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Urteil vom 12.07.2023 · IWW-Abrufnummer 237523

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 10 Sa 78/22

1. Eine Zurückweisung von Vorbringen nach § 296 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 282 Abs. 1 ZPO ist nur dann möglich, wenn das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung erfolgt ist. Auf Vorbringen vor der mündlichen Verhandlung findet § 282 Abs.1 ZPO keine Anwendung.

2. § 5 Satz 1 NachwG , der für Arbeitsverhältnisse, die bereits vor dem 1. August 2022 bestanden haben, eine Nachweispflicht der für ein Arbeitsverhältnis wesentlichen Arbeitsbedingungen nur auf Verlangen des Arbeitnehmers vorsieht, ist unionsrechtskonform.


In der Rechtssache
- Klägerin/Berufungsklägerin -
Proz.-Bev.:
gegen
- Beklagte/Berufungsbeklagte -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 10. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Zimmermann, den ehrenamtlichen Richter Dr. Koepfer und den ehrenamtlichen Richter Reck auf die mündliche Verhandlung vom 12.07.2023
für Recht erkannt:

Tenor: 1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 9. November 2022 - 4 Ca 284/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten - soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung - um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Die am 00.00.1975 geborene Klägerin war seit 1. April 2008 als Pflegehelferin bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Die vertraglichen Bedingungen richteten sich nach dem Arbeitsvertrag vom 1. April 2008 und der Änderung vom 25. Juni 2020 (Anlagen K 1 und K 2, Bl. 5 ff. der erstinstanzlichen Akte). Sie erzielte eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.287,30 Euro bei einem Arbeitszeitumfang von 70% einer Vollzeitbeschäftigung. Die Beklagte beschäftigt rund 200 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Sie wird durch einen Geschäftsführer und eine Geschäftsführerin vertreten. Nach den Eintragungen im Handelsregister sind beide einzelvertretungsberechtigt. Die Geschäftsführerin ist die Schwägerin der Klägerin.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. August 2022 außerordentlich mit sofortiger Wirkung und hilfsweise ordentlich zum 31. März 2023. Das Kündigungsschreiben war unterzeichnet von der Pflegedienstleiterin. Beigefügt war das Original einer Vollmacht, die von der Geschäftsführerin der Beklagten unterzeichnet war. Die Klägerin befand sich vom 18. August bis 13. September 2022 in Erholungsurlaub im Ausland. Nach dem Vortrag der Beklagten wurde die Kündigung am 29. August 2022 in den Briefkasten der Klägerin eingelegt. Die Kündigungsschutzklage nebst Antrag auf nachträgliche Klagzulassung ging am 22. September 2022 beim Arbeitsgericht ein.

Im Rahmen der Klageschrift hat die Klägerin vorgetragen, sie habe erst am 14. September 2022 den Briefkasten geleert und die Kündigung vorgefunden. Sie sei völlig überrascht gewesen. Am 20. September 2022 habe sie ihren Prozessbevollmächtigten aufgesucht. Ein wichtiger Grund liege nicht vor, auch der ordentlichen Kündigung fehle es an Gründen. Die Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist werde ebenso bestritten wie die Anhörung des Betriebsrats. Die Geschäftsführerin sei zudem nicht allein vertretungsberechtigt.

In der Ladung zum Gütetermin hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, "dass sich die Klägerin in diesem gerichtlichen Verfahren spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch auf Gründe berufen kann, die sie noch nicht innerhalb der Klagefrist geltend gemacht hat (§ 6 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz)" (Nr. 4 der Verfügung vom 26. September 2022). Im Gütetermin am 17. Oktober 2022 hat das Arbeitsgericht zudem darauf hingewiesen, dass die nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG möglicherweise nicht in Betracht komme, da die Klägerin unabhängig von einer früheren Kenntnisnahme der Kündigung noch innerhalb der dreiwöchigen Frist habe Klage erheben können. Es hat sodann Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 9. November 2022 bestimmt und keine weiteren Fristen für Vortrag gesetzt. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin vorgetragen, sie habe bereits im Gütetermin den Zugang der Kündigung am 29. August 2022 bestritten.

Mit Beschluss vom 1. November 2022 hat das Arbeitsgericht den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 18. Oktober 2022 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, ausgehend von einem Zugang am 29. August 2022 sei die Klagefrist nicht gewahrt, selbst wenn der Klägerin nach Rückkehr aus ihrem Urlaub noch eine Überlegungsfrist einzuräumen wäre. Im Rahmen der gegen den Beschluss am 7. November 2022 eingelegten sofortigen Beschwerde hat die Klägerin die Auffassung vertreten, ihr müsse zumindest eine verkürzte Überlegungsfrist von zwei Wochen entsprechend § 5 KSchG für die Erhebung der Kündigungsschutzklage zugebilligt werden. Die Klagefrist wäre dann erst am 28. September 2022 abgelaufen. Selbst wenn der Klägerin nur eine verkürzte Überlegungsfrist von drei Werktagen einzuräumen sei, wäre die Klage rechtzeitig eingereicht worden, da die Frist erst am 22. September 2022 abgelaufen wäre. Mit Beschluss vom 7. November 2022 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

Mit Schriftsatz vom 8. November 2022, der am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, hat die Klägerin sich mit Nichtwissen erklärt, dass die Kündigung am 29. August 2022 durch Einwurf in ihren Briefkasten zugegangen sei. Es sei unzutreffend, dass ihre Tochter die Kündigung während ihres Urlaubs geöffnet und ihr davon berichtet habe. Sie habe auch nicht am 1. September 2022 im Betrieb angerufen, um von der Pflegedienstleitung die Kündigungsgründe zu erfahren. Sie gehe davon aus, dass diese Behauptungen von ihrer Schwägerin stammten. Das Verhältnis zu ihr sei seit längerem zerrüttet.

Das Arbeitsgericht hat der Klägerin im Kammertermin am 9. November 2022 zur Frage des verspäteten Vortrags und der groben Nachlässigkeit hinsichtlich des Bestreitens des Zugangs der Kündigung rechtliches Gehör gewährt und ausgeführt, dass die Klägerin sowohl in der Klageschrift als auch im Gütetermin und im Beschwerdeverfahren zur Prozesskostenhilfe nicht bestritten habe, dass die Kündigung am von der Beklagten genannten Termin zugegangen sei. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat erklärt, dass im Gütetermin darauf hingewiesen wurde, dass ein Telefongespräch zwischen der Klägerin und der Vertretung der Beklagten nicht stattgefunden und die Klägerin die Kündigung erst nach ihrer Urlaubsrückkehr zur Kenntnis genommen habe.

Die Klägerin hat zuletzt - soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung - folgende Anträge gestellt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 29. August 2022 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst ist. 2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst wird, sondern fortbesteht. 3. Die Kündigungsschutzklage wird nachträglich zugelassen.

Die Beklagte hat beantragt:

Die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Kündigung sei der Klägerin am 29. August 2022 persönlich in ihren Hausbriefkasten eingelegt worden. Die Tochter der Klägerin habe den Brief am 30. August 2022 gefunden, geöffnet und der Klägerin von der Kündigung berichtet. Diese habe bereits am 1. September 2022 in der Einrichtung der Beklagten angerufen und mit der Pflegedienstleiterin sprechen wollen, um die Kündigungsgründe zu erfahren. Zuvor habe auch die Tochter der Klägerin deswegen im Betrieb angerufen. Die Klägerin habe aber jedenfalls seit dem 14. September 2022 Kenntnis gehabt und damit genügend Zeit, um Kündigungsschutzklage zu erheben. Die Bevollmächtigung der Pflegedienstleiterin sei wegen der Einzelvertretungsberechtigung der Geschäftsführerin wirksam erfolgt. Die Kündigung werde auch ausdrücklich genehmigt. Eine Mitarbeitervertretung existiere nicht.

Mit Urteil vom 9. November 2022 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der allgemeine Feststellungsantrag sei bereits unzulässig, da es am Feststellungsinteresse fehle. Die Kündigungsschutzklage sei verspätet erhoben, deren nachträgliche Zulassung kommt nicht in Betracht. Soweit die Klägerin sich bzgl. des Zugangs der Kündigung mit Nichtwissen erklärt habe, sei dieser Vortrag nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet und werde nach § 296 Abs. 2 Alt. 1 ZPO zurückgewiesen. Einer richterlichen Anordnung, die mündliche Verhandlung schriftsätzlich oder durch zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugebende Erklärungen vorzubereiten bedürfte es in diesem Fall nicht. Angesichts des Vortrags in der Klageschrift und den Einlassungen der Klägerin im Gütetermin sei der Zugang der Kündigungserklärung unstreitig gewesen, einer Schriftsatzfrist für die Klägerin habe es nicht bedurft. Nur die Frage der nachträglichen Zulassung sei zu beantworten gewesen. Insofern habe bereits im Gütetermin ein umfassendes Rechtsgespräch stattgefunden. Die weit nach dem Gütetermin und einen Tag vor dem Kammertermin erfolgte schriftsätzliche Erklärung mit Nichtwissen zum Kündigungszugang entspreche nicht der Prozessförderungspflicht des § 282 Abs. 1 ZPO. Zwar sei ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet. Die mündliche Verhandlung beginne im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren aber mit dem Gütetermin. In diesem Termin und noch weit danach bis zum 8. November 2022 habe sich die Klägerin selbst den 29. August 2022 als Zeitpunkt des Kündigungszugangs zu eigen gemacht. Eine Partei, die den Zeitpunkt des Kündigungszugangs in Zweifel ziehen wolle, sei aber gehalten, dies nicht aus prozesstaktischen Gründen zunächst unstreitig zu stellen und erst nach dem Gütetermin dann "überraschend" kurz vor bzw. im Kammertermin Zweifel zu präsentieren. Die Zulassung des neuen Vortrags hätte zu einer Verzögerung geführt, da der Beweis bzgl. des Zugangs in einem weiteren Kammertermin hätte erhoben werden müssen. Die Verspätung des Vortrags beruhe auf grober Nachlässigkeit. Noch bis zum 7. November 2022 habe die Klägerin - zuletzt im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens - den Kündigungszugang am 29. August 2022 unstreitig belassen. Sie habe keine Tatsachen vorgetragen, die gegen grobe Nachlässigkeit sprächen. Soweit sie bereits im Gütetermin eine frühere Kenntniserlangung bestritten habe, beträfe das nicht den entscheidungserheblichen Punkt, nämlich den Zugang der Kündigung. Das dem Gericht zukommende Ermessen sei dahin auszuüben, dass der Vortrag als verspätet zurückzuweisen sei. Bis kurz vor dem Kammertermin habe die Klägerin gegenteilig vorgetragen. Eine Beweisaufnahme habe deshalb nicht im Kammertermin durchgeführt werden können. Das Verschulden wiege daher besonders schwer. Für die Beklagte bestehe die Gefahr des Annahmeverzugs, weshalb der Beschleunigungsgrundsatz besondere Bedeutung gewinne.

Gegen das der Klägerin am 1. Dezember 2022 zugestellte Urteil hat sie am 23. Dezember 2022 Berufung eingelegt und diese am letzten Tag der am 1. Februar 2023 bis 1. März 2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Zur Begründung trägt sie vor, sie habe den behaupteten Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 29. August 2022 im Gütetermin sehr wohl in Abrede gestellt, als das Arbeitsgericht sie zu den von der Beklagten behaupteten Telefonaten befragt habe. Ihr Vortrag vom 8. November 2022 sei auch im Übrigen nicht verspätet. Der Gütetermin am 17. Oktober 2022 stelle keinen Verhandlungstermin i.S.d. §§ 282 Abs. 1, 296 Abs. 2 Alt. 1 ZPO dar. Auch berechtige allein eine mögliche Verzögerung nicht die Annahme grober Nachlässigkeit i.S.d. § 296 Abs. 2 ZPO. Hinweise oder sonstige prozessleitende Verfügungen habe das Arbeitsgericht im Gütetermin nicht erlassen. Die Gewährung rechtlichen Gehörs sei nicht im Sinne effektiven Rechtsschutzes erfolgt. Die Klage wäre auch dann nachträglich zuzulassen, wenn von einem Zugang am 29. August 2022 auszugehen wäre. Ein Nachweis auf die einzuhaltenden Formerfordernisse bei einer Kündigung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 NachwG sei der Klägerin nicht erteilt worden. Hätte sie von der Klagefrist gewusst, hätte sie selbstverständlich unmittelbar nach Urlaubsrückkehr und somit am 14. September 2022 Klage eingereicht.

Die Klägerin stellt - unter Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrags unter 1. b) - zuletzt folgende Anträge:

1. Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 9. November 2022 (4 Ca 284/22) wird a) festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten/Berufungsbeklagten vom 29.08.2022 weder außerordentlich noch hilfsweise für den Fall des Obsiegens bzgl. der außerordentlichen Kündigung ordentlich aufgelöst ist. c) die Kündigungsschutzklage nachträglich zugelassen

Die Beklagte beantragt:

Zurückweisung der Berufung

Zur Begründung führt sie aus, die Klägerin selbst habe sich in der Klage und noch im Gütetermin ausdrücklich den Zugang der Kündigung am 29. August 2022 zu eigen gemacht. Da sie seit dem 13. September 2022 wieder an ihrem Heimatort in Deutschland gewesen sei, hätte sie in der Kalenderwoche 37 Kündigungsschutzklage erheben können. Der Hinweis auf § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 NachwG verfange nicht, da § 7 KSchG auch bei fehlendem Nachweis anwendbar bleibe.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen in der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat im Berufungstermin am 12. Juli 2023 zum Zugang der Kündigung Beweis erhoben durch Vernehmung von zwei Zeugen. Hinsichtlich des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll über diesen Berufungstermin (BI. 73, 85 ff. der Berufungsakte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. c ArbGG). Sie ist auch frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO). Die Berufungsbegründung lässt zudem gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände erkennen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben soll.

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Bereits die außerordentliche Kündigung vom 29. August 2022 hat das Arbeitsverhältnis beendet. Insofern ist aufgrund des durch die Beweisaufnahme bestätigten Einwurfs um 18.34 Uhr am selben Tag vom Zugang spätestens am nächsten Tag, dem 30. August 2022, auszugehen.

1. Das Arbeitsgericht hat ausschließlich über die außerordentliche Kündigung vom 29. August 2022 entschieden wie bereits die einleitenden Worte "Die Klägerin wehrt sich gegen eine außerordentliche Kündigung ..." belegen. Es hat damit den Antrag der Klägerin, nach dem sie sich nicht nur gegen die außerordentliche Kündigung, sondern auch gegen die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung gewandt hat, zutreffend ausgelegt (§ 133 BGB). Es ist nicht anzunehmen, dass eine Klagepartei Anträge (unbedingt) zur Entscheidung stellt, wenn sie damit schlechterdings keinen Erfolg haben kann. Dies wäre aber der Fall, wenn die Klägerin eine Entscheidung über die ordentliche Kündigung auch dann beantragt hätte, wenn sie bereits in Bezug auf die vorrangige, weil zeitlich früher wirkende, außerordentliche Kündigung unterlegen wäre. Denn das Arbeitsverhältnis wäre dann bereits beendet, bevor die Kündigungsfrist abgelaufen wäre, so dass die Klägerin bzgl. der ordentlichen Kündigung nur verlieren kann. Hier kommt hinzu, dass die ordentliche Kündigung nur hilfsweise ausgesprochen worden ist. Damit liegen zwei Kündigungserklärungen vor, deren letzte unter der zulässigen auflösenden Rechtsbedingung (§ 158 Abs. 2 BGB) steht, dass nicht bereits die erste das Arbeitsverhältnis beendet hat. Tritt diese Bedingung ein, liegt schon eine ordentliche Kündigungserklärung als solche nicht (mehr) vor. Eine diesbezügliche Klage ginge ins Leere und wäre unbegründet. Dieser materiell-rechtlichen Abhängigkeit wird die Klägerin dadurch Rechnung tragen wollen, dass sie sich mit einem Hauptantrag gegen die unbedingt erklärte außerordentliche und mit einem unechten Hilfsantrag gegen die eventuell "wegfallende" ordentliche Kündigung wendet (vgl. nur BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 480/14 - Rn. 15 m.w.N.; Niemann NZA 2019, 65, f.). Für das Berufungsverfahren hat die Klägerin dies ausdrücklich auf Nachfrage des Gerichts bestätigt. Für die erste Instanz sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die von einem anderen Willen ausgehen ließen. Das Arbeitsgericht hat deshalb zutreffend nur über die außerordentliche Kündigung entschieden, da bereits diese das Arbeitsverhältnis beendet hat.

2. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die Klägerin ist länger als sechs Monate bei der Beklagten tätig (§ 1 Abs. 1 KSchG), diese beschäftigt in der Regel mehr als zehn vollzeittätige Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nach der Zählweise des § 23 Abs. 1 Satz 3 und 4 KSchG.

3. Die Kündigungsschutzklage ist nicht innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist nach §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG erhoben worden. Damit gilt die außerordentliche Kündigung als rechtswirksam und hat das Arbeitsverhältnis beendet (§ 7 KSchG).

a) Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG hatte die Klägerin innerhalb von drei Wochen seit Zugang der Kündigung vom 29. August 2022 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht zu erheben. Bei einem von der Beklagten behaupteten Zugang am 29. August 2022 wäre die Klagefrist am 19. September 2022 abgelaufen. Die Klage ist jedoch erst am 22. September 2022 beim Arbeitsgericht anhängig geworden. Nichts Anderes gilt, wenn der Zugang erst für den Folgetag des Einwurfs und damit am 30. August 2022 angenommen wird. Die Klagefrist ist dann am 20. September 2022 abgelaufen.

b) Der Vortrag der Klägerin, sie erkläre sich mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) zum Zugang der Kündigung ist allerdings zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen des § 282 Abs. 1 ZPO, auf Grund derer nach § 296 Abs. 2 Alt. 1 ZPO die Zurückweisung von Vorbringen im Schriftsatz vom 8. November 2022 hätte erfolgen können, haben zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer des Arbeitsgerichts am 9. November 2022 nicht vorgelegen.

aa) Nach dem Tatbestand des Urteils ist unstreitig, dass die Klägerin sich erstmals mit Schriftsatz vom 8. November 2022 mit Nichtwissen erklärt hat, dass die Kündigung am 29. August 2022 in ihren Briefkasten eingeworfen worden sein soll. Das Arbeitsgericht hat dies entsprechend als unstreitig festgestellt. Die Unrichtigkeit tatbestandlicher Feststellungen erster Instanz kann grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO geltend gemacht werden (BGH 25. März 2014 - VI ZR 271/13 - Rn. 4; 16. Dezember 2010 - I ZR 161/08 - Rn. 12 jeweils m.w.N.; ausführlich hierzu Gruber/Stöbe NZA 2018, 826, 829). Der Tatbestand des Urteils liefert auch Beweis für das mündliche Parteivorbringen (§ 314 Satz 1 ZPO). Auch insofern kann eine Unrichtigkeit nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO geltend gemacht und ggf. behoben werden. Einen entsprechenden Antrag hat die Klägerin nicht gestellt. Dass die Klägerin im Berufungsverfahren vorträgt, sie habe bereits im Gütetermin am 17. Oktober 2022 den Zugangstermin in Abrede gestellt, ist daher unerheblich. Auszugehen ist von den Feststellungen des Arbeitsgerichts im Urteil, wonach das Bestreiten erstmals mit Schriftsatz vom 8. November 2022 erfolgt ist.

bb) Allerdings bleibt das Vorbringen der Klägerin nicht gemäß § 67 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 282 Abs. 1, 296 Abs. 2 Alt. 1 ZPO präkludiert. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung, das Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 8. November 2022 wegen Verstoßes gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht nach § 282 Abs. 1 ZPO gemäß § 296 Abs. 2 Alt. 1 ZPO zurückzuweisen, sorgfältig begründet. Das Berufungsgericht ist allerdings der Auffassung, dass der Anwendungsbereich des § 282 Abs. 1 ZPO nicht eröffnet ist. Das Vorbringen der Klägerin ist deshalb nicht zu Recht ausgeschlossen worden.

(1) Nach § 67 Abs. 1 ArbGG darf das Berufungsgericht Vorbringen, mit dem die Partei in erster Instanz zu Recht zurückgewiesen wurde, nicht mehr berücksichtigen. Diese Vorschrift ist zwingend; sie betrifft alle Fälle, in denen das Arbeitsgericht unter zutreffender Anwendung der für das erstinstanzliche Verfahren geltenden Präklusionsvorschriften (§ 56 Abs. 2, § 61a Abs. 5 ArbGG, § 282, § 296 Abs. 2 ZPO) das Vorbringen einer Partei wegen Verspätung nicht zugelassen hat. Dem Berufungsgericht obliegt die vollumfängliche Prüfung, ob die Zurückweisung zu Recht erfolgt ist; bejahendenfalls besteht keine Möglichkeit, den verspäteten Vortrag zuzulassen, auch wenn aus der Zulassung keine Verzögerung in der Erledigung des Berufungsverfahren zu besorgen ist (vgl. Ostrowicz/Künzl/Scholz Handbuch des arbeitsgerichtlichen Verfahrens 6. Aufl. Rz. 499; ErfK/Koch 23. Aufl. § 67 ArbGG Rz. 8; Schwab/Weth/Schwab ArbGG 6. Aufl. § 67 Rz. 20).

(2) Die Möglichkeit der Zurückweisung verspäteten Vorbringens schränkt den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch der Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ein. Präklusionsvorschriften haben strengen Ausnahmecharakter, weil sie einschneidende Folgen für die säumige Partei nach sich ziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf ihre Anwendung deshalb in besonderem Maße der Rechtsklarheit (BVerfG 30. Januar 1985 - 1 BvR 99/84 - zu B I 2 der Gründe; BAG 21. März 2018 - 7 AZR 408/16 - Rn. 34). Einer erweiternden oder analogen Auslegung sind Präklusionsvorschriften nicht zugänglich (Zöller/G. Vollkommer ZPO 34. Aufl. Einleitung Rn. 51 m.w.N.).

(3) Nach § 296 Abs. 2 ZPO können Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht. Eine Zurückweisung von Vorbringen nach § 296 Abs. 2 ZPO ist grundsätzlich auch in arbeitsgerichtlichen Bestandsschutzstreitigkeiten i.S.v. § 61a ArbGG möglich (BAG 11. Juni 2020 - 2 AZR 400/19 - Rn. 12 ff.). Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

(4) In Betracht kommt vorliegend nur § 282 Abs. 1 ZPO. Dieser betrifft das rechtzeitige Vorbringen "in der mündlichen Verhandlung" (dies betonen BAG 11. Juni 2020 - 2 AZR 400/19 - Rn. 11; BGH 1. April 1992 - VIII ZR 86/91 - zu II. 1. a) der Gründe m.w.N.). Die Prozessförderungspflicht vor dem Termin ist in § 282 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO geregelt. Im Parteiprozess setzt § 282 Abs. 2 ZPO voraus, dass die Parteien nach § 129 Abs. 2 ZPO durch richterliche Anordnung aufgefordert worden sind, die mündliche Verhandlung schriftsätzlich oder durch zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugebende Erklärung vorzubereiten (BAG 11. Juni 2020 - 2 AZR 400/19 - Rn. 13; ausführlich Kramer Die Güteverhandlung § 5, 2.2 und 3., insbesondere 3.4 S. 262 ff., 272 ff.). Eine Fristsetzung durch das Arbeitsgericht ist nicht erfolgt. Damit scheidet der Anwendungsbereich des § 282 Abs. 2 ZPO aus.

(5) § 282 Abs. 1 ZPO ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden; ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein (BGH 14. März 2017 - VI ZR 205/16 - Rn. 7; 17. Juli 2012 - VIII ZR 273/11 - Rn. 6; 1. April 1992 - VIII ZR 86/91- -zu II. 1. a) der Gründe; Gift/Baur Das Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen E Rn. 816). Auch hiervon ist das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen. Es kann dahinstehen, ob die Güteverhandlung als erste Verhandlung im arbeitsgerichtlichen Verfahren anzusehen ist mit der Folge, dass Vorbringen, das nicht bereits im Gütetermin, sondern erst im Kammertermin erfolgt ist, als verspätet nach § 282 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden kann, soweit die weiteren Voraussetzungen des § 292 Abs. 2 Alt. 1 ZPO vorliegen (befürwortend Kramer Die Güteverhandlung § 3, 2.3.1 S. 152 f.; für die Entscheidung nach Aktenlage nach § 251a Abs. 2 ZPO jedenfalls bei Säumnis der beklagten Partei LAG Baden-Württemberg 5. März 2020 - 17 Sa 11/19 - zu II. 1. a) aa) (2) der Gründe; ablehnend Gift/Baur Das Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen E Rn. 816). Denn die Klägerin hat durch ihren Prozessbevollmächtigten nicht erst in der mündlichen Verhandlung am 9. November 2022 mit Nichtwissen den Kündigungszugang am 29. August 2022 in Abrede gestellt, sondern vor der mündlichen Verhandlung, auch wenn der Vortrag nur einen Tag vorher erfolgt ist. Da Vorbringen i.S.d. § 282 Abs. 1 ZPO im Gütetermin nicht verspätet sein konnte, wäre allenfalls die Erklärung mit Nichtwissen im Kammertermin als zweitem Verhandlungstermin verspätet gewesen.

(6) § 282 Abs. 1 ZPO kann als Ausnahmevorschrift nicht erweiternd ausgelegt werden. Der vorliegende Rechtsstreit zeigt zwar auf, dass in den Fällen, in denen im Gütetermin die entscheidungserheblichen Tatsachen unstreitig sind, dann aber erst kurz vor dem Kammertermin streitig gestellt werden, eine Verzögerung des Rechtsstreits eintritt. Eine solche Verzögerung kann auch nicht durch Wahrnehmung der gerichtlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflichten wie z.B. § 139 ZPO oder §§ 56 Abs. 1, 61a Abs. 3 und 4 ArbGG verhindert werden. Das Arbeitsgericht hatte im vorliegenden Rechtsstreit keinen Anlass, Schriftsatzfristen zu setzen, da der Sachverhalt denkbar einfach gelagert und unstreitig war. Auch weiterer rechtlicher Ausführungen hat es nicht bedurft. Das Arbeitsgericht hat vielmehr durch die frühzeitige Anberaumung eines Kammertermins den Beschleunigungsgrundsatz des § 61a Abs. 5 ArbGG bestmöglich umgesetzt. Das Ziel des § 282 Abs. 1 ZPO, eine "tröpfchenweise" Information des Gegners und des Gerichts zu verhindern, wird also konterkariert. Das ändert aber nichts daran, dass die prozessualen Präklusionsvorschriften für diese Situation keine Zurückweisungsmöglichkeit geschaffen haben.

cc) Andere Präklusionsvorschriften, die im Berufungsverfahren dazu führten, dass der Vortrag gemäß § 67 Abs. 1 nicht berücksichtigt werden könnte (§ 282 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 2 Alt. 2 ZPO, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 61a Abs. 5 ArbGG) hat das Arbeitsgericht zutreffend nicht angewandt, da deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 bis 4 ArbGG liegen ebenfalls nicht vor.

c) Die Kündigung ist am 29. August 2022 um 18.34 Uhr in die Briefvorrichtung der Klägerin eingeworfen worden. Spätestens am 30. August 2022 ist daher vom Zugang der Kündigung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB auszugehen. Die Klagefrist nach §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG ist deshalb spätestens am 20. September 2022 abgelaufen. Der Klageingang beim Arbeitsgericht am 22. September 2022 ist verspätet.

aa) Die Beklagte ist beweispflichtig für den konkreten Zeitpunkt des Zugangs, da es sich um eine ihr günstige Tatsache handelt und sie sich auf den Zugang am 29. August 2022 berufen hat (vgl. nur APS/Preis 6. Aufl. Einleitung D Rn. 60). Aufgrund der unstreitigen Ortsabwesenheit der Klägerin vom 29. August 2022 bis 13. September 2022 hat ihre Erklärung mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme über die Behauptung der Beklagten ausgelöst. Ob der Klägerin die Berufung auf Nichtwissen prozessual verwehrt gewesen ist, weil sie entgegen ihrem Vortrag doch Kenntnis vom Zugang vor dem 14. September 2022 gehabt hat, kann dahinstehen. Auch dies hätte nur durch eine Beweisaufnahme geklärt werden können. Insofern wäre der Vortrag der Beklagten, wonach die Tochter der Klägerin bereits am 30. August 2022 die Kündigung zur Kenntnis und die Klägerin hierüber informiert haben soll, erheblich. Hierzu ist kein Beweisantritt erfolgt. Der weitergehende Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe am 1. September 2022 an der Pforte angerufen und habe die Gründe der Kündigung erfahren wollen, war zwar unter Beweis gestellt. Das Berufungsgericht hat sich jedoch dafür entschieden, in Bezug auf zwei streitige Tatsachen zunächst den Zugang an sich im Rahmen einer Beweisaufnahme zu klären. Nach dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest, dass die Kündigung in die Briefvorrichtung der Klägerin am 29. August 2022 eingeworfen worden ist. Einer weitergehenden Beweisaufnahme zur Frage der Kenntniserlangung durch die Klägerin hat es - auch im Hinblick auf § 5 KSchG (nachfolgend 4. der Gründe) - deshalb nicht bedurft.

bb) Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach seiner freien Überzeugung darüber zu befinden, ob es eine tatsächliche Behauptung für wahr erachtet oder nicht. Für eine den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO genügende richterliche Überzeugung bedarf es keiner absoluten oder unumstößlichen Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises. Das Gericht darf und muss sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr., vgl. nur BAG 24. Juni 2021 - 5 AZR 505/20 - Rn. 42 m.w.N.).

cc) Der Zeuge B., der als Hausmeister bei der Beklagten beschäftigt ist, hat detailreich und individuell ausgesagt, dass er die Kündigung am 29. August 2022 um 18.34 Uhr in den Briefkasten der Klägerin eingelegt hat. Gleichzeitig weist seine Aussage keine Merkmale auf, die auf eine zielgerichtete Bestätigung des Zugangs am 29. August 2022 schließen ließen.

(1) Der Zeuge hat als erstes zugegeben, dass er erst einmal habe nachschauen müssen, wann er mit dem Zustellen der Kündigung beauftragt worden sei. Die Erinnerung an den Zeitpunkt des Einwurfs hat er der von ihm vorgelegten Kopie des Kündigungsschreibens entnommen, auf der er handschriftlich "Kündigung am 29. August um 18:34 in den Briefkasten eingeworfen" mit seiner Unterschrift vermerkt hat und das er der Geschäftsführerin zukommen lassen hat (Bl. 95 der Berufungsakte). Eine Steuerung seiner Aussage dahin, dass er den Zugang am 29. August 2022 als unzweifelhaft darstellen wollte, war angesichts dieser eingeräumten fehlenden Erinnerung nicht zu erkennen. Diese fehlende Steuerung war während der gesamten Vernehmung ersichtlich. So hat er auf Frage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausgesagt, das Kuvert, das er eingeworfen habe, sei verschlossen gewesen. Auch insofern behauptet er nicht, er habe den Inhalt des Kuverts zur Kenntnis genommen.

(2) Zahlreiche Details und individuelle Aspekte haben die Aussage glaubhaft gemacht. So hat er ausgeführt: "Da hat Frau S. mich zu sich gerufen und hat gesagt, dass ich die Kündigung ausfahren soll. Ich habe dann gesehen, an wen die Kündigung adressiert war und habe dann noch gedacht"Oh oh". Es war dann so, dass ich mich an diesem Tag etwas vertüttelt habe. Meine Aufgabe ist es unter anderem, die Menschen, die bei uns in der Tagespflege sind, abends wieder nach Hause zu fahren. Ich habe dann gedacht, dann fahre ich erst die Leute heim und dann fahre ich die Kündigung aus, dann ist die Chance auch größer, dass jemand daheim ist." Schon dieser Einstieg verdeutlicht, weshalb der Zeuge sich an die Zustellung so gut erinnert. Er hat mit ihr Gefühle verbunden ("oh oh"), die er im Verlauf seiner Vernehmung auch erläutert hat. So ging es immerhin um eine langjährige Mitarbeiterin, deren Kündigung ihn überrascht hat. Es hat ihn - wortwörtlich - "berührt", dass er ihr eine Kündigung überbringen soll. Zudem hat er geschildert, dass er erst abends die Kündigung einwerfen wollte, um bessere Chancen zu haben, die Klägerin anzutreffen. Einerseits wird daraus das Bemühen ersichtlich, für einen sicheren Zugang zu sorgen, andererseits hat der Zeuge dadurch für den Fall, dass er niemanden antrifft, in Kauf genommen, dass eine Kenntnisnahme erst am Folgetag erfolgt wäre. Letzteres macht erneut deutlich, dass er nicht zielgerichtet versucht hat, den frühestmöglichen Zugang im Sinne einer Kenntnisnahme zu bestätigen, ersteres stellt ein individuelles Glaubhaftigkeitskriterium dar, weil er seine Gedanken geschildert hat.

Der Zeuge konnte auch anschaulich schildern, wie sich die Eingangssituation bei der Klägerin an der Haustür und den Briefkästen dargestellt hat. Soweit er ausgesagt hat, dass der äußere Eindruck der Briefeinwurfsituation für innen geschlossene Kästen spreche und "dass es schon sehr lange her sei, dass man Briefe auf einen Haufen wirft", stellt dies ein weiteres Detail dar, das für eine konkrete Wahrnehmung spricht. Der Zeuge hat aufgrund seiner Ausbildung zum Schreiner einen besonderen Blick auf Haustürelemente und kennt sich mit der Entwicklung im Laufe der Jahrzehnte aus. Ihm ist zudem der Schutz von Schriftstücken, die nur einen bestimmten Empfänger erreichen sollen, wichtig, wie seine weitere Aussage auf die Frage, ob das Schreiben verschlossen gewesen sei, belegt: "Zu, wie sich das gehört". Dass er deshalb konkret wahrgenommen hat, wie die Briefvorrichtung gestaltet war, ist glaubhaft. Ob damit der Vortrag der Klägerin, die Briefkästen seien keine "Kästen", sondern nur Einwurfschlitze, so dass sich die Post aller Hausbewohner im Inneren sammle, in Frage gestellt ist, kann dahinstehen. Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen ist dies ohne Relevanz. Der Zeuge hat entsprechend gesagt, er habe durch das Haustürelement nicht in das Innere des Hauses sehen können, sondern er könne nur seinen Eindruck von außen schildern. Dass die Klägerin in der Klageschrift selbst ausgeführt hat, sie habe ihren Briefkasten am 14. September 2022 geleert, kann daher ebenso dahinstehen. Angesichts dessen, dass die Post nach ihrem Vortrag im Berufungstermin auf dem Boden gelegen haben muss, hat an und für sich keine Notwendigkeit bestanden, eine Leerung vorzunehmen.

Abschließend hat der Zeuge gesagt: "Man muss bei Häusern, wo mehrere Briefkästen angebracht sind, ja häufig schauen, ob sie ober- oder unterhalb der Klappe aufgebracht sind und in welche Klappe man dann das Schreiben einwerfen muss, um wirklich den richtigen Briefkasten zu erwischen. Ich kann mich erinnern, dass dieser Name direkt auf der Klappe gestanden hat, sodass an dieser Stelle überhaupt nichts schiefgehen konnte. Man konnte nichts verkehrt machen." Auch dies ist ein weiteres Detail, das die Aussage glaubhaft gemacht hat. Eine Verwechslung von Briefkästen oder Einwurfschlitzen ist daher auszuschließen, zumal nach den Angaben der Klägerin die Post ohnehin auf dem Boden landet und nicht in getrennten Behältnissen.

(3) Als Ergebnis der Würdigung der Zeugenaussage steht damit zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest, dass der Zeuge am 29. August 2022 um 18.34 Uhr das Kündigungsschreiben in die Briefvorrichtung der Klägerin eingeworfen hat. Ob es sich um einen Kasten handelt, dessen Inhalt nur für die Klägerin zugänglich gewesen ist, oder aber um einen Schlitz, so dass das Kuvert auf dem Boden innerhalb des Gebäudes gelandet ist, ist unerheblich. Es ist unstreitig, dass die Klägerin das Schreiben erhalten hat. Auch sie behauptet nicht, sie habe noch andere Post von der Beklagten während ihrer Ortsabwesenheit erhalten. Der Zeuge muss daher das streitgegenständliche Schreiben eingeworfen haben. Angesichts der Glaubhaftigkeit seiner Aussage ist deshalb davon auszugehen, dass die handschriftliche Eintragung auf der für die Akten der Beklagten bestimmten Kündigungskopie zutreffend ist und das Schreiben um 18.34 Uhr eingeworfen worden ist.

dd) Die Aussage der Zeugin E. ist dagegen in Bezug auf den Zugang der Kündigung wenig ergiebig. Sie hat zwar die Kündigung unterschrieben, wusste aber nur, dass mit der Geschäftsführerin der Beklagten besprochen worden ist, dass die Kündigung dem Zeugen B. zur Zustellung übergeben wird. Auch das Detail, dass die Klägerin "Anfang September" versucht haben soll, sie telefonisch über die Pforte zu erreichen, besagt nichts darüber, an welchem Tag die Kündigung zugegangen ist und wann deshalb die dreiwöchige Klagefrist abgelaufen ist. Es stellt zwar den Vortrag der Klägerin in Zweifel, sie habe erst am 14. September 2022 Kenntnis von der Kündigung erlangt. Angesichts der Überzeugung, die die Kammer aufgrund der Aussage des Zeugen B. gewonnen hat, ist es auf diese Zweifel bei der Entscheidungsfindung aber nicht angekommen.

d) Zugunsten der Klägerin kann von einem Zugang i.S.d. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB erst am 30. August 2022 ausgegangen werden. Die Klage ist auch dann verspätet. Die "gewöhnlichen Verhältnisse" und die "Gepflogenheiten des Verkehrs", unter denen gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB von der Möglichkeit der Kenntnisnahme von einer verkörperten Willenserklärung unter Abwesenden auszugehen ist, mussten nicht näher aufgeklärt werden (vgl. hierzu BAG 22. August 2019 - 2 AZR 111/19 - Rn. 12 ff.). Insbesondere musste das Berufungsgericht sich nicht damit befassen, ob es von Bedeutung sein kann, dass bei der von der Klägerin geschilderten Briefvorrichtung die Post den Bewohnern "vor die Füße fällt", ohne dass sie einen Briefkasten öffnen.

4. Die Kündigungsschutzklage war nicht gemäß § 5 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin war nicht nach der ihr nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, innerhalb von drei Wochen die Klage zu erheben.

a) Die Klägerin kann sich nicht auf einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 NachwG berufen. Die Klägerin war zwar nicht gehindert, erst im Berufungsverfahren geltend zu machen, aufgrund eines fehlenden Hinweises nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 NachwG hätte sie die Klagefrist versäumt. Ob ihr zugute zu halten wäre, sie hätte sich nach einem entsprechenden Hinweis der Beklagten aufklärungsgerecht verhalten (vgl. zu einem Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG a.F. bzgl. Ausschlussfristen nur BAG 30. Oktober 2019 - 6 AZR 465/17 - Rn. 47; 22. September 2022 - 8 AZR 4/21 - Rn. 18), kann jedoch dahinstehen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet gewesen, ihr einen entsprechenden Hinweis von sich aus zu erteilen.

aa) Nach § 6 Satz 1 KSchG kann sich der Arbeitnehmer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung auch auf innerhalb der Frist des § 4 KSchG nicht geltend gemachte Gründe berufen, sofern er innerhalb dieser Frist Kündigungsschutzklage erhoben hat. § 6 Satz 1 KSchG ist damit eine Präklusionsvorschrift (grundlegend hierzu BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 12 ff. m.w.N.). Das Gericht genügt seiner Hinweispflicht, wenn es auf den Regelungsgehalt des § 6 Satz 1 KSchG hinweist (BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 17; 21. August 2019 - 7 AZR 563/17 - Rn. 54). Die Präklusionswirkung nach § 6 Satz 1 KSchG tritt nicht ein, wenn das Arbeitsgericht seiner Hinweispflicht nach § 6 Satz 2 KSchG nicht genügt hat. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer den weiteren Unwirksamkeitsgrund auch noch in zweiter Instanz geltend machen (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 845/11 - Rn. 35).

Das Arbeitsgericht hat bereits mit der Ladung zum Gütetermin einen nach § 6 Satz 2 KSchG ausreichenden Hinweis erteilt. Die Klägerin hat allerdings nicht einen weiteren Unwirksamkeitsgrund i.S.d. § 6 Satz 1 KSchG geltend gemacht, sondern hat sich auf Umstände in Bezug auf die Frage berufen, ob die Klageerhebung außerhalb der Frist des § 13 Abs. 1 Satz 2 i.Vm. § 4 Satz 1 KSchG und damit verspätet erfolgt ist. Die Rechtsfolge hiervon ist nur, dass die Kündigung nicht bereits gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam gölte. Dagegen wird nichts darüber ausgesagt, ob die Kündigung rechtsunwirksam ist. Damit betrifft die Frage der rechtzeitigen Klageerhebung das Gegenteil dessen, was § 6 Satz 1 KSchG regelt.

bb) Der fehlende Hinweis nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 NachwG begründet jedoch nicht, dass die Klägerin nach der ihr nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG an der rechtzeitigen Klageerhebung verhindert gewesen ist.

(1) Seit dem 1. August 2022 wurde der Nachweistatbestand des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 NachwG weitgehend neu gefasst: Während bislang nur die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachzuweisen waren, muss jetzt in der ersten Alternative der Nr. 14 das bei Kündigungen des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren nachgewiesen werden, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, ist umstritten (vgl. nur Besgen/Roloff ZfA 2023, S 4 unter V. 14.; ZTR 2023, 19 ff.; Picker/Rathmann RdA 2022, 61, 68; Rolfs, ZfA 2021, 283, 298?ff.; Rolfs/Schmid NZA 2022, 945 ff.; Gaul/Pitzer/Pionteck DB 2022, 1833, 1838; Kreßel ZfA 2021, 321, 323; ErfK/Preis 23. Aufl. § 2 NachwG Rn. 31). Vertreten wird unter anderem, dass über die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG zu belehren ist (vgl. zum Streitstand Picker/Rathmann a.a.O. S. 69 f.). Hätte eine Arbeitgeberin gegen diese Pflicht verstoßen, könnte daraus nach den Grundsätzen des aufklärungsgerechten Verhaltens vermutet werden, dass die von einer Kündigung durch diese Arbeitgeberin betroffene Arbeitnehmerin nach der ihr nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG verhindert gewesen ist, die Klagefrist einzuhalten. Die Vermutung könnte dann von der Arbeitgeberin zu widerlegen sein (vgl. hierzu - mit ablehnender Haltung - Rolfs/Schmid NZA 2022, 945, 949; BeckOK ArbR/Kerwer 68. Edition 1. Juni 2023 § 5 KSchG Rn. 24a; befürwortend NK-ArbR/Roloff 2. Aufl. § 5 KSchG Rn. 116; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Schmitt Arbeitsrecht 5. Aufl. § 5 KSchG Rn. 22; wohl auch Maul-Sartori SR 2022, 226, 238).

(2) Die Kündigung ist zwar erst nach Inkrafttreten des neuen § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 NachwG ausgesprochen worden. Eine wie vorstehend dargestellt teilweise erwogene Vermutung kann der Klägerin aber schon deshalb nicht zugutekommen, weil die Nachweispflicht aus § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 NachwG für Arbeitnehmer, die bereits vor dem 1. August 2022 in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben, nur dann greift, wenn sie einen Nachweis nach neuem Recht von ihrer Arbeitgeberin verlangt haben (§ 5 Satz 1 Halbs. 2 NachwG). Hierfür ist nichts ersichtlich.

Soweit die Klägerin im Berufungstermin auf entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts die Meinung vertreten hat, diese gesetzliche Regelung sei unionsrechtswidrig, ist dem Art. 22 der zugrundeliegenden Richtlinie 2019/1152/EU vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union entgegen zu halten. Zwar gelten nach dessen Satz 1 die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte und Pflichten spätestens am 1. August 2022 für alle Arbeitsverhältnisse. Jedoch muss nach Satz 2 ein Arbeitgeber die in Artikel 5 Abs. 1 und in Art. 6 und 7 genannten Dokumente nur auf Aufforderung eines Arbeitsnehmers, der an diesem Tag bereits beschäftigt ist, bereitstellen oder ergänzen. Nach Satz 3 darf das Ausbleiben einer solchen Aufforderung nicht zur Folge haben, dass Arbeitnehmer von den mit den Artikeln 8 bis 13 eingeführten Mindestrechten ausgeschlossen werden. Die Pflicht zur Unterrichtung gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchstabe j der Richtlinie 2019/1152/EU über "das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, einschließlich der formellen Anforderungen und der Länge der Kündigungsfristen, oder, falls die Kündigungsfristen zum Zeitpunkt der Unterrichtung nicht angegeben werden können, die Modalitäten der Festsetzung der Kündigungsfristen" gehört nicht zu den Mindestrechten nach Art. 22 Satz 3 Richtlinie 2019/1152/EU. Sollte also der Nachweis über die Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG - auch nach unionsrechtskonformer Auslegung - überhaupt unter § 2 Abs. 1 Nr. 14 NachwG fallen, so hätte die Pflicht gegenüber der Klägerin nur auf deren Verlangen bestanden. Das nationale Recht in der Übergangsvorschrift des § 5 Satz 1 Halbs. 2 NachwG entspricht Art. 22 der Richtlinie 2019/1152/EU. Eine Unionsrechtswidrigkeit ist offensichtlich ausgeschlossen, einer Vorlage an den EuGH bedurfte es nicht ("acte clair", vgl. dazu nur BAG 27. September 2022 - 9 AZR 468/21 - Rn. 58).

b) Auch im Übrigen sind keine Umstände ersichtlich, die die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage rechtfertigten.

aa) Zugunsten der Klägerin kann dabei unterstellt werden, dass sie tatsächlich erst am 14. September 2022 von der Kündigung Kenntnis erlangt hat, als sie aus dem Ausland an ihren Wohnsitz in Deutschland zurückgekehrt ist. Einer darauf gerichteten Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugin, ob die Klägerin bereits am 1. September 2022 im Betrieb angerufen hat, um sich nach den Kündigungsgründen zu informieren, hat es nicht bedurft, wie die nachfolgenden Erwägungen ergeben.

bb) Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist auf den Antrag eines Arbeitnehmers die Klage nachträglich zuzulassen, wenn er nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert gewesen ist, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Aufgrund des Zugangs der Kündigung spätestens am 30. August 2022 hätte die Klägerin bis 20. September 2022 Kündigungsschutzklage erheben müssen. Es gehört zu den für jede Arbeitnehmerin geltenden Sorgfaltspflichten, sich zumindest nach Erhalt der Kündigung unverzüglich darum zu kümmern, ob und wie sie dagegen vorgehen kann (BAG 25. April 2018 - 2 AZR 493/17 - Rn. 24). Das gilt auch dann, wenn eine Arbeitnehmerin nach Rückkehr aus dem Urlaub eine Kündigungserklärung vorfindet. Auch dann hat sie innerhalb der verbleibenden Zeit Kündigungsschutzklage zu erheben (BAG 22. März 2011 - 2 AZR 224/11 - Rn. 43; LKB/Linck 16. Aufl. § 5 Rn. 41; KR/Kreft 13. Aufl. § 5 KSchG Rn. 57). Die Klägerin hat nach ihrem Vortrag jedenfalls am 14. September 2022 von der Kündigung Kenntnis genommen. Sie hätte noch fast sieben Tage Zeit gehabt, um eine Klage zu erheben. Selbst wenn von einem Ablauf der Klagefrist schon am 19. September 2022 ausgegangen würde, hätte sie noch fast sechs Tage Zeit gehabt. Sie hat aber nichts dazu vorgetragen, weshalb ihr dies nicht möglich gewesen ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, weshalb sie erst am 20. September 2022 ihren Prozessbevollmächtigten aufgesucht hat. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist daher nichts ersichtlich.

cc) Soweit vertreten wird, dass einer Arbeitnehmerin drei Tage Überlegungsfrist zuzugestehen sind, wenn sie nach Rückkehr aus dem Urlaub eine Kündigung vorfindet und die Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG noch nicht abgelaufen ist, kann dahinstehen, ob eine solche pauschale Frist ohne Prüfung der Einzelfallumstände noch mit § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu vereinbaren ist. Auch diese Frist wäre der Klägerin im Zeitraum vom 14. bis 20. September 2022 (oder 19. September 2022) verblieben. Für eine erstinstanzlich von der Klägerin vertretene Überlegungsfrist von zwei Wochen seit Kenntnis von der Kündigung lassen sich keine Argumente ins Feld führen. Eine Analogie zu § 5 Abs. 3 KSchG lässt sich nicht begründen. Die Auffassung der Klägerin führte vielmehr dazu, dass sich Überlegungsfrist einerseits und die Antragsfrist nach § 5 Abs. 3 KSchG mindestens überlappen, in der Regel sogar parallel laufen, ohne dass Gründe hierfür ersichtlich sind. Bei einer Überlegungsfrist von 14 Tagen hätte die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit Kündigungsschutzklage bis spätestens 28. September 2022 erheben müssen. Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 KSchG liefe leer, da sie zusammen mit der Klagefrist abliefe. Ein solches Verständnis der gesetzlichen Regelung ist deshalb auszuschließen.

5. Weitere Unwirksamkeitsgründe sind von der Klägerin nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Auf die erstinstanzlich bezweifelte Alleinvertretungsmacht der Geschäftsführerin ist die Klägerin im Berufungsverfahren nicht zurückgekommen. Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II. 3. der Gründe des angegriffenen Urteils und sieht von einer erneuten Darstellung ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

6. Die außerordentliche Kündigung gilt damit als von Anfang an rechtswirksam (§ 7 KSchG). Sie hat das Arbeitsverhältnis beendet. Die Rechtshängigkeit des hilfsweisen Antrags bzgl. der ordentlichen Kündigung hat mit Eintritt der auflösenden Bedingung - Abweisung des Hauptantrags bzgl. der außerordentlichen Kündigung - geendet.

III.

1. Die Klägerin trägt als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO). Soweit sie die Berufung zurückgenommen hat, folgt die Kostentragungspflicht aus § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

2. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

ZimmermannDr. KoepferReck

Verkündet am 12.07.2023

Vorschriften§ 6 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz, § 5 KSchG, § 282 Abs. 1 ZPO, § 296 Abs. 2 Alt. 1 ZPO, §§ 282 Abs. 1, 296 Abs. 2 Alt. 1 ZPO, § 296 Abs. 2 ZPO, § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 NachwG, § 7 KSchG, § 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. c ArbGG, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, § 133 BGB, § 158 Abs. 2 BGB, § 1 Abs. 1 KSchG, § 23 Abs. 1 Satz 3 und 4 KSchG, §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG, § 4 Satz 1 KSchG, § 138 Abs. 4 ZPO, § 320 ZPO, § 314 Satz 1 ZPO, § 67 Abs. 1 ArbGG, § 282 Abs. 1, § 56 Abs. 2, § 61a Abs. 5 ArbGG, § 282, Art. 103 Abs. 1 GG, § 61a ArbGG, § 282 Abs. 2, Abs. 3 ZPO, § 282 Abs. 2 ZPO, § 129 Abs. 2 ZPO, § 292 Abs. 2 Alt. 1 ZPO, § 139 ZPO, §§ 56 Abs. 1, 61a Abs. 3, 4 ArbGG, § 296 Abs. 2 Alt. 2 ZPO, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 61a Abs. 5 ArbGG, § 67 Abs. 2 bis 4 ArbGG, § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 286 Abs. 1 ZPO, § 6 Satz 1 KSchG, § 4 KSchG, § 6 Satz 2 KSchG, § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG, § 5 Satz 1 Halbs. 2 NachwG, Richtlinie 2019/1152/EU, Art. 4 Abs. 2 Buchstabe j der Richtlinie 2019/1152/EU, Art. 22 Satz 3 Richtlinie 2019/1152/EU, § 2 Abs. 1 Nr. 14 NachwG, Art. 22 der Richtlinie 2019/1152/EU, § 5 Abs. 3 KSchG, § 69 Abs. 2 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG