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Urteil vom 23.02.2023 · IWW-Abrufnummer 237314

Landesarbeitsgericht Nürnberg - Aktenzeichen 5 Sa 322/22

Legt ein Mitarbeiter einer Gesundheitseinrichtung seinem Arbeitgeber eine im Internet gekaufte Bescheinigung über seine vorläufige Impfunfähigkeit, die ohne Kontakt mit der ausstellenden Ärztin und ohne irgendwelche Laboruntersuchungen nur nach Eintragung der persönlichen Daten ohne Überprüfung der Identität ausgestellt wurde, zu dem Zweck vor, der gesetzlich für Gesundheitseinrichtungen bis 31.12.2022 vorgesehenen Impfpflicht gegen das SARS-Co-V-2 Virus zu entgehen, kann dies eine verhaltensbedingte Kündigung ohne Abmahnung rechtfertigen.


Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 27.07.2022, Aktenzeichen: 2 Ca 116/22, abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 14.02.2022 sowie einer hilfsweise ordentlich erklärten Kündigung vom 04.04.2022 zum 31.08.2022.

Der Kläger ist bei der Beklagten aufgrund des Arbeitsvertrags vom 22.12.2009 (Bl. 4 ff d. A.) seit 01.01.2010 als Abteilungsleiter für Heizung und Sanitär zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.850,00 € beschäftigt.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine Pflege- und Gesundheitseinrichtung im Sinne des § 20a IfSG. Sie beschäftigt mehr als 10 Vollzeitarbeitnehmer.

Der Kläger wurde - wie die anderen Mitarbeiter der Beklagten - mit Schreiben vom 03.01.2022 (Anlage B 1, Bl. 52 d.A.) angeschrieben, auf die eingeführte Impflicht gem. § 20 a Infektionsschutzgesetz (IfSG) hingewiesen und aufgefordert, bis spätestens 15.03.2022 "den Nachweis der Impfpflicht" zu erbringen durch Eintrag im Mitarbeiterportal anhand eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder "eines ärztlichen Zeugnisses über die medizinische Kontraindikation, aufgrund derer sie nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV- 2 geimpft werden können".

Die Kläger legte daraufhin am 28.01.2022 eine auf seinen Namen und seine Adresse ausgestellte "Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus SARS-CoV-2" vor (Anlage B 2, Bl. 53 d.A.). Als Aussteller dieser Bescheinigung, die das Datum 04.01.2022 trägt, geht die Ärztin Dr. med. M... hervor. In der Bescheinigung heißt es u.a., dass die ausstellende Ärztin aufgrund "ihrer ärztlichen Einschätzung und Bewertung der Angaben des Patienten" nach "freiem Ermessen" zu folgender Einschätzung komme:

"Dieser Patient muss vor einer Impfung mit Covid-19 Impfstoffen eine Überempfindlichkeit gegen einzelne Inhaltsstoffe von einem Facharzt für Allergologie überprüfen lassen. Eine Unverträglichkeit einzelner Bestandteile der aktuell zugelassenen Covid-19- Impfstoffe stellt eine endgültige Impfunfähigkeit dar.

Dieser Patient ist bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens zeitlich begrenzt bis zum 06.07.2022 impfunfähig."

Weiter heißt es in der Bescheinigung, dass darüber hinaus die "konkrete Gefahr" bestünde, dass der Patient neben verschiedenen leichten und mittelschweren Nebenwirkungen weitere im Einzelnen aufgeführte "schwere Impfnebenwirkungen erleben" könne. Es heißt in der Bescheinigung unter der Überschrift "Ausschluss möglicher Impffolgen" ferner, dass weder der Hersteller des jeweiligen Impfstoffs, "noch ich als begutachtender Arzt" mit Sicherheit ausschließen könnten, dass es im Fall einer Impfung zu den genannten Impfnebenwirkungen kommen würde. Es bestünde darüber hinaus Lebensgefahr, weil "die Impfung auch tödliche Wirkungen haben könnte". Wegen des Inhalts der Bescheinigung wird ergänzend auf die Anlage B 2 (Bl. 76 d.A.) Bezug genommen.

Eine ärztliche Untersuchung oder ein persönlicher Kontakt des Klägers mit Frau Dr. M... hat nicht stattgefunden. Die von dem Kläger vorgelegte Bescheinigung wurde vielmehr durch ein Online-Portal automatisch erstellt. Dabei wurde nach Eingabe der persönlichen Daten und einer Online-Überweisung von 17,49 € ein Video mit Informationen über die Vor- und Nachteile der Impfungen abgespielt, das von dramatischer Musik unterlegt und u.a. eine Injektionsspritze auf einem Sarg, einen weinenden Mann und ein ängstliches Kind zeigt. Am Ende des Videos musste der User einen Impfstoff auswählen, den er bevorzugen würde und erhält daraufhin dessen Inhaltsstoffe angezeigt. Im Folgenden erscheint die Frage "Kannst du ausschließen, dass du gegen einen oder mehrere dieser Impfstoffe allergisch bist?" Klickt der User, wie der Kläger, dann auf "Nein, kann ich nicht ausschließen" oder "Ich bin mir nicht sicher, ob ich auf einen der genannten Stoffe allergisch reagiere" sowie "Ich versichere, dass ich umfassend aufgeklärt wurde und meine Angaben wahrheitsgemäß und mit der gebotenen Sorgfalt gemacht habe", wird automatisch eine für sechs Monate gültige "Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit" erstellt, die eine vorgedruckte Unterschrift der Ärztin enthält.

Die Beklagte richtete am 04.02.2022 ein Schreiben an den Kläger (Anlage B 5, Bl. 63 ff d.A.), in dem der Kläger gebeten wurde, sich zum Sachverhalt zu äußern. Der Kläger antwortete mit E-Mail vom 06.02.2022 (Anlage B 6, Bl. 66 d.A.), auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Mit Schreiben vom 10.02.2022 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zur geplanten außerordentlichen fristlosen Tat- hilfsweise Verdachtskündigung aus verhaltensbedingten Gründen an. Wegen des Inhalts des Anhörungsschreibens wird auf die Anlage B 7 (Bl. 67 ff d.A.) Bezug genommen. Der Betriebsrat hat am 11.02.2022 mitgeteilt, dass er keine Bedenken gegen die Kündigung äußert.

Mit Schreiben vom 14.02.2022 erklärte die Beklagte die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hiergegen hat der Kläger mit Klage vom 18.02.2022, am gleichen Tag bei Gericht eingegangen und der Beklagten am 22.02.2022 zugestellt, Kündigungsschutzklage erhoben.

Mit Schreiben vom 23.03.2022 wurde der Betriebsrat zur geplanten hilfsweisen ordentlichen fristgemäßen Kündigung angehört. Wegen des Inhalts der Anhörung wird auf die Anlage B 8 (Bl. 72 ff d.A.) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 04.04.2022 erklärte die Beklagte die Kündigung zum 31.08.2022. Insoweit hat der Kläger die Kündigungsschutzklage mit Schriftsatz vom 12.04.2022, der Beklagten am gleichen Tag zugestellt, erweitert.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die ausgesprochenen Kündigungen unwirksam seien.

Hinsichtlich des streitigen Sachvortrags beider Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angegriffenen Erstentscheidung verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 27.07.2022 der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben und entschieden, dass die ausgesprochenen Kündigungen das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Zwar habe der Kläger mit der Vorlage der streitbefangenen "vorläufigen Impfbescheinigung" seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Die außerordentliche Kündigung erweise sich aber als unverhältnismäßig, weil das mildere Mittel der Abmahnung als Reaktion auf das Fehlverhalten des Klägers ausreichend und der Beklagten zumutbar gewesen wäre. Eine Abmahnung sei im streitgegenständlichen Fall auch nicht ausnahmsweise entbehrlich gewesen, da nicht erkennbar sei, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung bei dem Kläger nicht zu erwarten gestanden hätte. Die Pflichtverletzung sei auch nicht so schwerwiegend, als dass der Beklagten eine Abmahnung unzumutbar gewesen sei. Dabei sei zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass aus der Bescheinigung hervorgehe, auf welcher Grundlage sie erstellt worden sei. Es sei erkennbar, dass die attestierte vorläufige Impfunfähigkeit nicht im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung diagnostiziert worden sei, sondern damit begründet werde, dass erst noch eine Überprüfung gegen eine Überempfindlichkeit gegen einzelne Inhaltsstoffe durch einen Facharzt erfolgen müsse. Dabei sei auch erkennbar, dass die Bescheinigung nicht aufgrund einer ärztlichen Untersuchung positiv festgestellt worden sei, sondern dass diese durch die ausstellende Ärztin lediglich nicht "mit Sicherheit ausgeschlossen" werden könnten. Die Bescheinigung täusche damit nicht vor, dass aufgrund einer ärztlichen Untersuchung positiv festgestellt worden sei, dass der Kläger aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Corona-Virus geimpft werden könne. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass nicht ersichtlich sei, dass Frau Dr. M... zum Zeitpunkt der Erstellung der Bescheinigung über keine Approbation verfügt habe. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Beklagten die Möglichkeit offenstanden habe, die vorgelegte Bescheinigung entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 20 a Abs. 2, Satz 2 IfSG dem Gesundheitsamt vorzulegen. Die Pflichtverletzung des Klägers sei zwar erheblich, aber nicht so schwerwiegend, als dass es für ihn erkennbar gewesen sei, dass deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit ausgeschlossen sei. Da die außerordentliche Kündigung als Tatkündigung unverhältnismäßig sei, könne sie sich auch nicht als Verdachtskündigung als rechtswirksam erweisen. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei im Hinblick auf das Abmahnungserfordernis ebenfalls unwirksam.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 27.07.2022 ist der Beklagten am 25.08.2022 zugestellt worden. Die Berufungsschrift der Beklagten ging beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 26.09.2022 ein. Die Berufungsbegründungsschrift ging beim Landesarbeitsgericht Nürnberg innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 15.11.2022 ein.

Unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags ist die Beklagte der Auffassung, dass der Kläger durch die Vorlage einer unrichtigen "Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 für nachfolgende Personen" seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich verletzt habe. Der Kläger habe versucht, die Beklagte darüber zu täuschen, dass ein den Regelungen des § 20 a IfSG entsprechender Nachweis vorliege. Der Kläger hätte der Beklagten eine Bescheinigung vorgelegt, die erstellt worden sei ohne jeglichen direkten ärztlichen Kontakt, ohne jegliche ärztliche Untersuchung, ohne jegliche Feststellung oder Auswertung von Laborwerten. Der Kläger hätte die Beklagte über den Wahrheitsgehalt der "Bescheinigung" täuschen wollen. Für den Kläger sei uneingeschränkt auch erkennbar gewesen, dass es sich um eine nicht ordnungsgemäße Bescheinigung handeln würde aufgrund der Umstände, wie diese erstellt worden sei. Dies habe das Arbeitsgericht auch so richtigerweise erkannt. Angesichts dieser Pflichtverletzung seien jedoch mildere Mittel als die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung nicht ersichtlich, insbesondere sei es nicht notwendig gewesen, eine Abmahnung auszusprechen. Für den Arbeitnehmer sei es regelmäßig erkennbar, dass die Vorlage unrichtiger Unterlagen, insbesondere unrichtiger Gesundheitszeugnisse, vom Arbeitgeber offensichtlich nicht hingenommen werden könne. Das Arbeitsgericht verkenne die Situation der Corona-Pandemie im Zeitraum Januar 2022 bis einschließlich März 2022. Politisch sei zu diesem Zeitpunkt noch über eine allgemeine Impfpflicht nachgedacht worden. In den Krankenhäusern hätte hinsichtlich der Patienten, der Ärzte und der Pflegekräfte eine dramatische Situation bestanden und damals hätten erhebliche Corona-Maßnahmen für Arbeitgeber, Arbeitnehmer sowie die restliche Bevölkerung bestanden. In dieser Corona-Situation sei es für den Kläger erkennbar gewesen, dass grobe Pflichtverletzungen in diesem sensiblen Bereich in keiner Weise toleriert werden könnten. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die vom Kläger vorgelegte "Bescheinigung" vorgebe, dass die attestierte vorläufige Impfunfähigkeit im Rahmen einer Untersuchung diagnostiziert worden sei. Die Bescheinigung gebe vor, dass ein Kontakt zwischen der Ärztin und dem Patienten stattgefunden habe und die Ärztin aus diesem Kontakt nach ihrer ärztlichen Einschätzung und nach ihrem freien Ermessen zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass eine vorläufige Impfunfähigkeit vorläge. Genau dies sei jedoch nicht der Fall. Die Bescheinigung sei automatisch erstellt worden und der Kläger hätte erkennen können, dass dies keine ordnungsgemäße Bescheinigung sein könne. Für die Beurteilung einer schwerwiegenden Pflichtverletzung sei es nicht relevant, ob Frau Dr. med. M... über eine Approbation verfüge. Die Pflichtverletzung ergebe sich vielmehr daraus, dass der Kläger bewusst eine ohne vorherige Untersuchung ausgestellte und somit unrichtige "Bescheinigung" über eine Impfunfähigkeit vorgelegt habe. Ob die Ärztin dabei über eine Approbation verfüge oder nicht, sei nicht von Bedeutung. Auch die Benachrichtigung des Gesundheitsamtes sei kein milderes Mittel im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, mit der die Beklagte auf die Vorlage der unrichtigen Bescheinigung hätte reagieren müssen. Der Täuschungsversuch, der über eine Verletzung der Nachweispflichten nach § 20 a IfSG hinausgehe, könne nicht vom Gesundheitsamt sanktioniert werden. Im Rahmen der arbeitsvertraglichen Pflichtenverletzung sei dies vielmehr Sache des Arbeitgebers. Auch die Interessensabwägung müsse zu Lasten des Klägers ausfallen. Durch die Vorlage des offensichtlich unrichtigen Immunitätsnachweises entstehe bei der Beklagten selbst das Risiko eines Gesetzesverstoßes und einer Ordnungswidrigkeit. Der Kläger hätte die Wahl gehabt, gar keinen Nachweis vorzulegen. Stattdessen hätte er sich entscheiden, einen "unrichtigen" nach dem Infektionsschutzgesetz nicht existenten Nachweis vorzulegen und die Beklagte somit einem Risiko auszusetzen. Mit dem unrichtigen Immunitätsnachweis habe der Kläger die Beklagte über die Voraussetzungen der Arbeitsfähigkeit täuschen wollen. Der Kläger gefährdete damit nicht nur die Beklagte wirtschaftlich, sondern auch Leib und Leben der anderen Arbeitnehmer der Beklagten, der Patienten und der Bewohner. Zudem gefährde der Kläger durch seine pflichtwidrige und strafbare Handlung, die umfangreichen und kostenintensiven Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs. Durch die Vorlage habe der Kläger das Vertrauen in unwiederbringlicher Art und Weise zerstört. Es sei für die Beklagte unzumutbar, einen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, der eindeutig zu verstehen gegeben habe, dass er sich nicht an die geltenden Regelungen, die auch für die Beklagte als auch für den Kläger Geltung hätten, halten wolle. Die Beklagte habe auch die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt, da die Beklagte zur Aufklärung des Kündigungssachverhaltes nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinende Maßnahmen ergriffen habe. Die streitgegenständliche Bescheinigung sei von dem Kläger am 26.01.2022 vorgelegt worden und am 28.02.2022 an die Personalleitung übergeben worden. Daraufhin sei der Kläger mit Schreiben vom 04.02.2022 angehört worden und ihm sei die Möglichkeit gegeben worden, sich bis spätestens 09.02.2022 zu äußern. Erst nach Ablauf der gesetzten Stellungnahmefrist habe daher die Beklagte die für die Kündigung maßgebenden Tatsachen soweit ermittelt gehabt. Sollte die Kündigung nicht als Tatkündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst haben, so sei sie jedenfalls als außerordentliche Verdachtskündigung gerechtfertigt. Hilfsweise sei das Arbeitsverhältnis auch aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 04.04.2022 beendet worden. Die Kündigungen seien auch nicht im Hinblick auf eine fehlerhafte Betriebsratsanhörung unwirksam, da der Betriebsrat über alle ausgesprochenen Kündigungen ordnungsgemäß informiert worden sei.

Die Beklagte und Berufungsklägerin stellt in der Berufungsinstanz folgende Anträge:

I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 27.07.2022 (2 Ca 116/22) wird abgeändert.

II. Die Klage wird abgewiesen.

III. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Kläger und Berufungsbeklagte stellt in der Berufungsinstanz folgende Anträge:

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Berufungsklägerin.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Für den Kläger sei nicht ersichtlich gewesen, dass es sich um eine fehlerhafte Bescheinigung gehandelt habe, die er der Beklagten vorgelegt habe. Zu keinem Zeitpunkt habe er eine Täuschungsabsicht gehabt. Warum die Bescheinigung ergeben solle, dass ein Kontakt zwischen Ärzten und Patienten stattgefunden habe, erschließe sich dem Kläger nicht, da eine Krankschreibung ja auch per Telefon möglich gewesen sei. In der allgemeinen Diskussion zu den Impfstoffen sei in den Medien immer wieder erwähnt worden, dass es sich um eine sogenannte Schnellzulassung handle, die Ehefrau des Klägers sei im April 2020 1 Monat nach dem Corona-Ausbruch nach 6 Jahren schwerer Krankheit im Klinikum B... an Krebs verstorben. Der Kläger habe die Grenzen der Schulmedizin erlebt und deshalb besonders intensiv die Diskussion bezüglich der schnell zugelassenen Corona-Impfstoffe in den Medien verfolgt. So habe er sich die vorläufige Bescheinigung besorgt und auch einen Termin im Klinikum E... vereinbart, um die genauen Modalitäten prüfen zu lassen. Hätte die Beklagte Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung gehabt, hätte sie diese dem Gesundheitsamt vorlegen müssen, was sie bis zum heutigen Tage jedoch nicht gemacht habe. Der Kläger ist auch der Auffassung, dass die Abmahnung ein milderes Mittel gewesen sei und diese auch im Hinblick auf die Schwere des Pflichtverstoßes nicht entbehrlich gewesen sei. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte auch weiterhin Arbeitnehmer beschäftige, die nicht gegen Corona geimpft seien und ebenfalls täglich direkten Kontakt mit den Patienten hätten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, 2 b, c ArbGG) und ist frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, S. 1, 64 Abs. 6, Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung hat in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis rechtmäßig gemäß § 626 Abs. 1 BGB gekündigt. Das Arbeitsverhältnis endete damit mit Zugang dieser fristlosen Kündigung am 14.02.2022. Die gegen die streitgegenständliche Kündigung gerichtete Kündigungsschutzklage ist als unbegründet abzuweisen.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die rechtliche Überprüfung nach § 626 Abs. 1 BGB erfolgt in zwei Stufen: Zum einen muss der Kündigungssachverhalt - unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles - überhaupt an sich geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen der Interessensabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zum Überwiegen des berechtigten Interesses des Kündigenden an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (BAG, Urteil vom 29.06.2017 - 2 AZR 302/16, BAG, Urteil vom 27.06.2019 - 2 AZR 28/19 und BAG vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18).

2. Mit der Vorlage der Bescheinigung der vorläufigen Impfunfähigkeit bei der Beklagten liegt eine Tatsache vor, die an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund zu bilden. Zudem führt auch eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls dazu, dass der Beklagten eine Weiterbeschäftigung des Klägers über den Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung hinaus, nicht zumutbar ist. Ein wichtiger Grund zur Kündigung "an sich" kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Dies betrifft sowohl die auf die Hauptleistungspflicht bezogene Nebenleistungspflicht, die der Vorbereitung, der ordnungsgemäßen Durchführung und der Sicherung der Hauptleistung dient und diese ergänzt, aber auch sonstige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) erwachsenen Nebenpflichten (BAG, Urteil vom 20.10.2016 - 6 AZR 471/15).

3. a) Die Beklagte ist eine Pflege- und Gesundheitseinrichtung im Sinne des § 20 a Abs. 1 IfSG. Der Kläger wird jedenfalls in einer Einrichtung nach § 20 a IfSG tätig. Der Kläger ist daher nach den Regelungen des § 20 a IfSG verpflichtet, der Beklagten als seinem Arbeitgeber einen der Vorschrift entsprechenden, gültigen Immunitätsnachweis gegen Covid 19 vorzulegen. Ein Immunitätsnachweis im Sinne des § 20 a Abs. 2 IfSG ist ein Impf- oder Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis über eine Schwangerschaft im ersten Drittel bzw. eine Impfunfähigkeit aufgrund einer medizinischen Kontraindikation. Bei § 20 a IfSG handelt es sich um eine sogenannte "einrichtungsbezogene" Nachweispflicht und nicht um eine "tätigkeitsbezogene" Nachweispflicht. Täuscht ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Vorlage der gesetzlich geforderten Nachweise bzw. ärztlichen Zeugnisse, so stellt dies eine ganz erhebliche schwerwiegende Verletzung der sich aus § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20 a Abs. 2, Satz 1 IfSG ergebenden Nebenverpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis dar. Dies würde auch dann gelten, wenn der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit nicht unter den § 20 a, Abs. 1, Satz 1 IfSG fallen würde, da grundsätzlich anzunehmen ist, dass ein Arbeitnehmer gegen seine Nebenpflichten verstößt, wenn er seinem Arbeitgeber wissentlich unrichtige Bescheinigungen vorlegt, insbesondere, wenn es sich hierbei um Gesundheitsbescheinigungen handelt. Täuscht eine Person über die Voraussetzung des Vorliegens eines verlangten Nachweises und weckt damit bei dem Arbeitgeber den Eindruck oder versucht die Person den Eindruck zu erwecken, dass es sich um einen nach § 20 a, Abs. 2, S. 1 IfSG akzeptierten Nachweis handelt, dann handelt es sich dabei um eine schwere Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis (siehe hierzu auch LAG Schleswig-Holstein vom 24.11.2022 - 4 Sa 139/22, dessen Begründung sich die erkennende Kammer uneingeschränkt wie folgt anschließt): Die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung enthält eine klare und eindeutige medizinische Aussage. Diese besteht darin, dass mit der Bescheinigung "dieser Patient", also der Kläger, bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens zeitlich begrenzt impfunfähig ist. Weiterhin heißt es in der Bescheinigung, dieser Patient müsse vor einer Impfung mit Covid 19-Impfstoffen eine Überempfindlichkeit gegen einzelne Inhaltsstoffe von einem Facharzt für Allergologie überprüfen lassen. Zu dieser Einschätzung sei die Ausstellerin der Bescheinigung (Ärztin Dr. M...) aufgrund ihrer ärztlichen Einschätzung und Bewertung der Angaben des Patienten nach freiem Ermessen gelangt.

Liest ein unbefangener Dritter ohne Recherche im Internet eine solche Bescheinigung, so muss bei ihm aufgrund des Inhalts der Bescheinigung der Eindruck entstehen, es habe einen individuellen persönlichen Patientenkontakt mit der Ärztin einschließlich individueller Anamnese gegeben. Mit der Formulierung, "dieser Patient muss vor einer Impfung mit Covid-19 Impfstoffen eine Überempfindlichkeit gegen einzelne Inhaltsstoffe von einem Facharzt für Allergologie überprüfen lassen", wird zum Ausdruck gebracht, dass hier in der individuellen Situation des Patienten und damit dem Kläger, Umstände begründet sind, die nach ärztlicher Einschätzung und Bewertung der Angaben des Patienten zu der attestierten vorläufigen Impfunfähigkeit führen. Zwar heißt es weiterhin in der Bescheinigung, weder der Hersteller noch der begutachtende Arzt könnten mit Sicherheit ausschließen, dass es im Falle einer Impfung zu den genannten unerwünschten Impfnebenwirkungen kommen würde. Dies ist aber kein hinreichend deutlicher Hinweis darauf, dass überhaupt keine individuelle Prüfung der gesundheitlichen Situation des Klägers stattgefunden hat.

Im Gegenteil: Mit der klaren Aussage einer zeitlich begrenzten Impfunfähigkeit bezogen auf "diesen Patienten", dessen Angaben aufgrund ärztlicher Einschätzung bewertet wurden, wird der Eindruck erweckt, es werde dort nicht nur eine bloße allgemeine "Haltung" zu den Impfstoffen und deren Gefährlichkeit attestiert, sondern es entsteht der Eindruck, eine Ärztin habe nach individueller Kontaktierung aufgrund der individuellen Situation dieses Patienten eine Bescheinigung erstellt.

Auch das Erscheinungsbild der Bescheinigung, die die persönlichen Daten des Klägers enthält und zudem das eigens zusätzlich genannte Datum der Bescheinigung sprechen dafür, dass diese Bescheinigung eine stattgefundene persönliche Anamnese und Begutachtung seitens der ausstellenden Ärztin belegen soll. Andernfalls macht die Befristung der vorläufigen Impfunfähigkeit keinen Sinn.

Mit der vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung wird auch gerade eine individuelle Aussage zur Situation des Klägers hinsichtlich einer vorläufigen Impfunfähigkeit innerhalb des genannten Zeitraums getroffen. Es handelt sich nicht lediglich um die Wiedergabe einer vom Gesetzgeber nicht geteilten medizinischen Ansicht. Keineswegs hat der Kläger mit der Vorlage dieser Bescheinigung lediglich seine Bedenken und Vorbehalte zum damaligen Zeitpunkt verschriftlicht und mit dieser Bescheinigung über die Beklagte das Gesundheitsamt animieren wollen, eine weitergehende Untersuchung anzuordnen. Zwar ist es richtig, dass mit der Bescheinigung die Notwendigkeit einer Überprüfung durch einen Facharzt für Allergologie genannt wird. Insoweit trifft es sicherlich zu, dass sich der vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung entnehmen lässt, eine ärztliche Abklärung müsse noch erfolgen, um ausschließen zu können, ob Bestandteile des jeweils zu verabreichenden Impfstoffs gegen Covid-19 eine allergische Reaktion bei dem Kläger auslösen können. Dies ändert aber nichts daran, dass mit der Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit die bescheinigende Ärztin Dr. M... eine klare medizinische Aussage trifft, nämlich die vermeintlich zeitlich begrenzte vorläufige Impfunfähigkeit bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens beziehungsweise bis zum 4. Juli 2022. Es kann also keine Rede davon sein, dass der Kläger mit der Vorlage dieser Bescheinigung lediglich seine generellen Sorgen hinsichtlich der Impfreaktionen beziehungsweise eine vom Gesetzgeber nicht geteilte medizinische Ansicht wiedergeben wollte. Dazu hätte er nicht eine solche ärztliche Bescheinigung vorlegen müssen, die den Eindruck vermittelt, eine Ärztin habe eine individuelle Prüfung der gesundheitlichen Situation des Klägers aufgrund eines mindestens telefonischen Kontaktes bezüglich einer etwaigen Impfunverträglichkeit vorgenommen.

Mit der Vorlage der vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung hat der Kläger versucht, die Beklagte darüber zu täuschen, dass zumindest zeitlich befristet eine medizinische Kontraindikation gemäß § 20 a Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG vorliegt. Ein solches ärztliches Attest, das eine medizinische Kontraindikation attestiert, setzt voraus, dass eine individuelle Anamnese, Befundung und Epikrise durch ärztliche Begutachtung stattgefunden habe. Dies setzt zwingend voraus eine individuelle Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation ärztlicherseits. Das Generieren einer vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung im Internet durch wenige Klicks ohne persönlichen oder mindestens telefonischen direkten ärztlichen Kontakt entspricht dem nicht.

Die ausgestellte Impfunfähigkeitsbescheinigung erweckt den Eindruck, es habe eine solche Anamnese, Befundung und Epikrise stattgefunden. Es wird nicht lediglich eine allgemeine ärztliche Skepsis gegenüber einer Impfung gegen das CoronavirusSARS-CoV-2 zum Ausdruck gebracht, sondern die Bescheinigung erweckt den Eindruck, dass individuell bezogen auf die genannte Person - hier der Kläger - die bescheinigende Ärztin am 4. Januar 2022 zu einer ganz konkreten medizinischen Einschätzung bezogen auf den Kläger gelangt ist, und zwar mit dem Ergebnis einer zeitlich begrenzten Impfunfähigkeit. Eine solche konkrete medizinische Beurteilung suggeriert aber, dass eine Anamnese, Befundung und Epikrise individuell stattgefunden haben.

Das Vorlegen einer solchen vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung, mit der der Eindruck erweckt werden soll, es habe eine individuelle Anamnese und Befundung stattgefunden, ist eine schwerwiegende Pflichtverletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Nebenpflicht gemäß § 241 Absatz 2 BGB. Eine solche Nebenpflichtverletzung verliert ihre Eignung als Kündigungsgrund "an sich" nicht deshalb, weil hier nicht etwa ein Impfnachweis oder Genesenennachweis gefälscht wurde. Zwar ist es richtig, dass die Schwere der Pflichtwidrigkeit wohl noch höher wäre, wenn es sich um den Fall der Fälschung eines Impfnachweises oder Genesenennachweises handeln würde. Dies ändert aber nichts daran, dass auch die Vorlage einer Bescheinigung über eine vorläufige Impfunfähigkeit, deren Zeitraum genau benannt wird, eine erhebliche Pflichtverletzung darstellt, wenn sie - wie hier - den Eindruck erwecken soll, es handele sich um das Ergebnis einer individuellen Prüfung der gesundheitlichen Situation des konkret benannten Patienten. Dieser Versuch der Täuschung der Arbeitgeberin ist deshalb arbeitsvertraglich schwerwiegend, weil die Regelung in § 20 a Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG damit missbraucht werden soll. Auch wenn die Bescheinigung nicht ausdrücklich sich bezieht auf § 20 a Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG und nicht ausdrücklich formuliert ist als ärztliches Zeugnis über eine medizinische Kontraindikation, so soll sie doch dennoch bei der Arbeitgeberin, der diese Bescheinigung vorgelegt wird, den Eindruck erwecken, aufgrund einer vorhergehenden individuellen Anamnese und Befundung sei die attestierende Ärztin aufgrund eines persönlichen und mindestens telefonischen Kontakts mit dem Patienten zu der Einschätzung gelangt, es sei jedenfalls befristet von einer medizinischen Kontraindikation auszugehen. Letztlich soll die Bescheinigung und deren Vorlage also - obwohl die gemäß § 20 a Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG gebotene individuelle Untersuchung/Befundung nicht stattgefunden hat - den Eindruck erwecken, es liege jedenfalls für den befristeten Zeitraum eine medizinische Kontraindikation aufgrund einer individuellen Prüfung vor. Damit ist beabsichtigt, die Arbeitgeberin durch Vorlage einer solchen vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung von arbeitsrechtlichen Maßnahmen ab dem 15. März 2022 abzuhalten. Es kommt insoweit nicht darauf an, welche konkreten arbeitsrechtlichen Maßnahmen möglich wären. Entscheidend ist, dass mit einer solchen Bescheinigung über eine vorläufige Impfunfähigkeit sich der Kläger seiner entweder öffentlich-rechtlichen oder jedenfalls arbeitsvertraglichen Nebenpflicht aus § 241 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 20 a Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 IfSG zumindest vorübergehend entziehen wollte, obwohl es keine konkrete Begutachtung ihrer Impfunverträglichkeit gab.

Dem Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsgrunds "an sich" steht auch nicht entgegen, wie tauglich oder untauglich der Täuschungsversuch ist. Für die arbeitsvertragliche Beziehung und die arbeitsvertragliche Pflichtverletzung ist entscheidend, dass der Kläger mit der Vorlage der Bescheinigung für die Impfunfähigkeit versuchte, die Beklagte über eine bei ihr angeblich individuell festgestellte vorläufige Impfunfähigkeit jedenfalls bis zum 4. Juli 2022 zu täuschen. Abzustellen ist auf die subjektive Vorstellung des Klägers hinsichtlich seines Tuns. Unerheblich ist insoweit auch die Argumentation des Klägers in der Berufungserwiderung, es handele sich nicht um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis gemäß §§ 277 ff StGB. Dies kann hier dahingestellt bleiben. Es geht nicht um die strafrechtliche Wertung, sondern allein darum, dass der Kläger eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht aus § 241 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 20 a Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG verletzte, indem er eine Bescheinigung vorlegte, die für einen unbefangenen Dritten ohne Recherche im Internet den Eindruck erwecken musste, es liege bei ihm aufgrund individueller Prüfung mit entsprechender Kontaktaufnahme eine ärztliche Begutachtung mit dem Ergebnis einer vorläufigen Impfunfähigkeit vor.

Entgegen der Auffassung des Klägers sperrt auch nicht die Vorschrift des § 20 a IfSG die Anwendung des § 626 Absatz 1 BGB. § 20 a Absatz 2 Satz 2 IfSG ergibt zunächst die Verpflichtung der Arbeitgeberin, das Gesundheitsamt über den fehlenden Nachweis oder über Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises zu informieren. Der Wortlaut verbietet es der Arbeitgeberin gerade nicht, in diesem Zusammenhang eigenverantwortlich arbeitsrechtliche Maßnahmen durchzuführen. Systematisch ergäbe sich eine Sperre für die Arbeitgeberin nur dann, wenn man § 20 a Absatz 2 Satz 2 IfSG so verstünde, dass eine Arbeitgeberin ausschließlich in ihren Handlungen auf die Information des Gesundheitsamts begrenzt wäre. Dagegen spricht aber - wie das Arbeitsgericht Lübeck in einem Parallelverfahren bereits zutreffend ausgeführt hat (Urteil vom 20.09.2022 - 3 Ca 187/22-) - die Vorschrift des § 20 a Absatz 5 IfSG. § 20 a Absatz 5 IfSG regelt ausschließlich die Handlungsoptionen des Gesundheitsamts und nicht etwa die daneben bestehenden der Arbeitgeberin.

Letztlich ist für das Vorliegen einer schwerwiegenden Pflichtverletzung und eines Kündigungsgrunds "an sich" auch ganz wesentlich, dass die Beklagte als Verantwortliche einer Einrichtung beziehungsweise eines Unternehmens im Sinne des § 20 a Absatz 1 Satz 1 IfSG auch den Patienten gegenüber Schutzpflichten zu beachten hat und insoweit in besonderer Weise darauf angewiesen ist, dass nicht nur die bei ihr mit Patientenkontakt tätigen Beschäftigten die gesetzlichen Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes wahren, um den bestmöglichen Schutz für Patienten und insbesondere für vulnerable Patienten zu gewährleisten. In derartigen Konstellationen hat eine Arbeitgeberin - wie hier die Beklagte - vor allem angesichts der Neuregelung in § 20 a IfSG ein berechtigtes Interesse daran, dass die bei ihr beschäftigten Personen sich an die Verpflichtung aus § 20 a Absatz 2 Satz 1 IfSG halten und insoweit nicht durch möglicherweise mehr oder weniger taugliche Versuche der Täuschung diese zu umgehen versuchen. Der Versuch einer Umgehung - wie hier des § 20 a Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG - mit der Maßgabe, dem Adressaten der Bescheinigung zu suggerieren und vorzuspiegeln, es habe eine individuelle ärztliche Prüfung stattgefunden - wirkt sich besonders belastend auf das Arbeitsverhältnis und gravierend auf das Vertrauensverhältnis aus (so auch Pieper, NZA-RR 2022, Seite 454) und zerstört dieses aus Sicht des Arbeitgebers bezüglich der Redlichkeit des Klägers.

b) Bei Vorliegen des "an sich" geeigneten außerordentlichen Kündigungsgrunds ist es der Beklagten unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile auch nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Sachverhalt, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur Kündigung zu bilden, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine umfassende, auf den Einzelfall bezogene Interessensabwägung dahingehend zu erfolgen hat, ob dem kündigenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der eingetretenen Störung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Zu berücksichtigen sind dabei regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Die außerordentliche Kündigung muss stets das letzte Mittel sein. Sie kommt deshalb nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein schonenderes Gestaltungsmittel wie etwa Abmahnung, Versetzung oder ordentliche Kündigung gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck, die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses zu erreichen (BAG, Urteil vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18).

Die unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmende umfassende und auf den Einzelfall bezogene Interessensabwägung führt dazu, dass das Interesse der Beklagten an der fristlosen Kündigung das Beschäftigungsinteresse des Klägers über diesen Zeitpunkt hinaus überwiegt.

Grundsätzlich akzeptiert die Berufungskammer natürlich, wenn der Kläger im Hinblick auf eine Impfung Sorge um seine Gesundheit hat und akzeptiert selbstverständlich auch, wenn der Kläger Bedenken bezüglich einer Impfung und deren Nebenwirkungen hat. Dies relativiert aber nicht den Grad des Verschuldens beim Umgang mit der streitgegenständlich vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung. Dabei bleibt es nicht erklärbar, warum der Kläger den Aufwand betrieb, im Internet sich gegen Zahlung eines Betrages eine Bescheinigung über eine vorläufige Impfunfähigkeit zu besorgen, obwohl für ihn ohne weiteres erkennbar war, dass diese Impfbescheinigung nicht im Ansatz das Ergebnis einer individuellen Prüfung einer gesundheitlichen Situation war. Nimmt man die Bedenken des Klägers ernst und akzeptiert man seine Haltung, sich nicht impfen lassen zu wollen bzw. dies erst klären lassen zu wollen, dann stellt sich jedenfalls die Frage, warum der Kläger diesen Weg über das Internet gegangen ist, anstatt sich gegenüber seinem Arbeitgeber zu offenbaren. Der Kläger hätte sein berechtigtes Interesse ohne Weiteres in der Weise verfolgen können, als dass er auf die Aufforderung des Arbeitgebers entweder diese darüber unterrichtet hätte, weder über einen Impfnachweis noch einen Genesenennachweis noch seinerzeit über ein auf seine individuelle Prüfung beruhendes ärztliches Zeugnis einer medizinischen Kontraindikation zu verfügen. Er hätte dann auch beim Arbeitgeber darauf hinwirken können, eine individuelle Überprüfung abzuwarten bzw. das Gesundheitsamt zur Ermittlung einer Impfunverträglichkeit einzuschalten. Dieser Weg war auch ohne Weiteres möglich. Ein Zeitdruck bestand nicht. Der Kläger sollte die entsprechenden Nachweise erst bis zum 15.03.2022 in das Mitarbeiterportal eintragen. Der Kläger hatte also genügend Zeit, den Arbeitgeber über seine Situation hinzuweisen und auch dahingehend zu informieren, dass er sich bemüht, eine medizinische Kontraindikation zu besorgen. In diesem Zusammenhang ist es nicht glaubhaft, als der Kläger hierbei vorträgt, er habe bereits am 05.02.2022 sich an die Uniklinik E... gewandt und einen Termin bei der Allergieambulanz der Uniklinik E... für den 23.08.2022 verabredet. Diese Terminvereinbarung ist allein im Zusammenhang mit dem Anhörungsschreiben der Beklagten vom 04.02.2022 zu sehen, als die Beklagte dem Kläger mitgeteilt hat, dass sie die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung von Frau Dr. M... nicht akzeptieren möchte und dem Kläger insoweit eine Stellungnahmefrist bis zum 09.02.2022 gesetzt hat. Damit zeigt sich, dass der Kläger alleine im Hinblick auf das Schreiben der Beklagten vom 04.02.2022 aktiv geworden ist, um seine "Impfunverträglichkeit" auch durch eine ärztliche Untersuchung klären zu lassen. Im Übrigen bleibt es dabei, dass der Kläger im Hinblick auf die Vorlageverpflichtung bis zum 15.03.2022 ohne zeitliche Not sich diese Bescheinigung besorgt hat und sie der Beklagten trotz der Kenntnisse der Umstände, wie die Bescheinigung automatisiert zustande gekommen ist, vorgelegt hat. Die Kammer ist damit überzeugt, dass der Kläger diese Bescheinigung vorgelegt hat, um dem Adressaten den Eindruck vermitteln zu wollen, die Bescheinigung sei geeignet, um sich zumindest vorübergehend der Verpflichtung aus § 20 a Abs. 2, S. 1 IfSG zu entziehen. Soweit der Kläger vorträgt, er habe an der Bescheinigung keine Zweifel haben müssen, so hält dies die Kammer für eine Schutzbehauptung und geht vielmehr davon aus, dass der Kläger genau wusste, dass es sich hierbei nicht um eine ordnungsgemäße Bescheinigung handeln kann, alleine aufgrund der Art und Weise, wie sie zustande gekommen ist. Eine Bescheinigung, wie von dem Kläger vorgelegt, wird durch das Online-Portal automatisch ausgestellt. Es erfolgt lediglich die Eingabe der persönlichen Daten - ohne jegliche Überprüfung der Identität - und enthält eine Online-Überweisung von 17,49 €. Sobald beides erfolgt ist, wird ein Video abgespielt, das über die Vor- und Nachteile der Impfung informieren soll. Dabei wird jedoch auch schon vermittelt, wie die Meinung der Betreiber der Webseite dazu aussehe. Die Online-Bescheinigung erfolgt dann ohne persönlichen Kontakt zwischen dem Kläger und der ausstellenden Ärztin und ohne dass irgendwelche Laboruntersuchungen erstellt worden sind. Auch ein medizinischer Laie kann ohne Weiteres damit erkennen, dass aufgrund des Ablaufs keine ordnungsgemäße Bescheinigung vorliegen kann. Im Gegenteil, nimmt man den Kläger auch in seiner Begründung ernst, demnach er Zweifel an der Schuldmedizin entwickelt hat und sich deswegen bezüglich der Impfrisiken intensiv auseinandergesetzt hat, hätte er bei seinen Recherchen bezüglich der Impfunverträglichkeitsbescheinigung einer Dr. M... durch einfache Recherchen im Internet zum Ergebnis kommen müssen, dass bezüglich Frau Dr. M... bereits staatsanwaltliche Ermittlungen in diesem Zusammenhang geführt werden und auch entsprechende strafrechtliche bzw. wettbewerbsrechtliche Verfahren bezüglich Frau M... und auch entsprechende kritische Berichte bezüglich Frau Dr. M... und ihrem Geschäftsmodell zugänglich waren. Nimmt man den Kläger beim Wort, ist davon auszugehen, dass der Kläger diese kritischen Berichte hätte entdecken können. Gleichwohl hat es ihn nicht abgehalten, eine entsprechende Dr. M...-Bescheinigung seinem Arbeitgeber vorzulegen. Der Kläger ist dabei auch zielgerichtet und bewusst vorgegangen. Er besorgte sich die Bescheinigung im Internet, um keine Nachteile im Arbeitsverhältnis zu erleiden, die aus der fehlenden Impfung oder dem fehlenden Genesenenstatus sich hätten ergeben können. Der Kläger nutzte vielmehr ganz bewusst und zielgerichtet ein zweifelhaftes Angebot im Internet, mit dem der Eindruck durch die Erstellung einer Bescheinigung über eine vorläufige Impfunfähigkeit erweckt werden sollte. Auch wenn der Kläger selbst keinen medizinischen oder pflegerischen Beruf ausübt, ist die erkennende Kammer davon überzeugt, dass es für ihn ohne Weiteres erkennbar gewesen ist, dass die Bescheinigung nicht ordnungsgemäß ist, da keine individuelle Prüfung bzw. kein individueller Kontakt mit einem Arzt oder Ärztin stattgefunden hat. Hätte der Kläger tatsächlich Bedenken bezüglich einer Impfunverträglichkeit gehabt, wäre es nahegelegen, dass er sich durch seinen Hausarzt oder einen anderen Facharzt hätte untersuchen lassen. Zu Lasten des Klägers und zu Gunsten der Beklagten ist in der Interessensabwägung zu berücksichtigen, dass § 20 a Abs. 2, S. 1 IfSG ein überragendes Gut sichern soll, nämlich die öffentliche Gesundheit, aber auch die Gesundheit der Beschäftigten der Beklagten und der sich dort aufhaltenden Patienten. Die Beklagte kann es nicht hinnehmen, dass ein Mitarbeiter sich seiner Verpflichtung aus § 20 a Abs. 2, S. 1 IfSG i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB entzieht, in dem er die Beklagte täuscht bzw. zu täuschen versucht über eine vermeintlich individuelle Untersuchung, die tatsächlich nicht stattgefunden hat. Die Beklagte hat dabei ein Interesse daran, dass sich jeder Mitarbeiter bezüglich der Nachweispflicht korrekt verhält und nicht suggeriert oder zu suggerieren versucht, was nicht der Wahrheit entspricht. Auch die persönliche Erklärung des Klägers, warum er eine entsprechende Impfunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat, ist zu seinen Lasten zu werten. Der Kläger hat vorgetragen, dass er aufgrund des Todes seiner Ehefrau Zweifel an der Schulmedizin entwickelt habe, dies ist an sich auch zu respektieren und zu akzeptieren. Wird aber - wie hier - von ihm eine Bescheinigung beim Arbeitgeber vorgelegt, um damit den Eindruck zu erwecken, es liege in der Person ein individuelles Risiko hinsichtlich etwaiger Impfnebenfolgen vor, so ist bei der Bewertung der beiderseitigen Interessen sehr wohl zu berücksichtigen, ob es vorgetragene Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Befürchtung über eine generelle Angst vor der Impfung hinaus begründet wird, aufgrund einer besonderen individuellen gesundheitlichen Situation. Dabei mag es Fälle geben, in denen Mitarbeiter aufgrund ihrer gesundheitlichen Erfahrung und bisherigen Erkrankungen konkrete Gründe haben, warum sie von einer medizinischen Kontraindikation ausgehen. Daran fehlt es aber hier. Der Kläger hat überhaupt nichts vorgetragen, aufgrund welcher individuellen gesundheitlichen Situation er möglicherweise durch Erkrankung in der Vergangenheit befürchtet, an Impfnebenfolgen erkranken zu können und sich deshalb hinreißen ließ, eine Bescheinigung im Internet zu besorgen. Im Gegenteil, es bleibt bei der Einlassung des Klägers bei einem abstrakten Bedürfnis, sich nicht impfen zu lassen, dies rechtfertigt jedoch nicht, eine Bescheinigung vorzulegen, die ein individuelles Risiko bezüglich Impfnebenfolgen begründen soll.

4. Schließlich gab es für die Beklagte auch keine milderen Reaktionsmöglichkeiten als den Ausspruch der fristlosen Kündigung. Insbesondere ist sie nicht zu verweisen auf eine Abmahnung als schonenderes Gestaltungsmittel. Dies gilt auch vor dem Hintergrund des langjährigen Beschäftigungsverhältnisses des Klägers und seines an sich unbelasteten Arbeitsverhältnisses. Zu Gunsten des Klägers ist selbstverständlich die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und dass dieses bisher unbeanstandet bestanden hat zu berücksichtigen. Dennoch führt die Schwere der Pflichtverletzung dazu, dass die Beklagte nicht darauf verwiesen werden muss, sie hätte als schonenderes Mittel eine Abmahnung aussprechen müssen. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in der Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09). Dabei ist zudem zu beachten, dass eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört wird. Je länger die Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose gerechtfertigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgebraucht wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit oder Einschätzung des Arbeitgebers an, entscheidend ist dabei ein objektiver Maßstab (BAG, Urteil vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist trotz der Betriebszugehörigkeit des Klägers ohne erkennbare bisherige Belastung des Arbeitsverhältnisses eine Abmahnung dennoch kein geeignetes schonenderes Mittel.

Der Kläger hat ohne Rücksicht auf die gewichtigen Interessen der Beklagten - Gewährleistung des Gesundheitsschutzes in der Klinik - ohne Rücksicht versucht, seine eigenen Interessen durchzusetzen, indem er zielgerichtet im Internet eine Bescheinigung gegen Geld kaufte, mit der er beabsichtigte, sich zumindest vorübergehend seiner Verpflichtung aus dem Infektionsschutzgesetz gegenüber der Beklagten zu entziehen. Dabei handelt es sich um eine so schwere Pflichtverletzung, deren Hinnahme durch die Beklagte - offensichtlich auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen war. Der Kläger arbeitete bereits schon über einen längeren Zeitraum im Krankenhaus der Beklagten. Der Kläger war auch aufgrund seiner Tätigkeit als Abteilungsleiter für Heizung und Sanitär durchaus sensibilisiert über die Gesundheitsinteressen der Kolleginnen und Kollegen und Patienten. Gerade zur Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit und der Gesundheit der Kontaktpersonen in der Klinik entschied sich der Gesetzgeber zu der Nachweispflicht nach § 20 a Abs. 2, S. 1 IfSG. Durch das Besorgen der Bescheinigung aus dem Internet ohne direkten ärztlichen Kontakt hat der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass ihn insoweit die betrieblichen Belange der Arbeitgeberin bezüglich des Gesundheitsschutzes nicht interessieren. Eine solche Haltung belegt ein Desinteresse an der Einhaltung dieser gesetzlichen Vorschriften. Ein solch rücksichtsloses Vorgehen ist eine so schwere Pflichtverletzung, deren Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich auch für den Kläger erkennbar ausgeschlossen ist. Die Beklagte muss uneingeschränkt darauf vertrauen, dass die bei ihr beschäftigten Personen gesetzliche Vorschriften und Vorgaben insoweit beachten. Der Kläger hat durch sein Vorgehen dieses Vertrauen massiv und unwiederbringlich zerstört. Der Kläger musste wissen, dass die Beklagte ein überragendes Interesse daran hat, dass sich die bei ihr beschäftigten Mitarbeiter redlich bei der Vorlage der geforderten Bescheinigung verhalten. Für eine im Gesundheitswesen tätige Person, auch wenn sie nur im technischen Bereich des Krankenhauses tätig ist, kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass eine Bescheinigung über eine Impfunverträglichkeit eine individuelle Anamnese nach ärztlicher Konsultation verlangt. Wer diesen Weg nicht einhält und sich ohne ärztlichen Kontakt gegen Geld im Internet eine Bescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber herunterlädt, zerstört das auch nach langjähriger Beschäftigung aufgebaute Vertrauen der Arbeitgeberin in die Redlichkeit massiv und damit endgültig.

Angesichts der Schwere dieses vertraglichen Fehlverhaltens muss sich die Beklagte nicht entgegenhalten lassen, sie hätte darauf mit einer Abmahnung reagieren und gegenüber dem Kläger zum Ausdruck bringen müssen, Diskussion über die Sinnhaftigkeit und die Gefährlichkeit von Impfungen seien nicht mit Dokumenten zu führen, die den Anschein einer individuellen ärztlichen Untersuchung hervorrufen. Im Gegenteil, der Kläger hätte die Alternative gehabt, sich vertragstreu zu verhalten und den Arbeitgeber über seine Bedenken der Impfrisiken zu informieren. Die Beklagte war dabei auch nicht gehalten, Zweifel an der Impfverträglichkeitsbescheinigung mit dem Gesundheitsamt zu diskutieren. Entscheidend ist, dass der Kläger versucht hat, mit der Impfunverträglichkeitsbescheinigung ohne Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers seine Belange durchzusetzen.

Schließlich kommt als milderes Mittel auch nicht eine ordentliche Kündigung in Betracht. Das Verhalten des Klägers ist eine so gravierende Pflichtverletzung, als dass es der Beklagten nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis auch bis zu einer ordentlichen Kündigung aufrechtzuerhalten.

5. Die Kündigung scheitert auch nicht an § 626 Abs. 2 BGB. Nach unstrittigem Sachvortrag beider Parteien hat der Kündigungsberechtigte, nämlich die Leitung der Personalabteilung, am 28.01.2022 vom Kündigungssachverhalt Kenntnis erlangt. In der Regel gehört die Anhörung des Arbeitnehmers zur Aufklärung des Kündigungssachverhalts (BAG, Urteil vom 02.03.2006 - 2 AZR 46/05). Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Um den Lauf der Frist aber nicht länger als unbedingt notwendig hinauszuschieben, muss die Anhörung innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen nicht mehr als 1 Woche betragen, kann aber bei Vorliegen besonderer Umstände auch überschritten werden. Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes war es geboten, dass die Beklagte dem Kläger Gelegenheit gibt, zum Zustandekommen der vom Kläger vorgelegten Impfunverträglichkeitsbescheinigung Stellung zu nehmen. Solange eine entsprechende Stellungnahme erfolgt, läuft die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht an. Im vorliegenden Fall kann zwar durchaus beanstandet werden, dass die Beklagte nach Kenntnis am 28.01.2022 nicht mit der notwendigen Eile tätig geworden ist, sondern sich noch bis zum 04.02.2022 Zeit genommen hat, das Anhörungsschreiben an den Kläger zu verschicken und diesem nochmals Gelegenheit gegeben hat, bis zum 09.02.2022 Stellung zu nehmen. Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes geht die erkennende Kammer dabei davon aus, dass die Kündigungserklärungsfrist für die Beklagte bereits am 04.02.2022 angelaufen ist und damit am 18.02.2022 geendet hat. Mit Ausspruch der Kündigung vom 14.02.2022 und dem damit verbundenen Erhalt am gleichen Tag, hat die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten.

6. Die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung vom 14.02.2022 ist auch im Hinblick auf die erforderliche Betriebsratsanhörung nicht gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam.

Nach § 102 Abs. 1, S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören.

Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1, S. 2 BetrVG die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1, S. 3 BetrVG unwirksam. Auch eine nicht ausreichende Unterrichtung des Betriebsrats führt zur Unwirksamkeit der Betriebsratsanhörung. Der Kläger hatte lediglich pauschal gerügt, dass die vorgenommene Betriebsratsanhörung unzureichend sei. Hierzu hat die Beklagte unter Vorlage der Anlage B 7 (Bl. 67 d.A.) vorgetragen, dass sie den bei ihr befindlichen Betriebsrat am 10.02.2022 angehört hat. Die Anlage B 7 gibt auch wieder, dass der Betriebsrat den Erhalt des Anhörungsschreibens bestätigt hat und beschlossen hat, gegenüber der beabsichtigten Kündigung keine Bedenken zu äußern. Im Anhörungsschreiben selbst ist der Kündigungsgrund und auch die sozialen Daten des Klägers umfassend wiedergegeben, so dass die erkennende Kammer von der ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats ausgeht und insoweit keine Unwirksamkeit der Kündigung im Hinblick auf eine fehlerhafte Betriebsratsanhörung vorliegt.

Auf die Berufung der Beklagten ist die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern und die Klage abzuweisen.

III.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

2. Für die Zulassung der Revision bestand kein gesetzlich begründeter Anlass (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Vorschriften§ 20a IfSG, § 20 a Infektionsschutzgesetz (IfSG), § 626 Abs. 1 BGB, § 20 a Abs. 2, Satz 2 IfSG, § 20 a IfSG, § 626 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1, 2 b, c ArbGG, §§ 66 Abs. 1, S. 1, 64 Abs. 6, Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 241 Abs. 2 BGB, § 20 a Abs. 1 IfSG, § 20 a Abs. 2 IfSG, Satz 1 IfSG, § 20 a, Abs. 1, Abs. 2, S. 1 IfSG, § 20 a Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG, § 241 Absatz 2 BGB, § 20 a Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 IfSG, §§ 277 ff StGB, § 626 Absatz 1 BGB, § 20 a Absatz 2 Satz 2 IfSG, § 20 a Absatz 5 IfSG, § 20 a Absatz 1 Satz 1 IfSG, § 20 a Absatz 2 Satz 1 IfSG, § 102 Abs. 1 BetrVG, § 102 Abs. 1, S. 1 BetrVG, S. 2 BetrVG, S. 3 BetrVG, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG