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Urteil vom 17.03.2023 · IWW-Abrufnummer 237342

Landesarbeitsgericht Sachsen - Aktenzeichen 4 Sa 133/22

§ 6 Abs. 4 BDSG schützt auch den stellvertretenden Datenschutzbeauftragten vor dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung.


In dem Rechtsstreit
....
...
- Berufungsbeklagter / Kläger -
Prozessbevollm.:Rechtsanwälte ...
..
gegen
...
vertreten durch die ...
....
- Berufungsklägerin / Beklagte -
Prozessbevollm.:Rechtsanwälte ...
....
hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 4 - durch den Richter am Landgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Herr ... auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2023
fürRechterkannt:

Tenor: 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 11.03.2022 - 12 Ca 1371/21 - wird zurückgewiesen. 2. Der Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 KSchG wird zurückgewiesen. 3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. 4. Die Revision ist nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz weiterhin über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 19.05.2021 und der ordentlichen Kündigung vom 23.06.2021. Ferner ist die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 29.07.2021 und der ordentlichen Kündigung vom 28.02.2022 zwischen den Parteien in Streit.

Der am 28.12.1975 geborene, verheiratete Kläger ist bei der beklagten ..., die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne von § 23 Abs. 1 KSchG und mehr als 15 Arbeitnehmer im Sinne von § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BEEG beschäftigt, seit dem 01.01.2011 angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft einzelvertraglicher Bezugnahme unter § 2 des Arbeitsvertrages vom 25.11.2010 der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und der Besondere Teil Verwaltung in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung Anwendung. Der Kläger erhielt eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 13 TVöD-VKA. In der Zeit bis zum 30.09.2017 wurde der Kläger als Referent der Rechtsstelle eingesetzt. Ab dem 01.10.2017 übte er die Tätigkeit als Leiter des Bauordnungsamtes der Beklagten aus. In dieser Funktion oblag ihm u.a. die Leitung und Unterstützung der im Bauordnungsamt beschäftigten Mitarbeiter, die Prüfung und Bearbeitung von Widersprüchen, die Führung von Gerichtsverfahren sowie allgemeine Verwaltungstätigkeiten. Dabei war er direkt der Oberbürgermeisterin unterstellt. Mit Wirkung ab dem 25.05.2018 wurde der Kläger mit seiner Zustimmung zusätzlich zum stellvertretenden Datenschutzbeauftragten der Beklagten bestellt.

Anlass für eine bereits vorausgegangene Kündigung vom 11.06.2019 war ein Vorgang auf dem Grundstück der Eheleute ... am 23.05. 2019. Zwischen den Eheleuten ... und deren Nachbarn bestand eine Streitigkeit über die Höhe einer Grenzmauer. Der Kläger führte einen Ortstermin u.a.auf dem Grundstück der Eheleute ... durch. Nach den Feststellungen des Klägers betrug die Höhe der Grenzmauer 2, 80 Meter. Im Zuge der Durchführung des Ortstermins traten Auseinandersetzungen mit den Eheleuten ... auf. Ca. 15 Minuten nach Beginn des Ortstermins kam ein Mitarbeiter der Stadtwerke, Herr ... hinzu. Der Hergang des Geschehensablaufs im weiteren Verlauf des Ortstermins ist zwischen den Parteien streitig.

Am 27.05.2019 ging bei der Beklagten eine an die Oberbürgermeisterin der Beklagten gerichtete, auf den 25.05.2019 datierte "Dienstaufsichtsbeschwerde"(Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 26.08.2019; Bl. 49/50 d. A.) gegen den Kläger ein, in der sich die Eheleute ... über das Verhalten des Klägers am 23.05.2019 beschwerten. U.a. brachten die Eheleute zum Ausdruck, dass sich der Kläger eines "völlig unangemessenen Tonfalls" bedient habe und sie sich durch sein Verhalten "genötigt und bedroht" gefühlt hätten. Der Kläger habe sich trotz wiederholter Aufforderung geweigert, das Grundstück zu verlassen. In der Folge des Vorfalls habe sich Herr ... in ärztliche Behandlung begeben müssen.

Mit Schreiben vom 28.05.2019 wurde dem Kläger das Schreiben der Eheleute ... zur Stellungnahme bis zum 07.06.2019 übersandt und er ab dem 29.05.2019 von seiner Tätigkeit freigestellt. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 06.06.2019 (Anlage B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 26.08.2019; Bl. 52/53 d. A.), welches am Folgetag im Büro der Oberbürgermeisterin einging. Hierin stellte der Kläger die Vorgänge am 23.05.2019 abweichend von der Darstellung der Eheleute dar. U.a. bestritt er, aufgefordert worden zu sein, das Haus zu verlassen, und dies verweigert zu haben.

Die in diesem Zusammenhang ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 11.06.2019 wurde vom Arbeitsgericht Leipzig als rechtsunwirksam angesehen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten wegen fehlerhafter Personalratsanhörung zurückgewiesen. Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe durch bewusst falschen Prozessvortrag diese Entscheidung herbeigeführt. Diesen unwahren Prozessvortrag des Klägers zieht die Beklagte als Kündigungsgrund der außerordentlichen Kündigung vom 19.05.2021 heran.

Die außerordentliche Kündigung vom 19.05.2021 ist dem Kläger am 20.05.2021 zugegangen.

Der Kläger hatte von der Bundesagentur für Arbeit nach Ausspruch der Kündigung vom 19.05.2021 Arbeitslosengeld bezogen. Mit Schreiben vom 03.07.2019 zeigte die Bundesagentur für Arbeit gegenüber der Beklagten einen Anspruchsübergang ab dem 02.07.2019 an. Der Kläger hat beginnend mit dem 30.01.2020 gegenüber der Beklagten ungeminderten Verzugslohn geltend gemacht. Die auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche hat der Kläger dabei nicht in Abzug gebracht. Mit Schreiben vom 18.05.2021 wies der Beklagte klägerische Verzugslohn Ansprüche zurück. Mit weiterem Schreiben vom 22.6. 2021 forderte die Beklagte den Kläger auf bis zum 30.06.2021 seine Ansprüche detaillierten prüffähig darzulegen. Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe in betrügerischer Absicht Verzugslohn in ungeminderter Höhe beantragt.

Der Kläger hat die ausgesprochenen Kündigungen jeweils mit Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Leipzig angegriffen. Die Beklagte hat Widerklage wegen der begehrten Verzugslohnansprüche erhoben.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Leipzig vom 11.03.2022 - 12 Ca 1371/21 - Bezug genommen. Der dortige Tatbestand ist umfänglich und vollständig. Tatbestandsrügen sind nicht erhoben worden.

Das Arbeitsgericht Leipzig hat den Kündigungsschutzklagen stattgegeben und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Die Widerklage wurde zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass bezüglich der außerordentlichen Kündigungen die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden ist. Die ordentlichen Kündigungen seien gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG unwirksam, da der Kläger stellvertretender Datenschutzbeauftragter sei. Der Weiterbeschäftigungsantrag sei daher begründet. Die Widerklage sei unbegründet, da die Entstehung eines Schadens bei der Beklagten nicht ersichtlich sei.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 11.03.2022 - 12 Ca 1371/21 - wurde der Beklagten am 12.04.2022 zugestellt. Am 12.05.2022 hat die Beklagte gegen das Urteil Berufung beim Sächsischen Landesarbeitsgericht eingelegt. Nach entsprechender Fristverlängerung wurde die Berufung am 13.07.2022 durch die Beklagte begründet.

Die Beklagte ist der Ansicht das Bestreiten des Geschehensablaufs auf dem Grundstück der Eheleute ... durch den Kläger erfolge wider besseren Wissens. Durch sein Prozessverhalten habe der Kläger bei der Beklagten einen erheblichen finanziellen Schaden in Form der Gehaltsnachzahlung erwirkt. Der Stadtrat habe diese Kündigung am 13.05.2020 zugestimmt. Die außerordentliche Kündigung vom 29.07.2021 sei wegen unrechtmäßiger Beanspruchung von Zahlungen i.H.v. 95.539,91 € gerechtfertigt. Die Beklagte habe sich einerseits den Forderungen des Klägers, andererseits den Ansprüchen der Bundesagentur für Arbeit ausgesetzt gesehen. Der Stadtrat habe diesen Kündigungen am 21.07.2021 zugestimmt.

Die Beklagte beantragt.

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 11. März 2022, Az. 12 Ca 1371/21, wird hinsichtlich Ziffer 1. bis Ziffer 5. sowie hinsichtlich Ziffer 7. abgeändert. 2. Die Klage wird abgewiesen.

Hilfsweise beantragen die Beklagte.

3. Das Arbeitsverhältnis wird gemäß § 9 KSchG aufgelöst.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. der Hilfsantrag wird zurückgewiesen

Der Kläger verteidigt das ergangene Urteil und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Am 13.03.2023 hat das Gericht einen Hinweisbeschluss erlassen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 17.03.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b und c ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sowie ausgeführte Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 11.03.2022 ist zurückzuweisen, denn sie ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat, soweit es der Klage stattgeben hat, zu Recht nach den Anträgen des Klägers erkannt.

A.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die dem Kläger am 20.05.2021 zugegangene außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 19.05.2021 nicht aufgelöst worden.

Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 19.05.2021 ist in Hinblick auf die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 unwirksam. Ausweislich der Berufungsbegründung stimmte der Stadtrat der beabsichtigten Kündigung bereits am 13. Mai 2020 zu. Die Personalratsanhörung erfolgte ebenfalls am 13. Mai 2020 (S. 8 der Berufungsbegründung vom 13. Juli 2022 unter Verweis auf die Anl.B5, B6 und B7). Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 BGB endete 2 Wochen nach dem Stadtratsbeschluss vom 13. Mai 2020. Dies ist der 28. Mai 2020.

Da die außerordentliche Kündigung vom 19.5.2021 erst nach dem 28. Mai 2020 ausgesprochen worden ist, ist die außerordentliche Kündigung bereits gemäß § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.

B.

Darüber hinaus - und selbstständig tragend - liegt kein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vor. Der Kläger hat im Vorprozess seine subjektive Sicht des Geschehensablaufes wiedergegeben. Der Nachweis, dass bereits dieser Sachvortrag seinerseits einen Kündigungssachverhalt darstellt, obliegt dem Arbeitgeber. Hierzu rechnet auch das subjektive Element eines Betrugsvorwurfs.

Die Beklagte stützt die außerordentliche Kündigung vom 19.05.2021 auf bewusst unwahren Prozessvortrag des Klägers im Vorprozess.

Der aus Sicht der Beklagten eine Kündigung rechtfertigende Sachverhalt war ihr aus dem Vorprozess bereits aufgrund des Verfahrens beim Arbeitsgericht Leipzig mit dem Az. 6 Ca 1848/19 bekannt. Der Kläger hat stets eine abweichende Schilderung des Geschehensablaufes vom 23.05.2019 vorgetragen. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht Leipzig endete mit Urteil vom 01.07.2020. Damit lag ein instanzabschließendes Urteil vor. Spätestens ab diesem Zeitpunkt begann die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen. Am 15. 07.2020 war die Kündigungserklärungsfrist für die Beklagte abgelaufen.

Tatsächlich hatte die Beklagte bereits seit Beginn des Kündigungsschutzprozesses vor dem Arbeitsgericht Leipzig mit dem Az. 6 Ca 1848/19 Kenntnis von dem Kündigungssachverhalt. Der Kläger hat in diesem - vorgelagerten - Kündigungsschutzprozess stets eine abweichende Schilderung des Geschehensablaufes vom 23.05.2019 vorgetragen. Die Zurkenntnisnahme der Beklagten von diesem, aus ihrer Sicht, bestehenden Kündigungsgrundes belegt die Tatsache der Stadtratsbeteiligung zur außerordentlichen Kündigung und der erfolgten Personalratsanhörung zur außerordentlichen Kündigung. Die Beklagte hat bereits zu diesem Zeitpunkt ihren Willen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses dokumentiert. Damit beginnt die Kündigungserklärungsfrist von 2 Wochen gemäß § 626 Abs. 2 BGB mit dem 13.05.2020. Die außerordentliche Kündigung vom 19.05.2021 ist außerhalb der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt und bereits aus diesem Grunde rechtsunwirksam.

C,

Darüberhinaus und - selbstständig tragend - liegt kein wichtiger Grund zum Kündigungsausspruch gemäß § 626 Abs. 1 BGB vor. Die Beklagte begründet die Kündigung mit bewusst falschem Prozessvortrag im Vorprozess. Zum Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung stand jedoch überhaupt nicht fest, ob der Kläger tatsächlich bewusst falschen Prozessvortrag im Vorprozess gehalten hat.

Die Beklagte stützt ihre Behauptung, der Kläger habe unwahr im Prozess vorgetragen, allein auf die Schilderungen der Eheleute ... in deren "Dienstaufsichtsbeschwerde" sowie die Angaben des Mitarbeiters der Stadtwerke, Herrn .... Dabei berücksichtigt die Beklagte weder ein eventuell gegebenes Näheverhältnis zwischen den Eheleuten ... und Herrn ..., noch den Umstand, dass Herr ... erst mit einer zeitlichen Verzögerung von 15 Minuten seit Beginn des Ortstermins hinzugekommen ist.

Die Beklagte hat sich nicht ausreichend um die Aufklärung des wirklichen Geschehensablaufs bemüht.

Bei einer Dienstaufsichtsbeschwerde und der Behauptung von Pflichtverletzungen hat sich die Beklagte zunächst schützend vor ihren Mitarbeiter zu stellen. Dies gebietet die Fürsorgepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Gegen diese Verpflichtung hat die Beklagte verstoßen. Sie hat von vornherein dem Inhalt der Dienstaufsichtsbeschwerde der Eheleute ... Glauben geschenkt. Dies mag nachvollziehbar erscheinen, nachdem Herr ... die Aussage der Eheleute bestätigt hat. Richtig wird dadurch die Darstellung der Eheleute jedoch nicht.

Die Beklagte lässt unberücksichtigt, dass zwischen den Nachbarn und den Eheleuten ... ein Nachbarrechtsstreit vorliegt. Derartige Auseinandersetzungen zwischen Nachbarn sind häufig von hoher Emotionalität geprägt. Die Nachbarn liegen nicht selten in jahrelangen Auseinandersetzungen miteinander. Man darf durchaus von Feindschaft sprechen. Objektive Aussagen einer Seite sind in dieser Situation einer Nachbarschaftsstreitigkeit in der Regel nicht zu erwarten. Diese besondere Situation berücksichtigt die Beklagte bei ihrer Sachverhaltsfeststellung nicht hinreichend.

Betrachtet man den zeitlichen Ablauf der Geschehnisse am 23.05.2019, so betrat der Kläger zunächst das Grundstück des Nachbarn. Dort maß er die Höhe der Grundstücksmauer. Er stellte fest dass die Höhe der Grundstücksmauer 2,80 m beträgt. Die Mauer ist nach Sächsische Bauordnung 80 cm zu hoch gebaut.

Nachdem der Kläger diese Messung auf dem Grundstück des Nachbarn vorgenommen hatte, besuchte er die Eheleute .... Über die Baurechtswidrigkeit der Mauer wurde gesprochen. Dieses Thema hat die Eheleute ... sicherlich stark emotionalisiert. Dies verdeutlicht sich bereits daraus, dass einer der Eheleute sich nach Durchführung des Ortstermins in ärztliche Behandlung begeben hat. Das zeigt anschaulich, dass der Nachbarschaftsstreit stark emotional geprägt war.

Herr ... kam erst zu einem späteren Zeitpunkt zu diesem Gespräch hinzu. Er wird eine emotionale aufgeheizte Stimmung zwischen den Eheleuten und dem Kläger vorgefunden haben. Zeugen neigen in solchen Situationen dazu, sich selbst ein Bild von dem zuvor erfolgten Abläufen zu machen. Dies erklärt - möglicherweise - den Inhalt der schriftlichen Stellungnahme von Herrn .... Es oblag der Beklagten hier sorgfältig und quellenkritisch den gesamten Sachverhalt zu überprüfen. Dabei hatte sie sich aufgrund ihrer Fürsorgepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB zunächst schützend vor ihren Arbeitnehmer zu stellen. Keinesfalls durfte sie die Schilderung nur einer Seite über den Geschehensablauf ihrer Bewertung zugrunde legen. Genau dies hat die Beklagte vorliegend aber getan.

D.

Die ordentliche Kündigung vom 23.06.2021 erscheint in Hinblick auf die Stellung des Klägers als stellvertretender Datenschutzbeauftragter ebenfalls unwirksam. Das Bundesarbeitsgericht führt in einer aktuellen Entscheidung vom 25.08.2022 - 2 AZR 225/2020 - Rn 41 ff dazu folgendes aus:

"§ 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG erlaubt allein eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund. Dem genügt die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 13. Juli 2018 nicht. a) Nach § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Damit greift der Gesetzgeber die Formulierung aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG auf, die sich wiederum an § 626 Abs. 1 BGB anlehnt, wo der Fall einer außerordentlichen Kündigung geregelt ist.

Für die Wirksamkeit einer solchen außerordentlichen Kündigung reicht es nicht aus, dass ein wichtiger Grund für sie "objektiv" vorgelegen hat, wenn nur eine ordentliche Kündigung ausgesprochen wurde (vgl. BAG 19. Juni 1980 - 2 AZR 660/78 - zu 3 a der Gründe, BAGE 33, 220). Auch zu § 15 Abs. 1 KSchG ist anerkannt, dass allein das Bestehen eines wichtigen Grundes für eine außerordentliche Kündigung nicht ausreicht, sondern eine solche auch ausgesprochen sein muss (vgl. BAG 23. April 1981 - 2 AZR 1112/78 - zu II 2 a der Gründe; 5. Juli 1979 - 2 AZR 521/77 - zu III 2 der Gründe).

Mit dem Schreiben vom 13. Juli 2018 hat die Beklagte nur eine ordentliche und keine außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Das folgt nicht nur aus der gewählten Frist für eine ordentliche Kündigung, sondern aus der ausdrücklichen Bezeichnung als "ordentliche" Kündigung in Absatz 1 des Schreibens.

In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze erscheint die ordentliche Kündigung vom 23.06.2021 wegen Verstoßes gegen § 6 Abs. 4 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz auch in Hinblick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 27.07.2017 - 2 AZR 812/17 - und die Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 23.02.2021 - 3 Sa 239/20 - rechtsunwirksam.

E.

Die außerordentliche Kündigung vom 29.07.2021 ist bereits hinsichtlich des Vorliegens eines Kündigungsgrundes "an sich" unwirksam. Die unberechtigte Geltendmachung von Zahlungsansprüchen ist nicht grundsätzlich geeignet einen Kündigungsgrund darzustellen. Es wird auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.03.2008 - 5 AZR 432/07 - hingewiesen. Die Beklagte selbst räumt ein, dass auch bei ihr zunächst Irritationen über die tatsächliche Berechtigung der Forderung bestanden. Ein Kündigungsvorwurf kann dem Kläger in diese Situation nicht gemacht werden.

Kenntnis von der-aus Sicht der Beklagten- unberechtigten Geltendmachung der Ansprüche lag bei der Beklagten bereits ab dem Zeitpunkt des ersten Schreibens des Klägers vor. Die Beklagte hatte frühzeitig Kenntnis vom Forderungsübergang in Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes gemäß § 115 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit durch deren Schreiben vom 03.07.2019 (Anlage B 10). Der Beginn der Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB ist daher der Zugang des ersten Geltendmachungsschreibens des Klägers vom 30.01.2020 (Anlage B 12). Das Schreiben trägt den Eingangsstempel vom 31.01.2020. Damit endete die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB bereits am 14.02.2020.

Aus den in der Berufungsbegründung zitierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 10.08.1977 - 2 ABR 19/77 und des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 15.12.1998 - 5 Sa 97/98 - ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht, dass die Kündigungserklärungsfrist des §§ 626 Abs. 2 BGB bis zum Beschluss des Stadtrates gehemmt war.

F.

Bezüglich der ordentlichen Kündigung vom 28.02.2021 wird auf die obigen Ausführungen zu § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG Bezug genommen. Der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung kommt wegen der Funktion des Klägers als stellvertretende Datenschutzbeauftragter von vornherein nicht in Betracht.

G.

Da die Kündigungen der Beklagten das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nicht beendet haben, war die Beklagte auf den entsprechenden Antrag zur Weiterbeschäftigung des Klägers zu verurteilen. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben die ausgesprochenen Kündigungen für rechtsunwirksam erklärt. Damit überwiegt das Beschäftigungsinteresse des Klägers das Beendigungsinteresse der Beklagten.

H.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers war nicht gemäß § 9 KSchG aufzulösen.

Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG kommt nur in Betracht, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. U

Stellt das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch eine vom Arbeitgeber ausgesprochene ordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist, hat es auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis durch ein Gestaltungsurteil aufzulösen und ihn zur Zahlung einer angemessenen Abfindung an den Arbeitnehmer zu verurteilen § 9 KSchG bezieht sich dabei nur auf den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung.

Sieht das Gericht eine außerordentliche fristlose Kündigung als unbegründet an, kann der Arbeitgeber nicht die Vertragsauflösung, verlangen. Das folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG, der in einem solchen Fall nur für den Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag als statthaft vorsieht. Damit kommt der gestellte Auflösungsantrag der Beklagten lediglich hinsichtlich der ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen in Betracht.

Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG nur verlangen, wenn der vorgetragene Kündigungssachverhalt lediglich nach § 1 Abs. 2 und 3 KSchG wegen Sozialwidrigkeit zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führt. Das Gesetz will dem Arbeitgeber die Vergünstigung des § 9 KSchG nicht zubilligen, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung aus Normen außerhalb des KSchG hergeleitet wird (Lepke, Kündigung bei Krankheit, 16. Aufl. 2018, I. Auflösungsantrag und Abfindungsanspruch, Randnummer 675).

Die ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen vom 23.06.2021 und vom 28.02 2022 sind aus Rechtsgründen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes unwirksam. Die Unwirksamkeit der ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen ergibt sich aus § 6 Abs. 4 BDSG. Der Kläger ist stellvertretender Datenschutzbeauftragter. Die ordentliche Kündigung auch eines stellvertretenden Datenschutzbeauftragten ist unzulässig. Dies stellt einen Unwirksamkeitsgrund außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes dar. Aus diesem Rechtsgrund kann sich die Beklagte nicht auf einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG berufen.

Das Berufungsverfahren der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 11.03.2022 - 12 Ca 1371/21 - war aus den oben genannten Gründen nicht erfolgreich. Der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag unterlag aus Rechtsgründen der Abweisung.

Die Beklagte trägt gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 97 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung.

Gründe für die Zulassung deren Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestanden nicht. Das Gericht hat einen Einzelfall auf der Grundlage obergerichtliche Rechtsprechung entschieden. Dies gilt auch für die ausgesprochene zweite Kündigung der Beklagten. Das Urteil ist daher mit Rechtsmitteln nicht angreifbar. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72a ArbGG wird hingewiesen.

Verkündet am 17.03.2023

Vorschriften