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Beschluss vom 27.01.2023 · IWW-Abrufnummer 237792

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 6 Ta 172/22

Dass eine Partei erst vier Tage vor dem Kammertermin ein Dokument vorlegt, rechtfertigt nur dann die Festsetzung einer Verzögerungsgebühr, wenn die verspätete Vorlage des Dokuments für eine Verzögerung des Rechtsstreits im Sinne des § 38 GKG kausal wird.


Tenor:

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 28.09.2022 - 19 Ca 6838/21 - aufgehoben.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist eine vom Arbeitsgericht festgesetzte Verzögerungsgebühr gemäß § 38 GKG.

In der Hauptsache streiten die Parteien über die finanzielle Beteiligung des Klägers an seiner Ausbildung zum Verkehrsflugzeugpiloten. Dabei ging es auch um die Wirksamkeit und die Auswirkungen einer Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist vor allem die Frage, ob die Beklagte eine Kopie der vom Kläger unterschriebenen Vereinbarung zu spät vorgelegt hat.

Die Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung ist erstmals vom Kläger vom Schriftsatz vom 09.05.2022 thematisiert worden:

... Soweit sich die Beklagte in Parallelverfahren auf die Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung ... beruft, führt dies zu keiner anderen Rechtsfolge. Es handelt sich dabei lediglich um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis..."

Der Kläger behandelt in diesem Schriftsatz die nach seiner Auffassung anzunehmende Unwirksamkeit der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung auf 10 Seiten.

Ein erster Kammertermin fand am 27.05.2022 statt. Zuvor hatte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten wegen einer längeren Erkrankung um Aufhebung des Termins gebeten. Im Protokoll dieses ersten Kammertermins findet sich die ausdrückliche Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, es gebe da die Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung. Diese müsse noch vorgelegt werden. Das Protokoll schließt mit der Auflage, "... insbesondere zur Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung ..." vorzutragen. Mit Beschluss vom 07.06.2022 wurde hierzu eine Frist gesetzt bis zum 05.07.2022.

Mit Schriftsatz vom 28.06.2022 hat daraufhin die Beklagte ausführlich zur Wirksamkeit der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung vorgetragen mit dem einleitenden Hinweis, dass auch der Kläger eine solche Vereinbarung unterzeichnet habe. Ein Muster einer solchen Vereinbarung wurde als Anlage B4 vorgelegt. In diesem Muster findet sich zur Restforderung kein konkreter Betrag, sondern nur ein Platzhalter "[...]".

Der Kläger antwortete mit Schriftsatz vom 01.08.2022, nahm seinerseits auf fünf Seiten ausführlich Stellung zu der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung: Es handele sich bei der Vereinbarung nicht um einen Vergleich gemäß § 779 BGB, es gehe vielmehr um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, das gegen AGB-rechtliche Vorschriften verstoße. Einleitend zu diesen Ausführungen heißt es "Wie der von der Beklagten vorgelegten Anlage B4 zu entnehmen ist, hat die Klagepartei diese nicht unterzeichnet."

Die Beklagte äußerte sich ihrerseits mit Schriftsatz vom 25.08.2022 auf fünf Seiten zur Wirksamkeit der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung.

Mit Schriftsatz vom Montag, dem 29.08.2022, und damit vier Tage vor dem für den 02.09.2022 anberaumten Kammertermin, hat die Beklagte die Kopie der konkret vom Kläger unterzeichneten Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung zur Akte gereicht, die der zuvor mit Schriftsatz vom 28.06.2022 eingereichten Anlage B4 entspricht.

Im Kammertermin vom 02.09.2022 wurde mit Blick auf ein Parallelverfahren die Möglichkeit erörtert, das Verfahren zum Ruhen zu bringen bzw. auszusetzen. Am Schluss der Sitzung wurde ein Hinweis- und Auflagenbeschluss verkündet und die Beklagte auf die Absicht des Gerichts hingewiesen, eine Verzögerungsgebühr zu verhängen. Der Hinweis- und Auflagenbeschluss hatte den folgenden Wortlaut:

In der Sache werden die Parteien auf folgendes hingewiesen: Einer Ansicht nach liegt mit der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung ein Vergleich vor, der die gesamte Rechtsbeziehung auf eine neue Grundlage stellt und damit Ansprüche der Klägerseite ausschließt. Nach anderer Ansicht bezieht sich die Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung aber jedenfalls nicht auf solche Ratenzahlungen, die vor Abschluss der Vereinbarung bereits verrechnet worden sind. Nach noch anderer Ansicht könnte die ggf. bestehende Unwirksamkeit der Ratenzahlungsverpflichtungen der Arbeitnehmer aus dem Darlehensvertrag auf die Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung durchschlagen und diese damit insgesamt unwirksam machen bzw. wäre zu prüfen, ob die Bindungswirkung der neuen Regeln der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung ebenfalls zu einer unzulässigen Bindung der Arbeitnehmer führen und die Vereinbarung deshalb auch isoliert betrachtet unwirksam wäre.

Den Parteien wird Gelegenheit gegeben, zu diesen - und allein zu diesen - Punkten Stellung zu nehmen bis einschl. 07.10.2022. Kammertermin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung ergeht sodann von Amts wegen.

Eine die Instanz abschließende Entscheidung wurde sodann nach Durchführung eines weiteren Kammertermins am 11.11.2022 verkündet. Zur Begründung des überwiegend stattgebenden Urteils nimmt die Kammer im Wortlaut Bezug auf die "den Parteien bekannten" Entscheidungen in den Verfahren 3 Ca 1952/22 und 18 Ca 6835/21. Konkret zur Wirksamkeit der Aufhebungs-, Stundungs- und Rückzahlungsvereinbarung bzw. zur Nichtanwendbarkeit derselben auf den vorliegenden Fall wird ebenfalls wörtlich das "den Parteien bekannte" Urteil aus dem Verfahren 18 Ca 6835/21 zitiert.

Zuvor hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 28.09.2022 der Beklagten eine Verzögerungsgebühr mit einem Gebührensatz von 1,0 auferlegt.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass für die Verhängung einer Verzögerungsgebühr keine Grundlage bestehe. Das wortgleiche Muster der streitgegenständlichen Vereinbarung habe in Gestalt der Anlage B4 seit dem 28.06.2022 vorgelegen.

Mit Beschluss vom 28.09.2022 hat die 19. Kammer des Arbeitsgerichts Köln der Beklagten eine Verzögerungsgebühr mit einem Gebührensatz von 1,0 auferlegt mit der Begründung, es sei unerheblich, dass sich die Parteien schon seit dem 27.05.2022 über die Wirksamkeit der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung schriftsätzlich ausgetauscht hätten, denn die konkret von den Parteien unterzeichnete Vereinbarung habe nicht vorgelegen, die Kammer sei daher nicht gehalten gewesen, bezüglich dieser Vereinbarung Hinweise zu erteilen und Auflagen zu machen. Da der Hinweis- und Auflagenbeschluss folglich erst im Kammertermin habe ergehen können, habe die verspätete Vorlage der Kopie der vom Kläger unterzeichneten Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung zu einer Verzögerung geführt.

Gegen diesen ihr am 28.09.2022 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 27.10.2022 Beschwerde eingelegt und diese am 25.11.2022 begründet. Der Abschluss der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung zwischen den Parteien sei unstreitig gewesen und mit Schriftsatz vom 28.06.2022 habe sie ein identisches Muster vorgelegt.

Mit Beschluss vom 29.11.2022 hat die 19. Kammer des Arbeitsgerichts der Beschwerde nicht abgeholfen. Bereits im Gütetermin sei der Beklagten aufgegeben worden, auf die Klage zu erwidern. Die Anlage B4 sei lediglich die Kopie eines Vertragsentwurfes gewesen. Solange nicht ein unterzeichneter Vertrag vorgelegen habe, habe sich die Kammer nicht mit dem Vertragstext auseinandersetzen müssen.

II. Auf die Beschwerde der Beklagten ist der Beschluss vom 28.09.2022 aufzuheben, da die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verzögerungsgebühr nicht erfüllt sind. Die notwendigen Tatbestandsmerkmale des § 38 GKG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einer Prozesspartei von Amts wegen nur dann eine Verzögerungsgebühr auferlegen, wenn durch Verschulden der Partei die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig ist, oder die Erledigung des Rechtsstreits durch nachträgliches Vorbringen von Angriffs- oder Verteidigungsmitteln, Beweismitteln oder Beweiseinreden, die früher vorgebracht werden konnten, verzögert worden ist. Das ist vorliegend nicht der Fall, denn der Rechtsstreit hätte ohne Vertagung auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 02.09.2022 entschieden werden können. Jedenfalls war die Vorlage der Kopie der vom Kläger unterzeichneten Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung nicht kausal für eine prozessual notwendige Verzögerung.

Am 02.09.2022 war der Rechtsstreit entscheidungsreif, denn sämtliche streitentscheidenden Tatsachen lagen vor. Der Hinweis- und Auflagenbeschluss, der am Ende der Sitzung verkündet worden ist, betrifft ausschließlich Rechtsfragen. Die Rechtsfrage nach der Wirksamkeit der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung war aber schon zuvor ausführlich Gegenstand der schriftsätzlichen Erörterungen der Parteien. Das schließlich verkündete Urteil nimmt im Wortlaut Bezug auf solche Entscheidungen, die den Parteien am 02.09.2022 bereits bekannt waren, auf die sie also nicht mehr hingewiesen werden mussten. Unter solchen Voraussetzungen kann ein Kammertermin vertagt werden, er muss es aber nicht.

Jedenfalls war die Vertagung nicht auf ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten zurückzuführen, denn die Vorlage der Kopie der vom Kläger unterzeichneten Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung war nicht streitentscheidend. Aus dem Urteil selbst ergibt sich, dass nach Auffassung der Kammer die Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung - ob sie nun vom Kläger unterschrieben worden ist oder nicht - "keine Regelung bezüglich der für diesen Zeitraum bestehenden Gehaltsrückstände" treffe.

Eine schuldhafte Verzögerung des Rechtsstreits durch die Beklagte scheidet auch deshalb aus, weil die Beklagte nicht davon ausgehen musste, die Unterzeichnung der Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung durch den Kläger könnte streitig werden. Seit dem 09.05.2022 war zwischen den Parteien unstreitig, dass eine Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung abgeschlossen worden war, die der Anlage B4 entsprach. Mit dem Satz "wie der von der Beklagten vorgelegten Anlage B4 zu entnehmen ist, hat die Klagepartei diese nicht unterzeichnet" wies der Kläger auf nichts mehr hin, als auf die unmaßgebliche Tatsache, dass unter der Anlage B4 seine Unterschrift nicht zu finden sei, dass also das von ihm unterzeichnete Exemplar bisher nicht in Kopie zur Akte gereicht worden sei. Dass ein solches Exemplar existiert und dass diese Existenz unstreitig ist, ergibt sich aus den ausführlichen schriftsätzlichen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien zur Wirksamkeit der Vereinbarung. Die Formulierung "wie der von der Beklagten vorgelegten Anlage B4 zu entnehmen ist, hat die Klagepartei diese nicht unterzeichnet" ist ähnlich spitzfindig wie die im Schriftsatz vom 15.12.2022 durch den Kläger geäußerte Auffassung "die Klagepartei ist nicht verpflichtet, Einwendungen der Gegenseite vorzubringen". Denn natürlich ist die Klagepartei nach § 138 Abs. 1 ZPO verpflichtet "vollständig und der Wahrheit gemäß" vorzutragen. Wenn der Anspruch untergegangen ist (z.B. durch Erfüllung, Abtretung, Unmöglichkeit etc), dann gehört diese Tatsache zur Vollständigkeit der zu erzählenden Geschichte. Erst wenn der Untergang des Anspruches streitig ist oder wird, entscheidet die Verteilung der Beweislast, wer im Falle der Nichterweislichkeit den Rechtsstreit verliert. Aus alledem ergibt sich jedenfalls, dass die Beklagte nicht schuldhaft handelte, als sie davon ausging, es sei unstreitig, dass der Kläger eine Aufhebungs-, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung unterzeichnet hat, die der Anlage B4 entspricht. Damit konnte die erst vier Tage vor dem Kammertermin - und damit zweifellos ärgerlich kurzfristig - erfolgte Vorlage der Kopie einer tatsächlich vom Kläger unterzeichneten Vereinbarung den Rechtsstreit nicht schuldhaft verzögern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 69 GKG in Verbindung mit § 66 Abs. 8 GKG.

Vorschriften§ 38 GKG, § 779 BGB, § 138 Abs. 1 ZPO, § 69 GKG, § 66 Abs. 8 GKG