Urteil vom 15.09.2023 · IWW-Abrufnummer 237851
Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 4 Sa 384/23
Ermächtigt eine Betriebsvereinbarung den Arbeitgeber einseitig dazu, ein bereits erarbeitetes Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto zu verwenden, um dem Arbeitnehmer künftig weniger Schichten zuteilen zu müssen, verschiebt diese Regelung in unrechtmäßiger Art und Weise das Betriebsrisiko auf den Arbeitnehmer, wenn der Arbeitnehmer nicht frei darüber entscheiden kann, ob und wieviele Schichten ihm zugeteilt werden.
Tenor: I) Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27.05.2022 - 1 Ca 6872/21 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt neu gefasst: 1) Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, eine Umbuchung des Zeitguthabens des Stundenkontos und des Feiertagskontos ohne Zustimmung des Klägers auf das Sollkonto vorzunehmen. 2) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. II) Es wird festgestellt, dass das Guthaben des Klägers auf seinem Stundenkonto zum Stichtag 31.12.2022 insgesamt 402,37 Stunden beträgt. III) Es wird festgestellt, dass das Guthaben des Klägers auf seinem Feiertagsstundenkonto zum Stichtag 31.12.2022 insgesamt 176 Stunden beträgt. IV) Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. V) Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. VI) Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, die für den Kläger geführten Zeitkonten ohne dessen Zustimmung miteinander zu verrechnen.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.08.1993 im Bereich der Werksfeuerwehr in der Wachabteilung I als Oberbrandmeister, Gruppenführer und Einsatzleiter tätig.
Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme ua. der "Tarifvertrag für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen K /B GmbH vom 01.03.2012" (nachfolgend: "Tarifvertrag Feuerwehrpersonal") Anwendung.
§ 2 des Tarifvertrags Feuerwehrpersonal ("Arbeitszeit mit Opt-Out") lautet auszugsweise wie folgt:
"1) Die dienstliche Beanspruchung beträgt 240 Stunden im Monatsdurchschnitt. Der Alarm- und Einsatzdienst wird im 24-Stunden-Dienst geleistet. [...] 2) Nach einer Dienstschicht von 24 Stunden ist jeweils eine ununterbrochene Freizeit von 24 Stunden zu gewähren. Die planmäßige 24-Stunden-Schicht wird auf 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Arbeitsbereitschaft und 8 Stunden Ruhezeit an der Arbeitsstelle aufgeteilt. [...] Protokollerklärunq zu Absatz 1 und 2: Die oberhalb der Arbeitszeit nach Absatz 1 liegenden Mehrschichten sind mit der Überstundenvergütung abzugelten. Die Überstundenvergütung beinhaltet das Tabellenentgelt und die Zulage nach § 8 Abs. 1 dieses Tarifvertrages. Eine Schicht entspricht 16 zu vergütenden Stunden."Im Betrieb der Beklagten gilt des Weiteren eine "Betriebsvereinbarung 01/2013 über die Arbeitszeitgestaltung für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen K /B GmbH" (nachfolgend: "BV Arbeitszeit"). Diese regelt auszugsweise:
"§ 4 Berechnung der Jahresarbeitszeit Die Jahresarbeitszeit richtet sich nach dem jeweils gültigen Tarifvertrag (derzeit 120 Schichten abzgl. Wochenfeiertage, Vorfesttage, Rosenmontag und W-Tage). Jede geleistete Schicht schmälert das Jahressoll, das in einem Zeitkonto abgebildet wird. [...] Bei Ausscheiden eines Beschäftigten sind die Zeitkonten auszugleichen. Verbliebene Salden werden ausgezahlt, negative Salden werden vom Entgelt einbehalten. Die Salden der Zeitkonten werden zum 31.12. automatisch ins Folgejahr übertragen [...]. [...] Zusätzlich zu den Schichten geleistete Stunden werden auf einem separaten Konto, dem sogenannten Stundenkonto gutgeschrieben. Werden auf diesem Stundenkonto 16 Stunden angesammelt, können diese als eine Schicht vom Sollkonto abgezogen werden oder in das Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden. § 5 Freiwillige Dienste Etwaige Ausfälle werden über den Einsatz von Freiwilligen kompensiert (Freiwilligen-Liste). Bei Aktivierung tritt der Freiwillige schnellstmöglich seinen Dienst an. Tritt ein Freiwilliger mit der entsprechenden Funktion den Dienst an, so werden ihm 16 + 2 Stunden auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. § 6 Verfügungsdienste Zum Ausgleich von kurzfristigen Ausfällen wird ein täglicher Verfügungsdienst [1 Beschäftigter] eingeplant. Bei Aktivierung nimmt der Verfüger unverzüglich seinen Dienst auf. Wird der Verfüger nicht aktiviert, werden 2 Stunden auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. Bei Aktivierung werden ihm 16 + 1 Stunde auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. Der Verfüger steht für die Flughafen K /B GmbH am diensthabenden Tag in der Zeit von 6:30 - 8:30 Uhr zur Verfügung. Wird er in dieser Zeit nicht in Anspruch genommen, so hat der Verfüger frei. § 7 Berechnung einzelner Dienste/Abwesenheiten [...] 7.3 Tagesdienste Tagesdienste werden in der Dienstplangestaltung nur in gerader Anzahl (2 Tagesdienste = eine 24-Stunden-Schicht (16 Stunden Arbeitszeit)) geplant; dies gilt auch für Dienstreisen und Lehrgänge im Tagesdienst. Bei ungerader Anzahl von Tagesdiensten steht dem Beschäftigten frei, ob er unmittelbar davor oder danach einen weiteren Tagesdienst leistet, Zeitguthaben aus dem Stundenkonto oder Gleitzeitkonto einbringt. 7.4 Wochenfeier-/Vorfesttage (W-Tage) Leistet ein Beschäftigter an Wochenfeiertagen/Vorfesttagen einen 24-Stunden-Dienst, so wird das Jahressoll um eine Schicht gemindert und eine Schicht dem Feiertagskonto gutgeschrieben. Dies gilt auch in Verbindung mit Urlaub. Bei Tagesdienst an einem Wochenfeiertag/Vorfesttag werden 8 Stunden auf dem Feiertagskonto gutgeschrieben. Hat ein Beschäftigter an einem Wochenfeiertag/Vorfesttag dienstfrei, wird diese Schicht vom Jahressollkonto abgezogen (siehe § 4 dieser Betriebsvereinbarung). [...] § 8 Lebensarbeitszeitkonto Guthaben aus dem Jahressollkonto (Schichten, die über das Jahressoll hinaus geleistet wurden) können zum 31.12. eines Jahres dem Lebensarbeitszeitkonto zugeführt werden. Zeitguthaben aus dem Stundenkonto können monatlich (nach den Regelungen der Betriebsvereinbarung 02/2011) in das Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden."Die Tagesdienste nach § 7.3 BV Arbeitszeit werden auf dem Stundenkonto verbucht. Die dazuzählenden Lehrgänge sind zum Teil für die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen zwingend erforderlich, um den erforderlichen Qualifikationsstandard bei der Flughafenfeuerwehr sicherzustellen.
Anlage 1 zur BV Arbeitszeit regelt in § 1 unter der Überschrift Rahmenbedingungen ua. Folgendes:
"Folgende Punkte sind bei der Dienstplanung durch den Dienstplaner zu beachten/zu berücksichtigen: - Die Stundenkonten sollen möglichst ausgeglichen sein (SOLL = HABEN). [...]"Im Betrieb der Beklagten findet des Weiteren die in § 8 BV Arbeitszeit benannte "Betriebsvereinbarung 02/2011 für ein Wertkontenmodell Lebensarbeitszeit" (nachfolgend "BV Lebensarbeitszeit") Anwendung, die den Mitarbeitern den Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand ermöglichen soll. Diese regelt in § 4 unter der Überschrift "Aufbau der Wertguthaben und finanzielle Einbringung" auszugsweise:
"1) Der Beschäftigte kann betreffend die Zeitguthaben jederzeit eine Übertragung vorhandener Zeitguthaben in das Wertkonto veranlassen. [...]"Ferner wurden in der Vergangenheit auf Antrag der Beschäftigten gesammelte Guthaben auf dem Stundenkonto ausgezahlt. Hierzu findet sich allerdings keine Regelung in der BV Arbeitszeit.
Unter dem 18./23.07.2013 vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat zur Ergänzung bzw. Änderung der BV Arbeitszeit, dass zur Beurteilung, wer zum Dienst bei Unterschreitung der Wachstärke bzw. wer nicht zum Dienst bestellt wird, nun das Konto der "Bereinigten Schichten" zugrunde gelegt werden sollte. Die tatsächlich geleisteten Schichten sollten nicht mehr entscheidend sein. In das Konto der bereinigten Schichten würden neben den tatsächlich geleisteten Schichten auch das Stundenkonto und die Feiertagsstunden eingerechnet.
Mit einer "Mitarbeiterinformation zur Umbuchung von Zeitsalden zum 31.12. eines Jahres" teilte die Beklagte ihren Beschäftigten im Jahr 2020 ua. Folgendes mit:
"Wie in all den Jahren zuvor - werden wir auch dieses Jahr nach Ablauf des 31.12.2020 eine automatische Umbuchung vornehmen, um noch nicht erfüllte Schichten mit dem Stundenkonto auszugleichen, damit Sie mit 120 erfüllten Schichten das alte Jahr abschließen können. Sollten Ihre Zeitkonten nicht genügend Stunden aufweisen, wird die Anzahl der noch zu erbringenden Schichten auf die 120 Schichten des Folgejahres addiert."Der Kläger hatte zum 31.12.2020 auf seinem Stundenkonto ein Guthaben von insgesamt 218,14 Stunden angesammelt.
Entsprechend der oben genannten Mitarbeiterinformation buchte die Beklagte ohne Zustimmung des Klägers 208 Stunden - nach Sachvortrag der Beklagten 176 Stunden - vom Stundenkonto auf dessen Zeitkonto/Sollkonto.
Zum Jahreswechsel 2021/2022 erfolgte ohne Zustimmung des Klägers eine Umbuchung von 96 Stunden aus dem Stundenkonto und von 144 Stunden aus dem Feiertagskonto auf das Sollkonto.
Zum Jahreswechsel 2022/2023 erfolgte eine Umbuchung von 128 Stunden aus dem Stundenkonto und 32 Stunden aus dem Feiertagskonto ohne Zustimmung des Klägers auf das Sollkonto.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte nicht zu dieser Umbuchung berechtigt sei. Die Beklagte wende die streitgegenständlichen Regelungen falsch an. Entgegen der praktischen Handhabe sei sie verpflichtet, dem Kläger die Schichten zuzuteilen.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
1) festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, eine Umbuchung des Zeitguthabens der verschiedenen Zeitkonten ohne Zustimmung des Klägers vorzunehmen; 2) festzustellen, dass das Guthaben des Klägers auf seinem Stundenkonto per 31.12.2020 insgesamt 250,14 Stunden aufweist; 3) die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über die Korrektur des Stundenkontos per 31.12.2022 eine korrigierte Abrechnung zu erteilen; 4) festzustellen, dass das Stundenkonto des Klägers per 31.12.2021 insgesamt 96,34 Stunden beträgt; 5) festzustellen, dass das Feiertagskonto des Klägers per 31.12.2021 insgesamt 144 Stunden beträgt; 6) die Beklagte zu verurteilen, über die Korrektur des Stunden- sowie des Feiertagsstundenkontos per 31.12.2021 eine korrigierte Abrechnung zu erteilen.Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.Sie hat die Ansicht vertreten, dass eine Verrechnung von Zeitguthaben des Stundenkontos mit Zeiten des Sollkontos auch ohne ausdrückliche Zustimmung des Klägers möglich sei. Dies folge aus der Auslegung der betrieblichen Regelungen. Eine Verrechnung habe seit Inkrafttreten der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung stattgefunden.
Mit Urteil vom 27.05.2022 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung:
Bei unterstellter Zulässigkeit sei die Klage unbegründet. Das klägerische Stundenkonto weise nicht das beantragte Zeitguthaben auf. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, eine Verrechnung von Zeitguthaben des Stundenkontos und des Feiertagskontos mit Zeiten des Zeitkontos/Sollkontos ohne ausdrückliche Zustimmung des Klägers vorzunehmen. § 4 Absatz 5 Satz 2 BV Arbeitszeit erlaube dies, was sich aus einer entsprechenden Auslegung ergebe. Der Wortlaut sei zwar nicht eindeutig, da nicht explizit geregelt werde, wer über das Vorgehen bestimme. Da jedoch sowohl im Hinblick auf das Lebensarbeitszeitkonto sowie der Tagesdienste eine Kontenverrechnung ausdrücklich nur mit Einverständnis des Arbeitnehmers möglich sei, liege ein Umkehrschluss dahingehend nahe, dass eine Verrechnung des Stundenkontos mit dem Sollkonto auch ohne Willen des Arbeitnehmers möglich sei. Eine Berechtigung des Arbeitnehmers, diese Verrechnung zu verhindern, liefe zudem dem Regelungsziel des § 1 der Anlage zur BV Arbeitszeit zuwider, nach der die Stundenkonten möglichst ausgeglichen sein sollten. Das Stundenkonto diene zudem auch nicht ausschließlich der Abbildung überobligatorischer Arbeitsleistungen. Zu den ins Stundenkonto einzustellenden Zeiten zählten nämlich auch Lehrgänge nach § 7.3 BV Arbeitszeit, die zum Teil für die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen zwingend erforderlich sei.
§ 4 Absatz 3 Satz 1 BV Arbeitszeit spreche nicht gegen diese Auslegung. Die Regelung, nach der die Zeitkonten bei Ausscheiden auszugleichen seien, sehe nicht vor, dass ein Ausgleich "erst" bei Ausscheiden erfolgen dürfe. Eine Verrechnungsbefugnis schon zu einem früheren Zeitpunkt sei damit nicht ausgeschlossen.
Gleiches gelte für die Regelung des § 4 Absatz 4 Satz 1 BV Arbeitszeit. Diese Vorschrift regele allein, dass die Salden der Zeitkonten zum 31.12. automatisch ins Folgejahr übertragen würden. Ein Verrechnungsverbot beinhalte auch diese Norm nicht.
Die ständige praktische Übung im Betrieb spreche für diese Auslegung. Seit der Einführung der BV Arbeitszeit sei stets zum Ende des Jahres eine entsprechende Verrechnung durchgeführt worden, ohne dass der Betriebsrat dies moniert hätte. Darüber hinaus hätten die Betriebsparteien durch die Vereinbarung sogenannter "Bereinigter Schichten" deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Verrechnungsmöglichkeit allein durch die Beklagte möglich sein solle.
Die gegen diese Auslegung erhobenen Einwände des Klägers seien nicht überzeugend. Es spreche nicht gegen die Verrechnungsmöglichkeit, dass sich die Beschäftigten Guthaben aus dem Stundenkonto mit Überstundenzuschlägen auszahlen lassen könnten und bei einer Umbuchung durch die Beklagte diese Zuschläge verloren gehen würden. Der Kläger habe es zum einen in der Hand, eine Auszahlung des Stundenguthabens das gesamte Jahr über herbeizuführen. Ein Verlust von Überstundenzuschlägen sei mit der Verrechnung zudem nicht verbunden, denn nach der Protokollnotiz zu § 2 des Tarifvertrages Feuerwehrpersonal seien erst die oberhalb der Arbeitszeit nach Absatz 1 liegenden Mehrschichten mit der Überstundenvergütung abzugelten. Erfolge dies in Form von Freiwilligendiensten nach § 5 BV Arbeitszeit erhalte der Mitarbeiter zudem eine zusätzliche Zeitgutschrift von 2 Stunde je Schicht.
Gegen das dem Kläger am 22.06.2022 zugestellte Urteil richtet sich dessen am 08.07.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die er innerhalb der bis zum 22.09.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 15.09.2022 unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:
Das erstinstanzliche Urteil sei fehlerhaft.
Das Arbeitsgericht habe die klägerische Argumentation nicht in das Urteil einfließen lassen. Den umfangreichen Beweisantritten sei nicht nachgegangen worden. Dokumente seien nicht ausgewertet und nicht berücksichtigt worden, dass es im Jahr 2019 bei der Übertragung der Werte von dem alten System auf das neue System zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei.
Der Kläger könne gar nicht darauf achten, dass sich das Zeitkonto in einem angemessenen Rahmen bewege, da ihm der Wert des Zeitkontos aufgrund der Intransparenz der Unterlagen nicht bekannt sei. Es erschließe sich jedenfalls nicht, weshalb es Schwierigkeiten für die Beklagte bereiten könne, die zu erbringenden 120 Schichten abzüglich Urlaub und Fortbildung auf das Jahr zu verteilen. Wenn die Mitarbeiter zur Verfügung gestanden hätten und ausreichend Arbeit vorhanden gewesen sei, liege in der unterlassenen Einteilung allein ein Verschulden der Beklagten. Es sei jedenfalls nicht so, dass federführend für die Einteilung von Schichten die Freiwünsche der Mitarbeiter seien. Vielmehr hätte der Kläger - wie auch seine Kollegen - nahezu keinen Einfluss auf die Einteilung. Eine teilautonome Dienstplangruppengestaltung existiere nicht. Eines ausdrücklichen Arbeitsangebotes habe es zudem nicht bedurft, da Mitarbeiter ohne Einteilung nicht einfach vor Ort erscheinen könnten.
Hinsichtlich der streitigen Auslegung der Betriebsvereinbarung verweist der Kläger auf eine Stellungnahme des Betriebsrats, nach der dieser mitteile, dass der Betriebsvereinbarung nicht zugestimmt worden wäre, wenn man gewusst hätte, wie die Beklagte diese nunmehr interpretiere.
Stunden eines Stundenkontos stünden dem Mitarbeiter zu. Die Verfügungsbefugnis hierüber liege nicht bei der Beklagten.
Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte müsse betont werden, dass die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung nur geschlossen worden sei, weil aufgrund der zu geringen Anzahl an Mitarbeitern der Werkfeuerwehr ein Anreiz geschafft werden sollte, Arbeitnehmer zu überobligatorischer Arbeit zu veranlassen. Diese Überstunden nunmehr nicht mehr anzubieten, sondern einseitig zu verrechnen, widerspreche diesem ursprünglichen Ziel.
Die Beklagte könne sich auch nicht auf eine betriebliche Übung berufen. Insofern möge die Beklagte die einzelnen Umbuchungsnachweise, die ohne Abstimmung mit dem Kläger erfolgt sei, vorlegen. Das Novum der einseitigen Umbuchung sei erstmalig 2020 aufgetreten.
Im Rahmen der Auslegung der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung habe das Arbeitsgericht übersehen, dass nach § 4 Absatz 4 BV Arbeitszeit geregelt sei, dass die Salden der Zeitkonten zum 31.12. automatisch ins Folgejahr zu übertragen seien. Eine Verrechnung sei dort nicht erwähnt.
Das Gericht habe auch übersehen, dass eine Auszahlung von Überstunden nicht mehr möglich sei. Die Beklagte verhindere dies mittlerweile. Durch die einseitige Verrechnung verliere der Kläger zudem einen Zuschlag, den die Beklagte bei erfolgreichen Auszahlungsanträgen stets zahle.
Zuletzt sei dem Kläger auch nicht bekannt gewesen, dass es in der Vergangenheit bereits zu Umbuchungen gekommen sei.
Zu den Berechnungen trägt der Kläger wie folgt vor:
Zum Stichtag 31.12.2022 habe es folgende Umbuchungen gegeben:
Stundenkonto
Umbuchung 2020 + 208 Stunden Umbuchung 2021 + 96 Stunden Umbuchung 2022 + 128 Stunden Zuzüglich Saldo 31.12.2022 + 2,37 Stunden Gesamt 434,37 StundenFeiertagskonto
Umbuchung 31.12.2020 + 0 Stunden Umbuchung 31.12.2021 + 144 Stunden Zuzüglich Saldo 31.12.2022 + 32 Stunden Gesamt 176 StundenDer Kläger beantragt zuletzt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln zu Aktenzeichen 1 Ca 6872/21 vom 27.05.2022 1) festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, eine Umbuchung vom Stundenkonto und/oder Feiertagsstundenkonto auf das Sollkonto ohne Zustimmung des Klägers vorzunehmen; 2) festzustellen, dass das Guthaben des Klägers auf seinem Stundenkonto zum Stichtag 31.12.2022 434,37 Stunden beträgt; 3) festzustellen, dass das Guthaben des Klägers auf seinem Feiertagsstundekonto des Klägers zum Stichtag 31.12.2022 208 Stunden beträgt.Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen;hilfsweise
festzustellen, dass die Beklagte berechtigt ist, Tagesdienste, Dienstreisen, Lehrgänge, Seminare sowie sämtliche zur Ausbildung angeordnete Tätigkeit des Klägers dem sogenannten Sollkonto gemäß § 4 Absatz 1 Satz 2 der BV 01/2013 über Arbeitszeitgestaltung für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen K /B GmbH als geleistete Arbeit zu verbuchen und nicht auf dem Stundenkonto gemäß § 4 Absatz 5 Satz 1 BV 01/2013 über die Arbeitszeitgestaltung für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen K /B GmbH als Guthaben gutzuschreiben.Der Kläger beantragt,
den Hilfsantrag zurückzuweisen.Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil, wiederholt und vertieft ihre erstinstanzlichen Ausführungen und führt ergänzend aus:
Das Arbeitsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen und die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung unter Anwendung der bekannten Auslegungsregeln korrekt ausgelegt.
Schon der Wortlaut von § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit sehe nicht vor, dass die Verrechnung nur bei Zustimmung des Mitarbeiters möglich sei. Sinn und Zweck der Regelung sei es gewesen, den Beschäftigten der Feuerwehr größtmögliche Flexibilität einzuräumen. Offensichtlich nicht gewollt sei jedoch, dass die Mitarbeiter sämtliche Vorteile des Systems nutzen könnten, gleichzeitig aber ihre auf den anderen Konten gesammelten Stunden nicht zur Verfügung stellen müssten. Auch der Gesamtzusammenhang spreche für diese Auslegung. Da das Erfordernis einer Zustimmung bei einer Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto in der BV Lebensarbeitszeit ausdrücklich geregelt worden sei, könne im Umkehrschluss - da eine solche Regelung vorliegend fehle - angenommen werden, dass eine Verrechnung von Stunden- zu Sollkonto ohne Einverständnis des Mitarbeiters möglich sei. Gleiches ergebe sich aus § 7.3 BV Arbeitszeit.
Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte könne ausgeführt werden, dass den Betriebsparteien bewusst gewesen sei, dass nicht allein die Bringschichten in Gestalt der 24-Stunden-Dienste das Jahressoll schmälern sollen.
Bei der Beklagten existierten aufgrund der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung verschiedene Zeitkonten, deren Handhabe und Entwicklung die Mitarbeiter im Rahmen einer teilautonomen Dienstplanung mitbeeinflussen könnten. Nicht umsonst regele die BV Arbeitszeit in ihren Anlagen, dass die Beschäftigten - nicht die Beklagte - dazu verpflichtet seien, darauf zu achten, dass sich die Zeitkonten im angemessenen Rahmen bewegen. Mit Blick auf die Zahl der Urlaube liege eine erhebliche Ausdehnung des den Feuerwehrmitarbeitern zustehenden Gestaltungsspielraums zu. Hinzu kämen Sperrtage, Freiwünsche sowie Anträge auf Abbau von Gleitzeit. Auch ein einvernehmlicher Tausch unter den Kollegen sei möglich. Nach Erinnerung der Beklagten habe der Arbeitgeber eine einseitige Bestimmung zur Dienstübernahme noch nie durchgeführt. Die Freiwünsche würden in aller Regel berücksichtigt. Es bestehe also ein arbeitnehmerseitiges Festlegungsrecht für die Arbeitszeit der Feuerwehrmitarbeiter.
Selbstredend habe der Kläger die Zeitnachweise nachvollziehen können. Hätte er Zweifel oder Verständnisprobleme gehabt, wäre ihm eine Nachfrage jederzeit möglich gewesen.
Unzutreffend seien auch die Ausführungen des Klägers zur Umbuchungshistorie. Umbuchungen seien jeweils zum Jahreswechsel - unabhängig vom Einverständnis des Mitarbeiter - vorgenommen worden. Konkret sei dies wie folgt auszuführen:
Zum Wechsel 2013/2014 seien 144 Stunden vom Stunden- auf das Sollkonto umgebucht worden. Zum Wechsel 2014/2015 habe die Beklagte insgesamt 112 Stunden vom Stunden- und 96 Stunden vom Feiertags- auf das Sollkonto umgebucht. Zum Wechsel 2017/2018 sei eine Umbuchung von 32 Stunden aus dem Stundenkonto und von 64 Stunden aus dem Feiertagskonto auf das Sollkonto erfolgt. Zum Jahreswechsel 2019/2020 seien 64 Stunden aus dem Feiertagskonto auf das Sollkonto des Klägers gebucht worden.
Diese gelebte Praxis müsse nun berücksichtigt werden.
Durch die Umbuchungen verliere der Kläger keine Zuschläge. Diese würden ausbezahlt, was sich aus den Zeitnachweisen ergebe.
Ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten seien bei der Beklagten im streitgegenständlichen Bereich, in dem zu keinem Zeitpunkt Kurzarbeit angeordnet worden sei, zu jeder Zeit vorhanden gewesen. Feuerwehrleute würden stets benötigt, um die öffentlich-rechtlichen Sicherheitsvorschriften einhalten zu können.
Auszahlungen von Überstunden seien nach wie vor - auch unterjährig - unter Berücksichtigung der bereinigten Bringschichtprognose möglich.
Sofern das Gericht dennoch von einem anderen Auslegungsergebnis ausgehen sollte, müsse nach dem Hilfsantrag festgestellt werden, dass jedenfalls die dort aufgeführten Stunden umbuchbar seien. Dies müsse möglich sein, da Lehrgänge und Seminare alltäglich anfallen könnten.
Hinsichtlich der Berechnungen der Höhe nach weist die Beklagte darauf hin, dass beim Stundenkonto für das Jahr 2020 nur 176 Stunden umgebucht worden seien und nicht 208 Stunden.
Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die ausweislich der Sitzungsprotokolle abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet. Die Anschlussberufung ist hingegen unzulässig.
I) Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft (§ 64 Absatz 1, Absatz 2 lit. b) ArbGG) und nach den §§ 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 519 ZPO am 08.07.2022 gegen das am 22.06.2022 zugestellte Urteil form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der verlängerten zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist begründet worden.
Dabei ist das Gericht aufgrund der in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträge davon ausgegangen, dass sich der Kläger gegen die Abweisung hinsichtlich der beantragten Abrechnung nicht mehr zur Wehr setzt. Soweit das Arbeitsgericht die Klage auch diesbezüglich abgewiesen hatte, war dieser Teil mithin bereits in Rechtskraft erwachsen.
II) Die Berufung ist überwiegend begründet. Die Klage ist insoweit nämlich zulässig und überwiegend begründet.
1) Die Klage ist zulässig. Ein Feststellungsinteresse war für alle Anträge zu bejahen.
Nach § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 256 Absatz 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird (BAG vom 07.02.2019, 6 AZR 84/18; BAG vom 27.8.2014, 4 AZR 518/12). Dieses besondere Feststellungsinteresse muss als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein. Sein Vorliegen ist von Amts wegen zu prüfen (BAG vom 07.02.2019, 6 AZR 84/18; BAG vom 27.8.2014, 4 AZR 518/12). Ein solches Feststellungsinteresse ist nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann (BAG vom 07.02.2019, 6 AZR 84/18; BAG vom 27.8.2014, 4 AZR 518/12).
So verhielt es sich hier:
Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte berechtigt ist, einseitig Verrechnungen von verschiedenen Konten vorzunehmen. Durch den Feststellungsantrag wird diese Frage abschließend geklärt werden können. Zuletzt beschränkte der Kläger den diesbezüglichen Antrag auch allein auf die streitgegenständlichen Zeitkonten.
Da die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung zudem zumindest zum Zeitpunkt der Entscheidung noch in Kraft war, ist im Ergebnis ein Feststellungsinteresse zu bejahen.
2) Die hiernach zulässige Klage ist auch überwiegend begründet.
a) Feststellungsantrag zu 1)
Die Beklagte hat keinen Anspruch darauf, Guthaben auf dem Stundenkonto und/oder Feiertagskonto mit offenen Stunden auf dem Sollkonto einseitig zu verrechnen. Es mangelt an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage. § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit stellt eine solche nicht dar.
aa) Die Auslegung von Betriebsvereinbarungen richtet sich nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung (BAG vom 13.10.2015, 1 AZR 853/13). Bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen kommt es zunächst auf den objektiven Erklärungswert an, der nach dem Wortlaut sowie der Systematik und dem Gesamtzusammenhang der einzelnen Bestimmungen zu ermitteln ist. Ergänzend sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung zu beachten (BAG vom 28.04.1993, 10 AZR 222/92). Ebenso können aus der Vollzugspraxis Rückschlüsse auf den Regelungsinhalt der Betriebsvereinbarung gezogen werden (BAG vom 18.11.2014, 1 ABR 18/13). Auch die Entstehungsgeschichte ist von Bedeutung (Düwell, BetrVG § 77 Rn. 17).
Das Gericht teilt hierbei im Ergebnis die von der klagenden Partei vorgenommene Auslegung.
aaa) Zwar trägt der Wortlaut des § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit diesbezüglich nicht entscheidend zur Findung der korrekten Auslegung bei. Hier wird passiv formuliert, dass "abgezogen werden" kann. Nicht erwähnt wird, ob die Beklagte dies einseitig entscheiden darf.
Allerdings wird im gleichen Satz - ebenfalls passiv formuliert - ausgeführt, dass eine Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto möglich ist. Hierbei ist - aufgrund einer entsprechenden Regelung in § 4 Absatz 1 Satz 1 BV Lebensarbeitszeit - unstreitig, dass diese Verschiebung nur im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer erfolgen kann.
Aus diesem Umstand könnten nun grundsätzlich 2 Rückschlüsse gezogen werden:
Zum einen könnte in einem Umkehrschluss angenommen werden, dass eine Zustimmung des Mitarbeiters bei einer Verrechnung zwischen Stundenkonto und Sollkonto nicht notwendig ist, wenn ein solches Zustimmungserfordernis bei der Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto ausdrücklich aufgenommen wurde, bei der hier streitgegenständlichen Verschiebung jedoch nicht.
Auf der anderen Seite ist jedoch ebenfalls anzumerken, dass das Zustimmungserfordernis hinsichtlich der Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto in einer anderen Betriebsvereinbarung aufgenommen wurde und damit theoretisch abänderbar ist, ohne, dass die hier auszulegende Vorschrift abgeändert wird. Die auszulegende Vorschrift der streitgegenständlichen BV Arbeitszeit führt in einem Satz 2 Verrechnungsmöglichkeiten auf, ohne zwischen diesen beiden konkret zu differenzieren. Insofern könnte ebenfalls die Auslegung denkbar sein, dass kein Grund ersichtlich ist, weshalb bei der einen Verrechnungsmöglichkeit - unstreitig - die Zustimmung des Mitarbeiters vorliegen muss, bei der anderen jedoch nicht, obwohl gerade in dem entscheidenden Satz zwischen beiden Möglichkeiten nicht differenziert wird.
Der Wortlaut ist insofern wenig ergiebig.
bbb) Ausgehend vom Sinn und Zweck der Regelung liegt es nach Auffassung des Gerichts nahe, dass die Betriebsparteien deswegen zwischen Soll- und Stundenkonto unterschieden haben, weil nicht jede erbrachte Stunde in das Schema des Sollkontos passt. Hier teil das Gericht die Auffassung der Beklagten, dass es sich dabei nicht zwingend um Überstunden handeln muss. Im Sollkonto werden zu Beginn eines jeden Jahres 120 Schichten (zu je 24 Stunden) als Minus aufgeführt, die nach dem Verständnis der Betriebsparteien bis zum Ende des jeweiligen Jahres durch Arbeitsleistung und/oder Urlaub oder sonstige bezahlte Freischichten abgebaut werden müssen. Neben diesen Schichten erbringen die Mitarbeiter des Feuerwehrpersonals jedoch auch weitere Tätigkeiten. Zu nennen sind hierbei etwaige Fortbildungen oder auch Tagesdienste. Letztere sind nach dem Verständnis der Betriebsparteien gemäß § 7.3 BV Arbeitszeit zwar möglichst in gerader Zahl zu planen; eben damit sie in das Schema des Sollkontos passen. Es kann jedoch sein, dass dies nicht möglich ist. In diesem Fall muss die erbrachte Arbeitszeit dennoch selbstverständlich registriert werden. Dies erfolgt durch das Stundenkonto.
Auch die in § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit vorgesehene Verrechnungsmöglichkeit ist vom Sinn und Zweck her nachvollziehbar:
Es erscheint selbstverständlich sinnvoll, die Möglichkeit der Verrechnung zu eröffnen, um an dieser Stelle eine Flexibilität dergestalt zu haben, ob die Anzahl der Sollschichten reduziert oder ob die Möglichkeit eines zusätzlichen Verdienstes eröffnet werden soll. Bei diesem Verständnis liegt nach einer Auslegung vom Sinn und Zweck der Regelung durchaus nahe, dass diese Entscheidung der Mitarbeiter treffen darf, weil die Konsequenz der Entscheidung unmittelbar Auswirkungen auf seine finanzielle Situation hat. Im Falle der Verrechnung erhält der Mitarbeiter zwar Freizeit, aber nicht mehr Geld. Falls keine Verrechnung vorgenommen wird, muss der Mitarbeiter - obwohl sein Stundenkonto ein Guthaben aufweist - dennoch sämtliche 120 Schichten im Jahr erbringen. Er erhält im Falle der unterbliebenen Verrechnung also nicht mehr Freizeit, jedoch die Aussicht auf einen Zusatzverdienst. Nach Auffassung des Gerichts dürfte es naheliegend sein, diese Entscheidung dem Mitarbeiter zu überlassen.
ccc) Diese Sichtweise wird gestützt durch eine Auslegung nach der Systematik.
Die Systematik der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung spricht zum einen dafür, dass die von der Beklagten gelebte Betrachtung der "bereinigten Sollsichten" nicht Teil der Betriebsvereinbarung ist. Nach § 3 BV Arbeitszeit genießen bei der Dienstplangestaltung Beschäftigte mit den geringsten geleisteten Stunden Vorzug. Sie sind nach § 3 BV Arbeitszeit einzuteilen. Die Beklagte praktiziert die Planung jedoch entgegen dieser Systematik gänzlich anders: Ausdrücklich entgegen der - jedenfalls ursprünglichen - Vorstellung der Betriebsparteien berücksichtigt die Beklagte Mitarbeiter, die über ein Guthaben auf dem Stundenkonto verfügen, bei der Dienstplanverteilung nicht mehr priorisiert. Diese Mitarbeiter werden bei der Planung der 24-Stunden-Schichten zunächst nicht mehr berücksichtigt, obwohl die Sollschichten möglicherweise gar nicht erreicht werden.
Für die von der klagenden Partei bevorzugte Auslegung des streitgegenständlichen § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit spricht von der Systematik her der Umstand, dass nach § 4 Absatz 4 BV Arbeitszeit ausdrücklich eine automatische Übertragung der Salden zum 31.12. ins Folgejahr vorgesehen ist. Hätten die Betriebsparteien jeweils zum Ende eines Jahres eine einseitige Verrechnungsmöglichkeit gewollt, wäre die automatische Übertragung hierzu widersprüchlich. Nach der BV Arbeitszeit findet eine Verrechnung zum Ende eines jeden Jahres nicht - jedenfalls nicht automatisch - statt.
Gegen die einseitige Verrechnungsmöglichkeit sprachen im Hinblick auf die Systematik zudem folgende Aspekte:
Gemäß § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Satz 1 BV Lebensarbeitszeit hat ein Mitarbeiter das Recht, bereits verbuchte Stunden auf das Lebensarbeitszeitkonto zu verschieben. Hätte die Beklagte das Recht, Guthaben auf dem Stundenkonto mit nicht geleisteten - weil von ihr nicht angebotenen - Schichten zu verrechnen, würde dem Mitarbeiter das Recht genommen, selber zu entscheiden, ob eine Verschiebung auf das Lebensarbeitszeitkonto erfolgen soll. Theoretisch könnte sich der Mitarbeiter dazu entscheiden, dass das gesamte Guthaben auf dem Stundenkonto in das Lebensarbeitszeitkonto verschoben werden soll. Diese Entscheidung könnte der Mitarbeiter auch erst am Ende eines Jahres treffen. Die Betriebsvereinbarungen kennen eine Begrenzung weder der Höhe noch der Zeit nach. Sofern ein solcher Antrag gestellt werden sollte, würde das gesamte System - so wie es die Beklagte versteht - in sich zusammenfallen, weil kein Guthaben mehr verbleiben würde, mit dem die Beklagte verrechnen könnte.
Ebenso könnte der Mitarbeiter die in der Praxis gelebte Entscheidung treffen, sich das Guthaben auf dem Stundenkonto auszahlen zu lassen. Dass derartige Anträge in der Vergangenheit offenbar immer genehmigt wurden und nunmehr - nach zunächst einseitiger Einführung einer Betrachtung der "bereinigten Sollschichten" - teilweise abgelehnt werden, verdeutlicht, dass die Beklagte ein System eingeführt hat, welches mit der Systematik der BV Arbeitszeit und der gelebten Praxis in Bezug auf die Auszahlungsmöglichkeiten nicht in Einklang zu bringen ist.
ddd) Hinsichtlich der Frage der Entstehungsgeschichte erfolgte kein diesbezüglicher Sachvortrag der Parteien. Als Auslegungshilfe kann an dieser Stelle jedoch die im Prozess beigebrachte Stellungnahme des Betriebsrats - immerhin Vertragspartner der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung - herangezogen werden. Darin äußert der Betriebsrat, dass nach seinem Verständnis Zeitguthaben bei der Bewertung durch die Dienstplaner nicht hätten berücksichtigt werden dürfen und der Betriebsrat einer einseitigen Verrechnung durch den Arbeitgeber "niemals zugestimmt" hätte.
bb) Diesem Auslegungsergebnis steht eine anderslautende Vollzugspraxis nicht entgegen. Aus der Vollzugspraxis können - wie dargelegt - Rückschlüsse auf den Regelungsinhalt der Betriebsvereinbarung gezogen werden (BAG vom 18.11.2014, 1 ABR 18/13; BAG vom 21.01.2003, 1 ABR 5/02).
Eine von den Betriebsparteien praktizierte einvernehmliche Handhabung war im Ergebnis nicht ersichtlich. Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass sie offenbar auch in der Vergangenheit seit Bestehen der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung Verrechnungen zum Ende eines jeden Jahres vorgenommen hat. Dass der Kläger diese Einlassung der Beklagten bestritten hat, mag angesichts der von der Beklagten eingereichten Unterlagen verwundern, zumal der Kläger hierzu auch nicht konkret erwidern konnte. Doch selbst bei unterstellter Richtigkeit der von der Beklagten in diesem Zusammenhang eingebrachten Zahlen lässt sich hieraus allein der Rückschluss ziehen, dass es jeweils die Beklagte war, die zum Ende eines jeden Jahres eine - entgegen der Bestimmungen der Betriebsvereinbarung - automatische Verrechnung vornahm. Eine praktizierte Handhabung der Betriebsparteien - mithin unter Beteiligung des Betriebsrats - ergibt sich aus dieser einseitigen Vorgehensweise noch nicht. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Betriebsrat im Juli 2013 offenbar zugestimmt hatte, nach dem Prinzip der "bereinigten Schichten" einzuteilen. Dass der Betriebsrat als Vertragspartner einer grundsätzlichen, einseitigen Verrechnungsmöglichkeit keineswegs zustimmen wollte, ergab sich ohne Weiteres aus seiner nunmehr beigefügten Stellungnahme. Darin erklärt der Betriebsrat, dass seinerzeit eine Personalunterdeckung mit der Folge bestanden habe, dass viele Mitarbeiter teils erhebliche Guthaben auf den jeweiligen Zeitkonten hatten. Der Betriebsrat erklärt - wie dargelegt - ebenfalls ausdrücklich, dass Guthaben auf Stunden- und Feiertagskonto laut Betriebsvereinbarung bei der Bewertung durch die Dienstplaner nicht berücksichtigt werden dürften und, dass der Betriebsrat einer einseitigen Verrechnung von Zeitkonten durch den Arbeitgeber niemals zugestimmt hätte. Diese Stellungnahme verdeutlicht, dass es entgegen der Rechtsansicht der Beklagten keine übereinstimmende betriebliche Praxis gab. Auch eine vermeintliche Zustimmung durch den Kläger wurde nicht konkret geschildert, sondern vielmehr nur allgemein behauptet.
cc) Der klägerische Anspruch war aufgrund etwaiger Umbuchungen in der Vergangenheit auch nicht verwirkt.
Im Gegensatz zur Verjährung reicht für die Annahme der Verwirkung der Zeitablauf allein nicht aus (BAG vom 21.4.16, 2 AZR 609/15). Es ist nicht der Zweck der Verwirkung, einen Schuldner, dem gegenüber der Gläubiger längere Zeit sein Recht nicht geltend gemacht hat, von der Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (BAG vom 21.4.16, 2 AZR 609/15; BAG vom 24.05.2006, 7 AZR 201/05). Ein Recht darf nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit, es in Anspruch zu nehmen, längere Zeit verstrichen ist - Zeitmoment - und besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten - Umstandsmoment -, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (BAG vom 21.4.16, 2 AZR 609/15). Wann ein Recht oder Anspruch verwirkt, beurteilt sich somit stets nach den Einzelfallumständen. Dabei beeinflussen sich Zeit- und Umstandsmoment wechselseitig in dem Sinn, dass beide Elemente bildhaft im Sinn "kommunizierender Röhren" miteinander verbunden sind (BAG vom 28.6.18, 8 AZR 100/17). Untätigkeit des Anspruchsberechtigten führt für sich genommen ebenso wenig zur Verwirkung wie das Ausbleiben von Mahnungen (BAG vom 14.2.07, 10 AZR 35/06). Das Umstandsmoment fehlt regelmäßig, wenn der Schuldner den Anspruch nicht kennt (BAG vom 24.5.06, 7 AZR 201/05) oder der Verpflichtete davon ausgehen muss, der Berechtigte kenne den ihm zustehenden Anspruch nicht. Der erforderliche Zeitablauf kann umso kürzer sein, je gravierender die Umstände im Verhalten des Berechtigten sind, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung als unzumutbar anzusehen (BAG vom 3.12.08, 5 AZR 62/08). Je kürzer allerdings der Zeitablauf, desto seltener werden die Voraussetzungen für eine Verwirkung vorliegen. Das Umstandsmoment tritt dagegen in der Bedeutung zurück, je länger ein Anspruch nicht geltend gemacht wurde. Ist das Zeitmoment erfüllt, kann das Umstandsmoment nicht deshalb verneint werden, weil der Verpflichtete schon vor Ablauf des Zeitmoments disponiert hat (BAG vom 2.12.99, 8 AZR 890/98). Fehlt es am Umstandsmoment, kommt es auf das Zumutbarkeitsmoment nicht mehr an (BAG vom 22.2.12, 4 AZR 579/10).
Hiernach nach lag keine Verwirkung vor:
Zum einen stützte die Beklagte ihre Position im Wesentlichen nicht auf eine vermeintliche Verwirkung. Die Umbuchungen in der Vergangenheit zog sie vielmehr überwiegend deswegen heran, um eine einvernehmliche praktische Übung darzulegen, die jedoch - wie dargelegt - nicht gegeben war.
Zum anderen lagen die Tatbestandsvoraussetzungen einer Verwirkung nicht vor. Der Beklagten ist zwar insoweit Recht zu geben, dass bereits in der Vergangenheit Umbuchungen stattfanden, die vom Ausmaß her teilweise vergleichbar waren mit den Umbuchungen, die der Kläger mit der vorliegenden Klage nunmehr zum Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung macht. Es fehlt jedoch am Umstandsmoment. Das einzige, das dem Kläger möglicherweise in diesem Zusammenhang vorgeworfen werden kann, ist der Umstand, dass ein etwaig vorhandener Protest gegen frühere Umbuchungen nicht festgehalten wurde. Er schwieg. Dass er ausdrücklich zustimmte, trug die Beklagte jedenfalls nicht hinreichend deutlich vor. Konkrete Umstände, aus denen sich ein Einverständnis nachvollziehbar hätte ableiten lassen können, wurden jedenfalls nicht eingebracht. Allein der Umstand, dass eine Partei über einen längeren Zeitraum schweigt, begründet möglicherweise ein Zeitmoment, nicht jedoch ein Umstandsmoment.
Verwirkung schied damit aus.
dd) Hinzu tritt folgendes:
Wenn die von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit korrekt wäre - die Beklagte hiernach also berechtigt ist, Verrechnungen zwischen dem Stunden-, dem Feiertags- und dem Sollkonto einseitig vorzunehmen - wäre die Regelung aus der Betriebsvereinbarung in diesem Falle unwirksam. Auf das zwischen den Parteien streitige Auslegungsergebnis kam es streitentscheidend mithin gar nicht an. Dass ein solches Auslegungsergebnis zu einer unwirksamen Regelung führen würde, ergab sich aus folgenden Überlegungen:
Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Absatz 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestandes nicht erbringen musste. Wegen dieser Dokumentationsfunktion darf der Arbeitgeber nicht ohne Befugnis korrigierend in ein Arbeitszeitkonto eingreifen (BAG vom 21.03.2012, 5 AZR 676/11).
Eine solche Befugnis konnte sich nicht aus § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit ergeben. Zwar werden selbst unter Zugrundelegung des Auslegungsergebnisses der Beklagten im eigentlichen Sinne keine bereits dokumentierten - und damit streitlos gestellten - Stunden im Nachhinein im klassischen Sinne "gestrichen". Sie werden vielmehr nur verschoben von einem Konto auf das andere Konto. Mit dieser Möglichkeit überträgt die Beklagte jedoch in unrechtmäßiger Weise das Betriebsrisiko auf die Belegschaft.
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, § 615 Satz 1 BGB. Dies gilt entsprechend in den Fällen, in denen der Auftraggeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt, § 615 Satz 3 BGB.
Mit dem Betriebsrisiko werden Leistungsstörungen umschrieben, bei denen die Arbeitsleistung des arbeitsfähigen und arbeitswilligen Arbeitnehmers aus im Betrieb liegenden Gründen unterbleibt (BAG vom 30.01.1991, 1 AZR 338/90; BAG vom 23.06.1994, 6 AZR 853/93; BAG vom 23.09.2015, 5 AZR 146/14).
Begründet wird diese Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen des Rechts der Leistungsstörungen damit, dass dem Arbeitgeber die wirtschaftliche Initiative und das Entscheidungsrecht in Fragen der Betriebsführung zusteht. Er soll deshalb insoweit die Verantwortung und damit die Folgen tragen, die sich daraus ergeben, dass die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und die Entgegennahme der Arbeitsleistung durch ihn aus Gründen unmöglich werden, die im betrieblichen Bereich liegen (BAG vom 30.05.1963, 5 AZR 282/62).
Zwar ist die Regelung des § 615 BGB grundsätzlich abdingbar (BAG vom 10.01.2007, 5 AZR 84/06). Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 619 BGB.
Bei einem Arbeitsverhältnis ergibt sich eine Grenze für die Abbedingung aber daraus, dass der Arbeitgeber nicht generell das ihn treffende Arbeitsentgeltrisiko auf den Arbeitnehmer verlagern darf (LAG Düsseldorf vom 19.08.2014, 8 Sa 764/13; MünchKomm/Henssler § 615 BGB Rn 11; ArbRBGB/Matthes § 615 BGB Rn 102; ErfK/Preis § 615 BGB Rn 8).
Dies ist hier jedoch geschehen:
Nach dem Verständnis der Beklagten kann diese gänzlich frei darüber entscheiden, inwieweit sie Stunden auf dem Stundenkonto und/oder Feiertagskonto auf das Sollkonto verschiebt. Dies würde im Falle des Arbeitsausfalls - aus welchen Gründen auch immer - dazu führen, dass die Beklagte ohne Weiteres berechtigt wäre, Mitarbeiter mit entsprechenden Guthaben auf dem Stundenkonto nicht mehr einzusetzen. Dies hätte zur Folge, dass der Arbeitsausfall - also die Realisierung des Betriebsrisikos - keinerlei finanzielle Konsequenzen für die Beklagte hätte. Sie müsste hiernach allein die Stunden vergüten, die der Mitarbeiter irgendwann in der Vergangenheit bereits verdient hat. Weitere finanzielle Verpflichtungen würden trotz Arbeitsausfalls nicht entstehen. Der Arbeitsausfall wäre nach dem Verständnis der Beklagten hiernach also allein vom Mitarbeiter zu tragen.
Dabei ist es nicht relevant, ob eine solche Situation jemals eingetreten ist. Auf den Einwand der Beklagten, dass im Bereich der Werksfeuerwehr auch zu Zeiten der Corona-Pandemie niemals Kurzarbeit angemeldet werden musste, weil stets ausreichend Arbeit vorhanden war, kam es nicht an. Entscheidend war allein, dass die streitgegenständliche Regelung der Betriebsvereinbarung abstrakt ermöglicht hätte, das Betriebsrisiko gänzlich auf den Mitarbeiter zu übertragen. Ob von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht wurde, ist für die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Vereinbarung nicht relevant.
Dabei wird nicht übersehen, dass ein negatives Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto einen Lohn- oder Gehaltsvorschuss des Arbeitgebers darstellt und eine Verrechnung mit sonstigen Vergütungsansprüchen möglich ist, wenn allein der Arbeitnehmer darüber entscheiden kann, ob und in welchem Umfang das negative Guthaben entsteht (BAG vom 13.12.2000, 5 AZR 334/99).
So verhielt es sich hier aber gerade nicht:
Zum einen liegt bei der vorliegenden Konstellation ein negatives Guthaben im oben aufgeführten Sinne vor. Zwar erfüllt die Beklagte in Kombination von Stunden-, Feiertags- und Sollkonto formal die tarifvertraglich geschuldete monatliche Durchschnittsarbeitszeit von 240 Stunden. Am Ende des Jahres erreichen damit formal betrachtet alle Mitarbeiter die tarifvertraglich geschuldete Arbeitszeit. Bei denjenigen Mitarbeitern, die weniger Sollschichten als notwendig geleistet haben, wird dies durch vorhandene Guthaben auf dem Stunden- oder Feiertagskonto erreicht. Bei denjenigen Mitarbeitern, die über ein entsprechendes Guthaben auf dem Stunden- und/oder Feiertagskonto nicht verfügen, wird dies dadurch erreicht, dass die Beklagte eben gerade diese Mitarbeiter vermehrt zu Schichten einteilt. Bei dieser Sichtweise wird jedoch übersehen, dass die auf dem Stunden- und/oder Feiertagskonto notierten Stunden keinem Jahr zuzuordnen sind. Gemäß § 4 Absatz 4 BV Arbeitszeit werden Salden jeweils auf das Folgejahr übertragen. Theoretisch könnte es also sein, dass - im Falle des Klägers - sich auf seinem Stundenkonto noch Stunden befinden, die er im Jahr 2013 geleistet hat. Wenn die Beklagte diese Stunden nutzen möchte, um das Nichterreichen der tarifvertraglich geschuldeten Arbeitszeit im Jahr 2023 zu kaschieren, handelt es sich - in Bezug auf das Sollkonto - um ein negatives Guthaben für das Jahr 2023.
Der Kläger hat zudem keine Möglichkeit, dieses negative Guthaben zu verhindern. Allein die Beklagte hat es in der Hand, Schichten zuzuteilen. Dies ist zwischen den Parteien letztlich auch nicht im Streit. Zwar erwähnte und beschrieb die Beklagte eine ihrer Auffassung nach "teilautonome Dienstplangestaltung". Die einzige Autonomie lag jedoch darin, dass Mitarbeiter in recht großzügigem Maße Frei- und Tauschwünsche äußern konnten. Die Entscheidungshoheit, ob derartigen Wünschen nachgegangen wird, liegt aber unstreitig letztlich bei der Beklagten. Eine Ausdehnung des Gestaltungsspielraums der Mitarbeiter liegt entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht mit Blick auf die Zahl der Urlaubstage vor. Ein solcher Gestaltungsspielraum ist jedem Arbeitsverhältnis immanent.
Die Beklagte beschäftigt 3 Dienstplaner. Diese wären nicht notwendig, wenn die Entscheidungshoheit bei den Mitarbeitern liegen würde.
Die Beklagte schilderte, welche Umstände bei der Dienstplanung berücksichtigt werden. Dies verdeutlicht, dass es die Beklagte ist, die die Planung vornimmt und entscheidend lenken kann. Es liegt in ihrem Verantwortungsbereich, wenn sie Freiwünsche berücksichtigt und genehmigt, obwohl der Mitarbeiter die 120 Sollschichten wegen seiner Freiwünsche nicht mehr erreichen kann.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Beklagte nicht vorgetragen und behauptet hatte, dass die Mitarbeiter in der Lage sind, sich selber aktiv Schichten zuzuteilen. Sie mögen eine Art von Mitbestimmungsrecht bei Tausch und Freiwünschen haben. Unstreitig steht ihnen jedoch nicht das Recht zu, einseitig Schichten zuzuteilen. Dies bestätigte die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 18.07.2023 auf ausdrückliche Nachfrage durch das Gericht. Da die Beklagte - wie dargestellt: entgegen der Regelungen der BV Arbeitszeit - Mitarbeiter mit Guthaben auf dem Stunden- und/oder Feiertagskonto nicht mehr oder nur verringert einteilt, liegt mithin eine Situation vor, bei der die Mitarbeiter nicht selber darüber entscheiden können, ob ein negativer Kontostand entsteht. In einem solchen Falle ist die einseitige Verrechnung durch den Arbeitgeber nicht möglich. Ansonsten könnte der Arbeitgeber frei entscheiden, ob er die arbeits- und tarifvertraglich geschuldete Arbeitszeit anbietet oder nicht. Eine solche Konstellation ist rechtlich nicht zulässig.
Es verhielt sich auch nicht so, dass die Beklagte zumindest annährend die Sollsichten zuteilte. Sie argumentierte zwar dahingehend, dass letztlich nicht 120, sondern wegen Urlaub, Vorfesttagsbefreiungen, Rosenmontag und Feiertagen nur 94 Schichten pro Jahr gearbeitet werden müssten. Eine Verrechnung nahm die Beklagte aber stets vor in Höhe der Differenz der gebuchten Schichten und den geschuldeten 120 Schichten. Insofern befanden sich in den zugeteilten Schichten bereits die Schichten, die wegen des Tatbestandes von Urlaub oder Feiertagen ohnehin zu berücksichtigen waren. Ansonsten hätte nur eine Verrechnung in Höhe der Differenz zu 94 Sollschichten erfolgen müssen. Die tarifvertraglich geschuldeten und zu vergebenen Schichten bot die Beklagte damit jeweils bei Weitem nicht an.
Im Ergebnis übertrug die Beklagte daher in unrechtmäßiger Art und Weise das Betriebsrisiko auf den Mitarbeiter.
ee) Hinzu tritt folgendes:
Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht mehr Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, sofern der Tarifvertrag dies nicht ausdrücklich ermöglicht. Die Sperrwirkung ist absolut und umfassend. Das Günstigkeitsprinzip gilt nicht. Unerheblich ist ferner, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer tarifgebunden ist. Entscheidend ist allein, ob das Unternehmen - eine Tarifgebundenheit auf beiden Seiten unterstellt - unter den räumlichen, zeitlichen, branchenmäßigen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen würde. Die Sperrwirkung erstreckt sich auf sämtliche Arten von Arbeitsbedingungen und damit sowohl auf materielle als auch auf formelle Arbeitsbedingungen (vgl. BAG vom 24.01.1996, 7 AZR 342/95; Kleinebrink DB 2020, 1457 ff.).
Demzufolge kann § 615 Satz 3 BGB nicht abbedungen werden, wenn der Tarifvertrag keine entsprechende Öffnungsklausel enthält. Während bei einer beiderseitigen Tarifbindung in diesem Fall der Arbeitgeber bei einem von ihm zu tragenden Betriebsrisiko die tarifvertraglich geschuldete Vergütung weiterzahlen muss, ohne dies durch eine Betriebsvereinbarung ändern zu können, gilt gleiches für den nicht tarifgebundenen Arbeitgeber für die vom ihm nach§ 611a Absatz 2 BGB geschuldete vertragliche Vergütung (Kleinebrink DB 2020, 1457 ff.). Diese Gestaltungsmöglichkeit scheidet mangels Öffnungsklausel im Tarifvertrag regelmäßig ausscheidet. Dass die Beklagte vorliegend durch eine Öffnungsklausel zum Abschluss einer solchen Regelung ausnahmsweise befugt war, trug sie nicht vor.
b) Auch die Anträge zu 2) und 3) waren in ihrer zuletzt gestellten Fassung überwiegend begründet:
Dem Grunde nach ergab sich dies aus den vorstehenden Erwägungen.
Für die Schlüssigkeit einer Klage, die auf Ausgleich des Arbeitszeitguthabens auf einem Arbeitszeitkonto gerichtet ist, genügt es, dass die klagende Partei die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos und das Guthaben zum vereinbarten Auszahlungszeitpunkt darlegt (BAG vom 13.03.2002, 5 AZR 43/01; LAG Hamm vom 06.01.2012, 19 Sa 896/11).
Dass zwischen den Parteien ein Arbeitszeitkonto vereinbart worden war, stand nicht im Streit.
Dass die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung jeweils nicht rechtmäßig erfolgte und somit rückabzuwickeln war, ergab sich aus vorstehenden Ausführungen.
Teilweise abzuweisen war die Klage hinsichtlich der Stunden, die sich auf dem klägerischen Stundenkonto befanden. Hier konnte der Sachvortrag der Beklagten, nach der für das Jahr 2020 nur 176 Stunden und nicht 208 Stunden umgebucht worden seien, durch den klägerischen Sachvortrag nicht widerlegt werden.
Die Beklagte war daher entsprechend zu verurteilen.
c) Ihr Hilfsantrag war als Anschlussberufung auszulegen und in dieser Form unzulässig.
Nach § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 524 Absatz 1 Satz 1 ZPO kann sich der Berufungsbeklagte der Berufung anschließen. Dies ist zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung, § 524 Absatz 2 Satz 2 ZPO.
Neue Streitgegenstände und weitere Teile des bisherigen Streitgegenstands können unter den Voraussetzungen des § 533 ZPO mit der Anschließung an eine Berufung im Wege einer Klageänderung, einer Klageerweiterung oder einer Widerklage geltend gemacht werden (MüKoZPO/Rimmelspacher ZPO § 524 Rn. 22).
Die Beklagte legte die Anschlussberufung nicht innerhalb der Berufungserwiderungsfrist ein. Zudem lagen die Voraussetzungen des § 533 ZPO nicht vor. Die Beklagte stellte mit ihrem Hilfsantrag eine Rechtsfrage, die bislang nicht Streitgegenstand war. Die Klageänderung ließ sich damit nicht auf Tatsachen stützen, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte, § 533 Nr. 2 ZPO.
Die Anschlussberufung war entsprechend als unzulässig zu verwerfen.
III) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 91, 92 Absatz 2 Nr. 1.
IV) Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Absatz 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Vielmehr musste allein eine Betriebsvereinbarung der Beklagten ausgelegt werden. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Absatz 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.
Auch aus den letzten Einlassungen der Beklagten ergab sich nichts Anderes: auch wenn 21 Klagen zum gleichen Streitgegenstand anhängig gewesen sein mögen und weitere 60 bis 80 Mitarbeiter Ansprüche angemeldet haben, begründet dies noch keine grundsätzliche Bedeutung. Die höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der eine grundsätzliche Bedeutung anzunehmen sei, wenn etwa 20 Personen betroffen wären, wurde ausdrücklich aufgegeben (BAG vom 28.06.2011, 3 AZN 146/11). Allein die Anzahl der von der streitgegenständlichen Auslegung betroffenen Arbeitsverhältnisse kann die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG nicht rechtfertigen (BAG vom 25.09.2012, 1 AZN 1622/12).
Somit verbleibt es dabei, dass das Gericht allein im Einzelfall die Auslegung einer allein bei der Beklagten geltende Betriebsvereinbarung vorzunehmen hat, die zudem nach übereinstimmender Erklärung der Parteien mit Wirkung zum 01.01.2024 durch eine neue Regelung abgelöst wird.