Urteil vom 15.06.2023 · IWW-Abrufnummer 237271
Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 6 Sa 42/23
1. Zwar ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach § 68 ArbGG eine Zurückverweisung wegen eines Mangels im Verfahren grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Verfahren unter einem Mangel leidet, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann.
2. Ein Verfahrensfehler, der nicht mehr korrigiert werden kann, liegt vor, wenn das mit der Berufung angefochtene Urteil nicht etwa ein Zweites Versäumnisurteil sondern ein weiteres erstes Versäumnisurteil darstellt und der Kläger die Zurückverweisung beantragt hat.
Tenor: 1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.01.2023 - 12 Ca 6182/21 - aufgehoben. 2. Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung - auch über die Kosten der Berufung - an das Arbeitsgericht Köln zurückverwiesen. 3. Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Entgelt. Dabei geht es um die Abgeltung von Urlaub und um die Zahlung einer Coronaprämie.
Die Beklagte ist ein Logistikunternehmen mit Sitz in K . Der Kläger war seit dem 02.09.2019 bis zum 31.07.2021 bei der Beklagten beschäftigt. Er war tätig als Kraftfahrer mit Führerschein der Klasse CE. Die vom Kläger in Kopie zur Akte gereichte Arbeitsvertragsurkunde beinhaltet einige diskussionswürdige Klauseln. So gehören - hier nur beispielhaft genannt - gemäß § 2 Pkt. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrages das Be- und Entladen, die Fahrzeugpflege und die Fahrzeugwartung einerseits zu den vertraglichen Pflichten des Klägers. Andererseits bestimmt § 3 Pkt. 1 des Arbeitsvertrages, dass die Ladezeiten nicht zu der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zählen solle. Als Bruttomonatsvergütung wird ein Betrag in Höhe von 2.350,00 EUR genannt. Nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrages sollen damit "alle (Samstags-, Sonntags, Nacht-, Feiertags- etc) Zuschläge, geleistete Überstunden und etwaige Übernachtungspauschalen abgegolten" sein. Auf den weiteren Inhalt der Arbeitsvertragsurkunde, insbesondere auf die Regelung zum Urlaub in § 12, wird Bezug genommen. Mit der Abrechnung für den Monat Juli 2021 rechnete die Beklagte eine sogenannte Corona-Prämie in Höhe von 1.500,00 EUR ab. Sie hat diesen Betrag nach dem Vortrag des Klägers aber nicht ausgezahlt.
Der Kläger hat weiter vorgetragen, die Vertragsklausel, die bestimme, dass jede vierte Woche als Erholungsurlaub zu behandeln sei, sei nach seiner Auffassung unwirksam. Denn die Klausel vermenge den Erholungsurlaub mit den notwendigen Ruhezeiten. Außerdem sei nach § 12 des Arbeitsvertrages sei nicht klar, ob die Freistellung in der jeweils 4. Woche nach dem Prinzip "3/1" eine unwiderrufliche oder eine widerrufliche Freistellung sei. Die arbeitsvertraglichen Reglungen zum Urlaub seien hiernach jedenfalls intransparent und daher unwirksam. Insgesamt sei daher davon auszugehen, dass die Freistellung nach dem arbeitsvertraglichen Modell "3/4" den Urlaubsanspruch nicht habe erfüllen können. Aus dem Jahre 2019 stehe ihm ein nicht erfüllter Anspruch auf Urlaub von 6 Tagen zu, aus dem Jahre 2020 ein nicht erfüllter Anspruch auf Urlaub von 24 Tagen und aus dem Jahre 2019 ein nicht erfüllter Anspruch auf Urlaub von 24 Tagen. Insgesamt addiere sich so ein Abgeltungsanspruch für 54 Urlaubstage. So errechne sich die Klageforderung. Die ebenfalls von ihm geforderte Zahlung einer Coronaprämie rechtfertige sich aus der zur Akte gereichten Lohnabrechnung, in der die Prämie zwar abgerechnet, aber tatsächlich nie ausgezahlt worden sei.
Am 17.11.2021 hat der Kläger Klage beim Arbeitsgericht Köln erhoben. Im Gütetermin am 14.12.2021 ist der Kläger unentschuldigt nicht erschienen. Es ist daraufhin ein erstes klageabweisendes Versäumnisurteil gegen ihn ergangen. Auf seinen Einspruch vom gleichen Tag, dem 14.12.2021, hat am 23.06.2022 ein Einspruchstermin vor der Kammer stattgefunden. Zu diesem Termin sind beide Parteien erschienen und haben zur Sache verhandelt. Der Termin hat mit der Protokollierung eines widerruflichen Vergleichs sein Ende gefunden. Ein Verkündungstermin für den Fall des Widerrufs des Vergleichs ist nicht anberaumt worden. Mit Schriftsatz vom 07.07.2022 hat die Beklagte den Vergleich innerhalb der Widerrufsfrist widerrufen. Das Arbeitsgericht hat daraufhin für den 19.01.2023 einen Kammertermin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt. In diesem Termin ist der Kläger wiederum säumig gewesen. Das Arbeitsgericht hat sodann ein Zweites Versäumnisurteil gegen den Kläger verkündet.
Am nächsten Tag, dem 20.01.2023 hat der Kläger gegen das besagte Zweite Versäumnisurteil Berufung eingelegt und diese gleichzeitig unter Wiederholung seiner Klagebegründung begründet. Dies hat er unter anderem mit dem Hinweis darauf getan, dass er im Termin vom 23.06.2022 nicht säumig, sondern anwesend gewesen sei. Die Beklagte hat bis zuletzt zur Hauptsache nichts vorgetragen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.01.2023 - 12 Ca 6182/21 - aufzuheben und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Köln zurückzuverweisen; 2. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.01.2023 - Az. 12 Ca 6182 - aufzuheben und die Beklagte verurteilen, an ihn 5.856,92 € brutto und 1.500,00 € netto nebst Zinsen in der Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit der Rechtshängigkeit der Klage aus dem Betrag von 5.862,92 € brutto und seit dem 16.08.2021 aus dem Betrag von 1.500,00 € netto zu zahlen.Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.Nach ihrer Auffassung sei die Berufung bereits unzulässig, weil eine Berufung gegen ein Zweites Versäumnisurteil nur auf den Vortrag gestützt werden könne, dass ein Fall der schuldhaften Säumnis nicht vorliege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung führt zur Zurückweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht, weil beim Landesarbeitsgericht eine Entscheidung über den eigentlich zulässigen Rechtsbehelf, den Einspruch, nicht ergehen kann.
I. Die Berufung der Beklagten ist statthaft und insgesamt form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 b), 66 Abs. 1, 64 Abs. 4 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO.
Die Berufung ist insbesondere statthaft. Dies folgt aus dem sog. Meistbegünstigungsgrundsatz. Nach diesem Grundsatz kann der Betroffene dann, wenn statt eines weiteren ersten Versäumnisurteils ein zweites Versäumnisurteil verkündet worden ist, das Versäumnisurteil mit dem Einspruch und/oder der Berufung angreifen (hierzu und im Folgenden: LAG Hamm v. 05.10.2010 - 19 Sa 803/10 -). Ein solcher Fall ist hier gegeben, weil das Arbeitsgericht kein zweites Versäumnisurteil, sondern nur ein das vorhergegangene Versäumnisurteil aufrechterhaltendes weiteres (eben wieder erstes) Versäumnisurteil hätte erlassen dürfen. Denn nach dem ersten Versäumnisurteil vom 14.12.2021 haben die Parteien im Kammertermin vom 23.06.2022 mündlich verhandelt. Somit ist der Kläger nämlich nicht, wie es § 345 ZPO voraussetzt, im Einspruchstermin oder in dem Termin, auf den dieser ohne Verhandlung zur Hauptsache nach §§ 227, 335, 337 ZPO verlegt wurde, nicht erschienen, sondern in einem späteren, zur Fortsetzung der Verhandlung bestimmten Termin, nachdem nach Erlass des ersten Versäumnisurteils verhandelt worden war. Gegen die korrekte Entscheidung - ein weiteres erstes Versäumnisurteil - hätte für den Kläger wieder der Einspruch stattgefunden, gegen die tatsächlich erlassene Entscheidung nach § 345 ZPO hingegen nicht. Vielmehr unterliegt ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, der Berufung (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Kläger hat mit ihrer Berufung mithin das an sich statthafte Rechtsmittel gewählt.
Die Berufung des Klägers ist auch nicht deshalb unstatthaft, weil die Berufung nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur darauf gestützt werden könnte, dass im Termin vom 19.01.2023 ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Denn der - ebenfalls statthafte - Einspruch hätte der Beschränkung des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht unterlegen. Zwar entbindet auch der Meistbegünstigungsgrundsatz nicht von der Einhaltung der für ein Rechtsmittel vorgesehen Formen und Fristen. Geht es hingegen - wie hier - um eine Voraussetzung der Statthaftigkeit des Rechtsmittels überhaupt, würde es keine "Meist"-Begünstigung mehr darstellen, wenn bereits der Zugang zu einer gerichtlichen Kontrollinstanz durch Voraussetzungen behindert würde, mit denen bei Ergreifen des wahlweise statthaften Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs nicht zu rechnen wäre (LAG Sachsen 24.11.2004 - 2 Sa 263/04 -). Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht nach § 522 ZPO von Amts wegen die Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu überprüfen hat. Dazu gehört auch die Prüfung, ob die angefochtene Entscheidung tatsächlich ein zweites Versäumnisurteil ist, gegen das die Berufung nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO zulässig ist. Genau dies ist hier jedoch nicht der Fall.
II. Die Berufung des Klägers ist mit dem Hauptantrag begründet. Der Rechtsstreit war gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen. Zwar ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach § 68 ArbGG eine Zurückverweisung wegen eines Mangels im Verfahren grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Verfahren unter einem Mangel leidet, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann. Ein solcher Verfahrensfehler liegt hier vor. Das angefochtene Urteil stellt ein (weiteres erstes) Versäumnisurteil dar und der Kläger hat die Zurückverweisung beantragt. Außerdem ist eine weitere Verhandlung der Sache vor dem Arbeitsgericht erforderlich, weil das Arbeitsgericht bislang nicht selbst in der Sache entschieden hat. Wäre zu Recht ein zweites Versäumnisurteil erlassen worden, hätte das Landesarbeitsgericht aufgrund des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO keine Sachprüfung vornehmen dürfen. Es kann demgemäß auch jetzt nicht die Verhandlung der Sache an sich ziehen. Des Weiteren kann das Landesarbeitsgericht nicht anstelle des Arbeitsgerichts ein erstes Versäumnisurteil verkünden.
Für das weitere Verfahren bietet es sich an, entsprechend § 336 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verfahren, also einen Termin zu bestimmen und die nicht erschienene Partei, hier also den Kläger, zu dem neuen Termin nicht zu laden. Dann kann erneut Versäumnisurteil beantragt und die nunmehr korrekte Entscheidung erlassen werden. Danach mag der Kläger sich entscheiden, ob er dagegen den Einspruch einlegen möchte.
III. Eine Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens kann derzeit nicht erfolgen, weil der Umfang des beiderseitigen Obsiegens bzw. Unterliegens der Parteien noch nicht abgesehen werden kann. Sie war daher dem Arbeitsgericht im Rahmen seiner neuerlichen Entscheidung vorzubehalten.
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht erhoben. Nach dieser Regelung dürfen Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache durch das Arbeitsgericht nicht entstanden wären, nicht in Ansatz gebracht werden. Richtig behandelt worden wäre die Sache durch das Unterlassen der Verkündung eines als zweitem Versäumnisurteil bezeichneten Urteils.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.