Urteil vom 06.09.2022 · IWW-Abrufnummer 237400
Landesarbeitsgericht München - Aktenzeichen 7 Sa 75/22
Soweit der Kläger sich für das Wiederaufnahmeverfahren darauf berufen hat, dass er eine schriftliche Stellungnahme eines Dritten vorlegt, liegt keine Urkunde iSv. § 580 7 b ZPO vor. Sein Verweis auf eine unzulässige Einvernahme des Geschäftsführers der Beklagten als Zeuge im Verfahren vor dem Arbeitsgericht geht ebenfalls ins Leere, denn dessen Einvernahme war nicht kausal für die Entscheidung. Ohne Zeugeneinvernahme hätte der Kläger gleichwohl beweisen müssen, dass sein Arbeitsverhältnis entfristet wurde, was die Beklagte aber bestritten hat und der Kläger konnte das Gegenteil nicht beweisen. Soweit der Kläger -wie üblich in den von ihm geführten Verfahren eine Vorlage an den EuGH verlangte, war dies substanzlos und nach Art. 267 Abs. 3 AEVV auch nicht geboten.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 27.01.2022 - 25 Ca 6071/20 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt bei Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil beendeten Verfahrens die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30.04.2020 hinaus fortbesteht.
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Der Kläger war bei der Beklagten auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags ab dem 02.05.2019 (Bl. 8 - 10 d.A.) als Seminarleiter zu einem Bruttomonatsgehalt iHv. € 3.100,- beschäftigt. In § 1 des Arbeitsvertrages haben die Parteien geregelt, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Befristung mit Ablauf des 30.04.2020 endet.
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Im Ausgangsverfahren (Arbeitsgericht München, Az.: 25 Ca 6071/20) hat der Kläger die Feststellung des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten über den 30.04.2020 hinaus geltend gemacht. Er hat vorgetragen, dass ein Herr Z ihm am 18. Februar 2020 zugesagt habe, dass das Arbeitsverhältnis über den 30.04.2020 hinaus fortgesetzt werde. Dass eine Fortsetzung vereinbart gewesen sei, habe sich aus den WhatsApp-Nachrichten vom 07.04.2020 und 13.04.2020 ergeben, die ansonsten nicht erklärbar seien.
4
Mit Urteil vom 17.12.2020 wurde nach Vernehmung von Herrn Z als Zeugen die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer feststand, dass der Kläger keinen Beweis für eine Verlängerungsvereinbarung erbracht habe. Gegen das dem Kläger am 22.12.2020 zugestellte Urteil hat dieser Berufung beim Landesarbeitsgericht München eingelegt (Az.: 2 Sa 16/21), die mit Beschluss vom 08.06.2021 als unzulässig verworfen wurde Am 09.07.2021 hat der Kläger beim Landesarbeitsgericht München die vorliegende Restitutionsklage erhoben. Mit Verfügung vom 12.08.2021 hat das Landesarbeitsgericht die Restitutionsklage an das Arbeitsgericht München abgegeben.
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Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger vorgetragen, dass er nach Abschluss der mündlichen Verhandlung in den Besitz von zwei Urkunden gekommen sei, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeiführen würden. Zunächst habe er am 09.06.2021 und damit vor der Zustellung des Verwerfungsbeschlusses vom 08.06.2021 von seinem Mitdozenten, Y, eine Nachricht erhalten, die bestätigt habe, dass auch der Mitdozent am 07.04.2020 von Herrn Z, dem Personalleiter der Beklagten, eine WhatsApp mit der Ankündigung erhalten habe, die Online-Kurse in der Gruppe fortzuführen. Daraus habe sich ergeben, dass tatsächlich, wie vom Kläger vorgetragen, seitens der Beklagten und insoweit veranlasst durch den Personalleiter Z an die Lehrkräfte eine Anweisung zur Fortsetzung der Lehrgänge in Form eines Onlinelehrgangs (coronapandemiebedingt) erfolgt sei und eine entsprechende Anweisung bestanden habe. Er hat sich darauf berufen, dass es entscheidend sei, dass er erst nach Abschluss der mündlichen Verhandlung in den Besitz des Schreibens des Y (Bl. 182 d.A.) gelangt sei und auch erst damit Kenntnis über den in diesem Schreiben dargelegten Sachverhalt erlangt habe. Es habe sich dabei von selbst verstanden, dass den Kläger kein Verschulden daran treffe, dass er erst am 09.06.2021 Kenntnis von dem Schreiben erlangt habe. Ergänzend sei darauf hinzuweisen gewesen, dass sich aus der WhatsApp des Zeugen Y ergeben habe, dass die bisherigen Dozenten die Kurse fortführen sollten. Dies habe nicht anders ausgelegt werden können, als dass damit auch das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger über den 30.04.2020 hinaus unbefristet habe fortgesetzt werden sollen. Die Dozenten V und W hätten über den 30.04.2020 hinaus weitergearbeitet. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen gewesen, dass die vom BAMF vergebenen Kurscodes jeweils für bestimmte Kurse, die von bestimmten Dozenten abgehalten worden seien, vergeben worden seien. Einen solchen Kurscode habe der Kläger vom Beklagten erhalten, nicht jedoch Y, weswegen dieser auch keinen Kurs habe fortsetzen können. Es habe sich auch um eine Urkunde gehandelt und nicht um eine schriftliche Zeugenaussage.
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Weiter sei dem Kläger am 08.06.2021 ein Handelsregisterauszug, also ebenfalls eine Urkunde, zugänglich geworden, aus dem sich ergeben habe, dass der als Zeuge vernommene Z zum Zeitpunkt seiner Zeugeneinvernahme am 17.12.2020 vor dem Arbeitsgericht München entgegen seiner Behauptung Geschäftsführer der Beklagten gewesen sei und daher gar nicht als Zeuge hätte vernommen werden dürfen, geschweige denn, dass dessen Zeugenaussage habe verwertet werden dürfen. Ohne die Zeugenaussage wäre eine andere gerichtliche Entscheidung ergangen, nämlich dahingehend, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien über den 30.04.2020 hinaus fortbestanden habe und einer Einvernahme von Z als Partei hätte der Kläger nicht zugestimmt.
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Der Kläger ist der Ansicht gewesen, dass das Erstgericht somit unter Berücksichtigung der beiden Dokumente eine andere Entscheidung getroffen hätte. Es hätte ein einfacher Beweis seitens des Klägers für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten über den 30.04.2021 hinaus geführt werden müssen und dieser wäre durch das Schreiben des Y zu führen gewesen. Ferner hat der Kläger einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK gerügt.
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Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger beantragt,
1. Die Wiederaufnahme des Verfahrens in Form der Restitutionsklage gem. § 580 VII b ZPO .
2. Das Urteil des Arbeitsgerichts München Az.: 25 Ca 6071/20 wird aufgehoben.
3. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über den 30.04.2020 hinaus fortbesteht.
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Die Beklagte hat die Zurückweisung der Anträge und der Klage beantragt.
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Die Beklagte hat den Wiederaufnahmeantrag nach § 580 VII b ZPO als unzulässig und jedenfalls als unbegründet erachtet. Die Beklagte hat die Einhaltung der Frist des § 586 Abs. 1 ZPO insoweit bestritten, als dass der Wiederaufnahmeantrag beim Landesarbeitsgericht München eingereicht worden sei und auch der Nachweis für die Glaubhaftmachung sei erst nach Ablauf der Monatsfrist vorgelegt worden. Bei der Abschrift des Schreibens von Herrn Y habe es sich auch nicht um eine Urkunde gehandelt, sondern um eine schriftlich vorweggenommene Zeugenaussage, auf die eine Restitutionsklage nicht gestützt werden dürfe. Der vom Kläger benannte Zeuge sei im Zeitpunkt des vorherigen Rechtsstreits existent gewesen und hätte vom Kläger benannt werden können. Die Berufungsbegründungsfrist sei am 22.03.2021 ausgelaufen. Die Abschrift sei auf den 09.06. 2021 datiert gewesen und hätte damit weder im Vorprozess noch im Berufungsverfahren benutzt werden können. Im Übrigen sei der Beweiswert nicht erkennbar gewesen. Zum fehlenden Verschulden habe jeglicher Vortrag des Klägers gefehlt. Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass der Kläger am 25.11.2021 an Eides Statt versichert habe, dass er die WhatsApp am 09.06.2021 erhalten habe. Die eidesstattliche Versicherung habe daher nicht mit dem vorgelegten Dokument übereingestimmt. Die Beklagte hat darüber hinaus bestritten, dass es sich um ein von Herrn Y selbst geschriebenes und unterzeichnetes Dokument handele und hat ferner Zweifel an der Richtigkeit der Eidesstattlichen Versicherung dargelegt. Der Kläger habe sich bereits im Jahr 2020 auf die WhatsApp vom 07.04. 2021 schriftsätzlich berufen, die er nach eidesstattlicher Versicherung vom 25.11.2021 angeblich jedoch erst am 09.06.2021 erhalten haben wolle.
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Z sei tatsächlich im Handelsregister als Geschäftsführer eingetragen gewesen. Es habe sich dabei aber um eine fehlerhafte, nicht gewünschte Eintragung gehandelt und einen Geschäftsführervertrag habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Unabhängig davon hätte der Umstand, dass Z als Partei hätte vernommen werden können, nichts an der Aussage geändert und falls der Kläger einer Einvernahme als Partei nicht zugestimmt hätte, wäre der Kläger beweisfällig geblieben und damit unterlegen. Die Beklagte hat aber auch gemeint, dass es dem Kläger möglich gewesen sei, das Handelsregister zu einem früheren Zeitpunkt einzusehen. Er habe auch nicht substantiiert vorgetragen, wie ihm plötzlich am 08.06.2021 ein Handelsregisterauszug zugänglich geworden sei. Im Übrigen habe es sich beim Handelsregisterauszug nicht um eine Urkunde iSv. § 580 Nr. 7 b ZPO gehandelt. Zusammenfassend hat die Beklagte gemeint, dass es sich bei den beiden Dokumenten nicht um Urkunden, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess oder jedenfalls nach Verkündung des Urteils in erster Instanz und vor Ablauf der Berufungsfrist errichtet worden seien, gehandelt habe und die angeblichen Urkunden würden auch nicht zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung führen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die Restitutionsklage (§ 79 Abs. 1 ArbGG, § 578 Abs. 1 ZPO iVm. § 580 ZPO) im Ergebnis erfolglos geblieben ist.
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Der Kläger habe bezüglich des rechtskräftig abgeschlossenen Ausgangsverfahrens den Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 7b ZPO geltend gemacht, wonach die Restitutionsklage stattfindet, wenn die Partei "eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde". Gemessen hieran sei die Restitutionsklage bereits unzulässig gewesen. Bei dem Schreiben des Y vom 09.06.2021 habe es sich bereits nicht um eine Urkunde iSd. § 580 Nr. 7 b ZPO gehandelt, die eine Restitutionsklage begründen könnte. Dass Arbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgeführt, dass unter den Restitutionsgründen des § 580 ZPO die Nr. 7 insofern eine Sonderstellung einnehme, als die dort angeführten Tatbestände in die Sphäre des Restitutionsklägers fallen. Dass das Gesetz ihm im Falle des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO nicht ansinne, das rechtskräftige Urteil ohne erneute Überprüfung hinzunehmen, beruhe auf dem besonderen Beweiswert, der Urkunden typischerweise zukomme und der daher den Mangel der Urteilsgrundlage besonders augenfällig mache. Diese besondere, für Urkunden typische Beweiskraft komme einer Privaturkunde, in der eine als Zeuge in Betracht kommende Person eine Erklärung über Tatsachen abgegeben hat, hinsichtlich der Richtigkeit dieser Tatsachen nicht zu. Die eingeschränkte formelle Beweiskraft einer Privaturkunde (§ 416 ZPO) schließe es zwar nicht aus, im Wege der freien Beweiswürdigung der Urkunde einen Beweiswert für die Richtigkeit des Erklärten zuzumessen. Für den Zivilprozess bestehe auch kein dem § 250 StPO entsprechendes Verbot, eine Zeugenvernehmung durch einen Urkundenbeweis zu ersetzen. Der Beweiswert der Privaturkunde für die Richtigkeit des Erklärten sei jedoch in einem solchen Falle geringer als derjenige einer Aussage des Zeugen. Da die Restitutionsklage nicht auf eine neue Zeugenaussage gestützt werden dürfe, könne hierzu auch eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage durch den Zeugen, der ein geringerer Beweiswert als der Aussage des Zeugen zukommt, nicht ausreichen. Die Zulassung derartiger Urkunden als Wiederaufnahmegrund würde beinhalten, dass auch die Vernehmung des Zeugen zugelassen werden müsste, da der Gegenpartei ein solcher Beweisantrag nicht verwehrt werden könnte. Damit würde die Restitutionsklage letztlich unter Umgehung des § 580 ZPO auf eine neue Zeugenaussage gestützt. Die Vorschrift des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO müsse daher nach ihrem Sinn einengend dahin ausgelegt werden, dass die Restitutionsklage nicht auf eine Privaturkunde gestützt werden kann, mit der durch die schriftliche Erklärung einer als Zeuge in Betracht kommenden Person der Beweis für die Richtigkeit der in der Erklärung bekundeten Tatsachen geführt werden soll. Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Arbeitsgericht entschieden, dass es sich bei dem Schriftstück, das von Herrn Y am 09.06.2021 erstellt wurde, nicht um eine Urkunde im Sinne von § 580 Nr. 7 b ZPO gehandelt habe, sondern vielmehr um eine schriftliche Zeugenaussage, welche eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht begründen konnte.
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Soweit es sich bei dem vom Kläger vorgelegten Handelsregisterauszug um eine öffentliche Urkunde iSd. § 415 ZPO gehandelt habe, konnte es dahingestellt bleiben, ob der Kläger den Handelsregisterauszug grundsätzlich für eine Restitutionsklage heranziehen könne, denn allein die Vorlage des Handelsregisterauszugs habe nicht für die Erfüllung der Voraussetzungen einer Restitutionsklage gemäß § 580 ZPO genügt. Das Arbeitsgericht hat dazu ausgeführt, dass bei den Anforderungen, die an den Inhalt einer Urkunde zu stellen seien, das in der Vorschrift ausdrücklich genannte Kausalitätserfordernis zu beachten sei, nach dem die Urkunde eine dem Restitutionskläger günstigere Entscheidung im Vorprozess hätte führen müssen. Es sei somit darauf angekommen, ob im Erstverfahren eine für den Restitutionskläger günstigere Entscheidung ergangen wäre, wenn er in diesem Verfahren die nachträglich aufgefundene Urkunde vorgelegt und den damit im Zusammenhang stehende Prozessstoff vorgetragen hätte. Gemessen an diese Voraussetzungen habe es an der erforderlichen Kausalität gefehlt. Der im Vorprozess für das Vorbringen einer Vertragsfortführungs- bzw. Verlängerungsabrede darlegungs- und beweisbelastete Kläger wäre im Vorprozess, wäre Herr Z nicht als Zeuge vernommen worden, beweisfällig geblieben. Bei dem Gespräch am 18.02.2020, auf welches sich der Kläger berufen hat, habe es sich um ein Gespräch zwischen dem Kläger und Herrn Z gehandelt. Weitere Zeugen seien nicht anwesend gewesen und der Kläger habe insoweit keinen weiteren zulässigen Beweis anbieten können, dies insbesondere deshalb nicht, weil der Kläger im Schriftsatz vom 23.09.2021 ausgeführt habe, dass er einer Parteieinvernahme von Z nicht zugestimmt hätte. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK sei im Übrigen nicht ersichtlich gewesen. Es habe insoweit es an der erforderlichen schlüssigen Darlegung der Kausalität gefehlt und hieran hätte auch das Schriftstück des Y nichts geändert, denn wie bereits im Urteil vom 17.12.2020 unter I 2) ausgeführt worden sei, habe sich auch nicht aus der WhatsApp an den Kläger oder an andere Kollegen ergeben, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger dadurch fortgeführt werden sollte. Letztlich habe der Kläger aber auch nicht hinreichend dargelegt, dass die Voraussetzung des § 582 ZPO gegeben sei, nämlich, dass er ohne Verschulden außerstande gewesen sei, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Einspruch oder Berufung oder mittels Anschließung einer Berufung, geltend zu machen. Nach ständiger Rechtsprechung seien insoweit an die Sorgfaltspflicht einer Prozesspartei strenge Anforderungen zu stellen und eine auch nur leicht fahrlässige Verletzung dieser Pflichten schließe die Zulässigkeit einer späteren Restitutionsklage ausschließt. Dabei sei der Restitutionskläger - unbeschadet der Verpflichtung des Gerichts zur Prüfung von Amts wegen - für sein mangelndes Verschulden beweispflichtig und falls der Restitutionskläger im früheren Verfahren keine Kenntnis vom Restitutionsgrund gehabt habe, komme es darauf an, ob diese Unkenntnis auf mangelnder Sorgfalt beruht habe. Eine Sorgfaltsverstoß sei zu bejahen, wenn es die Partei unterlassen habe, sich durch zumutbare Anstrengungen die erforderlichen Informationen zu verschaffen, zB. durch Einsicht in öffentliche Register oder zugängliche Urkunden sowie durch Verfolgung eines Auskunftsanspruchs nach § 1580 BGB und gemessen hieran habe der Kläger nicht hinreichend dargelegt, warum er den Handelsregisterauszug nicht zu einem früheren Zeitpunkt überprüft habe Der Kläger hat gegen dieses Urteil vom 20.01.2022, das ihm am 01.02.2022 zugestellt wurde mit einem am 21.02.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er mit einem am 28.04.2022 eingegangenen Schriftsatz begründet hat, nachdem zuvor die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 02.05.2022 verlängert worden war.
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Der Kläger hält das Urteil des Arbeitsgerichts für unrichtig. Er meint, die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Urkundeneigenschaft des Schreibens des Y vom 09.06.2021 seien rechtlich nicht zutreffend. Insbesondere sei es unzutreffend, dass es sich bei diesem Schreiben um keine Urkunde im rechtlichen Sinne des § 580 VII b ZPO handele. Mit dieser nach Ansicht des Klägers vorliegenden Urkunde stehe auch fest, dass die Beklagte den Kläger angewiesen habe, Unterricht über den 30.04.2020 hinaus fortzusetzen und es handele sich bei der Urkunde um eine verkörperte Gedankenerklärung. Weiter führe das Arbeitsgericht bezüglich des Handelsregisterauszugs rechtlich fehlerhaft aus, dass hierbei keine Kausalität vorliege. Das Arbeitsgericht leite dies fehlerhaft davon ab, dass der Handelsregisterauszug, wenn er bereits vorgelegen wäre, der Kläger beweisfällig geblieben wäre für seinen Vortrag zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien über den 30.04.2020 hinaus, weil der Zeuge bzw. Geschäftsführer Z nicht vernommen worden wäre. Dies sei aber insoweit nicht zutreffend, als ohne Einvernahme des Z als Zeugen und ohne Einvernahme des Z überhaupt jedenfalls auch die Beklagte nicht den Beweis hätte führen können, dass eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien über den 30.04.2020 hinaus nicht vereinbart worden sei. Die Nichteinvernahme des Z hätte nicht etwa automatisch den Prozessverlust für den Kläger bedeutet, sondern es seien verblieben noch die Würdigung der Whats-App-Korrespondenz zwischen den Parteien, aus der sich die Anweisung des Beklagten vom 07.04.2020 zur Fortsetzung des Anpassungslehrgangs durch den Kläger ergebe. Der Kläger meint, dass aufgrund der Berücksichtigung des Schreibens des Herrn Y vom 09.06.2021 durch die Whats-App-Dokumentation die eindeutige Beweisführung möglich gewesen wäre, dass der Kläger das Arbeitsverhältnis über den 30.04.2020 hinaus fortsetzen sollte. Im Hinblick auf den Handelsregisterauszug sei auch darauf hinzuweisen, dass das Arbeitsgericht eine Überspitzung der Sorgfaltspflichten des Klägers formuliere, wenn es von diesem, was die Überprüfung der Geschäftsführereigenschaften des Beklagten anbelangt, mehr verlange, als es sich selbst zumute.
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Schließlich weist der Kläger ausdrücklich als griechischer Staatsbürger darauf hin, dass vorliegend ein Verstoßes gegen Art. 45 AEUV gegeben sei, weil er als griechischer Staatangehöriger vom Beklagten nicht weiter beschäftigt wurde, obwohl andere Drittstaatsangehörige weiterbeschäftigt worden seien und daher sei nach wie vor eine Vorlage gemäß Art. 267 III AEUV an den EuGH geboten.
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Der Kläger beantragt,
I. das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 27.01.2022, AZ: 25 Ca 6071/20 wird aufgehoben.
II. die Wiederaufnahme des Verfahrens in Form der Restitutionsklage gemäß § 508 VII b ZPO.
III. das Urteil des Arbeitsgerichts München, AZ: 25 Ca 6071/20 vom 17.12.2020 wird aufgehoben.
IV. es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über den 30.04.2020 hinaus fortbesteht.
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Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
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Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und hält die Berufung auch für unzulässig, da sie sich nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinandersetze. Die Beklagte verweist darauf, dass es sich bei der Abschrift des Schreibens des Herrn Y vom 09.06.2021 um keine Urkunde iSd. § 580 VII b ZPO handele. Der Kläger versuche vielmehr mit einer Privaturkunde eine schriftliche Aussage in das Verfahren einzuführen, was dem Ausnahmecharakter der Restitutionsklage widerspreche. Sie meint, dass der Kläger Herrn Y unproblematisch als Zeuge im Ausgangsverfahren hätte benennen können, was er jedoch nicht getan habe.
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Zutreffend habe das Arbeitsgericht auch die Kausalität bezüglich der Vorlage des Handelsregisterauszugs für eine für den Kläger günstigere Entscheidung verneint. Im Hinblick auf den Handelsregisterauszug sei zu fragen, wie das Arbeitsgericht entschieden hätte, wenn ihm der Auszug vorgelegen hätte. Jedenfalls sei der Handelsregisterauszug kein taugliches Beweismittel für die Behauptung des Klägers, dass zwischen ihm und Herrn Z ein Gespräch und eine Zusage über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses stattgefunden hätte. Vielmehr wäre der Kläger weiterhin beweisbelastet geblieben, so dass die spätere Vorlage des Auszugs zu keiner anderen günstigeren Entscheidung für den Kläger geführt hätte. Der Vortrag des Klägers, dass die Beklagte den Beweis dafür, dass über den 30.04.2020 hinaus die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht vereinbart worden sei, nicht erbringen konnte, sei nicht nachvollziehbar, denn die Beklagte müsse diesen Beweis nicht erbringen. Es wäre Sache des Klägers, die vereinbarte Fortsetzung des befristeten Arbeitsverhältnisses zu beweisen und dieser Darlegungs- und Beweislast sei der Kläger nicht nachgekommen. Im Hinblick auf einen behaupteten Verstoß gegen Art. 45 AEUV sei der Vortrag des Klägers bereits unsubstanziiert.
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Zum weiteren Sachvortrag der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 20.04.2022 (Bl. 361 - 364), 25.05.2022 (Bl. 367 - 371), 02.08.2022 (Bl. 383), 30.08.2022 (Bl. 385 - 387) sowie vom 01.09.2022 (Bl. 389 - 391) verwiesen. Des Weiteren wird insbesondere zur Prozessgeschichte auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Sitzungsniederschrift vom 06.09.2022 (Bl. 393 - 395) Bezug genommen. Des Weiteren wird auf ein vom Kläger persönlich in der mündlichen Verhandlung übergebenes Konvolut von Schreiben (Bl 398 - 402) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
22
Die bei großzügiger Betrachtungsweise noch zulässige Klage ist unbegründet. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufnahmeverfahren liegen nicht vor.
23
Zunächst wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die gründlichen und zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen (§ 69 Abs. 3 ArbGG). Im Hinblick auf die Berufungsangriffe ist noch das Folgende veranlasst:
24
1. Das Arbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs absolut zutreffend darauf verwiesen, dass es sich bei dem vom Kläger vorgelegten Schreiben des Herrn Y vom 09.06.2021 nicht um eine Urkunde iSd. § 580 Nr. 7 b ZPO handelt. Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen, zumal sich auch der Kläger mit diesen Ausführungen des Arbeitsgerichts nicht auseinandersetzt und nur mit wenigen Sätzen seine bereits erstinstanzlich vorgetragenen Rechtsansicht, die aber unzutreffend ist, wiederholt.
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2. Der Kläger hat auch mit seinem Vorbringen, dass der damalige Geschäftsführer der Beklagten, Herr Z, unzulässiger Weise als Zeuge einvernommen wurde, keinen Erfolg, denn dieser Umstand war, wie vom Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt wurde und worauf nochmals ausdrücklich Bezug genommen wird, nicht kausal für die Entscheidungsfindung. Denn, wenn eine Einvernahme des Herr Z als Zeuge unterblieben wäre, verbleibt es dabei, dass der Kläger darlegungs- und beweispflichtig dafür ist, dass das zwischen den Parteien bestandene Arbeitsverhältnis entfristet wurde und zu unveränderten Bedingungen fortgesetzt wurde. Dieser prozessualen Last ist der Kläger nicht nachgekommen. Er meint lediglich, dass sich aus dem Inhalt von WhatsApp-Nachrichten die für ihn günstige Prozesssituation ergäbe, dass das mit ihm befristet eingegangene Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden sollte. Der vom Kläger vorgetragenen Inhalt von WhatsAppNachrichten und die sich daraus ergebende rechtliche Relevanz sind aber unabhängig von der Einvernahme des Herrn Z als Zeugen einer erneuten Bewertung nicht zugänglich mangels einer einschlägigen Reglung im § 580 ZPO. Denn maßgeblich ist, dass die Umstände des WhatsApp-Verkehrs und dessen Bewertung ausweislich des Urteils des Arbeitsgerichts vom 17.12.2020 - 25 Ca 6071/20 I 2. der Gründe (Seiten 4 und 5) auch Gegenstand des vorangegangenen rechtskräftigen Verfahrens waren, in dem die Parteien über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses gestritten haben. Das entsprechende Ergebnis bzw. Würdigung durch das Arbeitsgericht kann der Kläger nicht, quasi durch die Hintertüre wegen der Einvernahme des Herrn Z, nochmals zum Gegenstand im Wiederaufnahmeverfahren nach § 580 ZPO machen.
26
3. Zu einer Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof, was der Kläger geradezu gebetsmühlenhaft in von ihm angestrengten Verfahren verlangt, besteht unabhängig davon, dass nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar ist, auf Grund welcher Umstände die Verletzung von Gemeinschaftsrecht vorliegen soll, nach Art. 267 III AEVV keine Veranlassung, da die Berufungskammer nicht letzte Instanz ist, da der Kläger die Möglichkeit hat, gegen diese Entscheidung mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vorzugehen.
III.
27
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
28
Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.
29
Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen nach § 72 a ArbGG die Parteien hingewiesen werden, zulassen sollte.
Hinweise
Rechtsmittelinstanzen:
BAG Erfurt, Beschluss vom 27.01.2023 - 7 AZN 661/22
BAG Erfurt, Beschluss vom 17.04.2023 - 7 AZN 83/23 (F)
BVerfG Karlsruhe vom 28.06.2023 - 1 BvR 1017/23