. 445) in der jeweils geltenden Fassung vollenden werden und vor der Anrechnung der Altersabminderung mindestens 75 vom 100 der sich aus den §§ 4, 5 oder 6 ergebenden Pflichtstunden tatsächlich unterrichten, und
2. um eine Pflichtstunde, wenn sie das 55. Lebensjahr vollendet haben oder im Schuljahr vollenden werden und vor der Anrechnung der Altersabminderung mindestens 50 vom 100 der sich aus den §§ 4, 5 oder 6 ergebenden Pflichtstunden tatsächlich unterrichten.
..."
Vor Erlass der ThürLehrAzVO waren die Anzahl der Pflichtstunden und die Altersabminderungen für beamtete Lehrkräfte im Staatsdienst stets in einer Verwaltungsvorschrift des Thüringer Bildungsministeriums geregelt.
Mit einer auf den 16.02.2014 datierten Handreichung (Bl. 13, 14 der Akte) äußerte sich die Beklagte zum Thema "Abminderungsstunden/Verringerung der Unterrichtspflichtstunden" und führte auszugsweise aus:
"1. Keine Bindung an staatliche "Abminderungsvorschriften"
Die staatlichen Regelungen über "Abminderungsstunden" sind nicht auf freie Schulen übertragbar, sodass grundsätzlich keine Verpflichtung zur Anwendung der staatlichen oder vergleichbarer Ausgleichsregelungen besteht. Eine gesetzliche Regelung (Gesetz oder Rechtsverordnung) für eine entsprechende Anwendung existiert nicht.
Die jeweilige Verwaltungsvorschrift für Thüringer Schulen, in der auch die sog. Altersabminderungen (Personengebundene Abminderungen unter Punkt 2.6.1) für Lehrkräfte geregelt sind, gilt nur für den staatlichen Bereich, da es an einer entsprechenden gesetzlichen Bestimmung (Gesetz oder Rechtsverordnung) zur Anwendung auch für freie Träger fehlt. Eine Verwaltungsvorschrift genießt keinen Gesetzesrang. Daher ergibt sich eine entsprechende Anwendung der Verwaltungsvorschrift auch nicht aus dem Verweis in § 41 Nr. 3 KAVO EKD-Ost.
Im Übrigen sieht auch die Verwaltungsvorschrift keine Abweichung von der 40-Stunden-Woche vor. Die Altersabminderungsstunden (weniger Unterrichtspflichtstunden) können also nur eine andere Verteilung dieser Arbeitszeit ermöglichen. Demnach verringern Abminderungsstunden zwar die Anzahl der Unterrichtspflichtstunden, aber nicht die Arbeitszeit. Die durch die Verringerung der zu haltenden Unterrichtspflichtstunden freiwerdende Arbeitszeit muss durch andere Tätigkeiten ausgefüllt werden.
2. Keine Altersabminderungsstunden
Eine Verringerung der Arbeitszeit aus Altersgründen begegnet unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung erheblichen Bedenken. ....
Verringerungen der Unterrichtspflichtstunden allein aufgrund eines bestimmten Alters werden daher nicht gewährt. Aus Gründen des Vertrauensschutzes werden sie jedoch für solche Lehrkräfte weiterhin gewährt, die bereits seit mindestens drei Jahren aufgrund ihres Alters verringerte Unterrichtspflichtstunden erhalten haben. ..."
Unbestritten gewährte die Beklagte auch nach 2014 anderen Lehrern Altersabminderungsstunden ab dem Schuljahr, in dem diese das 55. Lebensjahr vollendeten. Wegen des diesbezüglichen Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils (dort Seiten 3 und 4) verwiesen. Es existieren weitere gerichtliche Verfahren, in denen Lehrerkollegen der Klägerin Altersabminderungsstunden gerichtlich geltend machen.
Ausweislich des Personaleinsatzplans vom 22.07.2021 für das Schuljahr 2021/2022 (Bl. 15 der Akte) wurden der Klägerin keine Abminderungsstunden aus Altersgründen gewährt.
Die Klägerin hat mit ihrer am 27.07.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage geltend gemacht, ihr stünden ab dem Schuljahr 2021/2022 zwei Abminderungsstunden aus Altersgründen zu. Dieser Anspruch ergebe sich bereits kraft arbeitsvertraglicher Verweisung unmittelbar aus der KAVO und der ThürLehrAzVO, jedoch auch aus betrieblicher Übung und dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber solchen Lehrerkollegen, die ab 2014 Altersabmilderungsstunden erhalten haben, sei nicht erkennbar. Eine Berufung auf die Arbeitsmarktsituation sei nicht möglich. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sei auch nicht durch eine angeblich rechtsirrige Gewährung von Altersabminderungsstunden ausgeschlossen. Die Handreichung aus dem Jahr 2014 zeige, dass die Beklagte bereits zu diesem Zeitpunkt an ihrer Verpflichtung zur Gewährung von Altersabmilderungsstunden gezweifelt habe. Gleichwohl habe sie weiterhin zahlreichen Lehrerinnen und Lehrern Altersabminderungsstunden neu gewährt.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass sie ab dem Schuljahr 2021/2022 ausgehend von einer Beschäftigung von 92,31 % einer Vollzeitstelle Anspruch auf Altersabminderung um zwei Pflichtstunden zu je 45 Minuten pro Woche hat.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Altersabminderung ergebe sich nicht über die arbeitsvertragliche Verweisung auf die KAVO aus § 9 ThürLehrAzVO. § 41 Nr. 3 KAVO verweise entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf die ThürLehrAzVO, da sich der Verweis nicht auf Thüringer Landesrecht, sondern nur auf Kirchenrecht beziehe. Das Kirchenrecht kenne das Instrument einer Altersabminderung nicht. Auch der persönliche Anwendungsbereich sei nicht eröffnet, da dieser eine Verbeamtung der Klägerin voraussetze. Die Beklagte beschäftige auch keine verbeamteten Lehrkräfte. Davon abgesehen könne eine Verweisung auf die ThürLehrAzVO allenfalls partiell wirken. Keinesfalls verweise § 41 Nr. 3 KAVO auf alle Regelungen für vergleichbare beamtete Lehrkräfte, sondern lediglich partiell und abschließend auf die Themenkomplexe der §§ 6 bis 10 und 24 KAVO, also auf Themen wie regelmäßige Arbeitszeit, Schichtarbeit etc. Auf den Komplex der Altersabminderung als Teil der inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses werde nicht verwiesen.
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz könne vorliegend bereits deshalb nicht greifen, da kein gestaltendes Verhalten des Arbeitgebers, sondern nur ein rechtsirriger Normenvollzug vorliege. Nachdem die Beklagte festgestellt habe, dass sie zu einer Gewährung von Altersabminderungsstunden nicht verpflichtet sei, sei diese Regelung nicht weiter angewendet worden.
Mit Urteil vom 14.04.2022 (Bl. 48 ff. der Akte) hat das Arbeitsgericht Erfurt der Klage stattgegeben und unter Bezugnahme auf die im rechtskräftigen Urteil des Gerichts vom 27.03.2019 (Az. 6 Ca 2130/18) geäußerte Rechtsauffassung ausgeführt, der Rechtsanspruch der Klägerin auf Gewährung von Abminderungsstunden ergebe sich aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Gewähre der Arbeitgeber Leistungen nach einem erkennbar generalisierenden Prinzip, dürfe er einzelne Arbeitnehmer nur aus sachlichen Gründen ausnehmen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sei nur ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber in Anwendung einer vermeintlich rechtlichen Verpflichtung Leistungen erbracht habe. Der Behauptung der Beklagten, vorliegend seien Altersabminderungsstunden rechtsirrig gewährt worden, stehe die Handreichung aus dem Jahr 2014 entgegen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt habe die Beklagte nach eigener Darstellung davon ausgehen müssen, zur Gewährung von Altersabminderungsstunden nicht verpflichtet zu sein. Gleichwohl habe sie jedenfalls drei Mitarbeitern, die erst nach diesem Zeitpunkt das 55. Lebensjahr erreichten, Altersabminderungsstunden gewährt.
Gegen das ihr am 02.05.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 02.06.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Nach einer aufgrund eines am Montag, den 04.07.2022 bei Gericht eingegangenen Antrags bis zum 04.10.2022 gewährten Fristverlängerung hat die Beklagte ihre Berufung mit einem am 04.10.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie führt an, der Erkenntnisprozess zu der Frage, ob die Beklagte zur Gewährung von Altersabminderungsstunden verpflichtet sei, habe sich bis Ende 2015 hingezogen. Bei Gewährung der Altersabminderung an die von der Klägerin angeführten Lehrerkollegen sei die Beklagte sich daher gerade nicht bewusst gewesen, zur Altersabminderung nicht verpflichtet zu sein. Nach Inkrafttreten der ThürLehrAzVO habe die Beklagte im Ergebnis des Prüfungsprozesses in Abstimmung mit den Schulleitern die Entscheidung getroffen, zukünftig keine Altersabminderung mehr zu gewähren.
Erstmalig in der Berufungsinstanz stellt die Beklagte die Behauptung auf, die von Klägerseite zur Akte gereichte Handreichung trage zwar das Datum 16.02.2014, stamme jedoch vermutlich vom 16.02.2015. Hierzu stützt sie sich auf das Schreiben eines Schulleiters vom 28.09.2015 (Bl. 92 der Akte), in dem ausgeführt wird: "Frau E... [habe] mit Datum vom 16.02.2015 sogar schon eine Handreichung formuliert und unter uns Schulleitern zur Begutachtung kommuniziert, ..."
Die Beklagte führt sachliche Gründe für eine Einstellung von Altersabminderungen vor dem Hintergrund des bestehenden Lehrkräftemangels an. Zudem stehe einem Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz entgegen, dass Altersabminderungsstunden nur einer geringen Anzahl von Lehrern gewährt worden seien. Wegen der vermeintlichen Verpflichtung zur Gewährung von Altersabminderungsstunden scheide auch ein Anspruch aus betrieblicher Übung aus.
Die Beklagte beruft sich ferner darauf, die Klägerin habe sich mit der am 01.08.2022 erfolgten Reduzierung ihrer Unterrichtsverpflichtung auf 24/26 mit der Beklagten auf eine Nichtgewährung der Altersabminderungsstunden verständigt.
Nach Hinweisen der Kammer im Termin zur zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung hat die Beklagte ihre Rechtsauffassung wiederholt, § 41 Nr. 3 KAVO verweise lediglich partiell auf das Recht für beamtete Lehrkräfte. Die Verweisung könne sich allenfalls auf die regelmäßige Arbeitszeit, nicht jedoch auf die Qualität der Arbeit - etwa auf die Aufteilung in Pflichtstunden und sonstige Arbeit - beziehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Hinweis durch die Kammer hat die Klägerin in der Berufungsverhandlung klargestellt, dass sie ihren Klageanspruch hauptsächlich auf die arbeitsvertragliche Verweisung auf die KAVO und damit auf § 9 ThürLehrAzVO stützt und lediglich hilfsweise auf den Gleichbehandlungsgrundsatz bzw. die Grundsätze der betrieblichen Übung.
Die Klägerin führt an, die Teilzeitvereinbarung vom 01.08.2022 enthalte keinen Verzicht auf Abminderungsstunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz am 18.04.2023 (Bl. 134/135 der Akte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist zulässig.
Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm § 520 Abs. 3 ZPO.
II. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet, da das Erstgericht der zulässigen und begründeten Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben hat.
Die Klägerin kann von der Beklagten die Gewährung von zwei Altersabminderungsstunden ab Vollendung des 55. Lebensjahres bereits kraft arbeitsvertraglicher Verweisung aus § 41 Nr. 3 KAVO in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 1 ThürLehrAzVO verlangen. Da der Anspruch bereits aus dieser Hauptbegründung der Klägerin folgt, kommt es auf die Hilfsbegründung gestützt auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, aufgrund derer das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hat, nicht mehr an.
1. Die Klage ist zulässig.
Insbesondere steht der Klägerin für ihr Feststellungsbegehren ein entsprechendes Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zur Seite.
Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn die Klagepartei ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Feststellungsklage kann sich dabei auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (sogenannte Elementenfeststellungsklage). Ein Feststellungsinteresse ist dafür allerdings nur gegeben, wenn der Streit durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann (BAG 03.12.2019 - 9 AZR 54/19 - Rn. 12; BAG 21.05.2019 - 9 AZR 260/18 - Rn. 17).
Vorliegend will die Klägerin festgestellt wissen, in welchem Umfang sie im Rahmen ihrer Teilzeitbeschäftigung als Lehrkraft Unterrichtsleistungen zu erbringen hat. Der Umfang der geschuldeten Pflichtstunden ist dabei ein wesentliches Element der wechselseitigen Pflichten im Arbeitsverhältnis der Parteien.
2. Die Klage ist begründet.
Über die arbeitsvertragliche Verweisung in § 2 Abs. 1 lit a. des Arbeitsvertrages der Parteien findet die KAVO Anwendung. Dies steht zwischen den Parteien auch nicht im Streit. Der Anspruch auf Altersabminderung von zwei Pflichtstunden pro Woche ergibt sich kraft dieser Verweisung aus § 41 Nr. 3 KAVO in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 1 ThürLehrAzVO.
a) Unstreitig erfüllt die Klägerin die Anforderungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 ThürLehrAzVO. Sie hat im Schuljahr 2021/2022 das 55. Lebensjahr vollendet und ist mit mehr als 75 % einer Vollzeitstelle als Lehrerin beschäftigt.
b) Der Verweis im Arbeitsvertrag auf die kirchliche Arbeitsvertragsordnung ist wirksam und bezieht als sogenannte große dynamische Verweisungsklausel auch die aktuell geltende KAVO ein.
aa) Die Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrags ist nach dem äußeren Erscheinungsbild des Arbeitsvertrags eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung, die die Beklagte der Klägerin bei Vertragsschluss stellte. Sie ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 87; BAG 16.04.2008 - 7 AZR 132/07 - Rn. 14).
bb) Die Verweisungsklausel wurde Bestandteil des Arbeitsvertrags der Parteien, obwohl sie mit der KAVO ein anderes Regelwerk in das vertragliche Gefüge einbezog.
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen (BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 88).
Die Einbeziehung der KAVO in ihrer jeweiligen Fassung war für die Klägerin nach § 2 des Arbeitsvertrags unzweifelhaft. Einer Einbeziehung stehen weder das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB noch die Anforderungen des Nachweisgesetzes entgegen (vgl. dazu BAG 20.06.2018 - 7 AZR 689/16 - Rn. 31-33; BAG24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 92ff.).Die dynamische Verweisung ist nicht unklar. Arbeitsvertragliche Bezugnahmen auf andere Regelwerke entsprechen einer im Arbeitsrecht gebräuchlichen Regelungstechnik. Die Dynamisierung dient wegen des Zukunftsbezugs des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis den Interessen beider Seiten. Die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung einbezogenen Regelungen sind hinreichend bestimmbar.
cc) Auf eine Unwirksamkeit der Verweisung auf die KAVO hat sich im vorliegenden Rechtsstreit auch keine Seite berufen.
c) § 41 Nr. 3 Satz 2 KAVO verweist für die Arbeitszeit der privatrechtlich beschäftigten Lehrkräfte auf die Arbeitszeitbestimmungen für vergleichbare beamtete Lehrkräfte im Staatsdienst und damit auch auf die ThürLehrAzVO inklusive deren § 9 mit den dort geregelten Altersabminderungsstunden. Dies ergibt die Auslegung der Bestimmung.
aa) Auch wenn kirchliche Arbeitsrechtsregelungen nicht als Tarifvertrag anzusehen sind, erfolgt ihre Auslegung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nach den gleichen Grundsätzen, wie sie für die Tarifauslegung maßgeblich sind (vgl. etwa BAG 21.11.2013 - 6 AZR 664/12 - Rn. 28, zu KAVO; BAG 21.10.2009 - 10 AZR 786/08 - Rn. 28, zu AVR Caritas). Danach ist zunächst vom Wortlaut auszugehen. Dabei ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Wortlaut zu haften. Der wirkliche Wille der Richtliniengeber und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Bestimmungen ist mit zu berücksichtigen, soweit sie in den Bestimmungen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den systematischen Zusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie die praktische Anwendung und deren Entstehungsgeschichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Auslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt.
bb) In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass mit dem Begriff "Bestimmungen für vergleichbare beamtete Lehrkräfte" in § 41 Nr. 3 Satz 2 KAVO zu den genannten Themenbereichen das staatliche Recht für die im Staatsdienst verbeamteten Lehrkräfte zur Anwendung kommt.
(1) Der Wortlaut der Verweisung in § 41 Nr. 3 Satz 2 KAVO ist allerdings nicht eindeutig. Auch im Kirchendienst können Lehrkräfte in einem Kirchenbeamtenverhältnis stehen. Der Begriff "beamtete Lehrkräfte" kann demnach theoretisch auch Lehrkräfte im Kirchenbeamtenverhältnis meinen.
(2) Gleichwohl kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht angenommen werden, dass mit "Bestimmungen für vergleichbare beamtete Lehrkräfte" nur auf arbeitszeitrechtliche Bestimmungen im Kirchenrecht verwiesen werden sollte. Das ergibt sich aus Sinn und Zweck der Verweisung.
Gegen eine Verweisung auf Kirchenrecht spricht bereits, dass es - soweit ersichtlich - im Geltungsbereich der KAVO EKD-Ost explizite Bestimmungen zur Arbeitszeit für Lehrkräfte als Kirchenbeamte nicht gibt. Nach § 1 Abs. 1 KAVO EKD-Ost in Verbindung mit § 2 Arbeitsrechtsregelungsgesetz EKD-Ost vom 05.11.2008 erstreckt sich der Geltungsbereich der KAVO EKD-Ost über den Bereich der evangelischen Landeskirche Anhalts, der evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, der Pommerschen evangelischen Kirche und der Union evangelischer Kirchen in der evangelischen Kirche in Deutschland. Spezielle Bestimmungen zur Arbeitszeit der als Lehrkräfte tätigen Kirchenbeamten sind von der Beklagten nicht vorgebracht und auch gerichtsseitig nicht gefunden worden. Für den hier interessierenden Bereich der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland lässt sich feststellen, dass es noch nicht einmal eigene Arbeitszeitregelungen für die Kirchenbeamten insgesamt gibt. Nach § 28 des Kirchgesetzes über die Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamten in der evangelischen Kirche in Deutschland (Kirchenbeamtengesetz der EKD) vom 15.03.2021 regeln die evangelische Kirchen in Deutschland, die Gliedkirchen und die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse je für ihren Bereich die Arbeitszeit für ihre Kirchenbeamten. Gemäß § 4 des von der evangelischen Kirche Mitteldeutschland erlassenen Kirchengesetzes zur Ausführung des Kirchengesetzes über die Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamte in der evangelischen Kirche in Deutschland vom 17.03.2007, zuletzt geändert am 19.11.2021, wird die Arbeitszeit der Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamte der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland durch Rechtsverordnung geregelt. Eine solche Rechtsverordnung existiert jedoch offenbar nicht.
Soweit ersichtlich wird auch in anderen Gliedkirchen der evangelischen Kirche für die Arbeitszeit ihrer Kirchenbeamten entweder insgesamt auf das staatliche Arbeitszeitrecht oder jedenfalls für die Lehrkräfte im Kirchenbeamtenverhältnis auf die Unterrichtsverpflichtung der nach Landesrecht beamteten Lehrkräfte verwiesen (vgl. etwa Rechtsverordnung über die regelmäßige Arbeitszeit von Kirchenbeamten einschließlich Hochschullehrern der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Verordnung zur Arbeitszeit der Kirchenbeamten der evangelischen Kirche Württemberg § 1 Nr. 1 lit b).
Angesichts dessen, dass es spezielle Bestimmungen zur Arbeitszeit für Lehrkräfte im Kirchenbeamtenverhältnis nicht gibt, erscheint es aus Sicht der Kammer ausgeschlossen, dass die arbeitsrechtliche Kommission bei Vereinbarung der KAVO EKD-Ost auf nicht existente Bestimmungen Bezug nehmen wollte. Eine solche Verweisung wäre von vornherein inhaltsleer. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die arbeitsrechtliche Kommission mit dem Begriff "beamtete Lehrkräfte" die im Staatsdienst verbeamteten Lehrkräfte und die für diese geltenden Bestimmungen zu den in § 41 Nr. 3 KAVO genannten Regelungsbereichen im Blick hatte. Nur dies stellt eine vernünftige, zweckorientierte und praktisch brauchbare Lösung dar.
(3) Für dieses Auslegungsergebnis spricht auch die tatsächliche Handhabung. Üblicherweise wird die Arbeitszeit der Lehrer im Kirchendienst - wie bei den Kollegen im Staatsdienst - über die Anzahl der Pflichtstunden gemessen. Dies wird auch bei der Beklagten so gehandhabt. Auch bei der Beklagten bemisst sich der Vollzeit/Teilzeitanteil ihrer Lehrer nach der Pflichtstundenanzahl. Dies wird nicht zuletzt deutlich an der zwischen den Parteien am 01.08.2022 getroffenen Teilzeitvereinbarung, wonach die Klägerin im Schuljahr 2021/2022 mit einem Teilzeitquotienten von 24/26 Pflichtstunden beschäftigt ist. 26 Pflichtstunden entsprechen nach der ThürLehrAzVO der Vollzeitverpflichtung.
(4) Ein anderes Verständnis der Verweisung in § 41 Nr. 3 Satz 2 KAVO ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus einem Gegenschluss zu den weiteren Ziffern des § 41 KAVO. Zwar führt die Beklagte zu Recht an, dass dort von "Landesregelungen für vergleichbare Lehrkräfte" (Ziffer 4), von "Lehrer an staatlichen Schulen" (Ziffer 5) sowie von "Lehrkräfte im Landesdienst" (Ziffer 7) die Rede ist. Demgegenüber fehlt in Ziffer 3 der ausdrückliche Bezug zum staatlichen Recht. Dieser Umstand lässt sich jedoch dadurch erklären, dass es bei den Lehrkräften im Landesdienst sowohl hinsichtlich der Eingruppierung als auch hinsichtlich des Entgelts oder des Urlaubs mit dem TV-L und dem TV EntgO-L Bestimmungen für Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis gibt. Zur Arbeitszeit der angestellten Lehrkräfte gibt es jedoch auch in den genannten Tarifwerken keine eigenen Vorschriften. Vielmehr verweist § 44 Nr. 2 Satz 2 TV-L bezüglich der Arbeitszeiten der angestellten Lehrkräfte mit einer im Vergleich zu § 41 Nr. 3 KAVO nahezu wortgleichen Regelung auf die Bestimmungen über die Arbeitszeit der entsprechenden Beamten. Eine Verweisung in der KAVO auf die Arbeitszeitbestimmungen für angestellte Lehrkräfte im Landesdienst hätte mithin lediglich zu einer "doppelten Verweisung" geführt. Stattdessen hat sich die arbeitsrechtliche Kommission ersichtlich für eine direkte Verweisung auf die bei Lehrkräften ohnehin üblicherweise angewendeten Arbeitszeitbestimmungen für verbeamtete Lehrkräfte entschieden.
(5) Nach Auffassung der Kammer spricht auch die zuvor angesprochene nahezu wortgleiche Verweisung in § 44 Nr. 2 TV-L für das vorliegend gefundene Auslegungsergebnis. Vor dem Hintergrund der der arbeitsrechtlichen Kommission als Normgeber der KAVO sicherlich bekannten Regelung in § 44 Ziffer 2 TV-L wäre es zu erwarten gewesen, dass sie ein anderes Verständnis der Verweisung deutlich gemacht hätte.
cc) Die Verweisung auf die Bestimmungen zur Arbeitszeit der im Staatsdienst beamteten Lehrkräfte bezieht auch die Regelungen zur Anzahl der Pflichtstunden und damit auch die Regelungen zur Abminderung der ThürLehrAzVO ein. Ohne Erfolg führt die Beklagte an, § 41 Nr. 3 Satz 2 KAVO verweise lediglich partiell auf Bestimmungen zur regelmäßigen Arbeitszeit, nicht jedoch auf Ausnahmevorschriften wie die zur Abminderung der Pflichtstunden.
(1) Zwar ist zuzugeben, dass sich in den durch § 41 Nr. 3 KAVO ersetzten Bestimmungen der §§ 6 bis 10 und 24 KAVO keine expliziten Regelungen zu einer Altersabminderung finden.
Durch § 41 Nr. 3 KAVO sollen jedoch Bestimmungen zur "Regelmäßigen Arbeitszeit" ersetzt werden. Denn der ausweislich § 41 Nr. 3 Satz 1 KAVO zu ersetzende § 6 KAVO enthält Bestimmungen zur "Regelmäßigen Arbeitszeit". Auch die ThürLehrAzVO enthält in § 2 unter der Überschrift "Regelmäßige Arbeitszeit" Regelungen zur Arbeitszeit der an staatlichen Schulen tätigen Lehrer im Beamtenverhältnis. § 2 ThürLehrAzVO regelt in Absatz 1 die regelmäßige Arbeitszeit von im Jahresdurchschnitt 40 Stunden und in Absatz 2 die Aufteilung der regelmäßigen Arbeitszeit in Pflichtstundenzahl und sonstige Tätigkeiten. Mit dem Verweis auf die Bestimmungen für beamtete Lehrkräfte ist daher nicht nur die in § 2 Abs. 1 ThürLehrAzVO geregelte regelmäßige Arbeitszeit gemeint, sondern auch die in § 2 Abs. 2 ThürLehrAzVO enthaltene Bemessung dieser regelmäßigen Arbeitszeit anhand von Pflichtstunden. Durch diese Einbindung der Aufteilung der geschuldeten Arbeitszeit in § 2 Abs. 2 ThürLehrAzVO unter der Überschrift "Regelmäßige Arbeitszeit" zeigt sich, dass es sich bei der Aufteilung der Arbeitszeit in Unterrichtsverpflichtung auf der einen und sonstige Tätigkeiten auf der anderen nicht etwa - wie die Beklagte meint - um eine reine Darstellung der Qualität der Arbeitsleistung handelt, sondern um eine Konkretisierung der regelmäßigen Arbeitszeit.
(2) Dieses am Wortlaut und der Systematik orientierte Verständnis wird auch durch die tatsächliche Handhabung der Arbeitszeit von Lehrern gestützt.
Bei beamteten Lehrkräften ist die Arbeitszeitverpflichtung - die "Regelmäßige Arbeitszeit" - gerade durch die in § 2 Abs. 2 enthaltene Aufteilung dieser regelmäßigen Arbeitszeit in messbare Pflichtstunden auf der einen und den sonstigen Tätigkeiten auf der anderen Seite geprägt. Die Arbeitszeit einer Lehrkraft ist nur hinsichtlich der eigentlichen Unterrichtsstunden zeitlich exakt messbar, während die übrige Arbeitszeit, die entsprechend dem pädagogischen Auftrag der Lehrkräfte mit der erforderlichen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturarbeiten, Konferenzen, Elterngesprächen etc. verbracht wird, nicht in messbarer und überprüfbarer Form bestimmt, sondern nur - grob pauschalierend - geschätzt werden kann (BAG 20.01.2010 - 5 AZR 89/08 - Rn. 15; BAG 15.12.2005 - 6 AZR 227/05 - Rn. 20). Mit der in § 9 ThürLehrAzVO geregelten Altersabminderung wird dementsprechend nicht die insgesamt geschuldete Arbeitszeit verringert, sondern nur die Zusammensetzung der Arbeitszeit bzw. das Verhältnis von Pflichtstundenzahl zu sonstigen Tätigkeiten. Daher wird durch eine älteren Lehrern gewährte Ermäßigung der Unterrichtsverpflichtung nicht ihre Arbeitszeit gekürzt (siehe etwa BAG 13.06.2006 - 9 AZR 588/05 - Rn. 41; BVerwG 23.06.2005 - 2 C 21/04 Ls 1 und Rn. 17). Auch im Regelungssystem der ThürLehrAzVO ändert die Abminderung der Unterrichtsverpflichtung nach § 9 nichts an der in § 2 Abs. 1 vorgesehenen regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche. Nur das Verhältnis der Pflichtstundenzahl zu den sonstigen Tätigkeiten nach § 2 Abs. 2 ThürLehrAzVO verändert sich.
Durch dieses Gepräge ist davon auszugehen, dass durch die Verweisung in § 41 Nr. 3 KAVO genau dieses "System Pflichtstundenzahl" in Bezug genommen sein sollte. Und das System setzt sich nicht nur zusammen aus der Anordnung der Pflichtstundenzahl für die verschiedenen Schulformen in § 4 ThürLehrAzVO. Das vollständige System beinhaltet etwa auch die Sonderregelungen für Lehrer an berufsbildenden Schulen (§ 5 ThürLehrAzVO), die Sonderregelungen für Fachleiter (§ 6 ThürLehrAzVO) und auch die in §§ 8 und 9 ThürLehrAzVO vorgesehenen Abminderungen. Alle diese Bestimmungen der ThürLehrAzVO beziehen sich auf die Pflichtstundenzahl der von diesen Bestimmungen erfassten Lehrer. Die regelmäßige Arbeitszeit einer mit der Klägerin vergleichbaren Lehrerin beträgt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ThürLehrAzVO nach Vollendung des 55. Lebensjahrs eine um zwei Stunden reduzierte Unterrichtsverpflichtung. Hätten die Normgeber der KAVO in Kenntnis des Pflichtstundensystems bei Lehrern eine nur partielle Verweisung vornehmen wollen, hätte deutlich gemacht werden müssen, welche Bestimmungen im Einzelnen gelten sollen und welche nicht. Ohne solche Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass mit der Verweisung das vollständige System inklusive etwaiger Sonder- und Ermäßigungstatbestände in Bezug genommen werden sollte.
(3) Der Umstand, dass die Unterrichtsverpflichtung der Lehrer vor Inkrafttreten der ThürLehrAzVO üblicherweise in Verwaltungsvorschriften und daher durch reines "Innenrecht" geregelt war, steht einem Verständnis von § 41 Nr. 3 KAVO als Verweis auf die ThürLehrAzVO und die dort geregelten Abminderungsstunden nicht entgegen. Denn zu nahezu wortgleichen Regelungen im TV-L und TVöD ist anerkannt, dass mit "Bestimmungen" in diesem Sinne nicht nur Gesetze und Verordnungen gemeint sind, sondern auch Verwaltungsvorschriften und Erlasse (BAG 20.10.2016 - 6 AZR 715/15 - Rn. 29 - zu TVL; BAG 13.01.2016 - 10 AZR 672/14 - Rn. 21 - zu TVöD; BAG 15.12.2005 - 6 AZR 227/05 - Rn. 17 - noch zu BAT). Anhaltspunkte dafür, die in der KAVO enthaltene, ebenfalls sehr weite Verweisung unter Verwendung des Begriffs "Bestimmungen" anders zu verstehen, bestehen nicht.
d) Nach Auffassung der Kammer ist die Anwendbarkeit von § 9 ThürLehrAzVO im Falle der Klägerin nicht dadurch ausgeschlossen, dass konkret an ihrer Schule bzw. im Kirchendienst nur wenige oder gar keine Lehrkräfte im (Kirchen)Beamtenverhältnis beschäftigt sind.
Der in § 41 Ziffer 3 Satz 3 KAVO enthaltene Ausnahmetatbestand greift vorliegend nicht. In Satz 3 ist bestimmt, dass arbeitsvertragliche Regelungen zu treffen sind, wenn "solche nicht vorhanden" sind. Das Wort "solche" bezieht sich dabei auf Bestimmungen für vergleichbare beamtete Lehrkräfte, und nicht etwa auf das Vorhandensein von beamteten Lehrkräften an sich. Die Verweisung zielt auf die Bestimmungen für einen Beamten desselben Berufsbildes ab. Denn der Begriff des entsprechenden Beamten verlangt die Prüfung, ob der Angestellte, wäre er Beamter, die Tätigkeit des von ihm herangezogenen Berufsbildes mit der von ihm erworbenen Qualifikation ausüben könnte (vgl. BAG 13.01.2016 - 10 AZR 672/14 - Rn. 21). Die Ausnahme "sind solche nicht vorhanden" erklärt sich daraus, dass es nicht für alle Lehrkräfte in diesem Sinne beamtenrechtliche Bestimmungen gibt. So sind nach § 34 Abs. 4 Satz 4 ThürSchulG etwa auch sonderpädagogische Fachkräfte Lehrkräfte nach Landesrecht. Und das tarifliche Verständnis der Lehrkraft ist ebenfalls sehr weit gefasst (s. etwa Protokollerklärung zu § 44 Nr. 1 TV-L). Bestimmungen für entsprechende Beamte gibt es dort nicht, wo es - wie etwa bei der sonderpädagogischen Fachkraft oder bei der Erzieherin als pädagogische Unterrichtshilfe - für das Berufsbild keine Verbeamtung oder jedenfalls die beamteten Lehrer nicht dem Berufsbild entsprechen. Daher kann sich etwa eine Erzieherin nicht auf die Pflichtstundenregelung für beamtete Lehrer an Sonderschulen berufen (BAG vom 18.09.1986 - 6 AZR 446/83 - AP Nr. 9 zu § 15 BAT).
Bei dem Verweis in § 41 Nr. 3 Satz 2 KAVO ist daher - wie bei § 44 Nr. 2 Satz 2 TV-L - zu prüfen, ob die Lehrkraft, wäre sie verbeamtet, die Tätigkeit des von ihr herangezogenen Berufsbildes mit der von ihr erworbenen Qualifikation ausüben könnte. Kann die angestellte Lehrkraft mit ihrer Qualifikation auch im Beamtenverhältnis den ihr übertragenen Unterricht erteilen, gilt die Pflichtstundenzahl eines solchen Beamten. Hierbei ist regelmäßig auf die jeweilige Unterrichtstätigkeit abzustellen. Mit Blick auf die anwendbare Pflichtstundenanzahl ist daher der Unterrichtseinsatz an einer bestimmten Schulform sowie die sonstigen, zu einer veränderten Pflichtstundenanzahl führenden fachlichen oder persönlichen Voraussetzungen abzustellen (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, Loseblatt-Kommentar zum TV-L, Stand März 2022, § 44 Rn. 13 - 15). Nur dann, wenn es im System der Arbeitszeit für beamtete Lehrkräfte keine verbeamteten Entsprechung mit der Qualifikation und dem konkreten Schulformeinsatz der angestellten Lehrkraft gibt, wäre eine Regelung im Arbeitsvertrag zu treffen. Vorliegend sind jedoch mit §§ 4 und 9 ThürLehrAzVO Bestimmungen zur Arbeitszeitverpflichtung einer am Gymnasium eingesetzten Lehrerin, die das 55. Lebensjahr vollendet hat, vorhanden. Zweifel daran, dass die Klägerin mit ihrer Qualifikation und der konkreten Tätigkeit am D... in Trägerschaft der Beklagten auch im Beamtenverhältnis den ihr übertragenen Unterricht erteilen könnte, sind nicht angezeigt und auch nicht vorgebracht.
Nur dann, wenn es für die konkrete Lehrkraft mit Blick auf ihre Qualifikation und ihren konkreten Einsatz im Beamtenverhältnis keinen fachlich vergleichbaren Anknüpfungspunkt im System Arbeitszeit für beamtete Lehrkräfte gibt, scheidet das System Arbeitszeit für beamtete Lehrkräfte aus und sind eigene Regelungen im Arbeitsvertrag zu treffen. Nur dies möchte Satz 3 des § 41 Nr. 3 KAVO als Auffangtatbestand regeln und nicht etwa allgemein das Erfordernis zu eigenen Regelungen aufstellen, wenn rein faktisch keine beamteten Lehrkräfte an einzelnen Schulen eingesetzt sind.
e) Ein anderes Verständnis der Verweisungsnorm ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Argument, das Vorenthalten einer Abminderung wegen des Alters sei gegenüber jüngeren Arbeitnehmern altersdiskriminierend.
Zwar ist rechtlich einziger Anknüpfungspunkt für das Eingreifen der reduzierten Unterrichtsverpflichtung das Alter. Dies könnte durchaus ein Ansatzpunkt für eine unmittelbare Diskriminierung jüngerer Lehrer darstellen.
Andererseits ist nach der zulässigerweise pauschalisierten Betrachtung des Verordnungsgebers die Erteilung von Unterricht diejenige Aufgabe aus dem Aufgabenkreis der Lehrer, deren Erfüllung gerade die älteren Lehrer körperlich und geistig am intensivsten beansprucht und belastet. Die psychischen und physischen Auswirkungen der Unterrichterteilung werden bei typisierender Betrachtung von älteren Lehrern stärker als von jüngeren empfunden. Zudem benötigen ältere Lehrer womöglich für die dienstlichen Verrichtungen außerhalb der Unterrichtserteilung infolge altersbedingter Einschränkungen mehr Zeit und Aufwand. Es ist daher von einem legitimen Zweck gedeckt, in einer pauschalisierenden Betrachtungsweise den älteren Lehrern einen Teil der vorgeschriebenen Unterrichtsverpflichtung zu erlassen. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der spezielle Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und das Gebot der Lohngleichheit nach Art. 141 EG-Vertrag nicht betroffen ist. Denn durch die Gewährung der altersbedingten Unterrichtsermäßigung wird - wie bereits ausgeführt - nicht die Arbeitszeit verkürzt und folglich auch der Vergütungssatz pro Arbeitsstunde nicht reduziert (vgl. zu allem BVerwG 23.06.2005 - 2 C 21/04 - Rn. 27).
Zu beachten ist ferner, dass selbst ein Verstoß des Verordnungsgebers gegen Gleichbehandlungsvorgaben allenfalls eine sogenannte "Anpassung nach oben" zur Folge hätte (vgl. etwa BAG 15.11.2016 - 9 AZR 534/15 - Rn. 29; BAG 20.03.2012 - 9 AZR 529/10 Ls 2; beide zu tariflichen Regelungen). Eine solche Anpassung nach oben würde vorliegend dazu führen, dass auch jüngeren Arbeitnehmern eine entsprechende Altersabminderung zu gewähren wäre. Dass die Argumentation der Beklagten ihr nicht zum Erfolg verhelfen kann, liegt vor diesem Hintergrund auf der Hand.
Für nicht überzeugend hält die Kammer die Argumentation der Beklagten, mit § 41 Nr. 3 KAVO habe selbstverständlich nicht auf altersdiskriminierende Abminderungsregelungen verwiesen werden sollen. Davon abgesehen, dass die Kammer § 9 ThürLehrAzVO nicht für altersdiskriminierend hält (vgl. oben), existiert keine Auslegungsregel mit dem Inhalt, dass bei einer Verweisung auf ein vorhandenes System diskriminierende Teilbestimmungen automatisch nicht mit einbezogen sein sollen.
f) Mit ihrem Argument, mit Abschluss der Teilzeitvereinbarung vom 01.08.2022 habe die Klägerin auf die Gewährung von Abminderungsstunden verzichtet, kann die Beklagte ebenfalls nicht gehört werden.
Mit der Klägerin ist die Kammer der Auffassung, dass die angeführte Teilzeitvereinbarung lediglich die im Klageantrag bereits berücksichtigte Teilzeitverpflichtung der Klägerin beinhaltet. Dies wird dadurch deutlich, dass in der Teilzeitvereinbarung mit 26 Pflichtstunden der Umfang der Unterrichtsverpflichtung einer Vollzeitkraft angesprochen ist und sich aus der Verpflichtung der Klägerin von 24 Stunden der Teilzeitquotient errechnet. Das Thema Altersabminderungsstunden wird in der Vereinbarung gar nicht angesprochen.
Dass mit einer mit einer Teilzeitvereinbarung verbundenen Verringerung der Pflichtstundenanzahl nicht unmittelbar ein Verzicht auf die Altersabminderung einhergeht, ergibt sich auch daraus, dass § 9 Abs. 1 Nr. 1 ThürLehrAzVO zwei Pflichtstunden Altersabminderung im Rahmen eines Korridors von mindestens 75 % der Pflichtstunden vorsieht. Erst dann, weil wenn sich der Teilzeitquotient auf weniger als 50 % reduziert, reduziert sich auch die Altersabminderung auf eine Pflichtstunde (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ThürLehrAzVO). Der mit der Teilzeitvereinbarung vom 01.08.2022 vereinbarte Teilzeitquotient von 92,31 % ändert daher nichts am Anspruch der Klägerin auf zwei Altersabminderungsstunden.
g) Da sich der klägerische Anspruch bereits kraft arbeitsvertraglicher Verweisung unmittelbar aus § 9 ThürLehrAzVO ergibt, kann nach dem Haupt- und Hilfsverhältnis des klägerischen Vorbringens dahinstehen, ob sich ein Anspruch auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder den Grundsätzen der betrieblichen Übung ergeben kann.
h) Ebenso kann dahinstehen, ob die Beklagte als Grund für eine Verweigerung der Altersabminderung den von ihr vorgebrachten Personalmangel anführen kann. Solche Gründe können arbeitsvertraglich begründete Ansprüche allenfalls in krassen Ausnahmefällen - etwa unter dem Stichwort "Wegfall der Geschäftsgrundlage" - berühren. Anhaltspunkte für einen solchen krassen Ausnahmefall sind vorliegend nicht ersichtlich.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
IV. Die Revisionszulassung stützt sich auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Vorliegend geht es um die Frage, ob § 41 Nr. 3 Satz 2 KAVO bezüglich der Arbeitszeit der Lehrkräfte auf das staatliche Recht der ThürLehrAzVO verweist. Bei dieser Fragestellung handelt es sich nach Bewertung der Kammer um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.
Zwar handelt es sich bei den KAVO letztlich um allgemeine Geschäftsbedingungen. Sie haben trotz ihrer weiten Verbreitung keine normative Wirkung und sind grundsätzlich keine Rechtsnormen i. S. v. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Dann allerdings, wenn allgemeine Geschäftsbedingungen eine Bedeutung erlangen, die einer Rechtsnorm mit abstrakter Bedeutung für die Allgemeinheit gleichkommt, erfordert es der Zweck der Revisionszulassung, den Zugang zum Revisionsgericht für Fragen zu gewährleisten, an deren Klärung ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit besteht, sie als Rechtsnorm zu behandeln. Diese Voraussetzungen hat der 3. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG 03.05.2022 - 3 AZN 45/22) für eine Regelung der AVR Caritas anerkannt. Dieser Sichtweise schließt sich die erkennende Kammer an und sieht ausreichende Parallelen zwischen den AVR der Caritas und der Arbeitsvertragsordnung der evangelischen Kirche, die hier streitgegenständlich sind.