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Urteil vom 11.07.2023 · IWW-Abrufnummer 237180

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 4 Sa 359/23

Ermächtigt eine Betriebsvereinbarung den Arbeitgeber einseitig dazu, ein bereits erarbeitetes Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto zu verwenden, um dem Arbeitnehmer künftig weniger Schichten zuteilen zu müssen, verschiebt diese Regelung in unrechtmäßiger Art und Weise das Betriebsrisiko auf den Arbeitnehmer, wenn der Arbeitnehmer nicht frei darüber entscheiden kann, ob und wieviele Schichten ihm zugeteilt werden.


Tenor: 1) Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 03.02.2022 - 14 Ca 5006/21 - aufgehoben. 2) Es wird festgestellt, dass das bei der Beklagten geführte Stundenkonto des Klägers, Stand 01.01.2023, ein Zeitguthaben von insgesamt 1.234,07 Stunden aufweist und eine Verrechnung von Zeitguthaben des Stundenkontos mit Zeiten des Zeitkontos/Sollkontos ohne die Zustimmung des Klägers ausgeschlossen ist. 3) Im Übrigen wird die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. 4) Die Kosten der ersten Instanz trägt die Beklagte. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 16 % und die Beklagte zu 84 %. 5) Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, die für den Kläger geführten Zeitkonten ohne dessen Zustimmung miteinander zu verrechnen.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.04.2015 in der Wachabteilung III als Leitstellendisponent bei der Flughafenfeuerwehr tätig.

Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme ua. der "Tarifvertrag für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen XXX GmbH vom 01.03.2012" (nachfolgend: "Tarifvertrag Feuerwehrpersonal") Anwendung.

§ 2 des Tarifvertrags Feuerwehrpersonal ("Arbeitszeit mit Opt-Out") lautet auszugsweise wie folgt:

"1) Die dienstliche Beanspruchung beträgt 240 Stunden im Monatsdurchschnitt. Der Alarm- und Einsatzdienst wird im 24-Stunden-Dienst geleistet. [...] 2) Nach einer Dienstschicht von 24 Stunden ist jeweils eine ununterbrochene Freizeit von 24 Stunden zu gewähren. Die planmäßige 24-Stunden-Schicht wird auf 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Arbeitsbereitschaft und 8 Stunden Ruhezeit an der Arbeitsstelle aufgeteilt. [...] Protokollerklärunq zu Absatz 1 und 2: Die oberhalb der Arbeitszeit nach Absatz 1 liegenden Mehrschichten sind mit der Überstundenvergütung abzugelten. Die Überstundenvergütung beinhaltet das Tabellenentgelt und die Zulage nach § 8 Abs. 1 dieses Tarifvertrages. Eine Schicht entspricht 16 zu vergütenden Stunden."

§ 4 des Tarifvertrags Feuerwehrpersonal regelt unter der Überschrift "Zeitgutschrift für Leitstellendisponenten":

"Den Leitstellendisponenten wird pro geleisteter Nachtschicht (derzeit 21:00 Uhr bis 06:30 Uhr) eine Stunde auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Der entsprechende Betrag kann außerdem auf Verlangen der Beschäftigten ausgezahlt, oder aber in ein Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden."

Im Betrieb der Beklagten gilt des Weiteren eine "Betriebsvereinbarung 01/2013 über die Arbeitszeitgestaltung für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen XXX GmbH" (nachfolgend: "BV Arbeitszeit"). Diese regelt auszugsweise:

"§ 4 Berechnung der Jahresarbeitszeit Die Jahresarbeitszeit richtet sich nach dem jeweils gültigen Tarifvertrag (derzeit 120 Schichten abzgl. Wochenfeiertage, Vorfesttage, Rosenmontag und W-Tage). Jede geleistete Schicht schmälert das Jahressoll, das in einem Zeitkonto abgebildet wird. [...] Bei Ausscheiden eines Beschäftigten sind die Zeitkonten auszugleichen. Verbliebene Salden werden ausgezahlt, negative Salden werden vom Entgelt einbehalten. Die Salden der Zeitkonten werden zum 31.12. automatisch ins Folgejahr übertragen [...]. [...] Zusätzlich zu den Schichten geleistete Stunden werden auf einem separaten Konto, dem sogenannten Stundenkonto gutgeschrieben. Werden auf diesem Stundenkonto 16 Stunden angesammelt, können diese als eine Schicht vom Sollkonto abgezogen werden oder in das Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden. § 5 Freiwillige Dienste Etwaige Ausfälle werden über den Einsatz von Freiwilligen kompensiert (Freiwilligen-Liste). Bei Aktivierung tritt der Freiwillige schnellstmöglich seinen Dienst an. Tritt ein Freiwilliger mit der entsprechenden Funktion den Dienst an, so werden ihm 16 + 2 Stunden auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. § 6 Verfügungsdienste Zum Ausgleich von kurzfristigen Ausfällen wird ein täglicher Verfügungsdienst [1 Beschäftigter] eingeplant. Bei Aktivierung nimmt der Verfüger unverzüglich seinen Dienst auf. Wird der Verfüger nicht aktiviert, werden 2 Stunden auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. Bei Aktivierung werden ihm 16 + 1 Stunde auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. Der Verfüger steht für die Flughafen XXX GmbH am diensthabenden Tag in der Zeit von 6:30 - 8:30 Uhr zur Verfügung. Wird er in dieser Zeit nicht in Anspruch genommen, so hat der Verfüger frei. § 7 Berechnung einzelner Dienste/Abwesenheiten [...] 7.3 Tagesdienste Tagesdienste werden in der Dienstplangestaltung nur in gerader Anzahl (2 Tagesdienste = eine 24-Stunden-Schicht (16 Stunden Arbeitszeit)) geplant; dies gilt auch für Dienstreisen und Lehrgänge im Tagesdienst. Bei ungerader Anzahl von Tagesdiensten steht dem Beschäftigten frei, ob er unmittelbar davor oder danach einen weiteren Tagesdienst leistet, Zeitguthaben aus dem Stundenkonto oder Gleitzeitkonto einbringt. 7.4 Wochenfeier-/Vorfesttage (W-Tage) Leistet ein Beschäftigter an Wochenfeiertagen/Vorfesttagen einen 24-Stunden-Dienst, so wird das Jahressoll um eine Schicht gemindert und eine Schicht dem Feiertagskonto gutgeschrieben. Dies gilt auch in Verbindung mit Urlaub. Bei Tagesdienst an einem Wochenfeiertag/Vorfesttag werden 8 Stunden auf dem Feiertagskonto gutgeschrieben. Hat ein Beschäftigter an einem Wochenfeiertag/Vorfesttag dienstfrei, wird diese Schicht vom Jahressollkonto abgezogen (siehe § 4 dieser Betriebsvereinbarung). [...] § 8 Lebensarbeitszeitkonto Guthaben aus dem Jahressollkonto (Schichten, die über das Jahressoll hinaus geleistet wurden) können zum 31.12. eines Jahres dem Lebensarbeitszeitkonto zugeführt werden. Zeitguthaben aus dem Stundenkonto können monatlich (nach den Regelungen der Betriebsvereinbarung 02/2011) in das Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden."

Die Tagesdienste nach § 7.3 BV Arbeitszeit werden auf dem Stundenkonto verbucht. Die dazuzählenden Lehrgänge sind zum Teil für die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen zwingend erforderlich, um den erforderlichen Qualifikationsstandard bei der Flughafenfeuerwehr sicherzustellen.

Anlage 1 zur BV Arbeitszeit regelt in § 1 unter der Überschrift Rahmenbedingungen ua. Folgendes:

"Folgende Punkte sind bei der Dienstplanung durch den Dienstplaner zu beachten/zu berücksichtigen: Die Stundenkonten sollen möglichst ausgeglichen sein (SOLL = HABEN). [...]"

Im Betrieb der Beklagten findet des Weiteren die in § 8 BV Arbeitszeit benannte "Betriebsvereinbarung 02/2011 für ein Wertkontenmodell Lebensarbeitszeit" (nachfolgend "BV Lebensarbeitszeit") Anwendung, die den Mitarbeitern den Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand ermöglichen soll. Diese regelt in § 4 unter der Überschrift "Aufbau der Wertguthaben und finanzielle Einbringung" auszugsweise:

"1) Der Beschäftigte kann betreffend die Zeitguthaben jederzeit eine Übertragung vorhandener Zeitguthaben in das Wertkonto veranlassen. [...]"

Ferner wurden in der Vergangenheit auf Antrag der Beschäftigten gesammelte Guthaben auf dem Stundenkonto ausgezahlt. Hierzu findet sich allerdings keine Regelung in der BV Arbeitszeit.

Unter dem 18./23.07.2013 vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat zur Ergänzung bzw. Änderung der BV Arbeitszeit, dass zur Beurteilung, wer zum Dienst bei Unterschreitung der Wachstärke bzw. wer nicht zum Dienst bestellt wird, nun das Konto der "Bereinigten Schichten" zugrunde gelegt werden sollte. Die tatsächlich geleisteten Schichten sollten nicht mehr entscheidend sein. In das Konto der bereinigten Schichten würden neben den tatsächlich geleisteten Schichten auch das Stundenkonto und die Feiertagsstunden eingerechnet.

Eine Verrechnung etwaiger Guthaben auf dem Stundenkonto mit ausstehenden Zeitschulden auf dem Sollkonto fand seit Inkrafttreten der BV Arbeitszeit am 01.01.2013 statt. Dies erfolgte bis zum Jahreswechsel 2014/2015 manuell, danach automatisiert durch ein EDV-System.

Zum Jahreswechsel 2015/2016 wurden 176 Stunden von dem Stundenkonto des Klägers auf sein Sollkonto verbucht. Zum 31.12.2016 erfolgten keine Umbuchungen. Zum 31.12.2017 wurden 176 Stunden aus dem Stundenkonto in das Sollkonto des Klägers gebucht. Zum 31.12.2018 wurden 16 Stunden und zum 31.12.2019 176 Stunden aus dem klägerischen Stundenkonto auf das Sollkonto gebucht.

Mit einer "Mitarbeiterinformation zur Umbuchung von Zeitsalden zum 31.12. eines Jahres" teilte die Beklagte ihren Beschäftigten im Jahr 2020 ua. Folgendes mit:

"Wie in all den Jahren zuvor - werden wir auch dieses Jahr nach Ablauf des 31.12.2020 eine automatische Umbuchung vornehmen, um noch nicht erfüllte Schichten mit dem Stundenkonto auszugleichen, damit Sie mit 120 erfüllten Schichten das alte Jahr abschließen können. Sollten Ihre Zeitkonten nicht genügend Stunden aufweisen, wird die Anzahl der noch zu erbringenden Schichten auf die 120 Schichten des Folgejahres addiert."

Der Kläger hatte zum 31.12.2020 auf seinem Stundenkonto ein Guthaben von insgesamt 614:48 Stunden angesammelt. Auf dem Zeitkonto/Sollkonto standen hingegen nur 85 von ihm in 2020 erbrachte Schichten.

Entsprechend der oben genannten Mitarbeiterinformation buchte die Beklagte ohne Zustimmung des Klägers 35 fehlende Sollschichten à 16 Stunden (insgesamt 560 Stunden) vom Stundenkonto des Klägers auf dessen Zeitkonto/Sollkonto. Das Stundenkonto wies damit, Stand 01.01.2021, ein Guthaben von nur noch 54:48 Stunden zugunsten des Klägers auf.

Zum Jahreswechsel 2021/2022 erfolgte ohne Zustimmung des Klägers eine Umbuchung von 320 Stunden aus dem Stundenkonto auf das Sollkonto, nachdem der Kläger im Jahr 2021 zu 100 Sollschichten eingeteilt worden war.

Im Jahr 2022 wurde der Kläger zu 96 Sollschichten eingeteilt. Es erfolgte ohne Zustimmung des Klägers eine Umbuchung von 352 Stunden aus dem Stundenkonto auf das Sollkonto sowie von 32 Stunden aus dem Feiertagskonto auf das Sollkonto.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte nicht zu dieser Umbuchung berechtigt sei. Nach Sinn und Zweck der betrieblichen Regelungen und der Systematik werde deutlich, dass dies nicht einseitig durch das Unternehmen entschieden werden könne, sondern die Auswahlentscheidung allein die Beschäftigten treffen könnten bzw. die Verrechnung jedenfalls deren Zustimmung bedürfe. Der Kläger hat behauptet, der niedrige Stand von nur 85 Stunden zum 31.12.2020 auf seinem Zeitkonto/Sollkonto sei insbesondere der Corona-Pandemie geschuldet gewesen. Er sei seitens der Beklagten schlicht nicht zur Ableistung der 120 Sollschichten eingeteilt worden. Erstaunlicherweise sei für den Bereich der Flughafenfeuerwehr trotz des erheblichen Arbeitsausfalls keine Kurzarbeit durch die Beklagte angeordnet worden. Die Beklagte sei verpflichtet, den Beschäftigten die Arbeitszeit von 120 Soll-Schichten im 24-Stunden-Dienst auch tatsächlich zu ermöglichen und sie auch entsprechend in den Dienstplänen einzuteilen. Dies habe sie in 2020 offenkundig mit dem Ziel, die Guthaben aus den Stundenkonten zum Jahresende abzubauen, nicht getan.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass sein bei der Beklagten geführtes Stundenkonto, Stand 01.01.2021, ein Zeitguthaben von 614:48 Stunden aufweist und eine Verrechnung von Zeitguthaben des Stundenkontos mit Zeiten des Zeitkontos/Sollkontos ohne seine ausdrückliche Zustimmung ausgeschlossen ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass eine Verrechnung von Zeitguthaben des Stundenkontos mit Zeiten des Sollkontos auch ohne ausdrückliche Zustimmung des Klägers möglich sei. Dies folge aus der Auslegung der betrieblichen Regelungen.

Mit Urteil vom 03.02.2022 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung:

Die zulässige Klage sei unbegründet. Das klägerische Stundenkonto weise nicht das beantragte Zeitguthaben auf. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, eine Verrechnung von Zeitguthaben des Stundenkontos mit Zeiten des Zeitkontos/Sollkontos ohne ausdrückliche Zustimmung des Klägers vorzunehmen. § 4 Absatz 5 Satz 2 BV Arbeitszeit erlaube dies, was sich aus einer entsprechenden Auslegung ergebe. Der Wortlaut sei zwar nicht eindeutig, da nicht explizit geregelt werde, wer über das Vorgehen bestimme. Da jedoch sowohl im Hinblick auf das Lebensarbeitszeitkonto sowie der Tagesdienste eine Kontenverrechnung ausdrücklich nur mit Einverständnis des Arbeitnehmers möglich sei, liege ein Umkehrschluss dahingehend nahe, dass eine Verrechnung des Stundenkontos mit dem Sollkonto auch ohne Willen des Arbeitnehmers erfolgen könne. Eine Berechtigung des Arbeitnehmers, diese Verrechnung zu verhindern, liefe zudem dem Regelungsziel des § 1 der Anlage zur BV Arbeitszeit zuwider, nach der die Stundenkonten möglichst ausgeglichen sein sollten. Das Stundenkonto diene zudem auch nicht ausschließlich der Abbildung überobligatorischer Arbeitsleistungen. Zu den ins Stundenkonto einzustellenden Zeiten zählten nämlich auch Lehrgänge nach § 7.3 BV Arbeitszeit, die zum Teil für die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen zwingend erforderlich seien.

§ 4 Absatz 3 Satz 1 BV Arbeitszeit spreche nicht gegen diese Auslegung. Die Regelung, nach der die Zeitkonten bei Ausscheiden auszugleichen seien, sehe nicht vor, dass ein Ausgleich "erst" bei Ausscheiden erfolgen dürfe. Eine Verrechnungsbefugnis schon zu einem früheren Zeitpunkt sei damit nicht ausgeschlossen.

Gleiches gelte für die Regelung des § 4 Absatz 4 Satz 1 BV Arbeitszeit. Diese Vorschrift regele allein, dass die Salden der Zeitkonten zum 31.12. automatisch ins Folgejahr übertragen würden. Ein Verrechnungsverbot beinhalte auch diese Norm nicht.

Die ständige praktische Übung im Betrieb spreche für diese Auslegung. Seit der Einführung der BV Arbeitszeit sei stets zum Ende des Jahres eine entsprechende Verrechnung durchgeführt worden, ohne dass der Betriebsrat dies moniert hätte. Darüber hinaus hätten die Betriebsparteien durch die Vereinbarung sogenannter "Bereinigter Schichten" deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Verrechnungsmöglichkeit allein durch die Beklagte möglich sein solle.

Die gegen diese Auslegung erhobenen Einwände des Klägers seien nicht überzeugend. Es spreche nicht gegen die Verrechnungsmöglichkeit, dass sich die Beschäftigten Guthaben aus dem Stundenkonto mit Überstundenzuschlägen auszahlen lassen könnten und bei einer Umbuchung durch die Beklagte diese Zuschläge verloren gehen würden. Der Kläger habe es zum einen in der Hand, eine Auszahlung des Stundenguthabens das gesamte Jahr über herbeizuführen. Ein Verlust von Überstundenzuschlägen sei mit der Verrechnung zudem nicht verbunden, denn nach der Protokollnotiz zu § 2 des Tarifvertrages Feuerwehrpersonal seien erst die oberhalb der Arbeitszeit nach Absatz 1 liegenden Mehrschichten mit der Überstundenvergütung abzugelten. Erfolge dies in Form von Freiwilligendiensten nach § 5 BV Arbeitszeit erhalte der Mitarbeiter zudem eine zusätzliche Zeitgutschrift von 2 Stunde je Schicht.

Gegen das dem Kläger am 04.03.2022 zugestellte Urteil richtet sich seine am 14.03.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die er am 04.05.2022 unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:

Das Arbeitsgericht habe die Klage rechtsfehlerhaft abgewiesen. Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung des § 4 Absatz 5 Satz 2 BV Arbeitszeit sprächen gegen eine einseitige Verrechnungsbefugnis. Auch sei es nicht der Wille des Betriebsrats gewesen, eine einseitige Verrechnungsmöglichkeit zu erlauben.

Schon die Formulierung "können diese als eine Schicht vom Sollkonto abgezogen werden oder in das Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden" lege nahe, dass die Entscheidungsbefugnis hierüber beim Arbeitnehmer liegen müsse. Es sei absolut lebensfremd, dass der Arbeitgeber hierüber einseitig entscheiden könne. Angesichts dieser Klarheit sie dies in der Formulierung des § 4 Absatz 5 Satz 2 BV nicht aufgeführt worden. Dass die separate BV Lebensarbeitszeit in § 4 Absatz 1 die Befugnis ausdrücklich dem Beschäftigten zuordne, sei dem Umstand geschuldet, dass es sich um eine separate Betriebsvereinbarung handele.

Wenn der Arbeitgeber einseitig verrechnen könnte, stelle sich die Frage, weshalb überhaupt zusätzlich zu den 120 Sollschichten ein separates Stundenkonto geführt werde. Bei der vom Arbeitsgericht vorgenommenen Auslegung hätte diese Trennung keinen Mehrwert.

Durch die Hoheit bei der Einteilung der Dienste habe es die Beklagte über die Dienstplaner jederzeit in der Hand, die Salden der Zeitkonten zu steuern und auszugleichen. Sofern die Beklagte nicht die geschuldeten 120 Schichten anbieten würde, müsse die Diskussion zum Thema "Annahmeverzug" geführt werden. Wenn nun zusätzlich zu den Sollschichten geleistete (Über-) Stunden mit der Grundarbeitszeit einseitig verrechnet würden, werde der Grundsatz, dass der Arbeitgeber die Arbeit anbieten müsse und ansonsten Annahmeverzug schulde, beseitigt. Genau dies praktiziere die Beklagte jedoch, indem sie dem Kläger sowohl in 2020 als auch in 2021 nicht mehr die geschuldeten 120 Sollschichten angeboten habe. Die Hoheit der Dienstplangestaltung liege nicht beim Kläger.

Soweit das Arbeitsgericht auf § 1 der Anlage zur BV Arbeitszeit verweise, richte sich diese Regelung an den Dienstplaner, der für möglichst ausgeglichene Stundenkonten zu sorgen habe.

Richtig sei zwar, dass die Beklagte auf das Stundenkonto auch Tagesdienste wie Lehrgänge und Fortbildungen buche. Dies sehe die BV Arbeitszeit jedoch nicht vor. Tagesdienste seien keine zusätzlich zu den 120 Sollschichten zu leistenden Stunden. Aus diesem Grunde sei geregelt worden, dass sie nur in gerader Anzahl geplant werden sollten und bei ungerader Anzahl der Beschäftigte entscheiden müsse, ob er einen weiteren Tagesdienst leiste oder Zeitguthaben aus dem Stundenkonto einbringe. Diese Systematik ergebe nur Sinn, wenn Tagesdienste wie auch Lehrgänge in das Zeitkonto/Sollkonto zu buchen seien.

Aus der gelebten praktischen Übung ergebe sich nichts anderes. In den ersten Jahren nach Inkrafttreten der BV Arbeitszeit seien Verrechnungen in Abstimmung mit den Arbeitnehmern manuell erfolgt. Eine entsprechende Notwendigkeit habe es zudem seinerzeit wegen der engen personellen Besetzung nur sehr selten gegeben. Im Regelfall seien die 120 Schichten pro Jahr erreicht worden. Erst am März 2020 seien deutlich weniger Schichten eingeteilt worden, nachdem in Folge der Corona-Pandemie von der Bezirksregierung die Funktionsstärke der Feuerwache bei der Beklagten vorübergehend auf 21 Funktionen Brandschutz reduziert worden sei. Coronabedingt seien zudem die meisten der erforderlichen Lehrgänge und Fortbildungen (Tagesdienste) ausgefallen.

Durch einen Abgleich der beiden Konten habe sich die Beklagte ab März 2020 dazu entschieden, Feuerwehrleute mit hohen Zeitguthaben nicht mehr bei der Einteilung der Sollschichten zu berücksichtigen. Anträge der Feuerwehrleute auf Auszahlung angesammelter Zeitguthaben seien abgelehnt worden, was der Regelung des § 4 Tarifvertrag Feuerwehrpersonal widerspreche. Es sei daher Ende 2020 erstmals zu der Situation gekommen, dass die tatsächlich geleisteten Schichten gravierend hinter den geschuldeten 120 Sollschichten zurückgeblieben seien. Dies habe zu Unmut und Beschwerden - auch des Betriebsrats - geführt. Es sei ein wesentlicher Unterschied, ob ein paar wenige Stunden am Ende des Jahres in Abstimmung mit den Betroffenen verschoben oder ob hunderte Stunden einseitig verrechnet würden. Dies übersehe das Arbeitsgericht, indem es auf eine angeblich unbeanstandete praktische Übung abstelle.

Dass die Betriebsparteien keine einseitige Verrechnungsbefugnis regeln wollten, ergebe sich aus dem Umstand, dass ein Arbeitnehmer nach der BV Arbeitszeit auch das Recht habe, einen unterjährigen Auszahlungsantrag zu stellen. Würde ein solcher Antrag gestellt werden, wäre die Regelung, nach der sich die Beklagte um ausgeglichene Konten sorgen müsse, ausgehöhlt.

Mit der letzten Klageerweiterung greife der Kläger nunmehr die weitere Verrechnung an, die die Beklagte mit identischer Begründung zum Jahreswechsel 2022/2023 vorgenommen habe. Zudem wehre er sich nunmehr auch gegen die erstmalige Umbuchung von 32 Stunden aus seinem Feiertagsstundenkonto auf das Zeitkonto/Sollkonto.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 03.02.2022, 14 Ca 5006/21, aufzuheben; 2. festzustellen, dass das bei der Beklagten geführte Stundenkonto des Klägers, Stand 01.01.2023, ein Zeitguthaben von insgesamt 1.234,07 Stunden aufweist und eine Verrechnung von Zeitguthaben des Stundenkontos mit Zeiten des Zeitkontos/Sollkontos ohne die Zustimmung des Klägers ausgeschlossen ist; 3. festzustellen, dass das bei der Beklagten geführte Feiertagskonto des Klägers, Stand 01.01.2023, ein Zeitguthaben von insgesamt 176 Stunden aufweist und eine Verrechnung von Zeitguthaben des Feiertagskontos mit Zeiten des Zeitkontos/Sollkontos ohne die Zustimmung des Klägers ausgeschlossen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sei verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil, wiederholt und vertieft ihre erstinstanzlichen Ausführungen und führt ergänzend aus:

Das Arbeitsgericht habe die Klage zurecht vollumfänglich abgewiesen. Die im Urteil vorgenommene Auslegung der BV Arbeitszeit sei die einzig denkbare Auslegung, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Ergebnis führe.

Der Antrag zu 2) sei zu unbestimmt ("nunmehr" und "Stand 01.01.2022"), jedenfalls aber in Höhe der bereits ausgezahlten 94,80 Stunden unschlüssig.

Die Verrechnungsbefugnis der Beklagten ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung, der kein Erfordernis einer Zustimmung vorsehe. Sinn und Zweck sei es, den Beschäftigten der Feuerwehr größtmögliche Flexibilität in ihrer Arbeitszeitgestaltung einzuräumen. Nicht gewollt sei jedoch, dass die Beschäftigten sämtliche Vorteile des Systems genießen würden, aber gleichzeitig nicht ihre auf den anderen Konten gesammelten Stunden nicht zur Verfügung stellen müssten. Die Verrechnungsbefugnis ergebe sich bei systematischer Auslegung auch aus einem Umkehrschluss: Erfolge eine ausdrückliche Regelung zugunsten des Beschäftigten nicht, so sei von einer Befugnis der Beklagten auszugehen. Auf die entsprechende Regelung in der BV Lebensarbeitszeit werde insoweit verwiesen. Auch im Falle einer ungeraden Anzahl von Tagesdiensten sei ausdrücklich geregelt, dass es dem Beschäftigten freistehe, wo diese verbucht werden sollten. Für die streitgegenständliche Verrechnung fehle es aber an einer solchen Regelung.

Entgegen der Ansicht des Klägers sei die Führung eines Stundenkontos erforderlich, um Arbeitsleistungen zu erfassen, die nicht in das 24-Stunden-Schicht-Schema passen würden. Darin bestehe der Mehrwert des Stundenkontos, welches der Transparenz diene. Um Überstunden handele es sich erst dann, wenn sie über die jährlich geschuldete Arbeitszeit hinausgehen würden.

Eine Regelung, wonach Tagesdienste im Sollkonto erfasst würden, existiere nicht.

Der Kläger übersehe, dass bei der Beklagten eine teilautonome Dienstplanung gelebt werde. Die Beschäftigten - nicht die Beklagte - seien verpflichtet, darauf zu achten, dass sich das Zeitkonto im angemessenen Rahmen bewege. Dies verdeutliche das eigenverantwortliche System der Dienstplangestaltung. Im Rahmen einer langfristigen Dienstplanung zwischen dem 01.09. und dem 15.10. eines jeden Vorjahres würden jedem Mitarbeiter durchschnittlich 121,7 Schichten zugeteilt. Urlaub, Ruhezeit und Sperrtage würden hier bereits berücksichtigt, woraus sich ein Gestaltungsspielraum für den Arbeitnehmer ergebe. Bei der mittelfristigen Dienstplanung habe jeder Mitarbeiter der Wachabteilung III das Recht, 6 Freiwünsche in der Priorität 1 und 3 Freiwünsche in der Priorität 2 anzugeben. Wünsche um Abbau von Gleitzeit stellten ein weiteres dienstplanerisches Gestaltungselement für die Feuerwehrmitarbeiter dar. Zudem sei es möglich, Dienste untereinander einvernehmlich zu tauschen. Dies erfolge häufig kurzfristig. Nach Erinnerung der zuständigen Mitarbeiter habe die Beklagte noch nie einseitige Bestimmungen zur Dienstübernahme durchgeführt. Dieses System könne nicht dazu führen, dass die Beklagte nicht in der Lage sei, die von ihr bereits bezahlten, aber wegen der Freiwünsche noch nicht erbrachten Schichten durch Umbuchung zur Erfüllung zu bringen.

Bei der Frage der praktischen Handhabe sei ein Einverständnis der Mitarbeiter nie eingeholt worden. Es habe stets die Möglichkeit bestanden, die Umbuchung zu begleiten bzw. zu beaufsichtigen. Ein Einverständnis sei jedoch nie erforderlich gewesen. Diese betriebliche Übung müsse nunmehr berücksichtigt werden, zumal die Umbuchungen teilweise erheblich gewesen seien.

In den Jahren 2020 und 2021 habe es entgegen den Ausführungen der klagenden Partei durchaus ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten für sämtliche Beschäftigte der Feuerwehr gegeben, was sich bereits daraus ergebe, dass Mitarbeiter der Flughafenfeuerwehr zu keinem Zeitpunkt zum Anwendungsbereich der Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit gehört hätten, da die Werksfeuerwehr nicht zeitweise stillgelegt worden sei. Das Thema des Annahmeverzuges stelle sich daher nicht, zumal der Kläger die Arbeit auch nicht ordnungsgemäß angeboten habe.

Die Auszahlung von Überstunden sei bei der Beklagten unverändert möglich. Dies geschehe jedoch unter Berücksichtigung der bereinigten Bringschichtprognose. Werde ein Auszahlungsantrag gestellt, so werde anhand der Kontenstände geprüft, ob der Antragsteller voraussichtlich in der Lage sein werde, die Bringschichten bis zum Jahresende zu erfüllen. Sofern dies der Fall, könne eine Auszahlung erfolgen.

Durch Umbuchungen würden auch keine Nacht- und Feiertagszuschläge genommen. Trotz erfolgter Umbuchungen zum Jahresende seien dem Stunden- und Feiertagskonto sämtliche Zuschläge, die ordnungsgemäß im Zeiterfassungssystem erfasst worden seien, erhalten geblieben.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die jeweils gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die ausweislich der Sitzungsprotokolle abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist teilweise zulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie auch begründet.

I) Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft (§ 64 Absatz 1, Absatz 2 lit. b) ArbGG) und nach den §§ 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 519 ZPO am 14.03.2022 gegen das am 04.03.2022 zugestellte Urteil form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist begründet worden.

1) Sie ist dennoch nur teilweise zulässig.

Bei dem in der Berufungsinstanz als Antrag Ziffer 3 gestellte Antrag handelt es sich um einen unzulässigen Berufungsantrag.

Gemäß § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 533 ZPO ist eine Klageänderung nur zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.

Nach § 529 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten sowie neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

Eine Klageänderung liegt vor, wenn der Streitgegenstand der Klage in zweiter Instanz von der ersten Instanz abweicht. Dies ist zu bejahen, wenn entweder der Klageantrag oder der Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge abgeleitet wird, ausgewechselt wird. Eine Klageänderung kann bei einem Austausch des bisherigen Streitgegenstandes, beim Hinzutreten eines neuen Streitgegenstandes (nachträgliche Klagehäufung), bei einer Änderung des Umfangs der Klage (Klageerweiterung) oder bei der Anpassung der Klage an veränderte Umstände vorliegen (BeckOK ZPO/Wulf ZPO § 533 Rn. 4).

Lässt das Berufungsgericht die Klageänderung nicht zu, so ist sie als unzulässig abzuweisen (Musielak/Voit/Ball ZPO § 533 Rn. 24 mwN.).

Eine ausdrückliche Einwilligung der Beklagten lag nicht vor. Ob eine Sachdienlichkeit ebenfalls zu verneinen war, konnte offen gelassen werden, da die vorliegende Klageerweiterung nicht ausschließlich auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.

In erster Instanz hat das Arbeitsgericht keinerlei Feststellungen zu § 7.4 BV Arbeitszeit getroffen. Dies war auch nicht erforderlich, da das dort erwähnte "Feiertagskonto" nicht streitgegenständlich war.

Dadurch, dass der Kläger diesen Streitgegenstand durch die Klageerweiterung nunmehr erstmalig in den Prozess eingeführt hat, wäre das Berufungsgericht verpflichtet gewesen, die bislang gänzlich irrelevante Regelung des § 7.4 BV Arbeitszeit inhaltlich zu überprüfen und die bislang gänzlich irrelevante Frage zu klären, ob die Beklagte berechtigt ist, eine Verrechnung von diesem Feiertagskonto aus das Sollkonto vorzunehmen. Hierbei handelt es sich um eine neue Rechtsfrage, die bis zur Klageerweiterung im Rahmen des Berufungsverfahrens nicht streitgegenständlich war.

Die Voraussetzungen des § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 529, 533 ZPO lagen für diesen Streitgegenstand mithin nicht vor. Die Klageerweiterung wurde nicht ausschließlich auf Tatsachen gestützt, die das Berufungsgericht ohnehin zugrunde legen musste.

Dieser Teil der Berufung war damit unzulässig.

2) Im Übrigen war die Berufung zulässig.

II) Soweit die Berufung zulässig ist, war sie auch begründet. Die Klage ist insoweit nämlich zulässig und begründet.

1) Die Klage ist zulässig. Ein Feststellungsinteresse war zu bejahen. Es fehlte zudem nicht an der hinreichenden Bestimmtheit.

a) Nach § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 256 Absatz 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird (BAG vom 07.02.2019, 6 AZR 84/18; BAG vom 27.8.2014, 4 AZR 518/12). Dieses besondere Feststellungsinteresse muss als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein. Sein Vorliegen ist von Amts wegen zu prüfen (BAG vom 07.02.2019, 6 AZR 84/18; BAG vom 27.8.2014, 4 AZR 518/12). Ein solches Feststellungsinteresse ist nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann (BAG vom 07.02.2019, 6 AZR 84/18; BAG vom 27.8.2014, 4 AZR 518/12).

So verhielt es sich hier:

Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte berechtigt ist, einseitig Verrechnungen von verschiedenen Konten vorzunehmen. Durch den Feststellungsantrag wird diese Frage abschließend geklärt werden können. Da die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung zudem zumindest zum Zeitpunkt der Entscheidung noch in Kraft war, ist im Ergebnis ein Feststellungsinteresse zu bejahen.

b) Der zuletzt gestellte Antrag war hinreichend bestimmt.

Nach § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 253 Absatz 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Die Klagepartei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Dazu hat sie den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann, § 322 ZPO (vgl. BAG vom 24.09.2014, 5 AZR 593/12).

Hiernach stellte es kein Problem dar, dass mit dem letztgestellten Antrag ein konkret genanntes Zeitguthaben zum Stand 01.01.2023 festgestellt werden soll und dieser Antrag den Einschub "nunmehr" beinhaltet.

Hieraus ist klar erkennbar, was der Kläger begehrt:

Es soll der Kontostand zum Stichtag 01.01.2023 festgestellt werden. Dieses Begehren deckt sich mit den Ausführungen im Rahmen der Klagebegründung und stellt genau den Streit dar, der zwischen den Parteien besteht. Der Einschub "nunmehr" ist dadurch zu erklären, dass der Kläger seinen Klageantrag jeweils zum Jahresende sinnvollerweise angepasst und die Zahlen daher jeweils verändert hat.

2) Die hiernach zulässige Klage ist auch begründet.

Die Beklagte hat keinen Anspruch darauf, Guthaben auf dem Stundenkonto mit offenen Stunden auf dem Sollkonto einseitig zu verrechnen. Es mangelt an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage. § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit stellt eine solche nicht dar.

a) Die Auslegung von Betriebsvereinbarungen richtet sich nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung (BAG vom 13.10.2015, 1 AZR 853/13). Bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen kommt es zunächst auf den objektiven Erklärungswert an, der nach dem Wortlaut sowie der Systematik und dem Gesamtzusammenhang der einzelnen Bestimmungen zu ermitteln ist. Ergänzend sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung zu beachten (BAG vom 28.04.1993, 10 AZR 222/92). Ebenso können aus der Vollzugspraxis des Arbeitgebers Rückschlüsse auf den Regelungsinhalt der Betriebsvereinbarung gezogen werden (BAG vom 18.11.2014, 1 ABR 18/13). Auch die Entstehungsgeschichte ist von Bedeutung (Düwell, BetrVG § 77 Rn. 17).

Das Gericht teilt hierbei im Ergebnis die von der klagenden Partei vorgenommene Auslegung.

aa) Zwar trägt der Wortlaut des § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit diesbezüglich nicht entscheidend zur Findung der korrekten Auslegung bei. Hier wird passiv formuliert, dass "abgezogen werden" kann. Nicht erwähnt wird, ob die Beklagte dies einseitig entscheiden darf.

Allerdings wird im gleichen Satz - ebenfalls passiv formuliert - ausgeführt, dass eine Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto möglich ist. Hierbei ist - aufgrund einer entsprechenden Regelung in § 4 Absatz 1 Satz 1 BV Lebensarbeitszeit - unstreitig, dass diese Verschiebung nur im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer erfolgen kann.

Aus diesem Umstand könnten nun grundsätzlich 2 Rückschlüsse gezogen werden:

Zum einen könnte in einem Umkehrschluss angenommen werden, dass eine Zustimmung des Mitarbeiters bei einer Verrechnung zwischen Stundenkonto und Sollkonto nicht notwendig ist, wenn ein solches Zustimmungserfordernis bei der Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto ausdrücklich aufgenommen wurde, bei der hier streitgegenständlichen Verschiebung jedoch nicht.

Auf der anderen Seite ist jedoch ebenfalls anzumerken, dass das Zustimmungserfordernis hinsichtlich der Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto in einer anderen Betriebsvereinbarung aufgenommen wurde und damit theoretisch abänderbar ist, ohne, dass die hier auszulegende Vorschrift abgeändert wird. Die auszulegende Vorschrift der streitgegenständlichen BV Arbeitszeit führt in einem Satz 2 Verrechnungsmöglichkeiten auf, ohne zwischen diesen beiden konkret zu differenzieren. Insofern könnte ebenfalls die Auslegung denkbar sein, dass kein Grund ersichtlich ist, weshalb bei der einen Verrechnungsmöglichkeit - unstreitig - die Zustimmung des Mitarbeiters vorliegen muss, bei der anderen jedoch nicht, obwohl gerade in dem entscheidenden Satz zwischen beiden Möglichkeiten nicht differenziert wird.

Der Wortlaut ist insofern wenig ergiebig.

bb) Ausgehend vom Sinn und Zweck der Regelung liegt es nach Auffassung des Gerichts nahe, dass die Betriebsparteien deswegen zwischen Soll- und Stundenkonto unterschieden haben, weil nicht jede erbrachte Stunde in das Schema des Sollkontos passt. Hier teil das Gericht die Auffassung der Beklagten, dass es sich dabei nicht zwingend um Überstunden handeln muss. Im Sollkonto werden zu Beginn eines jeden Jahres 120 Schichten (zu je 24 Stunden) als Minus aufgeführt, die nach dem Verständnis der Betriebsparteien bis zum Ende des jeweiligen Jahres durch Arbeitsleistung und/oder Urlaub oder sonstige bezahlte Freischichten abgebaut werden müssen. Neben diesen Schichten erbringen die Mitarbeiter des Feuerwehrpersonals jedoch auch weitere Tätigkeiten. Zu nennen sind hierbei etwaige Fortbildungen oder auch Tagesdienste. Letztere sind nach dem Verständnis der Betriebsparteien gemäß § 7.3 BV Arbeitszeit zwar möglichst in gerader Zahl zu planen; eben damit sie in das Schema des Sollkontos passen. Es kann jedoch sein, dass dies nicht möglich ist. In diesem Fall muss die erbrachte Arbeitszeit dennoch selbstverständlich registriert werden. Dies erfolgt durch das Stundenkonto.

Auch die in § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit vorgesehene Verrechnungsmöglichkeit ist vom Sinn und Zweck her nachvollziehbar:

Es erscheint selbstverständlich sinnvoll, die Möglichkeit der Verrechnung zu eröffnen, um an dieser Stelle eine Flexibilität dergestalt zu haben, ob die Anzahl der Sollschichten reduziert oder ob die Möglichkeit eines zusätzlichen Verdienstes eröffnet werden soll. Bei diesem Verständnis liegt nach einer Auslegung vom Sinn und Zweck der Regelung durchaus nahe, dass diese Entscheidung der Mitarbeiter treffen darf, weil die Konsequenz der Entscheidung unmittelbar Auswirkungen auf seine finanzielle Situation hat. Im Falle der Verrechnung erhält der Mitarbeiter zwar Freizeit, aber nicht mehr Geld. Falls keine Verrechnung vorgenommen wird, muss der Mitarbeiter - obwohl sein Stundenkonto ein Guthaben aufweist - dennoch sämtliche 120 Schichten im Jahr erbringen. Er erhält im Falle der unterbliebenen Verrechnung also nicht mehr Freizeit, jedoch die Aussicht auf einen Zusatzverdienst. Nach Auffassung des Gerichts dürfte es naheliegend sein, diese Entscheidung dem Mitarbeiter zu überlassen.

cc) Diese Sichtweise wird gestützt durch eine Auslegung nach der Systematik.

Die Systematik der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung spricht zum einen dafür, dass die von der Beklagten gelebte Betrachtung der "bereinigten Sollsichten" nicht Teil der Betriebsvereinbarung ist. Nach § 3 BV Arbeitszeit genießen bei der Dienstplangestaltung Beschäftigte mit den geringsten geleisteten Stunden Vorzug. Sie sind nach § 3 BV Arbeitszeit einzuteilen. Die Beklagte praktiziert die Planung jedoch entgegen dieser Systematik gänzlich anders: Ausdrücklich entgegen der - jedenfalls ursprünglichen - Vorstellung der Betriebsparteien berücksichtigt die Beklagte Mitarbeiter, die über ein Guthaben auf dem Stundenkonto verfügen, bei der Dienstplanverteilung nicht mehr. Diese Mitarbeiter werden bei der Planung der 24-Stunden-Schichten zunächst nicht mehr berücksichtigt, obwohl die Sollschichten möglicherweise gar nicht erreicht werden.

Für die von der klagenden Partei bevorzugte Auslegung des streitgegenständlichen § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit spricht von der Systematik her der Umstand, dass nach § 4 Absatz 4 BV Arbeitszeit ausdrücklich eine automatische Übertragung der Salden zum 31.12. ins Folgejahr vorgesehen ist. Hätten die Betriebsparteien jeweils zum Ende eines Jahres eine einseitige Verrechnungsmöglichkeit gewollt, wäre die automatische Übertragung hierzu widersprüchlich. Nach der BV Arbeitszeit findet eine Verrechnung zum Ende eines jeden Jahres nicht - jedenfalls nicht automatisch - statt.

Gegen die einseitige Verrechnungsmöglichkeit sprachen im Hinblick auf die Systematik zudem folgende Aspekte:

Gemäß § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Satz 1 BV Lebensarbeitszeit hat ein Mitarbeiter das Recht, bereits verbuchte Stunden auf das Lebensarbeitszeitkonto zu verschieben. Hätte die Beklagte das Recht, Guthaben auf dem Stundenkonto mit nicht geleisteten - weil von ihr nicht angebotenen - Schichten zu verrechnen, würde dem Mitarbeiter das Recht genommen, selber zu entscheiden, ob eine Verschiebung auf das Lebensarbeitszeitkonto erfolgen soll. Theoretisch könnte sich der Mitarbeiter dazu entscheiden, dass das gesamte Guthaben auf dem Stundenkonto in das Lebensarbeitszeitkonto verschoben werden soll. Diese Entscheidung könnte der Mitarbeiter auch erst am Ende eines Jahres treffen. Die Betriebsvereinbarungen kennen eine Begrenzung weder der Höhe noch der Zeit nach. Sofern ein solcher Antrag gestellt werden sollte, würde das gesamte System - so wie es die Beklagte versteht - in sich zusammenfallen, weil kein Guthaben mehr verbleiben würde, mit dem die Beklagte verrechnen könnte.

Ebenso könnte der Mitarbeiter die in der Praxis gelebte Entscheidung treffen, sich das Guthaben auf dem Stundenkonto auszahlen zu lassen. Dass derartige Anträge in der Vergangenheit offenbar immer genehmigt wurden und nunmehr - nach zunächst einseitiger Einführung einer Betrachtung der "bereinigten Sollschichten" - teilweise abgelehnt werden, verdeutlicht, dass die Beklagte ein System eingeführt hat, welches mit der Systematik der BV Lebenszeit und der gelebten Praxis in Bezug auf die Auszahlungsmöglichkeiten nicht in Einklang zu bringen ist.

dd) Hinsichtlich der Frage der Entstehungsgeschichte erfolgte kein diesbezüglicher Sachvortrag der Parteien. Als Auslegungshilfe kann an dieser Stelle jedoch die als Anlage K12 beigefügte Stellungnahme des Betriebsrats - immerhin Vertragspartner der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung - herangezogen werden. Darin äußert der Betriebsrat, dass nach seinem Verständnis Zeitguthaben bei der Bewertung durch die Dienstplaner nicht hätten berücksichtigt werden dürfen und der Betriebsrat einer einseitigen Verrechnung durch den Arbeitgeber "niemals zugestimmt" hätte.

b) Diesem Auslegungsergebnis steht eine anderslautende Vollzugspraxis nicht entgegen. Aus der Vollzugspraxis des Arbeitgebers können - wie dargelegt - Rückschlüsse auf den Regelungsinhalt der Betriebsvereinbarung gezogen werden (BAG vom 18.11.2014, 1 ABR 18/13). Vorliegend nahm die Beklagte jedoch in keinem Jahr zuvor eine Verrechnung in dem nunmehr streitgegenständlichen Ausmaß vor:

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien wurde im Jahr 2015 begründet. Zum Jahreswechsel 2015/2016 wurden 176 Stunden, zum Wechsel 2016/2017 keine, Zum Wechsel 2017/2018 insgesamt 176 Stunden, zum Wechsel 2018/2019 16 Stunden und zum Wechsel 2019/2020 insgesamt 176 Stunden vom klägerischen Stundenkonto aus das Sollkonto gebucht. Klage erhob der Kläger aufgrund der Verbuchungen zum Jahreswechsel 2020/2021. Hier buchte die Beklagte einseitig 560 Stunden um. Zum Wechsel 2021/2022 waren es 320 Stunden und zum Wechsel 2022/2023 insgesamt 352 Stunden.

Diese Zahlen verdeutlichen, dass es keineswegs gelebte Praxis war, in erheblichem Umfang zum Ende eines jeden Jahres Stunden vom Stundenkonto auf das Sollkonto zu verbuchen. Die zuvor erfolgten Verrechnungen hatten nicht ansatzweise das Ausmaß, welches zum Jahreswechsel 2020/2021 Anlass für den Kläger zur Klageerhebung war.

Auf einen Vertrauensschutz oder eine jahrelang gelebte und auch akzeptierte Praxis kann sich die Beklagte angesichts dessen nicht berufen, so dass es streitentscheidend in diesem Zusammenhang nicht darauf ankam, inwieweit der Kläger durch ein Unterlassen einen Vertrauenstatbestand gesetzt haben könnte.

c) Hinzu tritt folgendes:

Wenn die von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit korrekt wäre - die Beklagte hiernach also berechtigt ist, Verrechnungen zwischen dem Stunden- und dem Sollkonto einseitig vorzunehmen - wäre die Regelung aus der Betriebsvereinbarung in diesem Falle unwirksam. Auf das zwischen den Parteien streitige Auslegungsergebnis kam es streitentscheidend mithin gar nicht an. Dass ein solches Auslegungsergebnis zu einer unwirksamen Regelung führen würde, ergab sich aus folgenden Überlegungen:

Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Absatz 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestandes nicht erbringen musste. Wegen dieser Dokumentationsfunktion darf der Arbeitgeber nicht ohne Befugnis korrigierend in ein Arbeitszeitkonto eingreifen (BAG vom 21.03.2012, 5 AZR 676/11).

Eine solche Befugnis konnte sich nicht aus § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit ergeben. Zwar werden selbst unter Zugrundelegung des Auslegungsergebnisses der Beklagten im eigentlichen Sinne keine bereits dokumentierten - und damit streitlos gestellten - Stunden im Nachhinein im klassischen Sinne "gestrichen". Sie werden vielmehr nur verschoben von einem Konto auf das andere Konto. Mit dieser Möglichkeit überträgt die Beklagte jedoch in unrechtmäßiger Weise das Betriebsrisiko auf die Belegschaft.

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, § 615 Satz 1 BGB. Dies gilt entsprechend in den Fällen, in denen der Auftraggeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt, § 615 Satz 3 BGB.

Mit dem Betriebsrisiko werden Leistungsstörungen umschrieben, bei denen die Arbeitsleistung des arbeitsfähigen und arbeitswilligen Arbeitnehmers aus im Betrieb liegenden Gründen unterbleibt (BAG vom 30.01.1991, 1 AZR 338/90; BAG vom 23.06.1994, 6 AZR 853/93; BAG vom 23.09.2015, 5 AZR 146/14).

Begründet wird diese Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen des Rechts der Leistungsstörungen damit, dass dem Arbeitgeber die wirtschaftliche Initiative und das Entscheidungsrecht in Fragen der Betriebsführung zusteht. Er soll deshalb insoweit die Verantwortung und damit die Folgen tragen, die sich daraus ergeben, dass die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und die Entgegennahme der Arbeitsleistung durch ihn aus Gründen unmöglich werden, die im betrieblichen Bereich liegen (BAG vom 30.05.1963, 5 AZR 282/62).

Zwar ist die Regelung des § 615 BGB grundsätzlich abdingbar (BAG vom 10.01.2007, 5 AZR 84/06). Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 619 BGB.

Bei einem Arbeitsverhältnis ergibt sich eine Grenze für die Abbedingung aber daraus, dass der Arbeitgeber nicht generell das ihn treffende Arbeitsentgeltrisiko auf den Arbeitnehmer verlagern darf (LAG Düsseldorf vom 19.08.2014, 8 Sa 764/13; MünchKomm/Henssler § 615 BGB Rn 11; ArbRBGB/Matthes § 615 BGB Rn 102; ErfK/Preis § 615 BGB Rn 8).

Dies ist hier jedoch geschehen:

Nach dem Verständnis der Beklagten kann diese gänzlich frei darüber entscheiden, inwieweit sie Stunden auf dem Zeitkonto auf das Sollkonto verschiebt. Dies würde im Falle des Arbeitsausfalls - aus welchen Gründen auch immer - dazu führen, dass die Beklagte ohne Weiteres berechtigt wäre, Mitarbeiter mit entsprechenden Guthaben auf dem Stundenkonto nicht mehr einzusetzen. Dies hätte zur Folge, dass der Arbeitsausfall - also die Realisierung des Betriebsrisikos - keinerlei finanzielle Konsequenzen für die Beklagte hätte. Sie müsste hiernach allein die Stunden vergüten, die der Mitarbeiter irgendwann in der Vergangenheit bereits verdient hat. Weitere finanzielle Verpflichtungen würden trotz Arbeitsausfalls nicht entstehen. Der Arbeitsausfall wäre nach dem Verständnis der Beklagten hiernach also allein vom Mitarbeiter zu tragen.

Dabei ist es nicht relevant, ob eine solche Situation jemals eingetreten ist. Auf den Einwand der Beklagten, dass im Bereich der Werksfeuerwehr auch zu Zeiten der Corona-Pandemie niemals Kurzarbeit angemeldet werden musste, weil stets ausreichend Arbeit vorhanden war, kam es nicht an. Entscheidend war allein, dass die streitgegenständliche Regelung der Betriebsvereinbarung abstrakt ermöglicht hätte, das Betriebsrisiko gänzlich auf den Mitarbeiter zu übertragen. Ob von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht wurde, ist für die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Vereinbarung nicht relevant.

Dabei wird nicht übersehen, dass ein negatives Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto einen Lohn- oder Gehaltsvorschuss des Arbeitgebers darstellt und eine Verrechnung mit sonstigen Vergütungsansprüchen möglich ist, wenn allein der Arbeitnehmer darüber entscheiden kann, ob und in welchem Umfang das negative Guthaben entsteht (BAG vom 13.12.2000, 5 AZR 334/99).

So verhielt es sich hier aber gerade nicht:

Zum einen liegt bei der vorliegenden Konstellation ein negatives Guthaben im oben aufgeführten Sinne vor. Zwar erfüllt die Beklagte in Kombination von Stunden- und Sollkonto formal die tarifvertraglich geschuldete monatliche Durchschnittsarbeitszeit von 240 Stunden. Am Ende des Jahres erreichen damit formal betrachtet alle Mitarbeiter die tarifvertraglich geschuldete Arbeitszeit. Bei denjenigen Mitarbeitern, die weniger Sollschichten als notwendig geleistet haben, wird dies durch das Guthaben auf dem Stundenkonto erreicht. Bei denjenigen Mitarbeitern, die über ein entsprechendes Guthaben auf dem Stundenkonto nicht verfügen, wird dies dadurch erreicht, dass die Beklagte eben gerade diese Mitarbeiter vermehrt zu Schichten einteilt. Bei dieser Sichtweise wird jedoch übersehen, dass die auf dem Stundenkonto notierten Stunden keinem Jahr zuzuordnen sind. Gemäß § 4 Absatz 4 BV Arbeitszeit werden Salden jeweils auf das Folgejahr übertragen. Theoretisch könnte es also sein, dass - im Falle des Klägers - sich auf seinem Stundenkonto noch Stunden befinden, die er im Jahr 2015 geleistet hat. Wenn die Beklagte diese Stunden nutzen möchte, um das Nichterreichen der tarifvertraglich geschuldeten Arbeitszeit im Jahr 2023 zu kaschieren, handelt es sich - in Bezug auf das Sollkonto - um ein negatives Guthaben für das Jahr 2023.

Der Kläger hat zudem keine Möglichkeit, dieses negative Guthaben zu verhindern. Allein die Beklagte hat es in der Hand, Schichten zuzuteilen. Dies ist zwischen den Parteien letztlich auch nicht im Streit. Zwar erwähnte und beschrieb die Beklagte eine ihrer Auffassung nach "teilautonome Dienstplangestaltung". Die einzige Autonomie lag jedoch darin, dass Mitarbeiter in recht großzügigem Maße Frei- und Tauschwünsche äußern konnten. Die Entscheidungshoheit, ob derartigen Wünschen nachgegangen wird, liegt aber unstreitig letztlich bei der Beklagten. Eine Ausdehnung des Gestaltungsspielraums der Mitarbeiter liegt entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht mit Blick auf die Zahl der Urlaubstage vor. Ein solcher Gestaltungsspielraum ist jedem Arbeitsverhältnis immanent.

Die Beklagte beschäftigt 3 Dienstplaner. Diese wären nicht notwendig, wenn die Entscheidungshoheit bei den Mitarbeitern liegen würde.

Die Beklagte schilderte, welche Umstände bei der Dienstplanung berücksichtigt werden. Dies verdeutlicht, dass es die Beklagte ist, die die Planung vornimmt und entscheidend lenken kann. Es liegt in ihrem Verantwortungsbereich, wenn sie Freiwünsche berücksichtigt und genehmigt, obwohl der Mitarbeiter die 120 Sollschichten wegen seiner Freiwünsche nicht mehr erreichen kann.

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Beklagte nicht vorgetragen und behauptet hatte, dass die Mitarbeiter in der Lage sind, sich selber aktiv Schichten zuzuteilen. Sie mögen eine Art von Mitbestimmungsrecht bei Tausch und Freiwünschen haben. Unstreitig steht ihnen jedoch nicht das Recht zu, einseitig Schichten zuzuteilen. Dies bestätigte die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 11.07.2023 auf ausdrückliche Nachfrage durch das Gericht. Da die Beklagte - wie dargestellt: entgegen der Regelungen der BV Arbeitszeit - Mitarbeiter mit Guthaben auf dem Stundenkonto nicht mehr oder nur verringert einteilt, liegt mithin eine Situation vor, bei der die Mitarbeiter nicht selber darüber entscheiden können, ob ein negativer Kontostand entsteht. In einem solchen Falle ist die einseitige Verrechnung durch den Arbeitgeber nicht möglich. Ansonsten könnte der Arbeitgeber frei entscheiden, ob er die arbeits- und tarifvertraglich geschuldete Arbeitszeit anbietet oder nicht. Eine solche Konstellation ist rechtlich nicht zulässig.

Es verhielt sich auch nicht so, dass die Beklagte zumindest annährend die Sollsichten zuteilte. Sie argumentierte zwar dahingehend, dass letztlich nicht 120, sondern wegen Urlaub, Vorfesttagsbefreiungen, Rosenmontag und Feiertagen nur 94 Schichten pro Jahr gearbeitet werden müssten. Eine Verrechnung nahm die Beklagte aber stets vor in Höhe der Differenz der gebuchten Schichten und den geschuldeten 120 Schichten. Insofern befanden sich in den zugeteilten Schichten bereits die Schichten, die wegen des Tatbestandes von Urlaub oder Feiertagen ohnehin zu berücksichtigen waren. Ansonsten hätte nur eine Verrechnung in Höhe der Differenz zu 94 Sollschichten erfolgen müssen. Die tarifvertraglich geschuldeten und zu vergebenen Schichten bot die Beklagte damit jeweils bei Weitem nicht an.

Im Ergebnis übertrug die Beklagte daher in unrechtmäßiger Art und Weise das Betriebsrisiko auf den Mitarbeiter.

Hinzu tritt folgendes:

Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht mehr Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, sofern der Tarifvertrag dies nicht ausdrücklich ermöglicht. Die Sperrwirkung ist absolut und umfassend. Das Günstigkeitsprinzip gilt nicht. Unerheblich ist ferner, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer tarifgebunden ist. Entscheidend ist allein, ob das Unternehmen - eine Tarifgebundenheit auf beiden Seiten unterstellt - unter den räumlichen, zeitlichen, branchenmäßigen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen würde. Die Sperrwirkung erstreckt sich auf sämtliche Arten von Arbeitsbedingungen und damit sowohl auf materielle als auch auf formelle Arbeitsbedingungen (vgl. BAG vom 24.01.1996, 7 AZR 342/95; Kleinebrink DB 2020, 1457 ff.).

Demzufolge kann § 615 Satz 3 BGB nicht abbedungen werden, wenn der Tarifvertrag keine entsprechende Öffnungsklausel enthält. Während bei einer beiderseitigen Tarifbindung in diesem Fall der Arbeitgeber bei einem von ihm zu tragenden Betriebsrisiko die tarifvertraglich geschuldete Vergütung weiterzahlen muss, ohne dies durch eine Betriebsvereinbarung ändern zu können, gilt gleiches für den nicht tarifgebundenen Arbeitgeber für die vom ihm nach§ 611a Absatz 2 BGB geschuldete vertragliche Vergütung (Kleinebrink DB 2020, 1457 ff.). Diese Gestaltungsmöglichkeit scheidet mangels Öffnungsklausel im Tarifvertrag regelmäßig ausscheidet. Dass die Beklagte vorliegend durch eine Öffnungsklausel zum Abschluss einer solchen Regelung ausnahmsweise befugt war, trug sie nicht vor.

d) Zuletzt waren die klägerischen Berechnungen auch der Höhe nach korrekt. Zwar hatte er ursprünglich 94,80 Stunden zu viel eingeklagt, weil diese bereits ausgezahlt worden waren. Diesen ursprünglichen Rechenfehler korrigierte er jedoch im Rahmen seiner letzten Berechnungen.

Die Beklagte war daher entsprechend zu verurteilen.

III) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 91, 97 ZPO. Nachdem das Rechtsmittel hinsichtlich des bereits erstinstanzlich anhängigen Streitgegenstandes erfolgreich war, hatte die Beklagte die entsprechenden Kosten nach § 91 ZPO vollumfänglich zu tragen. Im Rahmen der Berufung war bezüglich der Kosten zu berücksichtigen, dass das Rechtsmittel erfolglos war, soweit eine Klageänderung in Form der Klageerweiterung erhoben wurde. Hier hatte daher eine entsprechende Quotelung zu erfolgen.

IV) Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Absatz 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Vielmehr musste allein eine Betriebsvereinbarung der Beklagten ausgelegt werden. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Absatz 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.

Vorschriften§ 64 Absatz 1, Absatz 2 lit. b) ArbGG, §§ 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG, § 519 ZPO, § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG, § 533 ZPO, § 529 ZPO, §§ 529, 533 ZPO, § 256 Absatz 1 ZPO, § 253 Absatz 2 Nr. 2 ZPO, § 308 ZPO, § 322 ZPO, § 611 Absatz 1 BGB, § 615 Satz 1 BGB, § 615 Satz 3 BGB, § 615 BGB, § 619 BGB, § 77 Abs. 3 BetrVG, § 611a Absatz 2 BGB, §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 91, 97 ZPO, § 91 ZPO, § 72 Absatz 2 ArbGG, § 72 Absatz 2 Nr. 2 ArbGG