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Beschluss vom 03.04.2023 · IWW-Abrufnummer 236624

Hessisches Landesarbeitsgericht - Aktenzeichen 16 TaBV 129/22

1. Eine Betriebsratswahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen nichtig. Voraussetzung dafür ist ein so eklatanter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht.

2. Die Zulassung von nicht Wahlberechtigten ist lediglich ein Grund zur Anfechtung der Wahl, entsprechendes gilt für die Zulassung nicht wählbarer Arbeitnehmer als Kandidaten.

3. Nichtigkeit kann vorliegen, wenn von Anfang an die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Betriebsratswahl fehlen. Für einen im Ausland ansässigen Betrieb kann von vornherein kein Betriebsrat gewählt werden.

4. Die Teilnahme von in einer Niederlassung in Luxemburg beschäftigten Arbeitnehmern an einer Betriebsratswahl am Hauptsitz des Unternehmens in Wiesbaden führt nicht zur Nichtigkeit der Wahl.


Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. September 2022 ‒ 4 BV 3/21 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl.

Der Antragsteller (Arbeitgeber) erbringt Dienstleistungen im Rechnungswesen für Immobilienfonds und beschäftigt in Deutschland etwa 200 Arbeitnehmer. Sein Hauptsitz befindet sich in A. Daneben gibt es Betriebsstätten in B und C. Weitere 12 Arbeitnehmer werden in einer im Handelsregister eingetragenen Niederlassung in Luxemburg beschäftigt. Die dort tätigen Mitarbeiter sind ausschließlich für diese Tätigkeit eingestellt und werden dort beschäftigt.

Beteiligter zu 2 ist der im Betrieb des Arbeitgebers gebildete Betriebsrat.

An der im Betrieb des Antragstellers am 25. April 2018 durchgeführten Betriebsratswahl nahmen auch die in der Niederlassung in Luxemburg tätigen Mitarbeiter teil. Einer der dortigen Mitarbeiter, D, kandidierte und rückte im März 2019 in den Betriebsrat nach. Die Betriebsratswahl wurde nicht angefochten.

Mit einem am 18. Juli 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Arbeitgeber die Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom 24. April 2018 geltend gemacht.

Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, die Teilnahme der Mitarbeiter der Niederlassung in Luxemburg an der Betriebsratswahl führe zu deren Nichtigkeit.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 129R bis 130 der Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen; wegen der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 130-131 der Akten) verwiesen.

Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Arbeitgebers am 22. September 2022 zugestellt, der dagegen mit einem am 24. Oktober 2022 (Montag) eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese am 21. November 2022 begründet hat.

Der Arbeitgeber rügt, die Auffassung des Arbeitsgerichts, eine Nichtigkeit der Betriebsratswahl liege nicht vor, wenn einzelne Wähler kein aktives Wahlrecht im Sinne von § 7 BetrVG besitzen, treffe deshalb nicht zu, weil hier nicht nur einzelne, sondern eine Vielzahl betriebsfremder Personen, nämlich die 12 in der Niederlassung Luxemburg beschäftigten Arbeitnehmer, an der Wahl teilgenommen haben, wobei ein Mitarbeiter sogar kandidierte und später als Ersatzmitglied in das Gremium nachrückte. Ferner habe das Arbeitsgericht gemeint, allein die Verkennung des Betriebsbegriffs führe nicht zur Nichtigkeit. Dabei habe es verkannt, dass es vorliegend nicht allein um die Verkennung des Betriebsbegriffs, sondern um die Verkennung des persönlichen Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes geht. Darauf habe der Arbeitgeber wiederholt, zuletzt mit Schriftsatz vom 14. Juli 2022 (Bl. 116 ff. der Akte) hingewiesen. Schließlich habe das Arbeitsgericht die Auffassung vertreten, allein aufgrund des zeitlichen Ablaufs zwischen den Betriebsratswahlen 2018 und dem erst im Jahr 2021 anhängig gemachten Verfahren könne nicht von einer Nichtigkeit ausgegangen werden, weil durch den Zeitablauf nicht der Stempel der Nichtigkeit der angegriffenen Wahl festgestellt werden könne. Insoweit habe sich das Arbeitsgericht nicht mit der vom Arbeitgeber zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. April 1976 -AP BetrVG § 19 Nr. 4- auseinandergesetzt.

Die Beschäftigten in Luxemburg seien nicht in den A Betrieb eingegliedert. Sie unterstünden fachlich und disziplinarisch Frau E, die an Herrn F, den Niederlassungsleiter in Luxemburg berichte. Die Wählerliste sei durch den Betriebsrat erstellt worden, nicht vom Arbeitgeber. Sie sei so übermittelt worden, da der Betriebsrat ausdrücklich eine Aufstellung aller Mitarbeiter hinsichtlich der Standorte A, C, B und Luxemburg angefragt hatte.

Der Arbeitgeber beantragt,

Der Betriebsrat beantragt,

Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Die Betriebsratswahl 2018 sei nicht nichtig. Die Mitarbeiter aller Standorte seien vollständig in den Hauptbetrieb eingegliedert. An keinem Standort habe es eine Niederlassungsleitung bzw. Eigenorganisation gegeben. Der Vorgesetzte habe immer in A/B gesessen. Insbesondere in Luxemburg habe es keinen Leiter gegeben. Alle Mitarbeiter hätten direkt und ausschließlich nach Deutschland berichtet. Die Luxemburger Mitarbeiter hätten bereits 2018 die gleiche Telefonnummer wie die Kollegen in A gehabt. Die E-Mail-Adresse sei entsprechend der A Kollegen gewesen. Die Abteilungszuordnung erfolge standortübergreifend. Zu berücksichtigen sei, dass der Arbeitgeber selbst die Wähler- bzw. Mitarbeiterliste zur damaligen Betriebsratswahl einschließlich der in Luxemburg beschäftigten Arbeitnehmer dem damaligen Wahlvorstand übermittelt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

II.

1.

Die Beschwerde statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.

2.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zu Recht abgewiesen. Die Betriebsratswahl vom 25. April 2018 ist nicht nichtig.

Der Antrag des Arbeitgebers ist zunächst dahin auszulegen, dass dieser die Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. September 2022 -4 BV 3/21- und die Feststellung, dass die Betriebsratswahl vom 25. April 2018 nichtig ist, begehrt. Die Formulierung des Antrags im Schriftsatz des Arbeitgebervertreters vom 24. Oktober 2022, unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts die Anträge abzuweisen (Bl. 137 der Akte), erfolgte -wie sich insbesondere aus der Beschwerdebegründung vom 21. November 2022 (Bl. 143 ff. der Akte) ergibt, erkennbar versehentlich: Gemeint war das Gegenteil.

Eine Betriebsratswahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen nichtig. Voraussetzung dafür ist ein so eklatanter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Nicht zuletzt wegen der schwerwiegenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders krassen Wahlverstößen angenommen werden. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln (Bundesarbeitsgericht 21. September 2011 -7 ABR 54/10- Rn. 26).

Die Zulassung von nicht Wahlberechtigten ist lediglich ein Grund zur Anfechtung der Wahl, entsprechendes gilt für die Zulassung nicht wählbarer Arbeitnehmer als Kandidaten (Fitting, BetrVG, 31. Aufl., § 19 Rn. 12 und 16). Die Verkennung des Betriebsbegriffs hat in der Regel nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit der darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge. Dies gilt auch dann, wenn es um die Verkennung der „richtigen“ Rechtsgrundlage für die Bestimmung des Betriebsbegriffs geht, also um die Frage, ob in den Betrieben nach §§ 1 und 4 BetrVG oder in den Organisationseinheiten nach gemäß § 3 BetrVG zu wählenden Strukturen ein Betriebsrat zu wählen ist. Etwas Anderes gilt nur bei einer rechtskräftigen Entscheidung über einen Antrag nach § 18 Abs. 2 BetrVG (vergleiche hierzu: Hessisches Landesarbeitsgericht vom 14. September 2020 ‒ 16 TaBVGa 127/20). Ferner kann etwas Anderes dann gelten, wenn von Anfang an die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Betriebsratswahl fehlen, etwa bei einer karitativen und erzieherischen Einrichtung einer Religionsgemeinschaft nach § 118 Abs. 2 BetrVG, die nicht unter den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes fällt. Entsprechendes gilt, wenn für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer eines Luftfahrtunternehmens entgegen § 117 Abs. 2 BetrVG ein Betriebsrat gewählt werden soll (vergleiche hierzu: Hessisches Landesarbeitsgericht vom 3. September 2018 -16 TaBVGa 86/18). Zu unterscheiden ist danach, ob die Beteiligten über die Frage streiten, ob überhaupt ein Betriebsrat gebildet werden kann, oder für welchen Betrieb oder welche Repräsentationseinheit er zu wählen ist (Bundesarbeitsgericht 13. März 2013 -7 ABR 70/11- Rn. 17).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Betriebsratswahl vom 25. April 2018 nicht nichtig.

Entscheidend ist, dass es hier nicht um die Frage geht, ob überhaupt ein Betriebsrat gebildet werden kann, sondern lediglich darum, ob die in der Luxemburger Niederlassung beschäftigten Arbeitnehmer an der für die in A, B und C stattgefundenen Betriebsratswahl teilnehmen durften.

Dies gilt selbst wenn man davon ausgeht, dass die in Luxemburg beschäftigten Arbeitnehmer ausschließlich diesem Betrieb zuzuordnen sind. Dafür spricht, dass sie ihre Arbeitsleistung allein in der Niederlassung in Luxemburg erbringen, was ein wesentliches Indiz für die Eingliederung in diesem Betrieb darstellt (vergleiche hierzu: Bundesarbeitsgericht 26. Mai 2021 -7 ABR 17/20- Rn. 34). Für die Eingliederung in einen Betrieb ist eine Bindung an die Weisungen einer Führungskraft in diesem Betrieb nicht erforderlich. Selbst wenn die Behauptung des Betriebsrats zuträfe (was der Arbeitgeber im Einzelnen bestritten hat), dass die Führungskraft der in Luxemburg eingesetzten Mitarbeiter in A oder B ansässig ist, würde dies nicht zu einer Ausgliederung der Arbeitnehmer aus ihrem bisherigen Beschäftigungsbetrieb in Luxemburg und einer Eingliederung in den Beschäftigungsbetrieb ihres Vorgesetzten führen (Bundesarbeitsgericht 26. Mai 2021 -7 ABR 17/20- Rn. 43). Ebenso wenig führt die Teilnahme der in Luxemburg ansässigen Arbeitnehmer an der in A stattgefundenen Betriebsratswahl zur Eingliederung in die dortige Organisation (Bundesarbeitsgericht 26. Mai 2021 -7 ABR 17/20- Rn. 44).

Gleichwohl läge eine Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom 25. April 2018 (nur) dann vor, wenn diese für den Betrieb in Luxemburg erfolgt wäre. Für einen im Ausland ansässigen Betrieb kann von vornherein kein Betriebsrat gewählt werden, weil das Betriebsverfassungsgesetz nur im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gilt. Derartiges ist hier jedoch nicht erfolgt. Vielmehr haben die in der Niederlassung in Luxemburg beschäftigten Arbeitnehmer sich (lediglich) an der in Deutschland stattgefundenen Betriebsratswahl beteiligt. Damit geht es nicht um die Frage, ob überhaupt ein Betriebsrat gebildet werden kann (dies ist für einen in Deutschland ansässigen Betrieb zweifelsohne gegeben), sondern darum, für welchen Betrieb oder welche Repräsentationseinheiter zu wählen ist. Insoweit stellt sich lediglich die Frage, ob die in Luxemburg beschäftigten Arbeitnehmer an der in Deutschland stattgefunden Wahl, gegen deren Durchführung als solche keine Bedenken bestehen, teilnehmen durften. Selbst wenn diese Frage (wie oben ausgeführt) zu verneinen ist, handelt es sich unter Zugrundelegung der vom Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 13. März 2013 -7 ABR 70/11- Rn. 17 aufgestellten Grundsätze um eine Verkennung des Betriebsbegriffs, die nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl führt. Hierfür spricht auch, dass Verstöße gegen das aktive und passive Wahlrecht lediglich zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen.

III.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, §§ 92 Abs. 1, 72 ArbGG.

Vorschriften§ 7 BetrVG, § 87 Abs. 1 ArbGG, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1, 2 ArbGG, § 594 ZPO, §§ 1, 4 BetrVG, § 3 BetrVG, § 118 Abs. 2 BetrVG, § 117 Abs. 2 BetrVG, §§ 92 Abs. 1, 72 ArbGG