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Beschluss vom 12.07.2023 · IWW-Abrufnummer 237064

Landesarbeitsgericht Thüringen - Aktenzeichen 4 TaBV 31/22

1. Der Wahlvorstand hat sich so zu organisieren, dass er den Pflichten der unverzüglichen Prüfung von Wahlvorschlägen und unverzüglichen schriftlichen Benachrichtigung gem. § 7 Abs. 2 WahlO nachkommen kann. Für die Endphase der Einreichungsfrist heißt dies, dass er insbesondere die rechtzeitige Prüfung und Benachrichtigung i. S. v. § 7 Abs. 2 Wahlordnung abzusichern hat (Anschluss an LAG Hessen 21.12.1995 - 12 TaBVGa 195/95 , NZA-RR 1996, 461).

2. Schickt der Wahlvorstand eine*n Boten*Botin an eine*n Listenführer*in allein mit der Mitteilung, es liege ein Beanstandungsschreiben gem. § 7 Abs. 2 WahlO vor, welches sich diese*r abholen möge, verzögert er schuldhaft die Übermittlung dieses Schreibens, weil er es dem*der Boten*Botin schon hätte mitgeben können.


Tenor:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Gera vom 10.11.2022 - 5 BV 31/22 - wird abgeändert.

Die Betriebsratswahl vom 11.5.2022 im Betrieb der Beteiligten zu 8) ist unwirksam.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl vom 11./13.05.2022 im Betrieb der Beteiligten zu 8).

Die Beteiligte zu 8) betrieb in G... ein Unternehmen mit dem Gegenstand der Produktion, des Verkaufs und des Handels von Textilwaren, insbesondere der Erzeugung von Roh- und Bundgeweben aus Baumwolle sowie den Handel mit Waren aller Art. Zum Zeitpunkt der angefochtenen Wahl beschäftigte sie ca. 240 Arbeitnehmer*innen, darunter mehr als 25 Arbeitnehmer*innen syrischer Herkunft.

Die Beteiligten zu 1) bis 7) sind Arbeitnehmer*innen des Beteiligten zu 8); der Beteiligte zu 9) ist der aus der angefochtenen Wahl hervorgegangene Betriebsrat.

Es bestand ein Wahlvorstand aus drei Personen. Vorsitzende war Frau T... Z... Weitere Mitglieder waren U... H... und D... S..., für die Ersatzmitglieder, M... L... und A... K..., bestellt waren.

In der Sitzung vom 04.03.2022 beschloss der Wahlvorstand ein Wahlausschreiben, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf die als Anlage zur Antragsschrift gereichte Kopie hiervon (Bl. 11 bis 13 der Akte) Bezug genommen wird. Die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen war auf den 11.04.2022 bis 12:00 Uhr festgesetzt. Die Wahl sollte stattfinden am 11. und 13.05.2022.

Die Vorsitzende des Wahlvorstandes Frau Z... befand sich vom 06.04. bis einschließlich 08.04.2022 in B... in Ö... auf einer HR-Klausurtagung bei der Muttergesellschaft der Beteiligten zu 8).

Am Mittwoch den 06.04.2022 übergab der Zeuge M... B... einen Wahlvorschlag dem Wahlvorstandsmitglied H... Auf dem Wahlvorschlag war einer der Wahlbewerber, Herr R... H..., wieder gestrichen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Erscheinungsbildes und Inhalts dieses Wahlvorschlages wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 14 und 15 der Akte) Bezug genommen.

Die Prüfung der Wahlvorschläge fand statt am Montag den 11.04.2023.

An diesem Tag um ca. 09:25 Uhr informierte ein Wahlvorstandsmitglied, Herrn D... S..., den Zeugen B... darüber, dass der Wahlvorschlag beanstandet werde. Er solle sich zur Wahlvorstandsvorsitzenden in den Besprechungsraum 3 begeben. Der Zeuge B... kam dem nicht sofort nach, weil er sich in seiner Pause befand. Um ca. 10:30 Uhr suchte er das Büro der Wahlvorstandsvorsitzenden auf. Diese schickte ihn wieder fort, weil sie sich in einer Telefonkonferenz befand und bat ihn, um 11:00 Uhr nochmals zu ihr kommen. Um 11:19 Uhr teilte der Zeuge B... dann per E-Mail mit, dass die Wahlbewerber der Liste "Das Wir für alle" an den Wahlen zum Betriebsrat nicht mehr teilnehmen und bat darum, die Liste zu vernichten. Wegen des weiteren Inhalts dieser E-Mail wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 59 der Akte) Bezug genommen.

Im Nachgang hierzu mit E-Mails vom 14.4.2022 (Bl. 84 d.A.) und 19.04.2022 (Bl. 17 und 18 der Akte) versuchten der Zeuge B... und die Beteiligte zu 1) eine weitere Nachfrist für die Einreichung weiterer Vorschlagslisten zu erreichen, was mit E-Mail vom 20.4.2022 durch die Vorsitzende des Wahlvorstandes Frau Z... abgelehnt wurde.

Der Wahlvorstand gab bekannt, dass zwei Listen zur Wahl stünden, eine mit sechs Bewerbern und eine weitere mit einem Bewerber. Nach Durchführung der Wahl gab der Wahlvorstand am 19.05.2022 das Wahlergebnis bekannt. Wegen der Einzelheiten des Inhaltes dieser Mitteilung wird auf die zu den Akten gelangte Kopie hiervon (Bl. 19 der Akte) Bezug genommen.

Mit am 31.05.2022 eingegangenen Schriftsatz machten die Beteiligten zu 1) bis 7) die Unwirksamkeit der Wahl geltend und fochten diese an.

Sie sind der Ansicht gewesen, das Wahlausschreiben hätte auch in arabischer Sprache bekannt gemacht werden müssen oder sonst wie den nicht hinreichend der deutschen Sprache mächtigen syrisch stämmigen Arbeitnehmer*innen bekannt gegeben werden müssen. Da zum Ablauf der Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen nicht so viele Wahlbewerber angetreten seien, dass die nach der Staffel von § 9 BetrVG zu wählende Mitgliederzahl des Betriebsrats hätte erreicht werden können, hätte eine weitere Nachfrist gesetzt werden müssen. Schließlich sei die Gültigkeit des Wahlvorschlages der Liste "Das Wir für alle" nicht unverzüglich geprüft worden und die Anzeige der Mangelhaftigkeit mit der Möglichkeit der Fehlerbeseitigung nicht unverzüglich schriftlich dem Listenführer, dem Zeugen M... B..., mitgeteilt worden. Dies habe das Wahlergebnis beeinflussen können. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Wahlvorschlag noch rechtzeitig vor Fristablauf korrigiert worden wäre, wenn Prüfung und Mitteilung des Mangels noch am 7. oder 8.4.2022 vorgenommen worden wäre.

Die Beteiligten zu 1) bis 7) haben beantragt,

die Betriebsratswahl im Betrieb der ... für unwirksam zu erklären.

Die Beteiligten zu 8) und 9) haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Arbeitnehmer*innen syrischer Herkunft seien der deutschen Sprache hinreichend mächtig gewesen. Im Betrieb erfolgten sämtliche Konversation, sämtliche Hinweise und Arbeitsanweisungen und Sicherheitsanweisungen in deutscher Sprache. Es habe keinen Anhaltspunkt dafür gegeben, dass irgendwelche syrisch stämmigen Mitarbeiter*innen nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügten. Bereits bei den Vorstellungsgesprächen, die ausschließlich in deutscher Sprache geführt würden, werde dies bereits geprüft. Die nicht deutschen Mitarbeiter*innen verfügten in der Regel über ein Zertifikat der Sprachkenntnisse im Rahmen des europäischen Referenzrahmens von A2 oder B1.

Der Zeuge B... habe gewusst, dass es eine Nachfrist zur Heilung des Mangels seines Wahlvorschlages gegeben hätte. Er habe gleichwohl die Liste zurückgezogen. Somit bestehe hierin kein Anfechtungsgrund.

Mit Beschluss vom 10.11.2022 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses (S. 6 - 10 des Entscheidungsabdrucks - Bl. 101 - 104 der Akte) Bezug genommen.

Gegen diesen ihnen am 02.12.2022 zugestellten Beschluss haben die Beteiligten zu 1) bis 7) mit am 29.12.2022 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Diese haben sie mit am 02.03.2023 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Beschwerdebegründungsfrist auf den am 02.02.2023 eingegangenen Antrag hin mit Beschluss vom nächsten Tag bis zum 02.03.2023 verlängert worden war.

Sie sind weiterhin der Ansicht, dass ein Verstoß gegen § 2 Abs. 5 Wahlordnung vorliege, weil bei der Beteiligten zu 8) zahlreiche syrisch stämmige Mitarbeiter*innen beschäftigt gewesen seien, die der deutschen Sprache nicht so weit mächtig gewesen sein, dass sie den Inhalt des Wahlausschreibens zutreffend hätten erfassen können. Wegen des Tatsachenvortrages dazu wird auf das Vorbringen in der Beschwerdebegründung auf S. 2 - 10 (Bl. 142 - 150 der Akte) Bezug genommen. Sie sind der Ansicht sind, die Betriebsratswahl sei auch deshalb unwirksam, weil bis zum Schluss der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge nicht hinreichend viele Bewerber vorhanden gewesen seien, um die erforderliche Anzahl von Betriebsratsmitgliedern zu wählen. Auch in einem solchen Falle müsse eine Nachfrist gesetzt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten hierzu wird auf die S. 10 und 11 in der Beschwerdebegründung (Bl. 150 und Bl. 151 der Akte) Bezug genommen.

Ferner liege ein Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Wahlordnung vor. Der vom Zeugen B... eingereichte Wahlvorschlag "Das Wir für alle" sei nicht unverzüglich geprüft und nicht unverzüglich schriftlich beanstandet worden. Der Wahlvorstand habe keine Nachfrist zur Heilung des gerügten Mangels gesetzt. Wegen der Kürze der Zeit und der Mitteilung der Beanstandung erst am 11.04.2022 habe der Mangel nicht mehr geheilt werden können, weil einige Unterstützer des Wahlvorschlages des Zeugen M... B... zu diesem Zeitpunkt nicht im Betrieb gewesen seien. Da er keine Chancen mehr gesehen habe, noch eine gültige Liste zustande zu bringen, habe er um 11:19 Uhr die E-Mail mit dem Rückzug der Liste übersandt. Wäre ihm eine Nachfrist in Aussicht gestellt worden, hätte er die Liste nicht zurückgezogen.

Den Beteiligten zu 1) bis 7) beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Gera vom 10.11.2022, 5 BV 31/22, abzuändern und die Betriebsratswahl vom Mai 2022 im Betrieb der ... für unwirksam zu erklären.

Die Beteiligten zu 8) und 9) beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 9) behauptet, der Wahlvorstand sei davon ausgegangen und habe davon ausgehen können, dass die syrisch stämmigen Beschäftigten über ausreichende Sprachkenntnisse verfügten. Allein bestimmte Aufkleber auf Mülltonnen seien in arabischer Sprache verfasst. Die weitere Kommunikation im Betrieb des Beteiligten zu 8) finde auf Deutsch statt. Eine Nachfrist wegen zu wenig antretender Wahlbewerber habe nicht gesetzt werden müssen. Der Zeuge B... habe den Wahlvorschlag "Das Wir für alle" zurückgezogen.

Die Beteiligte zu 8) wiederholt und vertieft ihr Vorbringen zu den Sprachkenntnissen der syrisch stämmigen Beschäftigten. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf die S. 2 bis 4 der Beschwerdebeantwortung (Bl. 184 - 186 der Akte) Bezug genommen.

Der Wahlvorstand habe die im Wahlvorschlag "Das Wir für alle" unverzüglich geprüft und unverzüglich beanstandet. Da es sich bei der Prüfungsfrist weder um eine starre Höchst noch um eine Mindestfrist handele sei darauf abzustellen, ob die Prüfung zu einem früheren Zeitpunkt als den 11.04.2022 möglich gewesen sei. Das sei nicht der Fall gewesen. Hierzu vertritt die Beteiligte zu 8) die Rechtsansicht, bei der Prüfung von Wahlvorschlägen müssten immer mindestens drei Wahlvorstandsmitglieder anwesend sein, wovon alle durch Ersatzmitglieder vertreten werden könnten, nur nicht die Wahlvorstandsvorsitzende. Diese habe zwingend an der Präsenzsitzung zur Prüfung einer Vorschlagsliste teilzunehmen. Das folge auch daraus, dass diese das Protokoll der Sitzung unterschreiben müsse und eine Vertretung nicht zulässig sei.

Da wegen Ortsabwesenheit der Wahlvorstandsvorsitzenden in der Zeit vom 06. - 08.04.2022 eine Prüfung deshalb nicht habe stattfinden können, sei die Prüfung am Morgen des 11.04.2022 rechtzeitig gewesen. Um 08:00 Uhr habe sich der Wahlvorstand mit der Liste befasst und ein Schreiben vorbereitet, in welchem auf die Beanstandung hingewiesen worden und eine Nachfrist gesetzt worden sei.

Mit der Rücknahme des Wahlvorschlages habe sich dies erledigt.

Eine Nachfrist, weil zu wenig Wahlbewerber angetreten seien, habe nicht gesetzt werden müssen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 12.07.2023 über die Fragen wann und wie der Zeuge M... B... über die Beanstandungen seines Wahlvorschlages informiert wurde sowie die Motivation und die Hintergründe des Rückzuges der Liste durch Vernehmung des Zeugen M... B... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Niederschrift über die Anhörung vor der Kammer vom 12.07.2023.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 7) ist begründet.

Die am 11. und am 13.05.2022 durchgeführte Betriebsratswahl im Betrieb des Beteiligten zu 8) ist unwirksam, weil der Wahlvorstand gegen seine Prüfungspflicht aus § 7 Abs. 2 Wahlordnung verstoßen hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich dies auf das Ergebnis der Wahl ausgewirkt hat.

Mit den Beteiligten zu 1) bis 7) ist das Erfordernis der Mindestanzahl Anzufechtender (§ 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) erreicht. Die Wahlanfechtung ist rechtzeitig innerhalb der Frist von 2 Wochen vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an, beim Arbeitsgericht eingegangenen (§ 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG).

Das Wahlergebnis ist am 19.05.2022 bekannt gegeben. Die Anfechtung ging am 31.05.2022 beim Arbeitsgericht ein. Sie enthält das erkennbar konkrete Begehren die Betriebsratswahl vom Mai 2022 für unwirksam zu erklären und führt drei Gründe hierfür auf, die unabhängig davon, ob sie rechtlich im Ergebnis durchdringen, hinreichend deutlich die Beanstandungen der Anfechtenden deutlich machen und auch mit Tatsachen unterlegen.

Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl angefochten werden und wird für unwirksam erklärt, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden (1.), eine Berichtigung nicht erfolgt ist (2.) und nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Wahlergebnis bei Vermeidung des Verstoßes ein anderes gewesen wäre (3.). Soweit die Überzeugung der Kammer auf den Bekundungen des Zeugen B... beruht, besteht kein Anlass, dem Zeugen nicht zu glauben (4.).

Die Voraussetzungen sind hier erfüllt.

1. Der Wahlvorstand hat weder unverzüglich die Wahlvorschläge vor allem den eingehenden Wahlvorschlag "Das Wir für alle" geprüft (a) noch hat er nach erfolgter Prüfung seine Beanstandungen schriftlich mit Begründung den Listenführer übermittelt (b). Die Pflichten ergibt sich aus § 7 Abs. 2 der Wahlordnung. Dabei handelt es sich um eine wesentliche Wahlvorschrift, deren Verletzung eine Wahlanfechtung begründen kann (BAG 18.7.2012 - 7 ABR 21/11, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 62). Die Ermöglichung der Einreichung von Wahlvorschlägen und bei Fehlerhaftigkeit die Ermöglichung der Heilung heilbar Fehler ist genuin für eine Betriebsratswahl, weil nur bei ausreichend Wahlbewerbungen eine tatsächliche Auswahl für die Wähler möglich ist.

a) Nach § 7 Abs. 2 Wahlordnung hat die Prüfung der Wahlvorschläge auf Mängel unverzüglich zu erfolgen. Unverzüglich heißt ohne schuldhaftes Zögern. Die in der Vorschrift genannte Frist von zwei Arbeitstagen ist weder eine Regelfrist, noch eine Höchstfrist noch eine Frist die in jedem Falle ausgeschöpft werden kann.

Der Wahlvorstand hat die Prüfung schuldhaft verzögert.

Dabei kann offenbleiben, ob die Rechtsansicht des Beteiligten zu 8) zutreffend ist, auf jeden Fall müsse der*die Wahlvorstandsvorsitzende immer bei der Präsenzsitzung zur Prüfung der Wahlvorschläge dabei sein und es müssten immer mindestens 3 Wahlvorstandsmitglieder bei der Sitzung, in der die Prüfung der Wahlvorschläge stattfindet, anwesend sein. Es spricht zwar wesentlich mehr dafür, den Fall genauso zu behandeln wie die Beschlussfähigkeit des später zu wählenden Gremiums des Betriebsrats, in dem sich der*die Vorsitzende vertreten lassen kann, in dem das Gremium bestimmen kann, wer die Vertretung übernimmt wenn alle grundsätzlich zur Vertretung Berufenen weg sind, in denen Beschlussfähigkeit besteht, wenn mindestens mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend sind. Hierauf kommt es für die Entscheidungsfindung nicht entscheidend an, denn selbst zugunsten der Gültigkeit der Wahl die Richtigkeit der Rechtsansicht des Beteiligten zu 8) unterstellt, war hier die verzögerte Prüfung der Wahlvorschläge nicht unverschuldet.

Ob ein Wahlvorstand unverzüglich gehandelt hat, ist unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung zu beurteilen. Die Pflicht zur unverzüglichen Prüfung der Vorschlagslisten und zur unverzüglichen Unterrichtung des Listenvertreters über die Ungültigkeit der Liste dienen dazu, es den Einreichern der Liste zu ermöglichen, innerhalb der Einreichungsfrist eine gültige Vorschlagsliste nachzureichen. Diese Möglichkeit darf ihnen nicht durch eine verzögerte Behandlung durch den Wahlvorstand genommen werden. Der Wahlvorstand hat daher die ihm obliegende Prüfung grundsätzlich so rechtzeitig vorzunehmen, dass die Einreicher einer ungültigen Vorschlagsliste nach Möglichkeit noch die Gelegenheit erhalten, vor Ablauf der Einreichungsfrist eine gültige Vorschlagsliste einzureichen. Entsprechend dem Zweck des § 7 Abs. 2 Satz 2 Wahlordnung besteht eine Pflicht zur möglichst raschen Prüfung und Unterrichtung insbesondere dann, wenn der Ablauf der Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen unmittelbar bevorsteht. Am letzten Tag der Einreichungsfrist hat der Wahlvorstand Vorkehrungen zu treffen, um kurzfristig zusammenzutreten und eingehende Wahlvorschläge prüfen zu können (BAG 21.01.2009 - 7 ABR 65/07, NZA - RR 2009, 481; BAG 18.7.2012 - 7 ABR 21/11, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 62). Daraus folgt, dass der Wahlvorstand sich so zu organisieren hat, dass er diesen soeben beschriebenen Pflichten nachkommen kann. Für die Endphase der Einreichungsfrist heißt dies, dass er insbesondere die rechtzeitige Prüfung und Benachrichtigung i. S. v. § 7 Abs. 2 Wahlordnung abzusichern hat (vgl. LAG Hessen 21.12.1995 - 12 TaBVGa 195/95, NZA-RR 1996, 461).

Der Wahlvorstand ist seinen Organisationspflichten nicht nachgekommen. Wenn der Wahlvorstand selbst davon ausgeht, dass die Wahlvorstandsvorsitzende auf jeden Fall bei der Prüfung der Wahlvorschläge dabei sein müsse, entspricht es nicht der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, dass die Wahlvorstandsvorsitzende ausgerechnet in der Endphase, nämlich in den letzten drei Tagen vor Ablauf des Tages der Einreichungsfrist überhaupt nicht vor Ort ist, sondern einer beruflichen Tätigkeit im Ausland nachgeht. Insofern hätte es der Wahlvorstandsvorsitzenden oblegen zu versuchen, die Wahlvorstandsarbeit ihrer anderen Tätigkeit vorzuziehen oder aber, da die Prüfung nach § 7 Abs. 2 Wahlordnung in Präsenz stattfinden musste, den Versuch zu unternehmen, an der auswärtigen Arbeitstagung eventuell per Videozuschaltung teilzunehmen. Es hätte jedenfalls mehrere Möglichkeiten gegeben, sich als Wahlvorstand so zu organisieren, dass die Prüfung durchführbar gewesen wäre, selbst unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Beteiligten zu 8), dass unbedingt die Präsenz der Wahlvorstandsvorsitzenden hätte gegeben sein müssen.

Folgt man der Rechtsauffassung der Beteiligten zu 8) nicht, wäre die Prüfung der Wahlvorschläge ebenso nicht unverzüglich und die Benachrichtigung des Listenführers nicht unverzüglichen, weil dann die beiden vorhandenen Wahlvorstandsmitglieder gegebenenfalls vertreten durch die Ersatzmitglieder die Prüfung hätten unschwer vornehmen und reagieren können.

Im Ergebnis kommt es auf diesen Umstand nicht an, denn die Wahl wäre auch aus anderem Grund unwirksam (dazu unten 1.b) sowie 3.b)).

b) Der Wahlvorstand hat am 11.04.2022 gegen seine Pflicht verstoßen, nach Feststellung der Ungültigkeit des eingereichten Wahlvorschlages, den Listenführer schriftlich unter Mitteilung der Gründe die Beanstandung mitzuteilen. Laut Vortrag der Beteiligten zu 8) hat der Wahlvorstand schon um 08:00 Uhr morgens die Beanstandung festgestellt und das Informationsschreiben gefertigt. Dieses ist unstreitig tatsächlich nie dem Listenführer ausgehändigt worden.

Die Hergabe dieses Schreibens hat der Wahlvorstand zunächst mindestens grob fahrlässig, wenn nicht vorsätzlich verzögert und sodann unterlassen. Es ist überhaupt nicht einleuchtend,

warum zunächst ein Wahlvorstandsmitglied als Bote zum Listenführer geschickt wird, um diesen mitzuteilen, er solle sich das Schreiben abholen. Wenn die Vorsitzende sich eines Boten bedient, warum nicht gleich zur Übermittlung des Schreibens? Es wäre geboten gewesen, dem Listenführer B... das Schreiben so schnell wie möglich zu übermitteln. Wenn dies die Wahlvorstandsvorsitzende nicht selbst konnte, hätte sie das Schreiben dem Wahlvorstandsmitglied S... als Boten mitgeben können und in dem Fall müssen. Den Boten allein mit der Nachricht zu senden, das Schreiben sei abholbar, ist eine unschwer vermeidbare Verzögerung der Zustellung dieses Schreibens. Es war auch erkennbar, dass sich durch diese unnötig komplizierte Verfahrensweise die Übermittlung des Schreibens verzögert. Noch unverständlicher ist, dass sich die Wahlvorstandsvorsitzende, nachdem der Listenführer bei Ihr aufscheint, diesen lediglich mitteilte, er möge später wiederkommen anstatt ihn wenigstens nunmehr kurz das Schreiben auszuhändigen. Es ist nichts ersichtlich, weshalb sie die Teilnahme an der Telefonkonferenz nicht kurz hätte unterbrechen können, um das Schreiben auszuhändigen.

2. Beide Fehler sind nicht berichtigt worden. Beim Unterlassen der unverzüglichen Prüfung liegt das in der Natur des Fehlers, weil die erforderliche Handlung zeitgebunden war und mit Zeitablauf nicht korrigierbar. Die fehlende Übergabe des Schreibens, Zeit dafür war von kurz nach 8 Uhr bis mindestens 11:19 Uhr, dem Zeitpunkt des Rückzugs des Wahlvorschlages, ist nicht nachgeholt worden.

3. Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist die Kammer der Überzeugung, dass sich beide Fehler auf das Wahlergebnis hätten auswirken können. Jedenfalls kann nicht mit der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sich die Verstöße nicht ausgewirkt haben.

Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten (BAG 18.7.2012 - 7 ABR 21/11, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 62; LAG Thüringen 10.10.2018 - 6 TaBV 11/17, juris). Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt (dazu BAG 18.7.2012 - 7 ABR 21/11, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 62; LAG Thüringen 10.10.2018 - 6 TaBV 11/17, juris), dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (BAG 21.1.2009, 7 ABR 65/07 mwN; BAG 18.7.2012 - 7 ABR 21/11, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 62; LAG Thüringen 10.10.2018 - 6 TaBV 11/17, juris).

Bei dieser konkreten Feststellung ist für die Überzeugungsbildung des Gerichts der Maßstab des § 286 Abs. 1 ZPO entscheidend. Das Gericht kann sich mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (LAG Thüringen 10.10.2018 - 6 TaBV 11/17, juris)

Danach gilt hier:

a) Es ist nicht feststellbar, dass der Wahlvorschlag "Das Wir für Alle" auch bei früherer Prüfung und Bekanntgabe der Beanstandung, etwa schon am 06.04.; 07.04. oder 8.4.2022, zurückgezogen worden wäre. Einerseits wäre es dem Listenführer B... dem eigenen Bekunden nach noch leichter möglich gewesen, den Mangel zu heilen. Das ergibt sich aus seinen Ausführungen dazu, dass es verschiedene Schichten bei der Beteiligten zu 8) gegeben habe und in der Woche vor dem 11.04.2022 die Unterstützer*innen seiner Liste besser als in der Woche danach für ihn erreichbar gewesen wären. Andererseits wäre bei dieser Sachverhaltsgestaltung auch nicht das Gefühl der Bewerber*innen entstanden, eine aus Sicht anderer möglicherweise unzulässige Sonderbehandlung zu ihren Gunsten zu erfahren. Dies war nach dem Bekunden des Zeugen ein wesentlicher Grund für den Rückzug der Liste.

Die Kammer hat dabei in ihrer Entscheidungsfindung das tatsächliche Verhalten und die tatsächliche Motivation der Bewerber der Liste "Das Wir für alle" zugrunde zu legen und nicht das Verhalten, welches mit der Betriebsverfassung und der Wahlordnung Vertraute für sinnvoll gehalten hätten.

Es lässt sich auch nicht feststellen, dass es nicht gelungen wäre, den Mangel des Wahlvorschlages zu heilen.

b) Es ist nicht feststellbar, dass der Wahlvorschlag "Das Wir für Alle" auch bei rechtzeitiger schriftlicher Bekanntgabe der Beanstandung am 11.4.2022 zurückgezogen worden wäre und die Bewerber*innen nicht erfolgreich eine Nachfrist zur Heilung des Mangels hätten nutzen können. Es spricht im Gegenteil viel dafür, dass die fehlende exakte schriftliche Benachrichtigung gem. § 7 Abs. 2 WahlO ursächlich für den Rückzug der Liste und Unterlassen des Versuchs der Mängelbeseitigung innerhalb der zusetzenden Nachfrist war.

Der Zeuge B... hat hinreichend deutlich bekundet, warum die Wahlbewerber seiner Liste sich am 11.04.2022 entschlossen hatte, ihren Wahlvorschlag nicht weiter zu verfolgen. Die Bewerber*innen dieser Liste wollten kein Gerede im Betrieb darüber, dass ihnen eine Sonderbehandlung zuteilwürde. Offenbar lag hier ein Fehlverständnis der Beanstandung und der möglichen Nachfrist vor. Das machen die weiteren Bekundungen des Zeugen deutlich, der auch die Länge der Nachfrist nach wie vor immer wieder auch unzutreffend wiedergab. Offenbar war der Eindruck entstanden, es sei eine Besonderheit und eine Sonderbehandlung, die nun wiederum von anderen als ungerecht empfunden werden könnte, wenn eine Nachfrist zur Behebung des Mangels gegeben werde. Die Bewerber der dann zurückgezogenen Liste wollten sich dies nicht nachsagen lassen. Das ergibt sich zwanglos aus der Bewertung der Bekundungen des Zeugen B...

Die Kammer hat auch diesbezüglich ihrer Entscheidungsfindung das tatsächliche Verhalten und die tatsächliche Motivation der Bewerber der Liste "Das Wir für alle" zugrunde zu legen und nicht das Verhalten, welches mit der Betriebsverfassung und der Wahlordnung Vertraute für sinnvoll gehalten hätten.

Dieses wäre vermeidbar gewesen, wenn die Beanstandungen schriftlich, so wie von der Wahlordnung vorgesehen, vorgelegt worden wäre. Das Schreiben ist von der Beteiligten zu 8) vorgelegt worden (Bl. 191 und 192 der Akte).

Dieses Schreiben ist hinreichend deutlich vom Inhalt her und wesentlich besser geeignet, als eine mündliche Mitteilung des hierzu offenbar nicht instruierten Wahlvorstandsmitglieds S... Nicht umsonst verlangt die Wahlordnung eine schriftliche begründete Mitteilung.

Das ergibt sich auch aus dem unstreitigen Vorgängen nach Ablauf der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge. Nachdem die Bewerber*innen sich selbst kundig gemacht haben, versuchten sie noch einmal eine Nachfrist zur Heilung des Mangels des Wahlvorschlages zu bekommen. Das ergibt sich aus den E-Mails vom 14.4.2022 (Bl. 84 d.A.) und 19.04.2022 (Bl. 17/18 d.A.) und aus den entsprechenden Bekundungen des Zeugen B... Dieser hat bekundet, dass ihm zunächst am 11.4.2022 nichts Konkretes über den Mangel und nichts über die Nachfrist gesagt worden sei. Erst auf Nachfrage bei einem anderen Mitglied des Wahlvorstandes H..., habe diese die Nachfrist erwähnt (Seite 3. Protokoll der Anhörung - Bl. 205 d.A. 4. und 6. Druckabschnitt). An späterer Stelle hat der Zeuge hinzugefügt (Seite 5 Protokoll der Anhörung - Bl. 206 d.A. 2. Abschnitt), dass sie unsicher gewesen seien wegen der Nachfrist, weil sie kein Schriftstück in der Hand hatten. Demnach war Unsicherheit und Unkenntnis der maßgebliche Grund für die Aufgabe der Bewerber*innen der Liste "Das WIR für Alle". Es ist wahrscheinlich, dass eine wie von der Wahlordnung vorgesehene schriftliche Benachrichtigung diese Unsicherheit und Unkenntnis beseitigt hätte. Jedenfalls lässt sich das Gegenteil nicht feststellen.

4. Die Kammer hat keinerlei Anlass an den Bekundungen des Zeugen B... zu zweifeln. Diese decken sich mit außerhalb der Aussage feststehenden Umständen. So trifft es zu, dass die Benachrichtigung durch den Zeugen S... um ca. 09:25 Uhr in der Pause des Zeugen stattgefunden hat. Dies hat auch der Zeuge so bekundet und die Beteiligte zu 8) so geschildert. Der Zeuge B... hat auch im Übrigen das Vorbringen der Beteiligten zu 8) hierzu bestätigt. Auch soweit der Zeuge Tatsachen bekundet hat, die seine Unkenntnis von den Verfahrensabläufen und den Fristen bei einer Betriebsratswahl offenbaren, war er ganz offen und ehrlich. Er hat nicht versucht, eigene Unzulänglichkeiten diesbezüglich zu verhehlen. Er hat ferner ganz offen und ehrlich über seine Auseinandersetzung im Nachgang mit dem Wahlvorstandsmitglied S... gesprochen und hierbei auch die persönlichen Animositäten nicht versucht zu verdecken. Alles das spricht für Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit.

Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand nicht. Die Kammer hat sich schlicht an die Vorgaben aus der Rechtsprechung des BAG vom 21.01.2009 gehalten und den Auftrag wahrgenommen, im Einzelfall aufgrund der Besonderheiten zu prüfen und sich daraus eine Überzeugung gebildet.

Auch der Hinweis darauf, dass die Rechtsprechung schon betagt sei, führt nicht zu einer Zulassung der Rechtsbeschwerde, denn die Rechtslage selber hat sich in diesem Punkt seitdem nichts geändert und es besteht auch kein Anlass, das Bundesarbeitsgericht in regelmäßigen Abständen zur Überprüfung seiner eigenen Rechtsprechung veranlassen zu wollen, wenn nicht gewichtige Gründe dafürsprechen, von dieser abweichen zu wollen. Das ist nicht der Fall.

Vorschriften§ 9 BetrVG, § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, § 19 Abs. 1 BetrVG, § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG, § 286 Abs. 1 ZPO