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Beschluss vom 22.08.2023 · IWW-Abrufnummer 237539

Landesarbeitsgericht Niedersachsen - Aktenzeichen 13 Ta 163/23

Für Rechtsstreitigkeiten zwischen zugelassenen Krankenhäusern und deren Arbeitnehmern über die auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 26e Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) gestützte Zahlung des Bundesanteils der Corona-Sonderleistung ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit eröffnet.


Tenor: 1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 04.05.2023 (8 Ca 71/23) abgeändert, soweit der Rechtsstreit an das Sozialgericht Braunschweig verwiesen worden ist. Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Braunschweig verwiesen. 2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

I.

Die Klägerin ist bei der beklagten Krankenhausbetreiberin seit 1999 als Fachkraft für Intensiv- und Anästhesiepflege teilzeitbeschäftigt. Im Jahr 2021 betrug ihr Beschäftigungsumfang 60% einer Vollzeitkraft.

Mit der vor dem Arbeitsgericht erhobenen Klage nimmt die Klägerin die Beklagte für das Jahr 2021 auf Zahlung einer Sonderleistung an Pflegefachkräfte gem. § 26e des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz-KHG) entsprechend ihres Beschäftigungsumfangs in Anspruch.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte habe Bundesmittel nach dieser Vorschrift beantragt und erhalten. Diese sei daher verpflichtet das Geld an sie weiterzuleiten. Wenn die Beklagte für sie keine Leistungen beantragt haben sollte, habe sie ihr einen Schaden zugefügt. Anderen Kollegen habe die Beklagte eine Zahlung geleistet. Auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz betreffe den Kern des Arbeitsverhältnisses. Ansprüche auf Schadensersatz und Gleichbehandlung verfolge sie hilfsweise.

Die Beklagte hat die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs gerügt und die Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Braunschweig beantragt.

Die Klägerin hat hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Braunschweig und äußerst hilfsweise an das Verwaltungsgericht Braunschweig beantragt.

Das Arbeitsgericht hat mit einem der Klägerin am 11.05.2023 zugestellten Beschluss vom 04.05.2023 den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Braunschweig verwiesen. Hiergegen richtet sich die am 25.05.2023 bei dem Arbeitsgericht eingegangene sofortige Beschwerde.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie mit Beschluss vom 22.06.2023 dem Beschwerdegericht vorgelegt.

II.

Die gemäß §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Beschwerde ist gemäß §§ 78 ArbGG, 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden und insgesamt zulässig. Sie ist - gemessen am Beschwerdeziel - unbegründet. Zutreffend hat das Arbeitsgericht entschieden, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen unzulässig ist, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Eröffnet ist allerdings nicht der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, sondern der Rechtsweg zu den Gerichten für Verwaltungssachen.

1.

Eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ist nicht gegeben. Sie folgt insbesondere weder aus Nr. 3 a) noch aus Nr. 4 a) des § 2 Abs. 1 ArbGG, weil keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit vorliegt.

a)

Ob eine Streitigkeit bürgerlich-rechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art im Sinne dieser Vorschrift ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch abgeleitet wird. Maßgeblich ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen Rechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird. Nicht entscheidend ist, ob sich die klagende Partei auf eine zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft (BAG 01.03.2022 - 9 AZB 25/21 -, Rn. 13, juris).

b)

Der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt und die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge werden im Streitfall durch Rechtssätze des öffentlichen Rechts geprägt. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Auszahlung einer Sonderleistung an Pflegefachkräfte in Krankenhäusern aufgrund von besonderen Belastungen durch die SARS-CoV-2-Pandemie mit der Begründung in Anspruch, die Voraussetzungen nach § 26e Abs. 2 KHG seien für sie erfüllt. Damit nimmt sie die Beklagte auf die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht in Anspruch, die dieser auferlegt ist. Bei den Regelungen des KHG handelt es sich um öffentliches Recht. Zweck des Gesetzes ist die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser (§ 1 Abs. 1 KHG). Die Klage betrifft eine aus Bundesmitteln finanzierte Sonderleistung.

Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 01.03.2022 (9 AZB 25/21 -, juris) zu der Regelung einer "obligatorischen" Corona-Prämie nach § 150a Abs. 1 Satz 1 SGB XI, welcher die Beschwerdekammer folgt, steht dem öffentlich-rechtlichen Charakter nicht entgegen, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Sonderleistung durch den Arbeitgeber hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen an das Arbeitsverhältnis anknüpft. Der Arbeitgeber erfüllt auch mit der Auszahlung der Sonderleistung nach § 26e KHG weder eine auf arbeitsvertragliche Abreden beruhende, im arbeitsvertraglichen Synallagma stehende Leistungspflicht noch eine Zahlungspflicht, die ihm als selbst zu erbringende Arbeitgeberleistung - z.B. aus sozialstaatlichen Gründen oder zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer auferlegt ist. Der Arbeitgeber fungiert allein als vom Bund in Anspruch genommene Zahlstelle, denn er hat die Sonderleistung nicht aus eigenen Mitteln zu bestreiten, sondern lediglich nach der Weiterleitung der Bundesmittel durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen an ihn unverzüglich an die betreffenden Beschäftigten auszuzahlen.

Ebensowenig wird nach der genannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts die öffentlich-rechtliche Natur des Anspruchs aus § 26e KHG dadurch in Frage gestellt, dass sich der zur Auszahlung der Prämie verpflichtete Arbeitgeber und der Arbeitnehmer als Leistungsempfänger gleichrangig und nicht in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung gegenüberstehen.

2.

Für den Rechtstreit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Die Streitigkeit ist im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht ausdrücklich durch Bundesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen.

a)

§ 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGG bestimmt im Streitfall keine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit.

aa)

Eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist nicht gegeben.

(1)

Die Zuweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG erfasst alle Rechtsstreitigkeiten, bei denen die von der Klagepartei hergeleitete Rechtsfolge ihre Grundlage im Recht der GKV haben kann. Angelegenheiten der GKV sind Streitigkeiten, die entweder die versicherungs- oder leistungsrechtlichen Beziehungen der Krankenkassen zu ihren Mitgliedern und zu den Leistungserbringern auf der Grundlage des SGB V oder auch die Beziehungen der Leistungserbringer untereinander betreffen. Entscheidend ist, ob das Rechtsverhältnis dem speziellen Recht der GKV unterliegt, die Streitigkeit also ihre materiell-rechtliche Grundlage im Recht der GKV hat und die maßgeblichen Normen dem Recht der GKV zuzuordnen sind (BSG 19.06.2023 - B 6 SF 1/23 R -, juris, Rn. 15; BSG 25.03.2021 - B 1 SF 1/20 R -, Rn. 9, juris). Es muss es sich um die Wahrnehmung von Aufgaben nach dem SGB V handeln (Michael Wolff-Dellen in: Fichte/Jüttner, SGG, §?51 [Eröffnung des Rechtsweges], Rn. 53).

(2)

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Vorschriften, die zur Klärung der streitigen Rechtsfragen heranzuziehen und auszulegen sind, sind nicht im SGB V - Gesetzliche Krankenversicherung - geregelt, sondern im KHG. Das Krankenhausfinanzierungsrecht gehört jedoch zur Rechtswegzuständigkeit der Verwaltungsgerichte (Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 51 SGG [Stand: 17.07.2023], Rn. 109 und 128), soweit dort nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist (etwa §§ 17c Abs. 3 und Abs. 4, 19 Abs. 7 S. 1 KHG).

Auch materiell-rechtlich betrifft die Streitigkeit keine Frage der Krankenversicherung. Die von der Klägerin erstrebte Sonderleistung ist unabhängig von ihrem krankenversicherungs- bzw. sozialversicherungsrechtlichen Status. Für die Finanzierung der nach näherer Maßgabe des § 26e Abs. 2 und 3 KHG allein an die Beschäftigung bestimmter Pflegefachkräfte anknüpfende Sonderleistung werden keine Beitragsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung aufgewandt. Die Ausgaben hierfür werden im Ergebnis vollständig aus Steuermitteln des Bundes gezahlt (vgl. Bundestag Drucksache 20/1331, S.1 und S. 14).

Ein Wille des Gesetzgebers, die Rechtsmaterie einer anderen Gerichtsbarkeit als der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuzuweisen, lässt sich der einschlägigen rechtlichen Regelung nicht entnehmen. Allein der Umstand, dass die zur Finanzierung der Sonderzahlung erforderlichen Mittel durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen an die Krankenhäuser weitergeleitet werden, führt nicht dazu, dass die Streitigkeit eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung betrifft. Insbesondere macht die Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten keinen Anspruch geltend, der auf den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zurückzuführen ist. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist gemäß § § 26e Abs. 7 und 8 KHG seinerseits nur "Durchgangsstation" für die aus Bundesmitteln bereitgestellten Gelder, die er nach dem vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus für das jeweilige Krankenhaus nach § 26e Abs. 6 S. 3 KHG erlassenen Bescheid weiterzuleiten hat. Der Spitzenverband wird in § 26e KHG vom Gesetzgeber ersichtlich als vorhandener Verwaltungsträger außerhalb seines originären Auftrags - im Wesentlichen die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb um Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung zu regeln - in Anspruch genommen, um die Auszahlung einer sozialversicherungsfremden Sonderleistung anlässlich der SARS-CoV-2-Pandemie an in Krankenhäusern beschäftigte Pflegefachkräfte zu gewährleisten. Eine Sonderzuweisung zur Sozialgerichtsbarkeit allein kraft einer bloßen Sachnähe zur gesetzlichen Krankenversicherung scheidet aus (BSG 19. Juni 2023 - B 6 SF 1/23 R -, juris, Rn. 14).

bb)

Eine Angelegenheit der sozialen bzw. der privaten Pflegeversicherung ist ebenfalls nicht gegeben. Soweit das Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG 01.03.2022 - 9 AZB 25/21 -, Rn. 21, juris) für einen Antrag auf Zahlung einer "obligatorischen" Corona-Prämie im Bereich der Pflegeeinrichtungen entschieden hat, dass der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet ist, beruhte dies maßgeblich auf dem Umstand, dass die dortige Rechtsgrundlage im SGB XI - Soziale Pflegeversicherung - geregelt ist.

b)

Eine Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit folgt auch nicht aus § 51 Abs. 1 Nr. 5 SGG. Bei dieser Norm handelt es sich um eine Auffangregelung für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, die nicht den einzelnen Versicherungszweigen zugeordnet werden können (BSG 31.01.2023 - B 12 SF 1/22 R -, juris, Rn. 12). Nach den vorstehenden Ausführungen handelt es sich aber bei der vorliegenden Streitigkeit um keine, die ihre materielle Grundlage im Sozialversicherungsrecht des SGB hat.

3.

Soweit die Klägerin, die die Zahlung insgesamt nur einmal verlangt, den Anspruch alternativ aber auf unterschiedliche Lebenssachverhalte stützt (Voraussetzungen des § 26e KHG, Schadensersatz, Gleichbehandlung), hat sie ausdrücklich klargestellt, Ansprüche auf Schadensersatz bzw. Gleichbehandlung hilfsweise zu verfolgen. Solange der hauptsächliche Streitgegenstand rechtshängig ist, muss die Rechtswegfrage einheitlich beantwortet werden, da sich die hilfsweise geltend gemachten Begehren nicht abtrennen lassen. Die Zuständigkeit für die gesamte Klage bestimmt sich deshalb allein nach dem Hauptantrag. Kommt es zur Entscheidung über den Hilfsantrag, ist vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden, sofern nach Maßgabe von § 17a GVG Anlass besteht (vgl. BAG 01.03.2022 - 9 AZB 25/21 -, Rn. 23, juris).

4.

Der Rechtsstreit ist deshalb an das gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1, § 52 Nr. 5 VwGO zuständige Verwaltungsgericht Braunschweig zu verweisen.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, da das Rechtmittel mit Blick auf das erstrebte Rechtsschutzziel - Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen, hilfsweise zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit - vollständig erfolglos geblieben ist.

6.

Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 78 S. 2, § 72 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Insbesondere besteht entgegen der Auffassung der Beklagten keine Divergenz im Sinne des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zu der Entscheidung der 4. Kammer des LAG Niedersachsen vom 01.08.2023 (4 Ta 116/23) hinsichtlich Frage, ob in den Sozial- oder in den Verwaltungsrechtsweg zu verweisen ist. Die 4. Kammer hat ihrer diesbezüglichen Subsumtion weder ausdrücklich noch zweifelsfrei im Rahmen einer scheinbar fallbezogenen Ausführung einen Obersatz vorangestellt, der über den Einzelfall hinaus für vergleichbare Sachverhalte Geltung beansprucht. Sie hat zu dem fraglichen Punkt rein fallbezogen lediglich ausgeführt: "Im vorliegenden Fall ist das Sozialgericht nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG zuständig."

Gegen diese Entscheidung ist daher ein Rechtsmittel nicht gegeben.

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