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Urteil vom 23.05.2023 · IWW-Abrufnummer 237145

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 4 Sa 760/22

Eine tarifvertragliche Regelung vom 01.01.2007, nach der das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats endet, in dem der Mitarbeiter das 65. Lebensjahr vollendet, ist so auszulegen, dass die Tarifvertragsparteien auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abstellen wollten.


Tenor: 1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.09.2022 - 14 Ca 1887/22 - wird zurückgewiesen. 2) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger. 3) Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer tarifvertraglichen Altersgrenzenregelung aufgelöst worden ist.

Der am 1956 geborene Kläger ist seit dem 01.01.1986 bei der Beklagten als Service Professional II beschäftigt. Das Monatsgehalt beträgt 3.400,09 Euro brutto. Nach Ziff. 3 Satz 1 des Arbeitsvertrags vom 27.11.1985 ergeben sich die Rechte und Pflichten des Mitarbeiters aus den jeweils gültigen Tarifverträgen, den Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der Beklagten.

Im Unternehmen der Beklagte gilt u.a. ein Manteltarifvertrag für das Bodenpersonal vom 01.01.2007 (im Folgenden: MTV Boden), unter dessen Geltungsbereich der Kläger fällt. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 MTV Boden endet das Arbeitsverhältnis, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter das 65. Lebensjahr vollendet.

Die Parteien setzten das Arbeitsverhältnis über den 30.06.2021, also über das Ende des Monats, in dem der Kläger sein 65. Lebensjahr vollendete, hinaus fort.

Auf einen Urlaubsantrag des Klägers mit E-Mail vom 10.11.2021 hin bewilligte die Abteilung Urlaubsplanung FRA L/GPR der Beklagten dem Kläger Urlaub für das Kalenderjahr 2022 auch für die Zeit nach dem 30.04.2022.

Mit Schreiben vom 03.02.2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass mit dessen Renteneintritt zum 01.05.2022 die Beschäftigungszeit bei der Beklagten zu Ende gehen werde.

Daraufhin bat der Kläger, u.a. mit E-Mail vom 23.03.2022, um Weiterbeschäftigung über das Regelalter hinaus bis zum Erreichen des 67. Lebensjahres, da es ihm aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit sehr schwer falle, Abschied zu nehmen.

Die Beklagte lehnte dies mit E-Mail vom 25.03.2022 ab.

Ab dem 01.05.2022 war der Kläger aufgrund der für ihn maßgeblichen Regelaltersgrenze von 65 Jahren und 10 Monaten rentenberechtigt in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass das Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf des 30.04.2022 beendet worden sei. Für die tarifvertragliche Altersbefristung fehle ein Sachgrund im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG. Sofern mit der Regelung des § 39 Abs. 1 MTV Boden zum Ausdruck gebracht werden solle, dass das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung mit Ablauf des Monats ende, in dem der Kläger die gesetzliche Regelaltersgrenze erreiche, genüge sie als Allgemeine Geschäftsbedingung nicht dem Bestimmtheitsgebot und sei als intransparente Klausel gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Dadurch, dass die Parteien das Arbeitsverhältnis über den Monat Juni 2021 hinaus fortgesetzt hätten, hätten sie die vereinbarte Altersbefristung abbedungen. Der Kläger hat mit "Nicht-Mehr-Wissen" bestritten, dass der vorliegende Arbeitsvertrag der Schriftform gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG genüge. Er könne sich heute nicht mehr daran erinnern, ob die Vertragsurkunde von beiden Parteien eigenhändig unterzeichnet worden sei. Das zur Akte gereichte Dokument liege ihm lediglich als Abschrift vor. Zumindest sei die Befristung infolge eines Verstoßes gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB rechtsunwirksam. Aufgrund seiner weiteren Beschäftigung über den 30.06.2021 hinaus sowie aufgrund der Urlaubsbewilligung über den 30.04.2022 hinaus sei ein schutzwürdiges Vertrauen erzeugt worden, sein Arbeitsverhältnis würde auf unbestimmte Zeit fortbestehen. Das schutzwürdige Vertrauen des Klägers in die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit wiege umso schwerer, als die Beklagte ihn erst mit Schreiben vom 03.02.2022 gerade einmal drei Monate vor Ablauf des Befristungszeitraumes über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30.04.2022 informiert habe, wobei aufgrund der Betriebszugehörigkeit des Klägers seit dem 01.01.1986 eine Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats maßgeblich sei.

Mit seiner am 13.04.2022 beim Arbeitsgericht eingereichten und der Beklagten am 22.04.2022 zugestellten Klage hat der Kläger sich gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aufgrund Altersbefristung gewendet.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der im Manteltarifvertrag für das Bodenpersonal vom 01.01.2007 nach § 39 Abs. 1 vereinbarten Altersbefristung zum 30.04.2022 aufgelöst ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass die tarifliche Altersbefristung wirksam sei und ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht vorliege. Die zuständigen Mitarbeiter der Abteilung Urlaubsplanung FRA L/GPR hätten jedenfalls zum Zeitpunkt der Urlaubsplanung keine Kenntnis von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum 30.04.2022 aufgrund Erreichens der Regelaltersgrenze gehabt. Es sei auch nicht Aufgabe der Mitarbeiter der Abteilung Urlaubsplanung FRA L/GPR, dies zu prüfen. Dass sie, die Beklagte, den Kläger erst rund drei Monate vor Erreichen der Regelaltersrente über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses informiert habe, sei ebenfalls nicht als treuwidrig zu betrachten. Sie hat weiter behauptet, der Arbeitsvertrag sei von beiden Parteien unterzeichnet worden.

Mit Urteil vom 22.09.2022 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung:

Die zulässige Klage sei unbegründet. Das Arbeitsverhältnis sei aufgrund Erreichens der Regelaltersgrenze mit Ablauf des 30.04.2022 nach § 39 Absatz 1 Satz 1 MTV Boden beendet worden. Nach sachgerechter Auslegung sei die tarifvertragliche Regelung so zu verstehen, dass das Arbeitsverhältnis sein Ende finden solle, sobald der Mitarbeiter die Regelaltersgrenze für den Bezug einer Rente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht habe. Bei der Abfassung des MTV Boden habe es aus damaliger Sicht noch keine Veranlassung zu einer abweichenden Formulierung gegeben. Die tarifvertragliche Regelung halte auch einer gerichtlichen Befristungskontrolle stand, da eine mit der Vollendung des 65. Lebensjahres verknüpfte Altersgrenzenregelung in Kollektivnormen die Befristung des Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertige. Ein Verstoß gegen § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB liege nicht vor, da eine AGB-Kontrolle bei Tarifverträgen nicht stattfinde. Die Parteien hätten die tarifvertragliche Regelung auch nicht dadurch abbedungen, dass der Kläger nach Vollendung des 65. Lebensjahres weiter beschäftigt worden sei. Damit sei allein die durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz erfolgte Anhebung des Renteneintrittsalters des Klägers um 10 Monate nachvollzogen worden. Die Befristung sei auch nicht deswegen unwirksam, weil die Schriftform nach § 14 Absatz 4 TzBfG nicht eingehalten worden sei. Zum einen sei eine Befristung zum Abschluss des Vertrages noch formfrei möglich gewesen. Zum anderen gelte § 14 Absatz 4 TzBfG nicht, wenn das Arbeitsverhältnis - wie hier - durch Bezugnahme im Arbeitsvertrag insgesamt den Bedingungen eines einschlägigen Tarifvertrages, der eine Befristung vorsehe, unterstellt werde. Zuletzt sei die Schriftform auch eingehalten worden. Ein Verstoß gegen § 242 BGB liege nicht vor. Die Beklagte habe keine Sach- oder Rechtslage geschaffen, aufgrund derer der Kläger habe annehmen dürfen, sein Arbeitsverhältnis werde nicht mit Erreichen der Regelaltersgrenze für den Rentenbezug in der gesetzlichen Rentenversicherung enden. Dies gelte sowohl für die Weiterbeschäftigung über den 30.06.2021 hinaus als auch für den Umstand, dass dem Kläger Urlaub für die Zeit nach dem 30.04.2022 bewilligt worden sei. Es habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Mitarbeiter der Abteilung Urlaubsplanung eine Prüfung im Hinblick auf den Renteneintritt und die dadurch bedingte Beendigung des klägerischen Arbeitsverhältnisses vornehmen würden. Zuletzt sei ohne Belang, dass die Beklagte erstmals mit Schreiben vom 03.02.2022 über die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2022 informiert habe.

Gegen das dem Kläger am 05.10.2022 zugestellte Urteil richtet sich dessen am 04.11.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die er am 02.02.2023 innerhalb der bis zum 05.02.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:

Das Arbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung vollkommen außer Acht gelassen, dass die Beklagte den Kläger nicht nur über das 65. Lebensjahr hinaus beschäftigt habe, sondern darüber hinaus noch kurz zuvor im Monat November 2021 Urlaub für das Kalenderjahr 2022 auch nach dem streitgegenständlichen Befristungsende bewilligt habe. Jedenfalls die Gesamtheit dieser kumulierten Umstände hätte dazu geführt, dass der Kläger auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses habe vertrauen dürfen. Im Übrigen werde mit Nichtwissen bestritten, dass die zuständigen Mitarbeiter der Abteilung Urlaubsplanung keine Kenntnis von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehabt hätten. Ferner sei unberücksichtigt geblieben, dass die Beklagte den Kläger erstmalig mit Schreiben vom 03.02.2022 und damit gerade einmal 3 Monate vor dem streitgegenständlichen Befristungsende über die Beendigung informiert habe. Dass die Beklagte damit die 7monatige Kündigungsfrist nicht eingehalten habe, hätte berücksichtigt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.09.2022, Az. 14 Ca 1887/22, abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der im Manteltarifvertrag für das Bodenpersonal vom 01.01.2007 nach § 39 Abs. 1 vereinbarten Altersbefristung zum 30.04.2022 aufgelöst ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Eine Weiterbeschäftigung sei dem Kläger von seinen disziplinarischen Vorgesetzten nicht in Aussicht gestellt worden, so dass ein Vertrauenstatbestand ausscheide. Das Arbeitsgericht habe nicht außer Acht gelassen, dass der Kläger über das 65. Lebensjahr hinaus beschäftigt und ihm zunächst Urlaub über den 30.04.2022 hinaus gewährt worden sei. Beide Aspekte seien vollumfänglich in die rechtliche Würdigung des Gerichts einbezogen worden. Richtigerweise habe das Gericht eine Auslegung dahingehend vorgenommen, dass eine Befristung auf den Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze vereinbart worden sei und ein Erfordernis, den Kläger früher über die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu informieren, nicht bestanden habe.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die ausweislich der Sitzungsprotokolle abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I) Die Berufung des Klägers ist an sich statthaft (§ 64 Absatz 1, Absatz 2 lit. c) ArbGG) und nach den §§ 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 519 ZPO am 04.11.2022 gegen das am 05.10.2022 zugestellte Urteil form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der bis zum 05.02.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 02.02.2023 ordnungsgemäß begründet worden. Sie ist damit insgesamt zulässig.

II) Die Berufung ist nicht begründet. Richtigerweise und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die zulässige Klage als unbegründet abgewiesen. Insbesondere hat das Arbeitsgericht keinen einzigen Aspekt, den der Kläger eingebracht hat, übersehen oder falsch bewertet. Es wurden sämtliche Einwendungen überzeugend und ausführlich geprüft und korrekt gewürdigt, so dass es kaum möglich ist, weitere Elemente heranzuziehen, um das gefundene - richtige - Ergebnis zu untermauern.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aufgrund Erreichens der Regelaltersgrenze durch den Kläger mit Ablauf des 30.04.2022 nach § 39 Abs. 1 Satz 1 MTV Boden beendet worden.

1) Der MTV Boden findet aufgrund der individualvertraglichen Bezugnahme in Ziff. 3 Satz 1 des Arbeitsvertrags vom 27.11.1985 auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.

2) Nach sachgerechter Auslegung von § 39 Abs. 1 Satz 1 MTV Boden endet das Arbeitsverhältnis der Parteien, sobald der Mitarbeiter die Regelaltersgrenze für den Bezug einer Rente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht hat. Dies war beim Kläger mit Ablauf des 30.04.2022 der Fall.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebende Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG vom 20.07.2022, 7 AZR 247/21; BAG vom 23.07.2019, 9 AZR 475/18; BAG vom 19.09.2007, 4 AZR 670/06).

Danach kann das Tatbestandsmerkmal "Vollendung des 65. Lebensjahres" in § 39 Abs. 1 Satz 1 MTV Boden nur als Beschreibung des Zeitpunkts verstanden werden, in dem der Mitarbeiter nach seinem Lebensalter zum Bezug einer Regelaltersrente berechtigt ist (BAG vom 09.12.2015, 7 AZR 68/14). Richtigerweise weist das Arbeitsgericht darauf hin, dass das Regelrentenalter seit dem 01.01.1916 - und daher auch bei Abschluss des streitgegenständlichen Tarifvertrags am 01.01.2007 - bei den in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Beschäftigten mit der Vollendung des 65. Lebensjahres erreicht war. Die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters erfolgte erst durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.04.2007. Bei der Abfassung des MTV Boden gab es aus damaliger Sicht keine Veranlassung zu einer abweichenden Formulierung, wenn an die in der Sozialversicherung geltende Altersgrenze von 65 Jahren angeknüpft werden sollte. Dass die Tarifvertragsparteien einen anderen Willen hatten, ist weder ersichtlich noch vom Kläger nachvollziehbar vorgetragen. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass die Tarifvertragsparteien im Jahr 2007 mit dem Verweis auf die Erreichung des 65. Lebensjahres auf das zu diesem Zeitpunkt seit 1916 unverändert gebliebene Regelrentenalter abstellen wollten.

3) Aus diesem Grunde ist es rechtlich nicht relevant, dass der Kläger über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus weiterbeschäftigt worden ist. Wenn - wie dargestellt - die tarifvertragliche Regelung richtigerweise dergestalt auszulegen ist, dass sie erst bei Erreichung des jeweiligen Regelrentenalters greift, kann eine Weiterbeschäftigung eben bis zu diesem Zeitpunkt konsequenterweise nicht die Wirkung entfalten, die der Kläger darin sieht. Die Parteien wollten damit lediglich das umsetzen, was nach korrekter Auslegung ohnehin schon galt. Ein Erklärungswert dahingehend, dass für den Kläger keine Altersgrenze mehr gelten sollte, kommt dem nicht zu.

4) Die tarifvertragliche Altersgrenze des § 39 Abs. 1 Satz 1 MTV Boden hält der gerichtlichen Befristungskontrolle stand.

Tarifliche Regelungen über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund von Befristungen unterliegen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle. Diese bedürfen zu ihrer Wirksamkeit eines sie rechtfertigenden Sachgrundes im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG (BAG vom 08.12.2010, 7 AZR 438/09; BAG vom 27.11.2002, 7 AZR 655/01) Bei dieser Prüfung ist jedoch die den Tarifvertragsparteien zustehende Einschätzungsprärogative zu respektieren. Diese ist nur überschritten, wenn für die getroffene Regelung plausible, einleuchtende Gründe nicht erkennbar sind (BAG vom 21.09.2011, 7 AZR 134/10)

Eine in einem Tarifvertrag enthaltene Befristung des Arbeitsverhältnisses auf den Zeitpunkt des Erreichens des Regelrentenalters ist bei Abwägung beidseitiger Interessen sachlich gerechtfertigt im Sinne des § 14 Absatz 1 Satz 1 TzBfG, wenn der Arbeitnehmer nach dem Vertragsinhalt und der Vertragsdauer eine Altersversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben kann (BAG vom 18.06.2008, 7 AZR 116/07). Eine derartige Befristungsvereinbarung, die an das Erreichen des Renteneintrittsalters anknüpft, ist in der Regel sachlich gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer durch den Bezug einer gesetzlichen Altersrente abgesichert ist. Eine solche Befristungsvereinbarung verstößt auch nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung (BAG vom 09.12.2015, 7 AZR 68/14). Dies ist dadurch zu begründen, dass die privatautonome Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Erreichens einer vereinbarten Altersgrenze verfassungsrechtlich nur dann zu rechtfertigen ist, wenn an die Stelle der Arbeitsvergütung der dauerhafte Bezug von Leistungen aus einer Altersversorgung tritt. Die Anbindung an eine rentenrechtliche Versorgung bei Ausscheiden durch eine Altersgrenze ist damit Bestandteil des Sachgrunds (BAG vom 18.06.2008, 7 AZR 116/07).

So verhielt es sich hier:

Der Kläger hatte mit Ablauf des 30.04.2022 - mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses - das Regelrentenalter erreicht. Er war damit ausreichend wirtschaftlich abgesichert. Dem Verlangen der Beklagten nach einer berechenbaren Personal- und Nachwuchsplanung war damit der Vorzug zu geben vor dem Begehren des wirtschaftlich abgesicherten Klägers an einer Weiterbeschäftigung. Plausible, einleuchtende Gründe lagen mithin vor. Die tarifvertragliche Klausel ist damit nach soeben dargestellten Grundsätzen wirksam, da eine sachliche Rechtfertigung für die Befristung anzunehmen war.

5) § 39 Abs. 1 Satz 1 MTV Boden ist nicht deswegen unwirksam, weil die Regelung als Allgemeine Geschäftsbedingung nicht dem Bestimmtheitsgebot genügen würde und/oder als intransparent im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zu qualifizieren sei.

Eine Kontrolle von Tarifverträgen nach Maßgabe des AGB-Rechts findet nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht statt. Auch eine Inhaltskontrolle von arbeitsvertraglich insgesamt in Bezug genommenen Tarifverträgen erfolgt nicht, weil sie nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur stattfindet, wenn von Rechtsvorschriften abgewichen wird. Tarifverträge stehen nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB gleich. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, aufgrund welcher Regelungstechnik der betreffende Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden ist. Voraussetzung ist, dass der Tarifvertrag das Arbeitsverhältnis in seinem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich erfasst (BAG vom 03.07.2019, 10 AZR 300/18). So verhielt es sich hier. Der MTV Boden wurde als Tarifvertrag insgesamt nach Ziff. 3 Satz 1 des Arbeitsvertrags in Bezug genommen. Dass der MTV Boden das Arbeitsverhältnis des Klägers von seinem Geltungsbereich her umfasst, ist zwischen den Parteien unstreitig.

6) Die Befristung ist auch nicht deswegen unwirksam, weil sie die Schriftform nach § 14 Abs. 4 TzBfG nicht einhalten würde. Dieser Einwand wurde vom Arbeitsgericht richtigerweise aus 3 Gründen abgelehnt und nunmehr im Rahmen der Berufungsbegründung vom Kläger ausdrücklich auch nicht mehr weiter verfolgt. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 27.11.1985 konnten Befristungen noch formfrei, d.h. auch mündlich, vereinbart werden. § 14 Abs. 4 TzBfG kommt zudem nicht zur Anwendung, wenn das Arbeitsverhältnis - wie hier - durch Bezugnahme im Arbeitsvertrag insgesamt den Bedingungen eines einschlägigen Tarifvertrages unterstellt wird, der eine Befristung oder auflösende Bedingung vorsieht (BAG vom 23.07.2014, 7 AZR 771/12). Der Arbeitsvertrag vom 27.11.1985 wahrt darüber hinaus die Schriftform.

7) Die Befristung ist auch nicht aufgrund von § 242 BGB unwirksam.

Nach § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Nicht nur die Begründung und Erweiterung von Pflichten und die dadurch bedingte Ausweitung von Rechten, sondern auch eine entgegengesetzte Wirkung, die Einschränkung von Rechten, kann nach Treu und Glauben geboten sein. Widersprüchliches Verhalten ist der klassische Fall unzulässiger Rechtsausübung. Wenn der Berechtigte durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten bewusst oder unbewusst eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und auch verlassen und ggf. darauf basierend bereits Dispositionen getroffen hat, so darf dieser in seinem Vertrauen nicht enttäuscht werden (BGH vom 16.03.2017, I ZR 39/15).

Ein solcher Fall lag hier jedoch nicht vor:

Die Beklagte hat keine Sach- oder Rechtslage geschaffen, aufgrund derer der Kläger annehmen durfte, sein Arbeitsverhältnis werde nicht mit Erreichen der Regelaltersgrenze für den Rentenbezug in der gesetzlichen Rentenversicherung enden.

Die Beschäftigung über den 30.06.2021 hinaus kann keinen Vertrauenstatbestand schaffen, sondern stellt allein die konsequente Orientierung an der korrekten Auslegung des § 39 Abs. 1 Satz 1 MTV Boden dar. Dies wurde bereits ausgeführt und erläutert.

Gleiches gilt für die Urlaubsbewilligung für Zeiten nach dem 30.04.2022. Dabei ist es irrelevant, ob die Mitarbeiter der Abteilung Urlaubsplanung Kenntnis davon hatten, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Ablauf des 30.04.2022 sein Ende finden wird. Zum einen übersieht der Kläger, dass ein einfaches Bestreiten in diesem Zusammenhang ohnehin nicht ausreichend ist. Die Darlegungslast für einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben liegt der bei der Partei, die sich auf § 242 BGB beruft (BeckOGK/Kähler BGB § 242 Rn. 1879 ff.). Zum anderen kommt der Urlaubsgewährung - selbst bei unterstellter Kenntnis - nicht die Bedeutung bei, die der Kläger darin sieht:

Nach § 15 Absatz 5 TzBfG gilt ein befristetes Arbeitsverhältnis als auf unbestimmte Zeit verlängert, wenn es nach Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist, mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt wird. Die Urlaubsgewährung für einen Zeitraum nach Ablauf der Befristung erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal nicht (BAG vom 09.02.2023, 7 AZR 266/22). Die einseitige Erfüllung von Leistungspflichten durch den Arbeitgeber ist nicht als Fortsetzungshandlung anzusehen. Die Regelung unterstellt nicht allen möglichen denkbaren Verhaltensweisen der Vertragsparteien, die auf die stillschweigende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses schließen lassen könnten, einen entsprechenden Erklärungswert (BAG vom 09.02.2023, 7 AZR 266/22). Würde man nun über den Grundsatz von Treu und Glauben über § 242 BGB doch annehmen, dass aufgrund angeblich widersprüchlichen Verhaltens nunmehr ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorliegen müsste, begäbe man sich hiermit in einen Wertungswiderspruch zu § 15 Absatz 5 TzBfG, da - wie dargestellt - nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in diesem gesetzlich geregelten Fall allein die Urlaubsgewährung eben gerade nicht ausreichend sein kann, um von einem nunmehr unbefristeten Arbeitsverhältnis ausgehen zu können. Diese Wertung muss selbstredend auch bei § 242 BGB beachtet werden.

Darüber hinaus konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass die Abteilung Urlaubsplanung berechtigt und befugt war, im Namen der Beklagten befristete Arbeitsverhältnisse konkludent durch entsprechende Urlaubsgewährung zu entfristen. Dem Kläger musste klar sein, dass eine solche Befugnis nicht bestand. Er trug jedenfalls keine Umstände vor, aus denen er eine andere Einschätzung hätte ableiten können.

Irrelevant ist ebenfalls der Einwand des Klägers, dass die Beklagte den Kläger erstmals mit Schreiben vom 03.02.2022 über die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30.04.2022 in Kenntnis gesetzt hat. Da es sich hierbei nicht um eine ordentliche Kündigung handelt, ist kein Grund erkennbar, weshalb die Beklagte die ordentliche Kündigungsfrist hätte einhalten müssen. Gerade die Regelung des § 15 Abs. 2 TzBfG verdeutlicht den - selbstverständlichen - Rechtsgedanken, dass vereinbarte Kündigungsfristen im Falle der Befristung nicht beachtet werden müssen. Der Kläger hatte - anders als beim Ausspruch einer Kündigung - zudem eine wesentlich längere Planbarkeit als diejenigen Arbeitnehmer, die eine ordentliche Kündigung erhalten. Der Kläger konnte seit dem Zeitpunkt, zu dem er wusste, wann er das Rentenregelalter erreichen wird, planen. Dieser Zeitpunkt lag weit vor der ordentlichen Kündigungsfrist.

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ergibt sich auch dann kein anderes Ergebnis, wenn sämtliche Einwendungen nicht nur "isoliert", sondern in einer Gesamtbetrachtung bewertet werden. Da kein vom Kläger vorgetragener Aspekt einen Vertrauenstatbestand begründet, können an dieser Bewertung auch nicht sämtliche Einwendungen in ihrer Gesamtbetrachtung etwas ändern. Das mag anders ein, wenn eine Vertragspartei durch verschiedene Handlungen immer wieder Andeutungen macht und damit jeweils erneut Erwartungen weckt. Ein solcher Fall liegt hier jedoch erkennbar nicht vor.

Zuletzt verdeutlicht auch die Reaktion des Klägers auf die Mitteilung der bevorstehenden Beendigung, dass er keineswegs vertraut hat. In seiner E-Mail an die Beklagte vom 23.03.2022 führte er nur aus, dass es ihm aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit sehr schwer falle, Abschied zu nehmen. Er kannte die Rechtslage also sehr wohl. Anderslautende Dispositionen wurden von ihm noch nicht getroffen.

Nach alldem hat das Arbeitsgericht die Klage richtigerweise abgewiesen. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

III) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 97 Absatz 1 ZPO.

IV) Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Absatz 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Absatz 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.

Vorschriften