Beschluss vom 04.04.2023 · IWW-Abrufnummer 236181
Landesarbeitsgericht Hamm - Aktenzeichen 7 TaBV 177/22
Im Zustimmungsersetzungsverfahren zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG können Kündigungsgründe, die während des laufenden Verfahrens entstanden sind, nur nachgeschoben werden, wenn der verfahrenseinleitende Antrag formwirksam bei Gericht eingereicht worden ist (Anschluss an BAG, Urteil vom 24.10.1996, 2 AZR 3/96 ).
Tenor: 1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3. und des Betriebsrates werden der Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 17.11.2022 - 3 BV 35/22 - abgeändert und der Antrag der Antragstellerin abgewiesen. 2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der zu 3. beteiligten Betriebsrätin.
Antragstellerin des vorliegenden Beschlussverfahrens ist die Arbeitgeberin, die in der Rechtsform der GmbH im A B, ihrer Muttergesellschaft, Gebäudemanagement-Dienstleistungen mit 579 Mitarbeitern erbringt. Die Beteiligte zu 3. gehört dem Beteiligten zu 2., dem bei der Arbeitgeberin gewählten Betriebsrat, seit acht Jahren durchgängig an.
Die Arbeitgeberin gewährte allen Mitarbeitenden aufgrund der Belastungen während der Corona-Pandemie einen zusätzlichen freien Tag, der unabhängig von dem ansonsten bei ihr etablierten Urlaubs-Bewilligungsverfahren nach Rücksprache durch den jeweiligen Vorgesetzten gewährt werden kann.
Wegen dieses freien Tages kam es am 25.07.2022 am Morgen zu einem Gespräch zwischen der Beteiligten zu 3. und ihrem Teamleiter, dem Zeugen C. . Die Beteiligte zu 3. bat für den 26. oder 27.07. um ihren freien Tag. Weitere Inhalte dieses Gesprächs sind zwischen den Beteiligten im Streit. Die Beteiligte zu 3. erschien am 26.07.2022 nicht zur Arbeit.
Die Arbeitgeberin geht von einer eigenmächtigen Urlaubsnahme der Beteiligten zu 3. aus, von der die Geschäftsführung am 02.08.2022 erfahren hat. Mit Datum vom 03.08.2022 beantragte sie beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens an den Betriebsrat wird auf die zur Akte gereichte Anlage AS 2, Bl. 10 ff. d.A., Bezug genommen. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung nicht zu und formulierte mit Schreiben vom 04.08.2022 einen Widerspruch und meldete zugleich Bedenken an. Im Wesentlichen teilte der Betriebsrat mit, dass die Beteiligte zu 3. den Eindruck gehabt habe, dass der freie Tag im Gespräch mit ihrem Teamleiter genehmigt worden sei.
Mit dem vorliegenden Antrag im Beschlussverfahren vom 09.08.2022 begehrt die Arbeitgeberin die Zustimmungsersetzung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3.. Der Antrag, gerichtet an das Arbeitsgericht Münster, ist ausweislich des Prüfvermerks vom 09.08.2022 zum EGVP-Versand (Bl. 1 d.A.) abgesandt worden vom A B - Stabsstelle Arbeitsrecht - über ein besonderes Behördenpostfach (beBPo). Als persönlich bezeichnete Absenderin ist dort aufgeführt "E.". Eine qualifizierte Signatur wurde nicht verwendet. Der auf dem Geschäftspapier der Arbeitgeberin formulierte Antrag trägt als Namen der Sachbearbeitung "D. - Rechtsanwältin"; einfach signiert ist die Antragsschrift von "E. - Syndikus-Rechtsanwältin".
Beim Arbeitsgericht Münster ist für Frau D. , die Mitarbeiterin der Stabstelle Arbeitsrecht des A B ist, eine Vollmacht für die Arbeitgeberin hinterlegt; nach Vorbringen der Arbeitgeberin kommuniziert das ArbeitsgerichtMünster seit Einrichtung des beBPo mit der antragstellenden Arbeitgeberin über eben dieses beBPo.
Die Arbeitgeberin hat vorgetragen:
Der Teamleiter habe das Gesuch wegen des freien Tages am 25.07.2022 mit der Begründung abgelehnt, dass es aus Gründen der Abwesenheit vieler Mitarbeitender so gut wie unmöglich sei, den freien Tag zu genehmigen. Er habe allerdings die Beteiligte zu 3. gebeten, ihm eine Erinnerungsmail zu schicken, damit er noch einmal den Urlaubsplan überprüfen könne. Noch am 25.07. habe die Beteiligte zu 3. nachmittags versucht, den Teamleiter sowohl telefonisch als auch per "WhatsApp" auf dem Diensthandy zu erreichen. Der Teamleiter habe im Versorgungszentrum, wo er zu diesem Zeitpunkt tätig war, keinen Empfang gehabt und habe die entsprechenden Nachrichten bzw. die verpassten Anrufe erst bei Dienstbeginn am 26.07. um 7.00 Uhr bemerkt.
Das Nichterscheinen der Beteiligten zu 3. am 26.07. stelle eine eigenmächtige Urlaubsnahme dar, die die Arbeitgeberin zur außerordentlichen Kündigung berechtige. Nachdem der Betriebsrat ordnungsgemäß unter Angabe aller erforderlichen Tatsachen unter dem 03.08.2022 um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gebeten worden sei und der Betriebsrat der Kündigungsabsicht nicht zugestimmt habe, sei das vorliegende Verfahren geboten.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
Der Betriebsrat wie auch die Beteiligte zu 3. haben beantragt,
Die Beteiligte zu 3. hat vorgetragen:
Ihr sei der beantragte "Urlaub" bewilligt worden. Dies habe der Teamleiter im Gespräch am 25.07. klar kommuniziert. Es sei im Übrigen auch eine Zeugin anwesend gewesen, namentlich die weitere Betriebsrätin Frau F. . Aus ihrer Sicht gehe es nicht um den freien Tag am 26.07.2022, sondern darum, dass der Geschäftsführer G. sie "loswerden" wolle. Im Übrigen könne es sich nicht um eine eigenmächtige Urlaubsnahme handeln, wie die Arbeitgeberin meine. Denn dieser freie Tag werde außerhalb des bei der Arbeitgeberin für die Urlaubsplanung unter anderem verwendete "ESS-System" beantragt und bewilligt, nämlich ausschließlich durch den Teamleiter.
Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen C. und F. die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. antragsgemäß ersetzt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Gericht sei nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Teamleiter das Ansinnen der Beteiligten zu 3. auf Gewährung des freien Tages für den 26. oder 27.07.2022 abgelehnt habe und das Fernbleiben vom Dienst am 26.07. damit eine eigenmächtige Urlaubsnahme sei, die auch im Vorfeld nicht hätte abgemahnt werden müssen. Wegen der Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung wird auf den Beschluss vom 17.11.2022, Bl. 88 ff. d.A., Bezug genommen.
Gegen diesen am 06.12.2022 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 3. mit der vorliegenden, zunächst am 01.12.2022 beim Arbeitsgericht Münster und sodann am 22.12.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und mit Schriftsatz vom 20.01.2023, am selben Tage beim Landesarbeitsgericht eingegangen, begründeten Beschwerde.
Die Beteiligte zu 3. trägt vor:
Das Arbeitsgericht habe bereits den Sachverhalt in der angegriffenen Entscheidung nicht hinreichend erfasst, indem es davon ausgegangen ist, die Beteiligte zu 3. habe um einen Urlaubstag gebeten, als sie am 25.07.2022 ihren Teamleiter angesprochen habe. Es habe sich um den Corona-Pandemie-bedingten Ausgleichstag gehandelt, was deshalb von Bedeutung sei, weil dieser Tag - streitlos - nicht in das ansonsten gehandhabte Urlaubsplansystem eingetragen werde. Weiterhin sei das Arbeitsgericht fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Kommunikation der Beteiligten zu 3. per WhatsApp am Nachmittag des 25.07.2022 mangels Empfangs dem Teamleiter nicht zugegangen sei. Im "WhatsApp"-Verzeichnis der Beteiligten zu 3. seien sämtliche Nachrichten am 25.07. zu den Uhrzeiten 13.17 Uhr, 13.22 Uhr, 13.30 Uhr und 16.34 Uhr als zugegangen verzeichnet. Es sei üblich, dass eine solche Kommunikation per WhatsApp erfolge. Es sei bereits daher fehlerhaft, dass das Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung davon ausgegangen sei, die Nachrichten seien von der Beteiligten zu 3. unstreitig nicht geschrieben worden.
Selbst wenn der Vortrag der Arbeitgeberin zutreffend sein sollte, der Teamleiter habe im Gespräch am 25.07. den freien Tag noch nicht zugesagt, sondern erst noch um eine Rückfrage gebeten, hätte die Beteiligte zu 3. nicht davon ausgehen dürfen, der freie Tag sei endgültig verweigert worden. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht die Beweiswürdigung nach Vernehmung des Zeugen C. wie auch der Zeugin F. fehlerhaft durchgeführt. Es erschließe sich nicht, mit welcher näheren Begründung das Arbeitsgericht von einer Falschaussage der Zeugin F. ausgegangen sei. Wenn sich die Aussagen widersprächen, so wäre durchaus von einem zu Lasten der Arbeitgeberin zu wertenden non liquet auszugehen gewesen.
Die Beteiligte zu 3. beantragt,
Mit Schriftsatz vom 21.02.2023, am selben Tage beim Landesarbeitsgericht eingegangen, beantragt der Betriebsrat,
Hierzu meint der Betriebsrat, der von der Arbeitgeberin unter dem 09.08.2022 beim Arbeitsgericht eingereichte Antrag sei schon deshalb unzulässig, weil er per beBPo erfolgt sei und der Arbeitgeberin als privatwirtschaftlich organisierte GmbH die Nutzung des beBPo als sicherer Übermittlungsweg im elektronischen Rechtsverkehr nicht zur Verfügung stehe.
Die Arbeitgeberin beantragt,
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung zunächst als zutreffend und legt umfassend dar, dass und warum die erstinstanzlich vernommene Zeugin F. den Inhalt des Gesprächs zwischen der Beteiligten zu 3. und dem Teamleiter C. am 25.07.2022 nicht mitbekommen habe könne.
Darüber hinaus hat die Arbeitgeberin nach Durchführung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme im Kammertermin vom 17.11.2022 am 22.11.2022 mit der Zeugin F. und am 24.11.2022 mit der Beteiligten zu 3. jeweils ein Anhörungsgespräch geführt, da die Arbeitgeberin von einem Anfangsverdacht bei der Beteiligten zu 3. wegen versuchten Prozessbetruges aufgrund bewusst unwahren Sachvortrages ausgegangen sei.
Nachdem am 24.11.2022 hierzu der Betriebsrat mit der Bitte um Zustimmung zu einer fristlosen Kündigung wegen versuchten Prozessbetruges und Anstiftung der Zeugin F. zur Falschaussage angehört wurde und der Betriebsrat hierzu keine Zustimmung erteilt hatte, hat die Arbeitgeberin am 01.12.2022 zum Aktenzeichen 4 BV 49/22 beim Arbeitsgericht Münster einen erneuten Zustimmungsersetzungsantrag (eingehend dort am 01.12.2022) aufgrund der aus ihrer Sicht nunmehr weiter aufgetretenen Kündigungsgründe eingeleitet.
Nachdem nach dem Vortrag der Arbeitgeberin im Verfahren Arbeitsgericht Münster 4 BV 49/22 mit Erwiderungsschriftsatz vom 17.01.2023 erneut - so der Vorwurf - unwahrer Prozessvortrag erfolgt sei, hörte die Arbeitgeberin die Beteiligte zu 3. erneut unter dem 24.01.2023 an und wies mit weiterer Anhörung vom 26.01.2023 auch darauf hin, dass sie aufgrund der Beschwerdebegründung im vorliegenden Verfahren von einem verstärkten Verdacht unwahren Sachvortrages und damit eines versuchten Prozessbetruges ausgehe. Unter dem 01.02.2023 und 03.02.2023 erfolgten sodann weitere Anhörungen des Betriebsrates.
Zu den erstmals im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Kündigungsgründen des versuchten Prozessbetruges sowie der Anstiftung zur Falschaussage trägt die Arbeitgeberin im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen vor, diese Kündigungsgründe seien zwar zum Gegenstand weiterer erstinstanzlicher Anträge gemacht worden, was allerdings nicht hindere, sie im Beschwerdeverfahren zur Begründung der ursprünglichen Kündigungsabsicht nachzuschieben. Dies folge bereits daraus, dass im Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung nach § 103 BetrVG der Zeitpunkt der letzten mündlichen Anhörung vor der Beschwerdekammer maßgeblich sei, da nicht eine bereits ausgesprochene Kündigung überprüft werde, sondern die Berechtigung einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung.
Wegen der umfassenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur Frage, warum aus ihrer Sicht eine falsche Aussage der Zeugin F. vorliege, und damit der dringende Verdacht bestehe, die Beteiligte zu 3. habe hierzu angestiftet, wird auf die Darlegungen im Beschwerdeverfahren ausdrücklich Bezug genommen.
Die Arbeitgeberin hält den Antrag zur Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens vom 09.08.2022 entgegen der Ansicht des Betriebsrates für zulässig.
Hierzu vertritt sie die Auffassung, dass selbst dann, wenn man von einem Formfehler bei Einreichung der Antragsschrift ausgehe, der Fall vorliege, in dem es sich um eine nicht unterzeichnete Antragsschrift handele. Aus § 130 Nr. 6 ZPO und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ergebe sich ohne weiteres, dass auf das Unterschriftenerfordernis unter einem Antrag an ein Gericht verzichtet werden könne, wenn ohne weiteres ersichtlich ist, wer die Verantwortung für den Antrag bei Gericht übernehme.
Hinzu komme, dass alle Beteiligten erstinstanzlich mit den formulierten Anträgen verhandelt hätten, was eine rügelose Einlassung bedeute mit der Folge, dass ein etwaiger Formfehler nach § 295 ZPO geheilt sei.
Im Übrigen bezweifele die Arbeitgeberin, dass der Betriebsrat, der selbst nicht Beschwerdeführer ist und zudem keine fristgerechte Beschwerde erhoben hat, überhaupt berechtigt sei, entsprechenden Sachvortrag im Beschwerdeverfahren vorzubringen.
Hinzu komme, dass die im Beschwerdeverfahren nachgeschobenen Kündigungsgründe in Schriftsätzen des jetzigen Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin rechtswirksam über das besondere Anwaltspostfach (beA) eingereicht worden seien. Jedenfalls damit seien die nachgeschobenen Gründe für die beabsichtigte Kündigung im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen und damit zu prüfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 17.03.2023, am selben Tage an die Verfahrensbevollmächtigten übermittelt, hat die erkennende Beschwerdekammer darauf hingewiesen, dass erhebliche Bedenken hinsichtlich der Formwirksamkeit des von der Arbeitgeberin eingereichten Antrages vom 09.08.2022 bestünden. Auf das gerichtliche Anschreiben Bl. 441, 442 d.A. wird Bezug genommen.
B.
I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 3. ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden gemäß § 87 Abs. 2 i.V.m. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 520 ZPO.
Soweit die vormalige Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3. die Beschwerde zunächst beim Arbeitsgericht eingelegt hat, was gemäß § 87 Abs. 2 i.V.m. § 64 Abs. 1 ArbGG zur Unzulässigkeit führen würde, bleibt dies unerheblich, da die Beschwerde noch innerhalb der Monatsfrist des § 87 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist.
II. Soweit der Betriebsrat mit Schriftsatz vom 21.02.2023 einen eigenen Antrag formuliert hat, ergibt die Auslegung des Vorbringens des Betriebsrates, dass dieser keine eigene Beschwerde eingelegt hat, die dann außerhalb der Frist zur Einlegung der Beschwerde gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 eingegangen wäre. Denn der Betriebsrat hat weder in seinem Akteneinsichtsgesuch (Schriftsatz vom 12.01.2023, Bl. 141 d.A.), noch im Schriftsatz vom 21.02.2023 formuliert, dass er das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung einlege. Dem entspricht auch die Erörterung mit den Beteiligten im Termin zur Anhörung vor der Beschwerdekammer, in der der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrates erklärt hat, unabhängig von seinem im Schriftsatz vom 21.02.2023 formulierten Antrag sei die Beschwerdekammer ohnehin gehalten, in jeder Lage des Verfahrens die Zulässigkeit des ursprünglich von der Arbeitgeberin formulierten Antrages zu überprüfen.
Dementsprechend geht die Beschwerdekammer davon aus, dass der Betriebsrat mit seinem Vorbringen im Schriftsatz vom 21.02.2023 von seinem Recht auf Mitwirkung als am Verfahren Beteiligter gemäß § 83 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 83 Abs. 3 ArbGG Gebrauch machen will. Die Pflicht zur Berücksichtigung des Vorbringens des Betriebsrates durch die Beschwerdekammer ergibt sich bereits aus seiner Beteiligtenstellung gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 103 Abs. 2 BetrVG; da die Äußerung des Betriebsrates bis zum Zeitpunkt der mündlichen Anhörung vor der Beschwerdekammer vorgelegen hat (vgl. Schwab/Weth, ArbGG 6. Aufl. § 90 ArbGG Rn.10), ist dieses Vorbringen Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Der mit der Beschwerde verbundene Devolutiveffekt ist bereits durch die form- und fristgerechte Beschwerde der Beteiligten zu 3. eingetreten.
III. Die Beschwerde ist begründet, da die Arbeitgeberin innerhalb der Frist von zwei Wochen in Anwendung der Bestimmung des § 626 Abs. 2 BGB keinen zulässigen Antrag gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG beim Arbeitsgericht gestellt hat.
1. a) Die Beschwerdekammer folgt der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach bei der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern bei fehlender Zustimmung des Betriebsrates die im Recht der fristlosen Kündigung verankerte zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zwischen Kenntnis vom Kündigungsgrund und Eingang des Antrages gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG beim Arbeitsgericht einzuhalten ist (grundlegend BAG, Beschluss vom 18.08.1977, 2 ABR 19/77, vgl. auch Fitting u.a., BetrVG 31. Aufl., § 103BetrVG Rn. 41 m. zahlreichen N.).
b) Da die auf das Verfahren nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu übertragende Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eine materiell-rechtliche Frist darstellt (vgl. jurisPK-BGB, 10. Aufl./Weth, § 626 Rn. 59 m. zahlreichen N. zur Rechtsprechung) kann diese materiell-rechtliche Wirkung nur eintreten, wenn die Arbeitgeberin innerhalb der zwei-Wochen-Frist einen zulässigen Antrag beim Arbeitsgericht stellt (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 24.10.1996, 2 AZR 3/96 ("Nur ein zulässiger Zustimmungsersetzungsantrag nach § 103 Abs. 2 BetrVG wahrt die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB.").
2. Der am 09.08.2022 beim Arbeitsgericht Münster eingegangene Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. wahrt die zwei-Wochen-Frist des § 626 BGB nicht.
a) Der Antrag ist nicht formwirksam gestellt worden.
aa) Der Antrag ist entgegen der Bestimmung des § 80 Abs. 2 ArbGG, § 46 Abs. 2 ArbGG, § 130 Nr. 6 ZPO nicht unterzeichnet.
(1) Die Beschwerdekammer verkennt nicht, dass vom reinen Gesetzeswortlauf her die Bestimmung des § 130 Nr. 6 ZPO, die das Unterschriftserfordernis begründet, als Sollvorschrift ausgestaltet ist.
(2) Allerdings entspricht es der ständigen Rechtsprechung sowohl des Bundesarbeitsgerichts als auch des Bundesgerichtshofes, dass § 130 Nr. 6 ZPO ein zwingendes Formerfordernis beinhaltet (vgl. nur Zöller, ZPO, 34. Aufl./Greger, § 130 Rdnr. 6). Denn die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (BGH, Urteil vom 10.05.2005, IX ZR 128/04; BGH, Beschluss vom 14.02.2006, VI ZB 44/05 ausdrücklich BAG, Urteil vom 26.06.1986, 2 AZR 358/85 Rdnr. 17 m.w.N. zur Rechtsprechung). Dem schließt sich die Beschwerdekammer an.
bb) Mit der vorzitierten Rechtsprechung sowohl des Bundesgerichtshofes als auch des Bundesarbeitsgerichts kann im vorliegenden Streitfall nicht auf das Erfordernis der Unterschrift verzichtet werden.
(1) Allerdings kann im Einzelfall vom Unterschriftserfordernis als Wirksamkeitserfordernis der Prozesshandlung abgewichen werden. Das Fehlen der Unterschrift kann ausnahmsweise dann unschädlich sein, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen (ausdrücklich BGH, Beschluss vom 14.02.2006 aaO. Rdnr. 6).
(2) Eine solche Abweichung vom Unterschriftserfordernis als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Prozesshandlung kann vorliegend nicht angenommen werden, weil der Sinn und Zweck der Unterschrift, der oben als Identifizierung des Urhebers der Prozesshandlung beschrieben ist, durch die Antragsschrift der Arbeitgeberin vom 09.08.2022 nicht gewahrt ist. Denn der Urheber der Antragsschrift ist nicht zweifelsfrei erkennbar. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass als Sachbearbeiterin der Antragsschrift "D., Rechtsanwältin" angegeben ist, wohingegen die mit einer einfachen Signatur versehene Antragsschrift "unterzeichnet" ist mit "E., Syndikusrechtsanwältin". Nimmt man den Umstand der Versendung aus einem besonderen Behördenpostfach (beBPo) hinzu - dazu später - so ergibt sich zudem, dass als Absender der Antragsschrift nicht die Arbeitgeberin, sondern das "A B - Stabstelle Arbeitsrecht" angegeben ist, und als Versender der Nachricht "E.". Zusammenfassend erfolgt damit die Versendung der Antragsschrift durch einen am vorliegenden Streitfall nicht Beteiligten mit unterschiedlichen Angaben zur Sachbearbeitung und Unterzeichnung.
cc) Die Formwirksamkeit des Antrages der Arbeitgeberin vom 09.08.2022 ergibt sich auch nicht aus § 46 c ArbGG, wonach schriftlich einzureichende Anträge auch als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden können, da es weder qualifiziert signiert ist (§§ 46 c Abs. 3 Satz 1 ArbGG), noch die Arbeitgeberin einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 46 c Abs. 4 ArbGG gewählt hat.
(1) Eine qualifizierte Signatur liegt ausweislich des Prüfvermerks vom 09.08.2022 (Bl. 1 d.A.) nicht vor; eine solche hat die Arbeitgeberin nach ihrem Vorbringen auch nicht gewählt.
(2) Ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 46 c Abs. 4 ArbGG ist ebenfalls nicht gewählt worden. Denn die Versendung der Antragsschrift vom 09.08.2022 erfolgte über das besondere Behördenpostfach, das sogenannte beBPo. Dieses beBPo steht der Arbeitgeberin als privatwirtschaftlich organisierte GmbH vom Gesetzeswortlaut her gemäß § 46 c i.V.m. § 46 g Satz 1 ArbGG nicht zur Verfügung.
dd) Letztendlich hat die Beschwerdekammer auch weitergehende Bedenken der Versendung aus einem besonderen Behördenpostfach, weil die in der Antragsschrift genannte Sachbearbeiterin Frau D. ebenso wie die einfache signierende Frau E. Rechtsanwältinnen bzw. Syndikusrechtsanwältinnen sind und nach der Rechtsprechung (LAG Hamm, Beschluss vom 27.09.2022, 10 Sa 229/22) der Nutzungspflicht des besonderen Anwaltspostfachs (beA) gemäß § 46 g ArbGG unterliegen. Auch wenn man mit kritischen Stimmen in der Literatur (vgl. Elking, NZA 2022, S. 1009) davon ausgeht, dass eine Nutzungspflicht des beA durch Syndikusrechtsanwältinnen und -anwälte nicht bestehe, da insbesondere im Bereich der Verbandsvertretungen nach § 11 Abs. 2 Nr. 4 ArbGG eine Bevollmächtigung des Verbandes vorliege, so hätte die Beschwerdekammer im Streitfall zu beachten, dass nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin ausdrücklich für Frau Rechtsanwältin D. eine Verfahrensvollmacht beim Arbeitsgericht hinterlegt worden ist.
Nach den vorstehenden Ausführungen kam es hierauf allerdings nicht abschließend an, da die Formunwirksamkeit des am 09.08.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Zustimmungsersetzungsantrages bereits aus anderen Gründen gegeben ist.
ee) Eine rügelose Einlassung und somit eine Heilung des Formwirksamkeitsmangels nach § 130 Nr. 6 ZPO respektive der fehlerhaften Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs ist nicht möglich.
(1) Allerdings hat die Arbeitgeberin im Termin zur mündlichen Anhörung der Beteiligten vor der Beschwerdekammer zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Falle einer fehlenden Unterschrift unter einer Kündigungsschutzklage (Urteil vom 26.06.1986, 2 AZR 358/85) eine rügelose Einlassung gemäß § 295 möglich sein soll. Jedoch darf nicht verkannt werden, dass die Sachverhaltskonstellation, die dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.06.1986 aaO. zugrunde lag, eine andere war: Dort war zum Zeitpunkt der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung zur Entscheidung über die dortige Kündigungsschutzklage der Mangel der Unterschrift bekannt, gleichwohl wurden die entsprechenden Anträge gestellt. Der Mangel der Formwirksamkeit im Streitfall war den Beteiligten zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Entscheidung durch das Arbeitsgericht Münster hingegen nicht bekannt. Hinzu kommt, dass das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 26.06.1986 aaO. ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Klagefrist des § 4 KSchG (auch) eine prozessuale Frist darstelle, deren Versäumung einer Heilung nach § 295 ZPO zugänglich sei.
So liegt der Fall hier nicht: Nach der bereits oben unter III.1.b) dargestellten Rechtslage ist die Verpflichtung der Arbeitgeberin, im Falle des Zustimmungsersetzungsantrages nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG innerhalb von 14 Tagen das Arbeitsgericht anzurufen, allein dem materiellen Recht, namentlich der Anwendung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB geschuldet.
(2) Soweit man auf die Nutzung des besonderen Behördenpostfachs bei Übermittlung der Antragsschrift an das Arbeitsgericht abstellt, kommt eine rügelose Einlassung gemäß § 295 ZPO schon deswegen nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber die Beachtung der Formalien des elektronischen Rechtsverkehrs für unverzichtbar gehalten hat (vgl. ausführlich juris PK-ERV Band II/Natter 2. Aufl. Stand 2/2023 § 46 g Rdnr. 29; s. auch Schwab/Weth ArbGG 10. Aufl., § 46 g Rdnr. 7).
Nach alledem verbleibt es dabei, dass die sich mit dem Antrag verbundene Prozesserklärung als unwirksam darstellt (jurisPK-ERV Band II/Natter aaO. und Schwab/Weth ArbGG § 46 g aaO.).
ff) Die Frage, ob der Arbeitgeberin aufgrund der Formunwirksamkeit des Antrages vom 09.08.2022 gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist oder die Vorschrift über die nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 KSchG analog heranzuziehen ist (dagegen LAG Hamm, Beschluss vom 31.10.1984, 3 TaBV 40/84; wegen der materiell-rechtlichen Bedeutung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB auch dagegen jurisPK-BGB 10. Aufl./Weth aaO., § 626 Rdnr. 59 m.w.N.) kam es nicht an, da entsprechende Anträge nicht gestellt worden sind.
gg) Nach den vorstehenden Ausführungen traf das Arbeitsgericht auch insoweit keine Hinweispflicht, als dass es sich bei der Frist zur Einreichung des Antrages nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 626 Abs. 2 BGB nicht um eine prozessuale Frist handelt (zu prozessualen Fristen vgl. BAG, Beschluss vom 05.06.2020, 10 AZN 53/20 Rdnr. 39).
b) Soweit die Arbeitgeberin die Auffassung vertreten hat, die mit der Beschwerdeerwiderung "nachgeschobenen" Gründe zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. seien von der Beschwerdekammer jedenfalls zu berücksichtigen, da die entsprechenden Schriftsätze formwirksam beim Landesarbeitsgericht eingereicht worden seien, folgt die Beschwerdekammer dem nicht.
aa) Allerdings weist die Arbeitgeberin zutreffend darauf hin, dass die genannten Ausführungen in den von ihr im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätzen formwirksam gemäß § 46 g ArbGG über das besondere Anwaltspostfach ihres Verfahrensbevollmächtigten (beA) eingereicht worden sind.
bb) Ebenso zutreffend geht die Arbeitgeberin davon aus, dass die beabsichtigte außerordentliche Kündigung der Beteiligten zu 3. im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auch auf solche Gründe gestützt werden kann, die erst im Laufe des Streitfalls entstehen (vgl. nur BAG, Beschluss vom 23.04.2008, 2 ABR 71/07 Rdnr. 25 m. zahlreichen N. zur Rechtsprechung).
cc) Allerdings setzt das "Nachschieben" von Kündigungsgründen, die im Laufe des Beschlussverfahrens erst entstehen, stets voraus, dass ein formwirksam eingeleitetes Verfahren vorliegt. Denn das Verfahren basiert auf dem Antrag (vgl. § 253 ZPO); die Antragsbegründung selbst ist nicht verfahrenseinleitend. Sie ist zwar mitbestimmend, was den Streitgegenstand angeht (vgl. nur BAG, Urteil vom 02.0.2018, 6 AZR 437/17 Rdnr. 20), aber eben nicht Gegenstand des beantragten gerichtlichen Ausspruches.
Voraussetzung für die Einführung weiterer Kündigungsgründe ("Nachschieben") ist damit ein wirksam begründetes Prozessrechtsverhältnis zwischen den Beteiligten, da das Arbeitsgericht über einen notwendigerweise formwirksam eingereichten Antrag zu entscheiden hat. So ist auch der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in der das "Nachschieben" betreffenden Grundsatzentscheidung vom 22.08.1974, 2 ABR 17/74 davon ausgegangen, dass eine beabsichtigte Kündigung eben auf solche Gründe auch gestützt werden kann (nach ordnungsgemäßer weiterer Beteiligung des Betriebsrates), die im Laufe "des Beschlussverfahrens" bekannt geworden sind. Die Beschwerdekammer geht damit davon aus, dass ohne die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses in Form einer formwirksamen Antragstellung die Stützung einer beabsichtigten Kündigung auf neu eingetretene Tatsachen im Laufe des Beschlussverfahrens, respektive im Laufe des Beschwerdeverfahrens nicht möglich ist, da nur der zulässige Antrag die Entscheidung über das materielle Recht ermöglicht (ausdrücklich BAG, Urteil v. 24.10.1996, 2 AZR 3/96).
Nach alledem hatte die Beschwerde der Beteiligten zu 3. Erfolg.
IV. Unter anderem wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache war die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.