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Urteil vom 09.02.2023 · IWW-Abrufnummer 237588

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 6 Sa 497/22

1. Die "Kenntnis" im Sinne des § 814 BGB bedeutet positives Wissen des Leistenden über die Tatsache, dass er nichts schuldet (BAG v. 13.10.2010 - 5 AZR 648/09 -). Die bloße Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Nichtbestehen der Verbindlichkeit ergibt, reicht für die Anwendbarkeit von § 814 BGB nicht aus, selbst wenn der Irrtum des Leistenden klar verschuldet sein sollte.

2. Im öffentlichen Dienst ist die Kenntnis über die Umstände der Entgeltleistung der Beschäftigten in der Beschäftigungsbehörde einerseits und die Kenntnis der Beschäftigten in der Abrechnungs- und Auszahlungsbehörde andererseits nicht zusammenzufassen oder dem beklagten Land in seiner Funktion als Träger beider Behörden als Kenntnis zuzurechnen.

3. Selbst wenn aber dem beklagten Land die beiden Kenntnisse zusammengefasst zugerechnet würden, ergäbe sich keine andere Rechtslage. Denn wer als Arbeitgeber mit seinem Arbeitnehmer oder seiner Arbeitnehmerin eine vertragliche Stundenreduzierung vornimmt, danach aber vergisst den Dauerauftrag zu ändern, der weiß zwar vom Stundenumfang und davon, dass Zahlungen im Wege eines Dauerauftrages erbracht werden, er weiß also um die Umstände die der Rechtsgrundlosigkeit zugrunde liegen. Ohne weitere Hinweise, Überprüfungen oder Erkenntnisse bleibt es aber bei dem Irrtum und damit bei der Tatsache, dass er von der Rechtsgrundlosigkeit der weiterlaufenden Vollzeit-Überweisung keine positive Kenntnis hat.


Tenor: 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.05.2022 - 11 Ca 4120/21 - wird zurückgewiesen. 2. Die Berufung der Beklagten gegen das besagte Urteil wird ebenfalls zurückgewiesen. 3. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Nachdem der Kläger in der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.10.2015 vom beklagten Land deutlich mehr Arbeitsentgelt erhalten hatte, als ihm vertraglich zustand, streiten die Parteien nun im Rahmen eines im Jahre 2021 anhängig gewordenen Klageverfahrens um die Forderung des beklagten Landes, diese Beträge zurückzuzahlen. Dabei vertreten die Parteien unterschiedliche Rechtsauffassungen zu den Themen Kenntnis der Nichtschuld, Entreicherung, tariflicher Verfall, Verwirkung und Verjährung.

Der Kläger war seit dem Jahre 1978 bis zum 31.08.2021 bei der Beklagten als Forstwirt beschäftigt. Seit dem 01.09.2021 bezieht der Kläger Altersrente. Auf das Arbeitsverhältnis war der TV-L anwendbar. Der Kläger war in die Entgeltgruppe 5 Stufe 6 eingruppiert. Das entsprach zuletzt bei einer Vollzeitbeschäftigung einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.092,28 EUR. Für eine Teilzeitbeschäftigung mit 24 Wochenstunden errechnet sich ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 1.927,66 EUR zzgl. einer Forstzulage iHv 57,37 EUR. Die Parteien hatten nämlich die Arbeitszeit des Klägers mit Änderungsvertrag vom 14.10.2009 für die Zeit ab dem 01.01.2010 von 38,5 Stunden wöchentlich auf 24 Stunden wöchentlich reduziert.

Der Kläger wurde aber in der Folgezeit weiterhin auf der Basis einer Vollzeittätigkeit vergütet.

Erst in einem Telefonat vom 19.10.2015 teilte die Dienststelle des Klägers der entgeltauszahlenden Behörde, dem L (im folgenden L ), mit, dass der Kläger seit dem 01.01.2010 lediglich in einem Umfang von 24 Wochenstunden beschäftigt sei. Die entsprechende Änderungsmitteilung ging am nächsten Tag, dem 20.10.2015 beim L ein. Das beklagte Land hat sodann vom Kläger die Rückzahlung des zu viel geleisteten Entgelts gefordert. Dies geschah für die Überzahlungen aus dem Zeitraum vom 01.10.2012 bis 31.10.2015 mit Schreiben vom 23.11.2015 (Bl. 184) und für die Überzahlungen aus dem Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.09.2012 mit Schreiben vom 30.12.2015 (Bl. 188 d.A.). Diese in zwei Schreiben erfolgte getrennte Abrechnung ergab sich aus der Tatsache, dass die Zeit ab dem 01.12.2012 unter SAP hat berechnet werden können, die Berechnung der Überzahlung aus dem Zeitraum vor dem 01.12.2012 aber händisch hatte erfolgen müssen.

Der sich aus den beiden Schreiben ergebende Gesamtrückforderungsbetrag belief sich auf 56.754,21 Euro. Später stellte sich heraus, dass dem beklagten Land bei der Berechnung ein Fehler unterlaufen war. Rechnerisch richtig ist ein Betrag in Höhe von 53.914,40 EUR. Werden von diesem Betrag die vom beklagten Land in der Folgezeit vom Nettoentgelt des Klägers einbehaltenen Beträge abgezogen und die an das beklagte Land rückerstatteten Sozialversicherungsbeiträge anteilig berücksichtigt, so ergibt sich für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2011 eine verbleibende Überzahlung in Höhe von 19.376,62 EUR und für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.12.2015 eine Überzahlung iHv 20.788,55 EUR. Diese Berechnung ist in der Berufungsinstanz nicht mehr streitig.

Auf die beiden Schreiben des L vom 23.11.2015 und vom 30.12.2015 und die dort von der Beklagten erfolgte Ankündigung "Es werden Beträge innerhalb der Pfändungsfreigrenzen in Höhe von 200,28 EUR einbehalten" reagierte der Kläger nicht. Der Kläger äußerte sich auch weiter nicht zu dem Sachverhalt, als ab dem Monat Dezember 2015 tatsächlich ein Betrag in Höhe von 200,28 EUR monatlich von seinem Nettoentgelt abgezogen wurde. In der Zeit vom Monat Dezember 2015 bis zum Monat August 2021 wurden auf diese Weise insgesamt 13.248,76 EUR vom Nettoentgelt des Klägers einbehalten. Erst mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 11.03.2021 (Bl. 42 d.A.) meldete sich der Kläger bei dem beklagten Land zu diesem Sachverhalt, nämlich bei seiner Beschäftigungsbehörde, dem Landesbetrieb W und H N . Unter anderem heißt es in diesem Schreiben wörtlich:

Bereits zum damaligen Zeitpunkt haben wir unser Mitglied dahingehend beraten, dass die Verjährungsfristen des Bürgerlichen Gesetzbuches von 3 Jahren Berücksichtigung finden müssen. Somit sind Sie lediglich berechtigt, die Überzahlungen ab dem 01.01.2012 in Höhe von 28.421,57 EUR netto rechtskräftig zurückzufordern.

Mit der seit dem 23.07.2021 anhängigen Klage hat der Kläger die Auszahlung der von seinem Nettolohn einbehaltenen Beträge aus dem Zeitraum gefordert, der nicht von der tariflichen Verfallvorschrift erfasst war, nämlich sieben Mal den Betrag iHv 200,28 EUR für die Monate November 2020 bis Mai 2021. Die Beklagte ihrerseits hat mit ihrer Widerklage, die am 15.09.2021 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, die Rückzahlung des besagten Überzahlungsbetrages abzüglich der ihr erstatteten Sozialversicherungsleistungen und abzüglich der vom Nettoentgelt des Klägers einbehaltenen Beträge gefordert.

Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, die von der Beklagten im Zeitraum 01.11.2020 bis 31.05.2021 einbehaltenen Beträge in Höhe von insgesamt 1.401,96 EUR, deren Rückzahlung er mit Schreiben vom 31.05.2021 geltend gemacht habe, seien zu Unrecht einbehalten worden. Es möge zwar sein, dass er in der Vergangenheit zu viel Entgelt erhalten habe. Nach seiner Auffassung sei er aber nicht verpflichtet, den überzahlten Betrag zurück zu erstatten. Der Bereicherungsanspruch bestehe schon dem Grunde nach nicht, weil das beklagte Land in Kenntnis der Nichtschuld geleistet habe. Er sei außerdem entreichert; das Geld sei restlos ausgegeben. Nach seiner Auffassung sei der vom beklagten Land behauptete Anspruch nach § 37 TV-L verfallen. Es könne nach seiner Auffassung nicht treuwidrig sein, sich auf diesen Verfall zu berufen. Diejenigen Forderungen, die sich aus tatsächlichen oder vermeintlichen Überzahlungen im Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2011 ergäben, seien außerdem verjährt (Schriftsatz vom 23.07.2021, Seite 7, Bl. 24 d.A.). Auf die Einrede der Verjährung berufe er sich bezüglich der besagten Forderungen ausdrücklich.

Der Kläger hat beantragt,

1. das beklagte Land zu verurteilen, 1.401,96 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.12.2020, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.01.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.02.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.03.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.04.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.05.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.06.2021 an den Kläger zu zahlen; 2. die Widerklage des beklagten Landes abzuweisen.

Das beklagte Land hat beantragt,

1. die Klage abzuweisen; 2. den Kläger zu verurteilen, an das beklagte Land 40.165,64 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.09.2021 zu zahlen.

Zur Verteidigung gegen die Klage und zur Begründung seiner Widerklage hat das Land vorgetragen, die vom Kläger geltend gemachten Einwendungen und Einreden seien nicht geeignet, den Rückzahlungsanspruch in Frage zu stellen. Von einer Kenntnis der Nichtschuld im Zeitpunkt der jeweils monatlichen Leistungen im Sinne des § 814 BGB könne keine Rede sein. Bei der jeweils notwendigen Kenntnis der Sachlage mit Blick auf die Fragen der Kenntnis der Nichtschuld, der tarifliche Verfallklausel, der Fälligkeit eines ggfls. anzunehmenden Schadensersatzanspruchs und des Beginns der Verjährung könne es immer nur auf die Kenntnis der Person ankommen, die geleistet habe, also auf die Kenntnis der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters des L . Eine Zurechnung der Kenntnis der Beschäftigungsdienststelle scheide nach ihrer Auffassung aus. Die Berufung des Klägers auf die Ausschlussfrist sei treuwidrig. Ein aus dem Gesichtspunkt der Verjährung erklärtes Leistungsverweigerungsrecht komme gleichfalls nicht in Betracht. Nach ihrem Verständnis sei die Verjährung durch die durchgehende Tilgung der Forderung gehemmt worden. Die Verjährungsfrist habe mit jedem Monat erneut zu laufen begonnen. Da die letzte Rate mit den Bezügen für den Monat August 2021 gezahlt worden sei, beginne die regelmäßige Verjährungsfrist nach richtiger Berechnung erst mit dem Schluss des Jahres 2021 und Ende mit dem Schluss des Jahres 2024. Indem der Kläger den Abzug von seiner Vergütung akzeptiert habe, habe er die Forderung sogar anerkannt i.S.d. § 212 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 05.05.2022 abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage des beklagten Landes verurteilt, an das beklagte Land 20.788,55 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht auch die Widerklage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger sei berechtigt gewesen, die Erfüllung der vor dem 01.01.2012 entstandenen Ansprüche wegen ihrer Verjährung zu verweigern. Im Einzelnen hat das Arbeitsgericht seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Anspruch des Landes folge dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 S. 1 alt. 1 BGB, denn das beklagte Land habe einen Teil des monatlichen Entgelts ohne Rechtsgrund an den Kläger geleistet. Der Bereicherungsanspruch sei nicht gemäß § 814 BGB wegen Kenntnis der Nichtschuld ausgeschlossen. Erforderlich sei die positive Kenntnis der Rechtslage, also nicht nur die Kenntnis der dem Anspruch zugrundeliegenden Tatsachen. Dass aber das beklagte Land oder in seiner Vertretung irgendeine Landesbeschäftigte oder irgendein Landesbeschäftigter von der Nichtschuld positiv gewusst habe, habe der Kläger selbst nicht behauptet. Im Übrigen könne das besagte Erfordernis der positiven Kenntnis nicht durch die Zurechnung des Wissens anderer entsprechend § 166 Abs. 1 BGB ersetzt werden. Gegen diesen somit dem Grunde nach bestehenden Bereicherungsanspruch könne der Kläger nicht einwenden, er sei gemäß § 818 BGB entreichert. Der durch diese Vorschrift ausgelösten Darlegungslast genüge der Vortrag des Klägers nicht, da er sich auf die unzureichende Behauptung beschränkt habe, er habe die Beträge für den allgemeinen Lebensunterhalt verwandt. Auch seien die vom beklagten Land geltend gemachten Ansprüche nicht gemäß § 37 Abs. 1 TV-L verfallen. Wegen der Erheblichkeit der Überzahlung sei es dem Kläger verwehrt, sich auf den Verfall zu berufen, denn er sei ganz im Gegenteil verpflichtet gewesen, das beklagte Land auf die Überzahlung hinzuweisen. Auch die Einrede der Treuwidrigkeit gegen die Forderung des Landes komme nicht in Betracht, da das beklagte Land den Anspruch unverzüglich geltend gemacht habe, als die Änderung der Vertragsregelungen im Jahre 2015 dem L durch die Beschäftigungsbehörde mitgeteilt worden sei. Der Kläger sei allerdings berechtigt gewesen, die Erfüllung derjenigen Ansprüche der Beklagten zu verweigern, die vor dem 01.01.2012 entstanden seien, denn diese Ansprüche seien verjährt. Die Verjährungsfrist habe nicht gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch ein Anerkenntnis erneut zu laufen begonnen, denn das bloße Geschehenlassen eines Nettoabzuges stelle kein Anerkenntnis im Sinne der besagten Vorschrift dar.

Gegen dieses ihm am 21.06.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.07.2022 Berufung eingelegt und er hat diese am Montag, dem 22.08.2022, begründet. Auch dem beklagten Land ist das Urteil erster Instanz am 21.06.2022 zugestellt worden. Mit einem Schriftsatz, der am 20.07.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, hat es seinerseits Berufung eingelegt und diese am 11.08.2022 begründet.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung und zur Verteidigung gegen die Berufung des beklagten Landes vor, er bleibe bei seiner Auffassung zu § 814 BGB, zu § 818 Abs. 3 BGB, zu 37 TV-L, zur Frage der Verwirkung und der Verjährung.

Zum Einwand der Entreicherung habe das Arbeitsgericht zu Unrecht angenommen, er habe mit der Ausgabe des Erlangten anderweitige Aufwendungen erspart. Das Gegenteil sei der Fall. Die Unterhaltsansprüche seiner von ihm getrenntlebenden Ehegattin und seiner Tochter seien auf der Grundlage des höheren Einkommens berechnet worden. Er habe daher mehr Unterhalt gezahlt als er habe zahlen müssen. Im Jahre 2014 habe er einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 155,41 EUR gezahlt und ab dem Jahre 2015 in Höhe von 55,41 EUR. Zur Berechnung nehme er Bezug auf die Unterlagen in der Anlage zur Berufungsbegründung. Wäre nur das Teilzeitentgelt zugrunde gelegt worden, so hätte er gar nichts zahlen müssen. Die Berufung auf die Ausschlussfrist könne nicht treuwidrig sein, denn er habe damals gar nicht wahrgenommen, dass er zu viel Entgelt erhalten habe. Es habe deshalb für ihn keinen Anlass gegeben, das beklagte Land auf die Überzahlung aufmerksam zu machen. Er habe damals seine Arbeitszeit reduziert, um seine pflegebedürftige demenzkranke Mutter zu pflegen. Das Finanzielle sei für ihn absolut untergeordnet gewesen.

Der Kläger beantragt,

I. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.05.2022 - 11 Ca 4120/21 - abzuändern und 1. das beklagte Land zu verurteilen, 1.401,96 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.12.2020, für eine Betrag in Höhe von 200,28EUR brutto seit dem 01.01.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.02.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.03.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.04.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.05.2021, für eine Betrag in Höhe von 200,28 EUR brutto seit dem 01.06.2021 an den Kläger zu zahlen; 2. die Widerklage des beklagten Landes insgesamt abzuweisen; II. die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen.

Das beklagte Land beantragt,

I. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.05.2022 - 11 Ca 4120/21 - teilweise abzuändern und den Kläger auf die Widerklage zu verurteilen, an sie weitere 19.377,09 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2021; II. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht Verjährung angenommen. Der Kläger handele rechtsmissbräuchlich, indem er sich auf die Verjährung berufe. Hier müsse das gleiche gelten, wie bei der Frage des Verfalls.

Entgegen der Auffassung des Klägers sei er nicht entreichert. Insbesondere könne der Kläger mit seinem Vortrag zum tatsächlich oder vermeintlich gezahlten Unterhalt nicht durchdringen. Die von ihm vorgelegten Berechnungen seien schon dem Grunde nach nicht überzeugend, da sie den Aussteller nicht erkennen ließen. Es sei ohne weiteres möglich, die Zahlungen durch Vorlage von Kontoauszügen glaubhaft zu machen, was der Kläger unterlassen habe. Aus den vom Kläger vorgelegten Berechnungen ergebe sich, dass es sich nicht um finale Berechnungen handele, da hier der pauschale monatliche Höchstwert (5,00 % des Bruttoeinkommens) für eine zusätzliche private Altersvorsorge berücksichtigt, jedoch nicht belegt worden sei; dies sei an dem

Vermerk "tatsächliche Höhe ist zu belegen!" erkennbar. Überdies seien die Unterhaltsberechnungen untauglich zur Darlegung von Unterhaltszahlungen, weil der Kläger keinen Trennungsunterhalt geschuldet habe. Selbst wenn man sein überhöhtes Einkommen zugrunde lege, wie dies in den Berechnungen auch gehandhabt worden sei, habe er vorrangig seiner minderjährigen Tochter Kindesunterhalt geschuldet. Kindesunterhalt sei stets progressiv vom unterhaltsrechtlichen Einkommen in Abzug zu bringen, bevor nachrangige Unterhaltsansprüche wie bspw. Ehegattenunterhalt in einem weiteren Schritt berechnet würden. Da bei Zahlung des Mindestkindesunterhalts der ersten Stufe der Düsseldorfer Tabelle, der Selbstbehalt des Klägers in jedem Fall unterschritten gewesen wäre, habe er seiner getrenntlebenden Ehefrau keinerlei Unterhaltsleistungen geschuldet. Die vom Kläger eingereichte Berechnung sei demnach sowohl inhaltlich falsch als auch nicht dazu geeignet, etwaige Unterhaltszahlungen zu belegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufungen beider Parteien sind zwar zulässig aber beide unbegründet.

I. Die Berufungen des Klägers und des beklagten Landes sind zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden sind (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Die Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen und der Widerklage jedenfalls in Höhe des Betrages stattgegeben, der sich aus der Überzahlung in der Zeit ab dem 01.01.2012 ergibt.

1. Zurecht hat das Arbeitsgericht die Klage des Klägers auf Zahlung von 1.401,96 EUR abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte für die Monate November 2020 bis Mai 2021 keinen Anspruch auf Zahlung einer Restnettovergütung in Höhe von jeweils 200,28 EUR aus § 611 a Abs. 2 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Denn der Nettoanspruch ist in dieser Höhe gemäß § 389 BGB durch die Aufrechnung, die die Beklagte in den beiden Schreiben aus dem Jahre 2015 erklärt und durch Verrechnung mit dem monatlichen Nettoentgelt ausgeübt hatte, erloschen.

Die in § 387 BGB geregelten Voraussetzungen einer Aufrechnung mit der vorbezeichneten Wirkung sind vorliegend erfüllt. Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann gemäß § 387 BGB jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Als das beklagte Land den monatlichen Nettobetrag in Höhe von 200,28 EUR einbehielt, hatte es gegen den Kläger einen solchen gleichartigen, fälligen und nicht verjährten Gegenanspruch.

Dieser Gegenanspruch folgt wie bereits vom Arbeitsgericht erkannt aus § 812 Abs. 1 Satz 1 alt. 1 BGB. Das beklagte Land hat in Höhe eines Betrages, der die Klageforderung bei weitem übersteigt, dem Kläger ohne Rechtsgrund Arbeitsentgelt geleistet, indem es die Teilzeittätigkeit des Klägers als Vollzeittätigkeit vergütet hat. In dem Zeitraum, der nach der eindeutigen Erklärung des Klägers von dem von ihm erklärten verjährungsbedingten Leistungsverweigerungsrecht (Schriftsatz vom 23.07.2021, Seite 7, Bl. 24 d.A. sowie Schreiben vom 11.03.2021, Bl. 42 d.A.) nicht betroffen ist, also im Zeitraum vom 01.01.2012 bis zum 31.10.2015, hat der Kläger einen Betrag in Höhe von über 35.000,00 EUR zu viel erhalten. Selbst wenn (nur) von diesem Betrag die gesamten bisher von dem beklagten Land einbehaltenen Nettobeträge in Höhe von 13.248,76 EUR abgezogen werden, verbleibt immer noch ein Betrag von gut 20.000,00 EUR.

Diese zur Aufrechnung gestellte und die Klageforderung um das 15fache übersteigende Forderung des beklagten Landes ist nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen, sie ist nicht nach § 37 TV-L verfallen, sie verstößt nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben und sie ist nicht verjährt.

a. Wie bereits vom Arbeitsgericht erkannt ist der Bereicherungsanspruch der Beklagten nicht gemäß § 814 BGB ausgeschlossen, denn das beklagte Land leistete nicht in Nichtkenntnis der Rechtsgrundlosigkeit im Sinne der Norm. Das "Kennen" nach § 814 BGB bedeutet positives Wissen des Leistenden über die Tatsache, dass er nichts schuldet (BAG v. 13.10.2010 - 5 AZR 648/09 -). Die bloße Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Nichtbestehen der Verbindlichkeit ergibt, reicht für die Anwendbarkeit von § 814 BGB nicht aus, selbst wenn der Irrtum des Leistenden klar verschuldet sein sollte (BeckOK BGB/Wendehorst, 64. Ed. 1.11.2022, BGB § 814 Rn. 8 mw.N.). Eine solche positive Kenntnis hatte hier das beklagte Land nicht. Das Land hat einen Fehler gemacht, aber weder die Beschäftigten des L noch die Beschäftigten der Beschäftigungsbehörde wussten, dass der Kläger monatlich rechtsgrundlose Leistungen erhält. An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn die Kenntnisse der Beschäftigten bei der Beschäftigungsbehörde und die Kenntnisse der Beschäftigten beim L über die Umstände der Leistung zusammengefasst oder dem beklagten Land in seiner Funktion als Träger beider Behörden als Kenntnis zugerechnet werden (gegen eine solche Zurechnung: BAG v. 13.10.2010 - 5 AZR 648/09 -). Denn wer als Arbeitgeber - ohne die Delegation von Aufgaben an zwei Behörden oder zwei Abteilungen oder zwei Vertreter - mit seinem Arbeitnehmer oder seiner Arbeitnehmerin eine vertragliche Stundenreduzierung vornimmt, danach aber vergisst den Dauerauftrag zu ändern, der weiß zwar vom Stundenumfang und davon, dass Zahlungen im Wege eines Dauerauftrages erbracht werden, er weiß also um die Umstände die der Rechtsgrundlosigkeit zugrunde liegen. Ohne weitere Hinweise, Überprüfungen oder Erkenntnisse bleibt es aber bei dem Irrtum und damit bei der Tatsache, dass er von der Rechtsgrundlosigkeit der weiterlaufenden Vollzeit-Überweisung keine positive Kenntnis hat.

b. Die Forderung des beklagten Landes ist nicht gemäß § 37 TV-L nach Ablauf der Verfallfrist (sechs Monate nach Fälligkeit) untergegangen, denn jedenfalls hatte das beklagte Land das Recht, dem Einwand des Verfalls mit der Einrede der Treuwidrigkeit zu begegnen.

Wird angenommen, dass die Fälligkeit des gesamten Rückzahlungsanspruches erst in dem Zeitpunkt eingetreten ist, in dem das beklagte Land seinen Bereicherungsanspruch erkannt hat und wird weiter angenommen, dass dieser Zeitpunkt erst im Oktober 2015 mit dem Telefonat zwischen der Dienststelle und dem L lag, so haben die Geltendmachungsschreiben vom 23.11.2015 und 30.12.2015 die Frist für den gesamten geltend gemachten Bereicherungsanspruch gewahrt; denn zur Wahrung der tariflichen Ausschlussfrist aus § 37 TV-L reicht die schriftliche Geltendmachung (Dies ist der Unterschied zur Verjährung).

Doch selbst wenn (wohl richtiger) zu Gunsten des Klägers angenommen wird, dass die Fälligkeit der monatlichen Teilbeträge des Bereicherungsanspruchs des beklagten Landes jeweils Monat für Monat mit der Überzahlung in der Zeit von Januar 2010 bis Oktober 2015 fällig geworden sind, ergibt sich unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben nichts anderes (zur Abgrenzung beider Betrachtungsweisen vgl. BAG v. 10.03.2005 - 6 AZR 217/04 -). Dabei kann sogar zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass die Kenntnisse der Beschäftigten der Dienststelle und des L zusammengerechnet oder dem Land N als Träger beider Dienststellen zugerechnet werden können. Für diesen letztgenannten Fall wären dann zwar alle Teilansprüche aus den Monaten bis einschließlich April 2015 bei der ersten mit Schreiben vom 23.11.2015 erfolgten Geltendmachung "älter" als sechs Monate gewesen.

Das beklagte Land durfte aber jedenfalls dem Einwand des tariflichen Verfalls mit der Einrede der Treuwidrigkeit begegnen. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu diesem Punkt kann Bezug genommen werden: Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin ist aus § 241 BGB verpflichtet, Schäden des Arbeitgebers zu vermeiden und ihn auf die Überzahlung hinzuweisen (BAG v. 10.03.2005 - 6 AZR 217/04). Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von der abzuweichen die erkennende Kammer keinen Anlass sah. Dieser Verpflichtung ist der Kläger nicht nachgekommen. Er hat über fast fünf Jahre die Überzahlungen auf sein Konto fließen lassen, ohne dem beklagten Land hierzu etwas mitzuteilen. Die erkennende Kammer glaubt dem Kläger nicht, wenn er behauptet, er habe die Überzahlung nicht bemerkt, weil er sich die ganze Zeit nicht um Finanzielles gekümmert habe. Es geht hier um Nettoüberzahlungen in der Größenordnung zwischen 500,00 EUR und 1.000,00 EUR pro Monat im Rahmen der Entgeltgruppe 5 des TV-L. Es geht also um Beträge die schon bei einem monatlichen Blick auf den Kontostand auffallen. Ein Blick in die Lohnabrechnung ist zu deren Erkenntnis gar nicht notwendig. Wenn der Kläger unter diesen Umständen geltend machen will, er habe diese signifikante Überzahlung nicht bemerkt, dann muss er mehr vortragen, als das bloße Nichtbemerken. Anderenfalls muss sein Vortrag als nicht vollständig im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO erachtet werden. Nur beispielsweise denkbar wäre der Vortrag, er sei derart vermögend oder er erhalte von dritter Seite derart hohe monatliche Bezüge, dass sein Konto stets weit über seine finanziellen Bedürfnisse hinaus gefüllt sei und dass deshalb monatliche Zahlungen in Höhe von 500,00 EUR bis 1.000,00 EUR in seiner Wahrnehmung untergingen. Eine solche oder eine ähnliche Situation hat der Kläger nicht vorgetragen und sie ergibt sich auch nicht im Übrigen aus der Akte oder aus Erklärungen der Parteien.

c. Auf das vom Kläger erklärte verjährungsbedingte Leistungsverweigerungsrecht kommt es im Rahmen der Klage wie gezeigt nicht an (und muss erst im Rahmen der Widerklage thematisiert werden, s.u.). Denn selbst wenn die Bereicherungsansprüche des beklagten Landes aus den Überzahlungen in der Zeit bis zum 31.12.2011, hinsichtlich derer der Kläger unter Berufung auf die Verjährung die Leistung verweigert hat, unberücksichtigt blieben, überstiege der nicht verjährte Anspruch des beklagten Landes bei weitem den Gegenanspruch des Klägers.

Die Beschränkung der Verjährungseinrede auf die Bereicherungsansprüche des beklagten Landes aus den Überzahlung in der Zeit bis zum 31.12.2011 ergibt sich ausdrücklich aus dem Schreiben vom 11.03.2021 (Bl. 42 d.A.) und dort aus den Worten "... Verjährungsfristen ... Berücksichtigung finden müssen ... somit sind Sie lediglich berechtigt, die Überzahlungen ab dem 01.01.2021 in Höhe von 28.421,57 EUR netto rechtskräftig zu fordern". Genauso eindeutig hat sich der Kläger auch schriftsätzlich erklärt (Schriftsatz vom 23.07.2021, Seite 7, Bl. 24 d.A.).

d. Das beklagte Land hat seinen Rückzahlungsanspruch auch nicht verwirkt. Wie schon im Urteil des Arbeitsgerichts ausgeführt, bedarf es nicht nur eines gewissen Zeitablaufs für die Annahme der Verwirkung. Vielmehr muss ein Umstandsmoment hinzutreten, also Tatsachen, die ein besonderes Vertrauen begründen, der Anspruch werde nicht mehr geltend gemacht. Solche Tatsachen sind nicht vorgetragen worden und sie sind nicht ersichtlich.

Soweit sich der Kläger mit seiner Berufung gegen die Abweisung seiner Klage wendet, bleibt er also ohne Erfolg.

2. Ohne Erfolg bleibt die Berufung des Klägers auch, soweit er sich mit ihr gegen seine Verurteilung auf die Widerklage des beklagten Landes wendet. Zutreffend hat das Arbeitsgericht den Kläger auf die Widerklage des beklagten Landes verurteilt, an das beklagte Land einen Betrag in Höhe von 20.788,55 EUR zu zahlen. Wie gezeigt hat das beklagte Land gegen den Kläger aus den Überzahlungen im Zeitraum ab dem 01.01.2012 einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 alt. 1 BGB in rechnerisch unstreitiger Höhe, der weder wegen einer positiven Kenntnis der Nichtschuld ausgeschlossen, noch nach TV-L verfallen ist und dem auch die Einrede der Verwirkung nicht entgegensteht.

Nach allem bleibt die Berufung des Klägers insgesamt ohne Erfolg.

III. Die Berufung des beklagten Landes ist ebenfalls unbegründet, denn das Arbeitsgericht hat die Widerklage zurecht "im Übrigen", nämlich mit einem Betrag in Höhe von 19.377,09 EUR abgewiesen.

Zurecht hat das Arbeitsgericht dem Kläger zugestanden, aus Gründen der Verjährung gemäß § 214 Abs. 1 BGB die Erfüllung des Bereicherungsanspruchs des beklagten Landes zu verweigern, soweit der Anspruch seinen Grund in den Überzahlungen aus der Zeit bis zum 31.12.2011 hatte.

Die Ansprüche, die in der Zeit vor dem 01.01.2012 entstanden sind, sind nach der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB verjährt, nachdem der Kläger die Einrede der Verjährung ausdrücklich für die Forderungen erhoben hat, die in der Zeit bis zum 31.12.2011 entstanden sind. Gemäß § 214 Abs. 1 BGB ist er in diesem Umfang berechtigt, die Leistung zu verweigern.

1. Die dreijährige Verjährungsfrist für die hier streitgegenständlichen Bereicherungsansprüche des beklagten Landes begann spätestens mit Schluss des Jahres 2015. Denn während dieses Jahres hat das beklagte Land mit dem Schreiben vom 30.12.2015 (Bl. 188 d.A.) die Rückerstattung der Überzahlungen aus dem Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 30.09.2012 gefordert. Aus diesem Schreiben geht hervor, dass das beklagte Land spätestens zum Zeitpunkt der Erstellung des Schreibens im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kenntnis "von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners" hatte.

2. Die regelmäßige Verjährung tritt gemäß § 195 BGB nach drei Jahren ein, hier also am 31.12.2018. Ob von einem früheren Kennen oder Kennenmüssen ausgegangen werden kann, ist im Ergebnis nicht relevant.

3. Bis zum 31.12.2018 fand eine Hemmung oder Ablaufhemmung der Verjährung gemäß § 203 ff BGB nicht statt. So gab es zwischen den Parteien in der Zeit bis zum 31.12.2018 keine Verhandlungen über den Anspruch im Sinne des § 203 BGB. Das Gegenteil ist der Fall; das beklagte Land hat den Anspruch geltend gemacht und direkt ab dem nächsten Monat mit den Nettoeinbehalten begonnen, während der Kläger durchgehend geschwiegen hat. Auch eine Hemmung durch Rechtsverfolgung gemäß § 204 BGB ist nicht erfolgt. Keiner der im Absatz 1 Nr. 1 bis 14 genannten Vorgänge hat hier in der Zeit bis zum 31.12.2018 stattgefunden. Erst mit seiner Widerklage, die am 15.09.2021 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, hat das beklagte Land eine "Klage auf Leistung" im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB erhoben. Auch ein Leistungsverweigerungsrecht des Klägers im Sinne des § 205 BGB oder höhere Gewalt im Sinne des § 206 BGB sind nicht ersichtlich. Nur im Dienst der Vollständigkeit: Auch um Lebenspartner oder Familienangehörige im Sinne des § 207 BGB geht es hier nicht, erst recht nicht um Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung im Sinne des § 209 BGB. Von einer Hemmung der Verjährung kann also keine Rede sein. Das gilt auch für die Ablaufhemmungen bei nicht voll Geschäftsfähigen gemäß § 209 BGB oder bei Nachlassfällen gemäß § 210 BGB. Die bloße schriftliche Geltendmachung eines Anspruchs, die wie gezeigt an anderer Stelle geeignet ist, eine tarifliche Ausschlussfrist zu wahren, ist nach den vorzitierten Vorschriften nicht geeignet, die Verjährung zu hemmen.

4. Die Verjährung hat auch nicht nach § 212 BGB neu begonnen. Nach dieser Vorschrift beginnt die Verjährung erneut, wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird. Weder hat hier eine solche behördliche Vollstreckungshandlung stattgefunden, noch stellen sich die durch das beklagte Land monatlich vorgenommenen Aufrechnungen als Abschlagszahlung im Sinne der Vorschrift dar. Auch im Übrigen ist ein Anerkenntnis im Sinne der Vorschrift nicht ersichtlich.

a. Die vom beklagten Land vorgenommenen Aufrechnungen sind keine behördlichen Vollstreckungshandlungen im Sinne des § 212 BGB. Eine Vollstreckungshandlung setzt einen Akt eines Vollstreckungsorgans oder einen Antrag des Gläubigers bei einem Vollstreckungsorgan voraus (Grüneberg/Ellenberger § 212 Rn. 10). Hierzu gehört eine Aufrechnung, auch wenn diese wie hier vom Land erklärt wird, nicht. Denn insoweit handelt es sich nicht um eine Vollstreckungsmaßnahme, sondern um die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts (LG Frankfurt v. 13.02.2020 - 2-13 T 10/04 -).

b. Die durch das beklagte Land monatlich vorgenommenen Aufrechnungen stellen sich nicht als Abschlagszahlung im Sinne des § 212 BGB dar. Durch eine Vollstreckungshandlung im oben genannten Sinn versucht der Gläubiger mit den ihm vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten (Zwangs-)mitteln, den Schuldner zur Zahlung zu bewegen oder eine Befriedigung zu erreichen. Soweit dies keinen Erfolg hat, gibt es keinen Grund dafür, die dem Rechtsfrieden dienende Verjährung zu Lasten des Gläubigers eintreten zu lassen. Deshalb reicht der bloße Versuch der Vollstreckung für den Neubeginn der Verjährung nach § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB aus. Bei einer Aufrechnung hingegen kann der Gläubiger durch die Erklärung der Aufrechnung Forderungen, soweit sie sich aufrechenbar gegenüberstehen, unmittelbar zum Erlöschen bringen, das liegt in seiner Hand. Gründe warum - ähnlich wie bei erfolglosen Vollstreckungshandlungen - die Verjährung auch bezüglich Forderungen neu beginnen soll, die nicht durch die Aufrechnung erloschen sind, sind nicht ersichtlich. Diese Forderungen werden nämlich von der Aufrechnung überhaupt nicht tangiert. Soweit die Aufrechnung Erfolg hat, ist der Gläubiger befriedigt, im Übrigen muss er jedoch - will er die Verjährung verhindern - andere Befriedigungs- oder eben Vollstreckungshandlungen unternehmen.

c. Auch ein sonstiges Anerkenntnis im Sinne des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB liegt nicht vor. Der Kläger hat keine Abschlagszahlungen, Zinszahlungen oder Sicherheitsleistungen erbracht. Eine Leistung in diesem Sinne ist eine bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Der Kläger hat aber nichts bewusst und zweckgerichtet vermehrt, er hat allenfalls eine Minderung seiner eigenen Liquidität geschehen lassen. Das durch die Aufrechnung des Schuldners bewirkte Erlöschen der Gegenforderung ist begrifflich sogar das Gegenteil einer Leistung des Gläubigers (hier des Gläubigers der Lohnforderung aus dem Arbeitsverhältnis). Für ein Anerkenntnis im Sinne des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB genügt grundsätzlich jedes - auch ein rein tatsächliches - Verhalten des Schuldners oder auch seines Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich das Bewusstsein vom Bestehen des Anspruchs - wenigstens dem Grunde nach - unzweideutig ergibt und das deswegen das Vertrauen des Gläubigers begründet, dass sich der Schuldner nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist alsbald auf Verjährung berufen werde (BGH v. 06.11.2018 - XI ZR 369/18 -). Hier hat der Kläger schlicht nichts getan, obwohl von ihm mit zwei Schreiben Ende des Jahres 2015 die Rückzahlung in der Größenordnung eines kleinen Vermögens gefordert wurde. Er hat schlicht geschwiegen. Er hat auf den monatlichen Einbehalt in Höhe von 200,28 EUR netto mehr als fünf Jahre lang kein Wort gesagt oder geschrieben - Monat für Monat. Er hat gearbeitet, war zwischendurch einmal eine etwas längere Zeit krank, hat seine demente Mutter gepflegt und hat auf seinem Konto Monat für Monat ein um gut 200 EUR gekürztes Teilzeit-Tarifentgelt vorgefunden. Bei so viel Nichts-Sagen, Nichts-Tun und Nichts-Als-Geschehenlassen drängt sich die Frage auf, aus welchen Umständen sich hier ein Vertrauen darauf ergeben könnte, dass der Betroffene nicht doch eines Tages etwas sagt oder tut, insbesondere dann, wenn die Altersrente naht. Eine Beantwortung dieser Frage ist das beklagte Land schuldig geblieben und ergibt sich auch nicht aus den Erklärungen des Klägers oder den Anlagen der Schriftsätze der Parteien.

Erst das Schreiben vom 11.03.2021 (Bl. 42 d.A.) mit dem die Prozessbevollmächtigte des Klägers ausdrücklich erklärte "Somit sind Sie lediglich berechtigt, die Überzahlungen ab dem 01.01.2012 in Höhe von 28.421,57 EUR netto rechtskräftig zurückzufordern" mag eine Erklärung im Sinne des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB sein - für die im Zeitraum ab dem 01.01.2012 entstandenen Ansprüche. Sie betrifft also nur Ansprüche aus einem Zeitraum, hinsichtlich dessen sich der Kläger ohnehin nicht auf Verjährung beruft. Die Erklärung ist daher nicht erheblich für den Lauf, für die Hemmung oder für den Neubeginn einer Verjährung derjenigen Ansprüche, die sich aus den Überzahlungen in den Monaten Januar 2010 bis Dezember 2011 ergeben.

5. Der Kläger handelte nicht treuwidrig, als er sich auf den Gesichtspunkt der Verjährung berief. Dabei kann zugunsten des beklagten Landes unterstellt werden, dass für die Verjährung ähnliche Maßstäbe gelten wie für den tariflichen Verfall (BAG v. 20.06.2018 - 5 AZR 262/17 -). Denn jedenfalls war der unterbliebene Hinweis auf die Überzahlung und damit die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 BGB zwar kausal für die Nichteinhaltung der tariflichen Ausschlussfrist (s.o.), sie war es aber nicht für den Ablauf der Verjährungsfrist. Spätestens Ende des Jahres 2015 wusste das beklagte Land von seinem Bereicherungsanspruch. Zu diesem Zeitpunktkonnte es nicht mehr vom Kläger durch eine unterlassene Information von der Klageerhebung oder der Einleitung eines Mahnverfahrens abgehalten werden.

Auch die Berufung des beklagten Landes blieb mithin ohne Erfolg.

IV. Nach allem bleibt es somit bei der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht. Insbesondere war die von den Parteien und vom Arbeitsgericht aufgeworfene Frage, ob im Rahmen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Kenntnisse der Beschäftigten zweier verschiedener Behörden des gleichen Landes zusammengerechnet werden können und unter welchen Voraussetzungen von "grober Fahrlässigkeit" im Sinne dieser Vorschrift ausgegangen werden kann, nicht entscheidungserheblich.

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