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Urteil vom 09.02.2023 · IWW-Abrufnummer 237586

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 6 Sa 607/22

Kann die Arbeitgeberin, die nach eigenem Bekunden in der digitalen Personalakte mehrere Schriftstücke mit einer eingescannten Unterschrift versehen hat, im Prozess eine Vertragsurkunde über die Vertragsbefristung nur in digitaler Form vorlegen, so beweist sie damit nicht die Schriftform der Befristungsabrede, da die digitale Personalakte keine Urkunde im Sinne des § 420 ZPO darstellt. In einem solchen Fall kann sich der Arbeitnehmer - dem gegenüber behauptet wird, er habe eine bereits von der Arbeitgeberin unterschriebene Vertragsurkunde erhalten, seinerseits unterschrieben und zurückgesandt - auf ein Nicht-mehr-Wissen berufen. Die Beweislast zur Behauptung es habe eine beidseitig unterschriebene Vertragsurkunde vorgelegen, verbleibt dann bei der Arbeitgeberin, die folglich den Entfristungsprozess verliert, wenn sie für die besagte Behauptung keinen Beweis antritt.


Tenor: 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 22.02.2022 - 16 Ca 5021/21 - wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung und mehrerer von der Beklagten vorsorglich erklärter ordentlicher Kündigungen. Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist nur ein Teilurteil des Arbeitsgerichts, das sich mit der Wirksamkeit der Befristung befasst.

Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in B 166 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Kläger ist am 1968 geboren. Er war bei der Beklagten zunächst vom 01.12.1990 bis 31.10.2001 als Maschinenbediener angestellt. Vom 06.06.2011 bis 30.09.2015 und vom 06.06.2016 bis 31.08.2019 arbeitete er als Leiharbeitnehmer im Betrieb der Beklagten. Für die Zeit vom 01.09.2019 bis 31.08.2020 schlossen die Parteien einen befristeten Arbeitsvertrag. Anschließend arbeitete der Kläger weiter für die Beklagte als Maschinenbediener in der Schweißerei zu einem durchschnittlichen Monatslohn von zuletzt 4.661,38 € brutto. Die Frage, ob dieser weiteren Beschäftigung eine wirksame Verlängerungsvereinbarung zugrunde lag, ist Gegenstand des Rechtsstreits. Die Beklagte berief sich jedenfalls auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf zum 31.08.2021 und kündigte das Arbeitsverhältnis vorsorglich mit Schreiben vom 09.09.2021 und zwei weiteren Schreiben vom 14.09.2021.

Der Kläger hat sich mit seiner am 17.09.2021 bei Gericht eingegangenen Klage sowohl gegen die Wirksamkeit einer Befristung als auch gegen die ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigungen gewandt.

Zur Begründung seiner Klage hat er mit Blick auf die fragliche Wirksamkeit der Befristung vorgetragen, der befristeten Verlängerungsvereinbarung vom 29.07.2020 fehle die Schriftform. Er bestreite mit nicht-mehr-Wissen, dass die ihm nicht (mehr) vorliegende befristete Verlängerungs-Urkunde auf Beklagtenseite im Original unterschrieben gewesen sei. Er habe sie der Beklagten nach seiner Erinnerung damals auf dem Postweg übersandt. Zudem sei die Befristungsvereinbarung als sachgrundlose Befristung wegen seiner Vorbeschäftigung unwirksam.

Der Kläger hat unter anderem beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch den befristeten Verlängerungsvertrag bzw. durch befristete Verlängerungsmitteilung vom 29.07.2020 nicht mit Ablauf des 31.08.2021 geendet hat. 2. [...]

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die Parteien hätten am 29.07.2020 schriftlich einen bis zum 31.08.2021 befristeten Verlängerungsvertrag (Scan Bl. 95 d. A.) geschlossen, dessen Urkunde sie jedoch nicht vorlegen könne, weil die Personalakte digital geführt werde und deshalb nur das eingescannte Dokument bei ihr aufbewahrt werde. Die Verlängerung sei auch ohne Sachgrund möglich gewesen, da die Vorbeschäftigung des Klägers schon sehr lange zurückgelegen habe.

Das Arbeitsgericht Köln hat mit Teilurteil vom 22.02.2022 dem Antrag zu 1 stattgegeben. Dies geschah mit der Begründung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Befristungsvereinbarung sein Ende gefunden habe. Der Vereinbarung fehle die Schriftform, die gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG für ihre Wirksamkeit notwendig gewesen sei. Die Beklagte habe trotz des Bestreitens des Klägers den ihr obliegenden Beweis für die Wahrung der Schriftform nicht erbracht. Das Bestreiten mit Nichtmehrwissen sei zulässig (BAG v. 20.08.2014 - 7 AZR 924/12 -). Die Einhaltung der Schriftform sei daher von der Beklagten zu beweisen gewesen (BAG v. 25.10.2017 - 7 AZR632/15 -). Es fehle aber schon an einem Beweisantritt. Der Urkundenbeweis sei nur durch Vorlage der Urkunde möglich (§§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 420 ZPO). Die Urkunde sei aber von der Beklagten nach dem Einscannen vernichtet worden. Der Scan als Augenscheinobjekt im Sinne des § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO sei nicht hinreichend überzeugend (§ 286 ZPO). Dieses Fehlen der Überzeugungskraft sei hier insbesondere auf die Tatsache zurückzuführen, dass nach ihrem eigenen Vorbringen die Beklagte häufig - nicht nur in außergewöhnlichen Ausnahmen - der Schriftform bedürftige arbeitsrechtliche Erklärungen abgegeben habe, bei denen die Unterschriften nur eingescannt seien (Beispiele: Unterschrift des Werksleiters auf dem Kündigungsschreiben vom 09.09.2021 in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt). Im Übrigen sei kein Beweis angetreten worden.

Gegen dieses ihr am 25.07.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17.08.2022 Berufung eingelegt und sie hat diese am 21.09.2022 begründet.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, es sei nach Ihrer Auffassung nicht zulässig, sich im vorliegenden Fall auf "nicht-mehr-Wissen" zu berufen. Es fehle an jeglichen Darlegungen des Klägers zu der Frage, warum er selbst keine Vertragsurkunde mehr habe und warum er sich nicht mehr daran erinnern könne, ob unter der Vertragsurkunde die Unterschrift des Vertreters der Beklagten gestanden habe oder nicht. Der Vortrag des Klägers sei insofern widersprüchlich.

Die Beklagte beantragt nunmehr,

das Teilurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.02.2022- 16 Ca 5021/21 - abzuändern und die Klage mit dem Antrag zu 1 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Zur Verteidigung gegen die Berufung der Beklagten trägt der Kläger vor, er könne sich immer noch nicht erinnern, ob die Vertragsurkunde im Original unterschrieben gewesen sei oder nicht. Bis zur Mandatierung seines Prozessbevollmächtigten sei ihm die Bedeutung des Schriftformerfordernisses nicht bekannt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. In der Berufungsbegründung der Beklagten finden sich keine Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten.

Insbesondere ist nichts gegen das Bestreiten des Klägers mit "nicht-mehr-Wissen" einzuwenden. Der bereits vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts folgend (BAG v. 20.08.2014 - 7 AZR 924/12 -) ist das Bestreiten mit "nicht-mehr-Wissen ein Fall des § 138 Abs. 4 ZPO. Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlung der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Da es um ein Schriftstück geht, das der Kläger selbst unterzeichnet und erhalten haben soll, lägen diese Voraussetzungen an sich nicht vor. Jedoch fordert der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG iVm. Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachgemäß ist. Es muss einer Prozesspartei möglich sein, Tatsachen, die sie zum Zeitpunkt ihres Prozessvortrages nicht mehr weiß und auch nicht zumutbar durch Nachforschungen feststellen kann, mit nicht-mehr-Wissen zu bestreiten (BAG 13. November 2007 - 3 AZN 449/07 -). Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat plausibel gemacht, sich an den maßgeblichen Vorgang nicht mehr erinnern und aus den ihm vorliegenden Unterlagen keine Feststellungen treffen zu können.

Nach diesem zulässigen Bestreiten ist daher davon auszugehen, dass der Beweis für eine formwirksame Befristungsabrede im Sinne des § 14 Abs. 4 TzBfG hier (weiterhin) der Beklagten obliegt. Die Beklagte hat sich auf die Wirksamkeit der Befristung berufen. Die Formwirksamkeit der Befristungsabrede ist deshalb für sie günstig. Nach dem Grundsatz, dass jede Partei die für sie günstigen Tatbestandsmerkmale beweisen muss, hat die Beklagte zu beweisen, dass eine formwirksame Befristungsabrede vorliegt. Die Annahme, die Beklagte habe den ihr obliegenden Beweis nicht geführt, rechtfertigt sich aus dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung des Tatsachengerichts, hier also der erkennenden Berufungskammer.

Vorliegend hat der Kläger nachvollziehbar dargelegt, warum er sich nicht mehr deutlich erinnern kann, ob die Urkunde unterschrieben war oder nicht. Dabei wird davon ausgegangen, dass es tatsächlich eine Vertragsurkunde gegeben hat, die vor ihrer Vernichtung die Vorlage für den Scan dargestellt hat, den die Beklagte nun in ihren elektronischen Unterlagen archiviert hat. Widersprüche sind im Vortrag des Klägers nicht erkennbar.

III. Nach allem bleibt es somit bei der klagestattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung hinsichtlich des Antrages zu 1. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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