Urteil vom 13.02.2023 · IWW-Abrufnummer 237336
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 10 Sa 27/22
1. Nach § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG kann die Frist zur Begründung der Berufung "einmal" auf Antrag verlängert werden. Eine mehrfache Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren deshalb unwirksam (im Anschluss an BAG 7. November 2012 - 7 AZR 314/12 - Rn. 19; 13. September 1995 - 2 AZR 855/94 - zu II 2 der Gründe m.w.N.; 6 Dezember 1994 - 1 ABR 34/94 - zu B I. der Gründe).
2. Verlängert das Berufungsgericht dennoch ein zweites Mal die Berufungsbegründungsfrist und begründet ein Rechtsanwalt die Berufung erst innerhalb der ein zweites Mal verlängerten Frist, kann ihm dennoch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Angesichts der klaren Rechtslage kann er sich nicht mit Erfolg auf den Fehler des Berufungsgerichts berufen.
In der Rechtssache
- Kläger/Berufungskläger/Berufungsbeklagter -
Proz.-Bev.:
gegen
- Beklagte/Berufungsklägerin/Berufungsbeklagte -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 10. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Zimmermann, den ehrenamtlichen Richter Huber-Frey und den ehrenamtlichen Richter Wilcken auf die mündliche Verhandlung vom 30.11.2022 für Recht erkannt:
Tenor: 1. Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers vom 29. Juni 2022 in die Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit Urteil vom 17. Februar 2022, das sowohl dem Prozessbevollmächtigten des Klägers als auch dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten - nachfolgend: Kläger und Beklagte - am 16. März 2022 zugestellt worden ist, hat das Arbeitsgericht die Klage zum Teil abgewiesen, zum Teil hat es ihr stattgegeben. Beide Parteien haben am 19. April 2022, dem Dienstag nach den Osterfeiertagen, Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2022 haben beide Parteien die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, der Kläger bis 15. Juni 2022, die Beklagte bis 30. Juni 2022. Den Verlängerungsanträgen ist mit Verfügung vom 17. Mai 2092 jeweils stattgegeben worden. Am 10. Juni 2022 stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers folgenden Antrag:
"In Sachen ... sind wir genötigt, um Erstreckung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 30. Juni 2022 zu ersuchen. ....."Daraufhin ist durch den Vertreter der Vorsitzenden die Berufungsbegründungsfrist bis 30. Juni 2022 verlängert worden. Mit Verfügung vom 22. Juni 2022 ist darauf hingewiesen worden, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht ein zweites Mal verlängert werden kann.
Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Durch die zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit Verfügung vom 10. Juni 2022 sei für den Kläger ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Aus dem Gebot des fairen Verfahrens i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip folge, dass das das Gericht gehindert sei, einer Prozesspartei aus eigenen oder jedenfalls dem Gericht zuzurechnenden Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen Verfahrensnachteile entstehen zu lassen. Zwar sei der Wortlaut des § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG eindeutig. Die dennoch vom Gericht eingeräumte zweite Fristverlängerung sei so deutlich gewesen, dass auch der Kläger den sicheren Eindruck haben musste, er brauche sich nicht nach dem Gesetzeswortlaut zu richten, sondern könne sich auf die Entscheidung des Gerichtes verlassen. Er habe davon ausgehen dürfen, dass das Gericht auch unter Abwägung des Prinzips der Waffengleichheit im Zivilprozess dem Kläger dieselbe Berufungsbegründungsfrist habe einräumen wollen wie zuvor schon der Beklagten. Nur im Vertrauen auf die verlängerte Berufungsbegründungsfrist habe er die zum Zeitpunkt des Eingangs der zweiten Fristverlängerung noch offene Berufungsbegründungsfrist bis 15. Juni 2022 nicht genutzt.
Im Berufungstermin am 30. November 2022 hat der Kläger beantragt,
dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.Die Beklagte hat beantragt,
den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen.Zur Begründung trägt sie vor, die gesetzliche Beschränkung der lediglich einmaligen Fristverlängerungsmöglichkeit verhindere das Entstehen eines Vertrauenstatbestandes, welche selbst bei Fehlern des Gerichts als Verschulden im Sinne von § 233 ZPO eine Wiedereinsetzung ausschließe.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sowie der Wiedereinsetzung in diese Frist wird auf die gewechselten Schriftsätze im Berufungsverfahren Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers ist zulässig. Er ist jedoch nicht begründet.
1. Die Entscheidung, durch die eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt wird, muss auch dann durch Urteil ergehen, wenn sie isoliert vorab und nicht zusammen mit der Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung getroffen wird (BGH 19. Juli 2007 - I ZR 136/05 - Rn. 14; Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 238 Rn. 2; Saenger ZPO 9. Aufl. § 238 Rn. 4). Dies gilt hier umso mehr, als hier eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Es handelt sich um ein Zwischenurteil nach § 303 ZPO (Musielak/Voit/Grandel ZPO 19. Aufl. § 238 Rn. 4; MünchKommZPO/Stackmann 6. Aufl. § 238 Rn. 10; BeckOKZPO/Vorwerk/Wolf 47. Ed. § 238 Rn. 10).
Eine Vorabentscheidung allein über den Wiedereinsetzungsantrag ist im vorliegenden Verfahren angezeigt, weil die Berufung des Klägers als eigenständige Berufung unzulässig wäre und nur noch als unselbständige Anschlussberufung aufrechterhalten werden könnte (vgl. hierzu BGH 2. Februar 2016 - VI ZB 33/15 - Rn. 6 ff.). Da die Beklagte erwogen hat, in diesem Fall ihre Berufung zurückzunehmen, und die Anschlussberufung des Klägers in diesem Fall ihre Wirkung verlöre (§ 524 Abs. 4 ZPO), will das Berufungsgericht für alle Seiten Klarheit schaffen, ob die Berufung des Klägers selbständig bestehen bleiben kann oder als Anschlussberufung von der Berufung der Beklagten abhängig ist.
2. Der Wiedereinsetzungsantrag ist am 29. Juni 2022 beim Berufungsgericht eingegangen und damit innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO, da auf den gerichtlichen Hinweis in der Verfügung vom 22. Juni 2022 abzustellen ist, wonach die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden ist. Der Antrag ist auch formgerecht gestellt (§ 236 Abs. 1 ZPO).
3. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Die zweite Verlängerung durch das Berufungsgericht ist unwirksam. Auf sie kann sich der Kläger nicht erfolgreich zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags berufen.
a) Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG, § 221 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB) lief zunächst am 16. Mai 2022 ab, nachdem das Urteil dem Kläger am 16. März 2022 zugestellt worden ist. Aufgrund des innerhalb der Berufungsbegründungsfrist und damit rechtzeitig am 16. Mai 2022 gestellten Verlängerungsantrags des Klägers und der entsprechenden Verlängerung durch das Berufungsgericht endete die Berufungsbegründungsfrist am 15. Juni 2022.
b) Demgegenüber war die weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch Verfügung vom 13. Juni 2022 bis zum 30. Juni 2022 unwirksam.
Nach § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG kann die Frist zur Begründung der Berufung "einmal" auf Antrag verlängert werden. Aufgrund einer bewussten Entscheidung des historischen Gesetzgebers (dazu BT-Drucks. 8/1567 S. 34) weicht diese Regelung von der entsprechenden Regelung in der Zivilprozessordnung ab. Nach § 520 Abs. 2 ZPO ist die Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bei Einwilligung des Gegners ohne Einschränkungen und damit auch mehrfach möglich. Eine mehrfache Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren deshalb unwirksam (BAG 7. November 2012 - 7 AZR 314/12 - Rn. 19; 13. September 1995 - 2 AZR 855/94 - zu II 2 der Gründe m.w.N.; 6 Dezember 1994 - 1 ABR 34/94 - zu B I. der Gründe). Selbst wenn der Beklagtenvertreter der erneuten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zugestimmt hätte, begründete dies wegen der Unterschiedlichkeit der Rechtslage zwischen dem Arbeitsgerichtsgesetz und der Zivilprozessordnung nicht die Wirksamkeit der zweiten Verlängerung.
c) Nach § 233 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden u.a. die Frist zur Begründung der Berufung nicht eingehalten hat. Dabei steht nach § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich.
aa) Eine Partei ist ohne ihr Verschulden verhindert, eine der in § 233 ZPO genannten Fristen einzuhalten, wenn der Säumige diejenige Sorgfalt aufgewendet hat, die von ihm verständigerweise erwartet werden konnte. Dabei ist auf die Person des Säumigen und die gesamten Umstände abzustellen. Hinsichtlich der Sorgfaltspflichten eines Prozessbevollmächtigten bedeutet dies, dass ein Verschulden entsprechend § 276 BGB dann zu verneinen ist, wenn er die von einem Rechtsanwalt üblicherweise zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher nicht erst dann zu gewähren, wenn der Prozessbevollmächtigte trotz Aufwendung der äußersten nach Sachlage erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt die Frist versäumt hat. Für die Annahme eines Verschuldens genügt es nicht, eine lediglich objektiv mögliche Sorgfalt zu beschreiben, durch die der Fehler hätte verhindert werden können. Vielmehr muss die Beachtung dieser Sorgfalt im Einzelfall auch zumutbar sein, d.h. noch den nach der konkreten Sachlage zu stellenden Erwartungen entsprechen (BAG 7. November 2012 - 7 AZR 314/12 - Rn. 24 m.w.N.).
bb) Grundsätzlich darf sich ein Prozessbevollmächtigter bei einer klaren Rechtslage nicht auf eine falsche Auskunft des Gerichts verlassen (BVerfG 4. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03 - Rn. 16). Der vorliegende Rechtsstreit enthält keine Gesichtspunkte, die ein Abweichen hiervon rechtfertigten, insbesondere erkennen ließen, dass die Beachtung der klaren Rechtslage dem Kläger nicht zumutbar gewesen ist: Die gesetzliche Regelung des § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG ist eindeutig und sprachlich ohne weiteres nachvollziehbar. Das Bundesarbeitsgericht hat sich daher schon frühzeitig dahin positioniert, dass die erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wegen Verstoßes gegen § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG, der dem § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG a.F. entspricht, unwirksam ist (BAG 4. Februar 1994 - 8 AZB 16/93 - zu II. 2. a) bb) der Gründe) und zwar selbst dann, wenn erst durch die zweite Verlängerung eine insgesamt einmonatige Verlängerung erreicht würde (BAG 6. Dezember 1994 - 1 ABR 34/94 - zu B I. der Gründe). Ausdrücklich hat es auf die anderslautende Regelung im Vergleich zu § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO a.F., der § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO n.F. entspricht, abgestellt und den im arbeitsgerichtlichen Verfahren vorherrschenden Grundsatz der Beschleunigung hingewiesen, dem eine mehrfache Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht dienlich wäre. Beim Kläger konnte anders als bei schwer verständlichen gesetzlichen Regelungen deshalb kein Anlass zur Annahme entstehen, das Berufungsgericht weiche aus pragmatischen oder sonstigen Gründen bewusst von der gesetzlichen Regelung ab (zu einer solchen Konstellation vgl. BVerfG 4. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03 - Rn. 16). Die gesetzlich eindeutige Beschränkung verhindert vielmehr das Entstehen eines Vertrauenstatbestandes und schließt - selbst bei Fehlern des Gerichts - wegen Verschuldens i.S.v. § 233 ZPO eine Wiedereinsetzung aus (so auch Schwab/Weth ArbGG 6. Aufl. § 66 Rn. 83; GK-ArbGG/Vossen Stand Dezember 2019 § 66 Rn. 109; GMP/Schleusener ArbGG 10. Aufl. § 66 Rn. 38).
cc) Das Verschulden muss allerdings auch ursächlich für die Fristversäumung sein. Dies ist vorliegend der Fall. Die Ursächlichkeit des schuldhaften Verhaltens des Klägers entfällt nicht wegen des Fehlers des Gerichts, die Berufungsbegründungsfrist ein zweites Mal zu verlängern.
(1) Der Kläger hat einen Antrag auf erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt. Erst hierauf ist das Gericht tätig geworden. Er hat in seinem zweiten Verlängerungsantrag auch nicht auf die bereits erfolgte erste Verlängerung bis 15. Juni 2022 hingewiesen. Er hat vielmehr nur um "Erstreckung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 30. Juni 2022" ersucht. Ein solches Vorgehen birgt von vornherein die Gefahr in sich, dass ein Gericht nicht erkennt, dass die Berufungsbegründungsfrist schon einmal zuvor verlängert worden ist. Die Gefahr wird durch die nie auszuschließende Möglichkeit, dass ein Vertretungsfall bei Gericht vorliegt und die vertretende richterliche Person deshalb erstmals mit dem Rechtsstreit befasst wird, erhöht. Aber auch wenn die Sachbearbeitung immer in derselben Hand gelegen hat, ist angesichts der Zeitabstände zwischen den einzelnen Bearbeitungsschritten sowie der Vielzahl an Verfahren ein präsentes Wissen um die erste Verlängerung nicht selbstverständlich. Auch bei der Aktendurchsicht können Schriftsätze und Verfügungen übersehen werden. Darüber hinaus hat der Kläger nicht ausgeführt, die Fristverlängerung bis 30. Juni 2022 sei mit der Beklagten abgestimmt, was häufig in Unkenntnis der Sondervorschrift des § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG im Verhältnis zu § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO geschieht. Eine Erklärung hierzu wäre aber schon deshalb nötig gewesen, weil der Kläger - sollte eine Prüfung der prozessualen Voraussetzungen für die zweite Fristverlängerung vorangegangen sein - insgesamt eine Verlängerung von mehr als einem Monat haben wollte (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Bei einer solchen Formulierung wäre dem Gericht aufgefallen, dass dem Kläger die speziellere Vorschrift des § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG nicht bekannt ist oder jedenfalls in diesem Moment nicht präsent. Es hätte dann Anlass bestanden zu prüfen, weshalb sich der Kläger auf die Einwilligung des Gegners beruft, obwohl diese im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht von Bedeutung ist. Auch diese Prüfung war aber mangels Vortrag des Klägers nicht veranlasst.
(2) Dieses schuldhafte Verhalten kann auch nicht deshalb hinweg gedacht werden, weil das Gericht dem Antrag zu Unrecht stattgegeben hat. Der Fehler in der Sphäre des Gerichts lässt die Kausalität des Fehlers des Prozessbevollmächtigen des Klägers nicht entfallen. Denn anders als in den Fällen, in denen das Gericht als einzige Auskunftsquelle eine fehlerhafte Auskunft erteilt, auf der die Fristberechnung aufbaut (BGH 29. Mai 1974 - IV ZB 6/74 - ) oder eine Rechtsmittelbelehrung fehlt und deshalb Kausalität für die Fristversäumnis angenommen werden kann (BVerfG 2. März 2014 - 2 BvR 53/13 - zu I. 1. a) der Gründe) oder gar Formfehler bei der Protokollierung eines Rechtsmittels vom Gericht verursacht sind (BVerfG 10. Oktober 2012 - 2 BvR 1094/12 - zu 2. a) der Gründe) oder mehrfach falsche Hinweise gegeben worden sind (BVerfG 4. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03 - mit allerdings zutreffender abweichender Meinung der Richterin Haas), musste sich hier dem Prozessbevollmächtigten bei ordnungsgemäßer Prüfung der Voraussetzungen eines Verlängerungsantrages aufdrängen, dass dem Berufungsgericht ein Fehler unterlaufen ist. Da sich bei ihm wie dargestellt ein Vertrauenstatbestand angesichts einer klaren prozessualen Regelung nicht bilden durfte, konnte er sich auf die unwirksame zweite Verlängerung nicht verlassen. Ihm war es möglich und es musste ihm bei ordnungsgemäßer Prüfung zwingend auffallen, dass das Gericht einen Fehler gemacht hat. Dass der Kläger allerdings keine Prüfung der Voraussetzungen einer zweiten Fristverlängerung vorgenommen hat, lässt sich aus dem Umstand ableiten, dass er selbst zu den Voraussetzungen des § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO nichts vorgetragen hat. Dann aber besteht keine schützenswerte Rechtsposition des Klägers, die allein durch das Verhalten des Berufungsgerichts beeinträchtigt worden wäre.
(3) Nichts anderes gilt, wenn dem Kläger - wofür sein Vortrag im Schriftsatz vom 29. Juni 2022 auf S. 2 spricht, wonach "er den sicheren Eindruck haben musste, er brauche sich nicht nach dem Gesetzeswortlaut zu richten, sondern könne sich auf die Entscheidung des Gerichtes verlassen" - die nur einmalige Verlängerungsmöglichkeit im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren bekannt gewesen ist. Fehler des Gerichts entbinden einen Rechtsanwalt nicht von eigener Prüfung. Jedenfalls muss dann nachgehalten und das Gericht um Aufklärung gebeten werden. Eine Waffengleichheit im Zivilprozess dahin, dass jeder Partei stets genau gleich viel Zeit zur Berufungsbegründung zustehen muss, existiert nicht - jedenfalls nicht dahin, dass jedweder Verlängerungsantrag eines Berufungsklägers zur stets gleichen Verlängerung des anderen Berufungsklägers führt und deshalb ein klarer Gesetzeswortlaut unbeachtet bleibt.
(4) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Berufungsbegründung noch rechtzeitig binnen der ersten Fristverlängerung bis zum 15. Juni 2022 hätte fertigen können, wenn das Berufungsgericht dem zweiten Antrag auf Fristverlängerung nicht stattgegeben hätte, sondern diesen - rechtlich zutreffend - zurückgewiesen hätte. Dem steht bereits das eigene Vorbringen des Klägers aus seinem Antrag vom 10. Juni 2022 entgegen, wonach er gerade nicht in der Lage gewesen ist, die Berufungsbegründung bis 15. Juni 2022 zu fertigen. Dass dieses Vorbringen unzutreffend gewesen ist, behauptet der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst nicht. Er hat vielmehr im Schriftsatz vom 29. Juni 2022, mit dem er Wiedereinsetzung beantragt hat, auf die im Verlängerungsantrag vorgebrachten erheblichen Gründe verwiesen.
4. Das Zwischenurteil ist wie ein Endurteil anfechtbar (vgl. BGH 20. März 1967 - VII ZR 296/64 - zu I. der Gründe; 19. Juli 2007 - I ZR 136/05 - Rn 13 ff.; Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 238 Rn. 7). Die Voraussetzungen des § 72 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war.
ZimmermannHuber-FreyWilckenVerkündet am 13.02.2023