Beschluss vom 26.07.2023 · IWW-Abrufnummer 236575
Landesarbeitsgericht Hamm - Aktenzeichen 8 Sa 1433/21
Ist über die Kosten des Berufungsverfahrens durch Beschluss gem. § 91a ZPO zu entscheiden und verzichten die Parteien insoweit analog § 313a Abs. 2 ZPO auf eine Begründung und Rechtsmittel, dann führt dies unter analoger Anwendung der Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG (GKVerz) zu einer Ermäßigung der Gerichtsgebühr auf 1,6 (im Anschluss an LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. März 2016 - 5 Sa 3/15 ).
Tenor:
Auf die Erinnerung des Klägers wird der Kostenansatz des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Oktober 2022 zum Verfahren 8 Sa 1433/21 aufgehoben. Die Kostenbeamtin wird angewiesen, für das Berufungsverfahren die ermäßigte 1,6-Gebühr nach Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG analog in Ansatz zu bringen. Die weitergehende Erinnerung wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Der Kläger begehrt nach Abschluss eines verfahrensbeendenden Vergleichs die Ermäßigung der gegen ihn in der Folge festgesetzten Gerichtsgebühren.
I.
Die Parteien stritten, nachdem der Kläger in erster Instanz mit seinem Bestandsschutzbegehren vollständig und mit begleitend verfolgten Vergütungsansprüchen weitgehend unterlegen war, im Berufungsverfahren allein noch über wechselseitige Zahlungsansprüche aus ihrem danach beendeten Arbeitsverhältnis in Höhe von insgesamt 19.654,56 €. Im Termin vom 18. August 2022 schlossen die Parteien zur Gesamtbereinigung ihrer Rechtsverhältnisse einen Prozessvergleich unter Einbeziehung im Verfahren nicht streitgegenständlicher Ansprüche. Zu den Kosten des Rechtsstreits trafen sie dabei unter Ziffer 5 des Vergleichs folgende Regelung:
Mit danach abgekürztem Beschluss gemäß § 91a ZPO vom 18. August 2022 gab die befasste Berufungskammer dem Kläger die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu 84% und dem Beklagten zu 16% auf. Unter dem 11. Oktober 2022 übersandte das Landesarbeitsgericht dem Kläger einen Kostenansatz unter Berücksichtigung einer 3,2 Verfahrensgebühr nach Nummer 8220 KV GKG (3,2 x 382,00 €), wobei der Kläger bei einem Anteil von 84/100 zur Zahlung von 1.026,82 € an die Justizkasse herangezogen worden ist.
Gegen diesen Kostenansatz wendet sich der Kläger mit seinem am 5. Dezember 2022 eingelegten Rechtsbehelf. Nach seiner Auffassung greifen vorliegend die Ermäßigungstatbestände nach Nummer 8221, jedenfalls jedoch nach Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG in ggf. entsprechender Anwendung ein. Wenn schon ein nach § 313a Abs. 2 ZPO nicht zu begründendes Urteil - der Entlastung der Gerichte wegen - über eine Kostenermäßigung privilegiert werde, dann müsse dies für einen nach § 91a Abs. 1 ZPO gefassten, ebenfalls abgekürzten Beschluss mindestens in gleicher Weise gelten. Insoweit sei auf die Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte in zivilrechtlichen Verfahren betreffend die parallel liegenden Nummern 1210 und 1211 KV GKG zu verweisen.
Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung des Klägers nicht abgeholfen. Der Bezirksrevisor hat in seiner Stellungnahme vom 14. Februar 2023 (Bl. 233/234 d. A.), auf welche Bezug genommen wird, darauf verwiesen, dass die Parteien im Zuge der von ihnen herbeigeführten gerichtlichen Kostenentscheidung zu deren Ausgestaltung gerade keine Regelung getroffen hätten und allein ein Verzicht auf Begründung und Rechtsmittel insoweit nach den zitierten, eng auszulegenden und nicht analogiefähigen Ermäßigungstatbeständen keine Kostenprivilegierung zur Folge haben könne.
Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen und des weiteren Vorbringens zur Begründung der Erinnerung wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
II.
Die gem. § 66 Abs. 1 S. 1 GKG statthafte und im Übrigen zulässige Erinnerung des Klägers gegen den Kostenansatz vom 11. Oktober 2022 ist teilweise begründet.
1. Wenngleich die Parteien ihre Streitigkeit im Termin vom 18. August 2022 in der Sache durch einen Prozessvergleich vollständig beilegen konnten, greift zunächst die besondere Gebührenprivilegierung nach der Vorbemerkung 8 zu Teil 8 KV GKG hier gleichwohl nicht ein. Denn der Vergleich klammert die Frage der Verfahrenskosten zweiter Instanz ausdrücklich aus und legt deren Ausgleich in die Verantwortung und Entscheidung des Gerichts, was zugleich die Anwendung des § 98 ZPO ausschließt. Nach dem Sinn und Zweck einer Privilegierung gemäß der Vorbemerkung 8, eine darüber honorierte Entlastung der Gerichtsbarkeit zu fördern und auch zu erzielen, entfällt die Gerichtsgebühr in vollem Umfang nur bei einer vollständigen vergleichsweisen Erledigung des Verfahrens bzw. der Instanz insgesamt. Dies schließt eine Kostenregelung durch explizite Vereinbarung der Parteien oder mittelbar über § 98 ZPO ein. Daran fehlt es mit der Folge eines Wegfalls dieser maximalen Privilegierung, wenn die Kostenregelung über eine Entscheidung nach § 91a ZPO dem Gericht überlassen bleibt (BAG, Beschluss vom 16. April 2008 - 6 AZR 1049/06 - NZA 2008 S. 783/784).
2. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf Nummer 8221 KV GKG eine Ermäßigung auf eine 0,8 Gebühr erreichen will, ist diese Kostenziffer bereits tatbestandlich nicht einschlägig. Nach dem Wortlaut des Eingangssatzes setzt die Norm nämlich voraus, dass der zu dieser weitgehenden Ermäßigung führende Umstand bereits vor Eingang der Berufungsbegründung bei Gericht eintreten muss, was für die im Folgesatz gleichgestellte Erledigungserklärung in gleicher Weise gilt. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang zur folgenden Nummer 8222 KV GKG, wonach die jeweils gleichermaßen begünstigenden Umstände, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt eintreten und gerade deshalb nicht unter Nummer 8221 fallen, abweichend und im Umfang der Privilegierung bewusst weniger deutlich angesprochen werden. Selbiges erneut und erkennbar mit der vom Gesetzgeber angestrebten und darüber zu honorierenden Zielsetzung einer Entlastung der Gerichtsbarkeit, die bei einer schon weitgehend fortgeschrittenen Durchführung des Berufungsverfahrens jedoch mit Blick auf den dadurch notwendig verursachten Vorbereitungsaufwand nebst damit einhergehender Ressourcenbindung nur noch im beschränkten Umfang eintreten kann.
3. Die Voraussetzungen der Ermäßigungstatbestände nach Nummer 8222 Ziffern 1 bis 3 KV GKG liegen dem Wortlaut der Norm nach nicht unmittelbar vor. Das Verfahren ist insbesondere nicht durch ein unter Ziffer 2 aufgeführtes privilegiertes Urteil beendet worden, noch konnte nach Ziffer 3 bei einer übereinstimmenden Erledigungserklärung auf die Kostenentscheidung verzichtet werden bzw. diese einer mitgeteilten Einigung oder Übernahmeerklärung der Parteien folgen.
a. Die sich daran anschließende Frage, ob im Falle eines die gesamte Hauptsache umfassenden gerichtlichen Vergleichs bei nach dem Willen der Parteien ausgeklammerter und dem Gericht überlassener Kostenregelung per Beschluss gemäß § 91a Abs. 1 ZPO auch dann die volle 3,2-Gebühr nach Nummer 8220 KV GKG in Ansatz zu bringen ist, wenn die Parteien entsprechend § 313a Abs. 2 ZPO insoweit auf eine Begründung und Rechtsmittel verzichten oder aber in diesem Fall eine Gebührenermäßigung analog Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG eintritt, ist streitig. Für das Eingreifen einer Gebührenermäßigung bei vergleichbaren Konstellationen im Zivilverfahren (zum Meinungsstand insoweit: Zöller/Althammer, 34. Auflage 2022, § 91a ZPO Rn 59) gilt dies bei Anwendung der entsprechenden, nach Tatbestand und Umfang zum Teil jedoch abweichend gefassten Gebührentatbestände ebenso (ablehnend: OLG Hamm, Beschluss vom 26. Juli 2019 - 25 W 189/19 - MDR 2019, S. 1345/1346; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Juni 2016 - 10 W 65/16 - NJW 2016, S. 3043/3044; a. A.: LG Kiel, Beschluss vom 11. November 2020 - 6 O 245/19 - juris m. w. N.).
b. So wird auch in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zum Teil angenommen, dass die Kostenprivilegierung bei übereinstimmender Erledigungserklärung im Berufungsrechtszug in Nummer 8222 Ziffer 3 KV GKG, entsprechend für das erstinstanzliche Verfahren in Nummer 8211 Ziffer 3 KV GKG, abschließend geregelt sei und eine Analogie zu einer Kostenziffer, welche die Entscheidung durch Urteil gem. § 313a Abs. 2 ZPO beträfe, deshalb ausscheiden müsse (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. August 2009 - 20 Sa 93/08 - juris). Denn der Gesetzgeber habe sich im Rahmen des zum 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes bewusst und in Kenntnis schon zuvor in Teilen der Rechtsprechung angenommenen Analogien für eine Privilegierung der Erledigungserklärung allein in dem Fall entschieden, dass eine gerichtliche Kostenentscheidung danach gänzlich entbehrlich werde oder lediglich eine bereits vorliegende Vereinbarung der Parteien nachzeichne (OLG Düsseldorf zu Nummer 1211 Ziffer 2 KV GGK aaO). Von einer planwidrigen Reglungslücke für den Fall einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO, die mit einem Begründungs- und Rechtsmittelverzicht der Parteien entsprechend § 313a Abs. 2 ZPO einhergehe, könne folglich nicht ausgegangen werden, weshalb es an den Grundlagen einer zulässigen Analogie fehle (OLG Hamm aaO).
c. Demgegenüber geht die Berufungskammer im Anschluss an den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 7. März 2016 - 5 Sa 3/15 - juris unter gleichwohl analoger Anwendung der Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG vorliegend von einer Gebührenermäßigung auf 1,6 aus.
Denn weder der Gesetzesbegründung zu dem im Jahr 2004 in Kraft getretenen Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (siehe dazu BT-Drucks. 15/1971 S. 159, dort zu Nr. 1211 Ziffer 4 KV GKG) noch den Erwägungen zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23. Juli 2013 (BT-Drucks. 17/11471) kann entnommen werden, einen in analoger Anwendung des § 313a Abs. 2 ZPO ergangenen, danach nicht begründeten und nicht mit einem Rechtsmittel anfechtbaren Beschluss nach § 91a Abs. 1 ZPO anderes behandeln und insbesondere weniger privilegieren zu wollen, als ein abgekürztes streitiges Urteil, welches zumal und vor allem die Hauptsache selbst und nur daneben die Kostenfrage betrifft (ebenso mit ausführlicher Begründung: LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. März 2016 aaO). Soweit sich der Gesetzgeber mit der Subsumtion dieser besonderen Erledigungskonstellation unter Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG in analoger Anwendung missverstanden gesehen hätte, wäre im Rahmen des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 Möglichkeit und Raum für eine Klarstellung eröffnet gewesen, die trotz erkennbar divergierender Rechtsprechung jedoch unterblieben ist (vgl. BT-Drucks. 19/23484).
Daraus kann gefolgert werden, dass die Frage einer ggf. analogen Anwendung der Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG (bzw. vergleichbarer Tatbestände für das Zivilverfahren) auf den Fall der mit einem Verzicht entsprechend § 313a Abs. 2 ZPO verbundenen Entscheidung gem. § 91a Abs. 1 ZPO - auch angesichts der mit Blick auf die Fallzahlen vergleichsweise geringen praktischen Bedeutung dieser Frage - weiterhin der Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung überantwortet bleiben soll.
d. Nimmt man danach eine im Ausgang planwidrige Regelungslücke an, so ist die Interessenlage bei einem die Kostenentscheidung mitumfassenden abgekürzten Urteil gem. § 313a Abs. 2 ZPO und einem Beschluss nach § 91a Abs. 1 ZPO, der sich allein noch zur Kostenfrage verhält, wegen einer Verzichtserklärung der Parteien entsprechend der Vereinfachungsnorm aber ebenfalls nicht begründet werden muss und nicht anfechtbar ist, ohne Weiteres vergleichbar. Denn mit der Kostenprivilegierung bei abgekürzten Urteilen will der Gesetzgeber die Parteien motivieren, über entsprechende Erklärungen für eine Entlastung der Gerichtsbarkeit und eine damit einhergehende Ressourcenschonung zu sorgen, wovon diese mit der Gebührenabsenkung wiederum selbst und unmittelbar profitieren sollen. Beide Effekte lassen sich bei analoger Anwendung der Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG auf die vorliegende Konstellation, die mit der Beschränkung auf die Kostenfrage allein einen notwendigen Teilbereich des geregelten Falles umfasst, gleichermaßen erreichen.
e. Die danach eröffnete analoge Anwendung des Privilegierungstatbestands trägt zur Fortbildung des Rechts bei, sie führt insbesondere zu sachgerechten und gemessen am Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ausgewogenen Ergebnissen und entspricht dem potentiellen Willen des Gesetzgebers.
Es ist allgemein anerkannt, dass § 313a Abs. 1 u. 2 ZPO - über den Wortlaut der Norm hinaus - auf Beschlüsse entsprechend anzuwenden ist (Zöller/Feskorn, 34. Auflage 2022, § 329 ZPO Rn 40 m. w. N.). Denn die Norm hat primär Entlastungsfunktion gegenüber der Gerichtsbarkeit, die bei Urteilen wie bei regelmäßig zu begründenden Beschlüssen gleichermaßen zum Tragen kommen kann. Knüpft der Gesetzgeber - wie unter anderem in Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG geschehen - an die von Parteien herbeizuführende Entlastung des Gerichts von der Verpflichtung zur Absetzung eines vollständigen, die Hauptsache und die Kostenfrage betreffenden Urteils kostenrechtliche Vorteile, dies als Anreiz und gerade wegen der damit verbundenen Entlastung, so wäre es mit einem unauflösbaren Wertungswiderspruch verbunden, wenn die Parteien selbst bereits eine umfassende Regelung zur Hauptsache gefunden haben, diese Entscheidung darüber entbehrlich wird und allein noch eine nicht zu begründende und auch nicht anfechtbare Kostenentscheidung durch das Gericht zu treffen ist. Denn der Entlastungseffekt, der gerade honoriert werden soll, ist in dieser Konstellation wegen des gemäß § 91a Abs. 1 ZPO anzulegenden abweichenden und letztlich vereinfachten Maßstabs erkennbar größer, als wenn über Hauptsache und Kosten zu entscheiden wäre.
Es fehlt danach an einem sachlichen Differenzierungsgrund dafür, die Privilegierung der Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG auf Urteile mit Hauptsache- und Kostenentscheidung zu beschränken, für die bloße Kostenentscheidung im Rahmen eines abgekürzten Beschlusses gemäß § 91a ZPO hingegen eine im Ergebnis höhere Gerichtsgebühr zu verlangen. Für einen Willen des Gesetzgebers dahin, eine derartige Differenzierung über eine bewusst abweichende und abschließende Gestaltung der Nummer 8222 Ziffer 3 KV GKG gleichwohl vorzunehmen, fehlt es demgegenüber nicht nur an Anhaltspunkten, sondern auch an einer sachlich tragfähigen Begründung. Denn ein solcher Wille ließe sich mit dem durch die Norm ausgedrückten Entlastungsziel nebst daran anknüpfender Honorierungsfolge nicht in Einklang bringen.
4. Das Erinnerungsverfahren selbst ist gebührenfrei, insoweit veranlasste Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 S 1. u. 1 GKG).