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Urteil vom 08.07.2022 · IWW-Abrufnummer 236709

Hessisches Landesarbeitsgericht - Aktenzeichen 14 Sa 355/22

Ist im Arbeitsvertrag eine Kündigungsfrist mit Kündigungstermin vereinbart, die aufgrund der Verlängerung der Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB (inzwischen) potentiell ungünstiger für den Arbeitnehmer ist, als die gesetzliche Kündigungsfrist, führt dies zur Nichtigkeit der vertraglichen Regelung nach § 134 BGB ( BAG 29.1.2015 - 2 AZR 280/14 - BAGE 150, 337).

Die Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB ist absolut und kann von allen am Rechtsgeschäft Beteiligten - in den Grenzen des § 242 BGB - geltend gemacht werden. Die Rechtssprechung, derzufolge sich der Verwender von AGBen nicht auf deren Unwirksamkeit nach §§ 307 ff BGB berufen kann, ist hier nicht (analog) anwendbar.


Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 18. Januar 2022 ‒ 3 Ca 143/21 ‒ wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch um die Frage, ob die Kündigung des Beklagten vom 27. Mai 2021 ihr Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2021 oder zum 30. September 2021 aufgelöst hat.

Der Beklagte ist ein von Eltern geführter Verein, der eine Kinderbetreuungseinrichtung betreibt.

Die Klägerin war bei dem Beklagten seit dem 1. April 2015 mit einem monatlichen Bruttogehalt von 2700 € als Erzieherin beschäftigt. Der Beklagte sprach ihr mit Schreiben vom 27. Mai 2021 (Bl. 11 der Akte) eine ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Zeitpunkt aus, wobei in dem Schreiben ausgeführt wird, der nächst zulässige Zeitpunkt sei nach Berechnung des Beklagten der 31. Juli 2021.

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat sowohl die ursprünglich erhobene Kündigungsschutzklage als auch den hilfsweise erhobenen allgemeinen Feststellungsantrag abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass die Klägerin keinen Grund für die Unwirksamkeit der Kündigung vorgetragen und diese das Arbeitsverhältnis nicht erst zum 30. September 2021, sondern bereits zum 31. Juli 2021 aufgelöst habe. Dies ergebe sich daraus, dass die im Arbeitsvertrag vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende nach zutreffender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 29. Januar 2015 (2 AZR 280/14) nicht günstiger sei, als die gesetzliche Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende, die deshalb vorliegend Anwendung finde. Es sei auch nicht ersichtlich, dass sich der Beklagte aufgrund der tatsächlichen Anwendung der vertraglichen Kündigungsfristen im Betrieb an diese gebunden habe, da der diesbezügliche Vortrag der Klägerin bereits unsubstantiiert sei und nicht nachvollziehbar sei, aus welchen Gründen dem Beklagten, der dem Vortrag der Klägerin entgegengetreten sei, verwehrt sein sollte, sich auf die gesetzlichen Kündigungsfristen zu berufen.

Wegen der Begründung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung und des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die angegriffene Entscheidung verwiesen (Bl 65 ff d.A.).

Die Klägerin hat gegen das ihr am 20. Januar 2022 zugestellte Urteil am 15. Februar 2022 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese im gleichen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin rügt, das Arbeitsgericht habe die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2015 (2 AZR 280/14) in unzulässiger Weise schematisch auf den vorliegenden Fall angewandt. Aus der genannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergebe sich gerade, dass jeder Einzelfall gesondert betrachtet werden müsse. Das Arbeitsgericht habe insofern verkannt, dass in dem vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall der Arbeitnehmer sich auf die Unwirksamkeit der für ihn ungünstigeren vertraglichen Kündigungsfrist berufen habe, während sich im vorliegenden Fall der beklagte Arbeitgeber zulasten der schutzwürdigen Arbeitnehmerin auf die Unwirksamkeit der von ihm verwandten Vertragsklausel berufe. Sie behauptet, der Beklagte habe die unwirksame Kündigungsfrist bewusst in die Verträge geschrieben und sich in der Vergangenheit auch auf die Einhaltung der vertraglichen Frist berufen. Gleichzeitig ziehe er die für ihn günstigere Kündigungsfrist, je nachdem, welche vertragliche Konstellation ihm hierfür Anlass biete. Sie meint, das Arbeitsgericht Darmstadt habe Beweis über ihren Vortrag erheben müssen, wonach der Beklagte in vorangegangenen Fällen, in denen Arbeitnehmerinnen das Vertragsverhältnis hätten lösen wollen, strikt auf die Einhaltung der vertraglich vorgesehenen Kündigungsfrist bestanden habe.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 18. Januar 2022 ‒ 3 Ca 143/21 ‒ abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 27. Mai 2021 nicht zum 31. Juli 2021 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30. September 2021 fortbestanden hat.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt die Auffassung, aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2015 (2 AZR 280/14) ergebe sich keineswegs, dass das Bundesarbeitsgericht die Ansicht vertrete, dass jeweils im Einzelfall zu entscheiden sei. Es mache vielmehr deutlich, dass spätestens mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in die jeweilige Stufe des § 622 Abs. 2 BGB feststehen müsse, welche Regelung als günstigere vorgehen werde. Darüber, wie der Günstigkeitsvergleich vorzunehmen sei, könne nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kein Zweifel bestehen. Der Beklagte behauptet, er habe die Kündigungsfrist keineswegs bewusst in die Verträge geschrieben. Es sei auch zu beachten, dass der Beklagte kein professioneller Arbeitgeber sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 8.Juli 2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Berufung ist statthaft, §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 64 Abs. 2 c) ArbGG, § 511 ZPO. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.

II.

Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage mit zutreffender Begründung, der die Kammer gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich vollumfänglich folgt, stattgegeben. Die Kammer schließt sich insbesondere den Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Anwendung des Günstigkeitsvergleichs zwischen der gesetzlichen Regelung des § 622 Abs. 1, 2 BGB und der hier in Rede stehenden vertraglichen Regelung der Kündigungsfrist an. Die Angriffe führen zu keiner abweichenden Beurteilung und geben lediglich Anlass zu folgenden Ausführungen:

1.

Soweit die Berufung geltend macht, das Bundesarbeitsgericht habe in seiner Entscheidung vom 29 Januar 2015 (2 AZR 280/14) deutlich gemacht, dass sich die schematische Anwendung des nach dieser Entscheidung vorzunehmenden Günstigkeitsvergleichs verbiete, ist dies unzutreffend. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass die Entscheidung lediglich offen lässt, ob der Günstigkeitsvergleich bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses durchzuführen ist oder erst beim Eintritt in die jeweilige Stufe des § 622 Abs. 2 BGB, die die Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist bedingt. Die insoweit offengelassene Rechtsfrage spielt hier jedoch keine Rolle, weil der Günstigkeitsvergleich unabhängig von ihrer Beantwortung hier dazu führt, dass der Arbeitsvertrag keine nach § 622 Abs. 5 zulässige, gegenüber der gesetzlichen Regelung längere Kündigungsfrist enthält.

2.

Eine von der arbeitsgerichtlichen Bewertung abweichende Bewertung ergibt sich auch nicht daraus, dass sich anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Sachverhalt die Unwirksamkeit der vertraglichen Kündigungsfrist hier zulasten der Klägerin als Arbeitnehmerin auswirkt.

a) Die insoweit im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltende Rechtslage, dass sich der Verwender nicht auf unwirksame vertragliche Klauseln berufen darf, gilt im Bereich einer entgegen § 622 Abs. 1,2 5 BGB unzulässig vereinbarten kürzeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist nicht ( BAG 29. Januar 2015 -2 AZR 280/14- BAGE 150,337). Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 622 Abs. 1,2, 5 BGB ist gemäß § 134 BGB die Nichtigkeit der getroffenen Regelung ( BAG 6. September 1989 -5 AZR 586/88 - Nr. 27 zu § 622 BGB; BAG 9. März 1972 -5 AZR 246/71- DB 1972,1245; LAG Baden-Württemberg 19. April 2002 -5 Sa 80/01- Juris). Die durch § 134 BGB ausgelöste Nichtigkeit ist absolut und kann von allen am Rechtsgeschäft Beteiligten, darüber hinaus sogar von jedermann, der in einem einschlägigen Verfahren beteiligt ist, geltend gemacht werden. ( BGH 11. Januar 2017 ‒ IV ZR 340/13 ‒ NJW-RR 2017, 410; MüKo-Armbrüster, § 134 BGB Rz. 191).

b) Dem Beklagten ist auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die Nichtigkeit der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist zu berufen. Zwar kann die Geltendmachung der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts treuwidrig sein, wenn sich der Vertragspartner damit zu seinem vorherigen Verhalten in Widerspruch setzt. Hiervon kann die Kammer vorliegend jedoch nicht ausgehen. Dabei kann offenbleiben, ob sich die Treuwidrigkeit aus dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium überhaupt aus dem Verhalten des Vertragspartners Dritten gegenüber ergeben kann. Dass der Beklagte speziell der Klägerin gegenüber auf die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist bestanden hat, behauptet diese selbst nicht. Soweit sie sich darauf beruft, eine Mitarbeiterin, die das Vertragsverhältnis vor ihr habe auflösen wollen, sei auf die vertragliche Regelung der Kündigungsfrist verwiesen worden, ist der Vortrag, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, unsubstantiiert. Insbesondere, nachdem der Beklagte dies bestritten und im Einzelnen vorgetragen hat, mit welchen Kündigungsdaten die Arbeitsverhältnisse der Zeugin A und der Zeugin B beendet worden sind, wäre die Klägerin gehalten gewesen, substantiierten Tatsachenvortrag zu der von ihr behaupteten abweichenden Vorgehensweise des Beklagten zu halten. Dies ist jedoch auch in der Berufungsinstanz nicht erfolgt. Ohne den erstinstanzlich gehaltenen Vortrag zu ergänzen, rügt die Klägerin lediglich, dass das Arbeitsgericht keine Zeugen vernommen habe. Eine derartige Beweisaufnahme verbot und verbietet sich daher unter dem Gesichtspunkt des Ausforschungsbeweises, selbst wenn man eine abweichende Verhaltensweise des Beklagten gegenüber anderen Arbeitnehmern vorliegend für erheblich hielte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97, 269 Abs. 3 ZPO.

IV.

Die Zulassung der Revision ist durch keinen der gesetzlich vorgesehenen Gründe veranlasst, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Vorschriften§ 622 Abs. 2 BGB, §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 64 Abs. 2 c) ArbGG, § 511 ZPO, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1, 3 ZPO, § 69 Abs. 2 ArbGG, § 622 Abs. 1, 2 BGB, 2, 5 BGB, § 134 BGB, § 242 BGB, §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97, 269 Abs. 3 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG