Urteil vom 10.08.2023 · IWW-Abrufnummer 237853
Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 6 Sa 682/22
Zum (vergeblichen) Versuch der Arbeitgeberin, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, die die Arbeitnehmerin nach Ausspruch einer Eigenkündigung überreicht hatte.
Tenor: 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 18.08.2022 - 1 Ca 241/22 - wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Dabei vertreten die Parteien unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, ob das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit einer von ihr selbst ausgesprochenen Kündigung geeignet war, den Beweiswert der von ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern.
Die Klägerin war vom 01.01.2021 bis zum 28.02.2022 bei der Beklagten als Controllerin zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von 4.350,00 Euro tätig. Der besagten Eigenkündigung, die die Klägerin mit Schreiben vom 19.01.2022 erklärt hatte, ging ein Personalgespräch zwischen der Klägerin, der Geschäftsführerin und dem COO am 18.01.2022 voraus, dessen Inhalt streitig ist. Jedenfalls ging es in dem Gespräch um den Zuschnitt der Aufgaben, die der Kläger zukünftig übertragen werden sollten. Gleichzeitig mit der Übersendung der Kündigung vom 19.01.2022 meldete sich die Klägerin krank und übermittelte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 19.01.2022 bis zum 02.02.2022.
Für den Monat Januar 2022 zahlte die Beklagte der Klägerin nur ein Bruttoentgelt in Höhe von 2.485,71 EUR. Auf eine diesbezügliche Nachfrage der Klägerin antwortete die Beklagte mit E-Mail vom 02.02.2022:
[...] Nachdem Sie am 18.01.2022 Ihre persönlichen Sachen aus Büroküche und Büro zusammengepackt, Ihr Diensthandy zurückgegeben und sich von den Mitarbeitenden verabschiedet haben, wurde die Vergütung nur bis zum letzten Arbeitstag abgerechnet und gezahlt. Selbstverständlich sind Sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist verpflichtet, zu arbeiten.
Mit E-Mail vom 02.02.2022 antwortete die Klägerin mit folgendem Wortlaut:
[...] Das Vorgehen von Frau B entbehrt jeder Grundlage. Es gibt keine Rechtfertigung für eine fristlose Kündigung Ihrerseits, falls Sie dies mit "ihrem letzten Arbeitstag angerechnet und bezahlt" meinten. [...] Ich habe meine Sachen mitgenommen, da zuletzt einiges von meinen Dingen verschwunden ist. Für ein paar Tage, die ich noch arbeiten würde, benötige ich diese nicht. Den Blumen ging es sowieso nicht mehr so gut und da sich niemand um sie kümmert, wenn ich nicht im Büro bin, habe ich sie lieber mitgenommen. [...] Das Diensthandy, welches ich Anfang Januar bekommen hatte, habe ich wieder abgegeben, weil es unsinnig ist, diese Nummer für ein paar Wochen bekannt zu machen. Aufgrund des Vorgehens der Firma B bin ich nun nicht in der Lage wieder arbeiten zu kommen und sehe mich sogar gezwungen, eine Zahlungsklage beim Arbeitsgericht einzureichen. [...] Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich nächste Woche wieder ins Büro komme, um weiterhin zur Verfügung zu stehen und meine Tätigkeit an jemanden zu übergeben. Aufgrund Ihres Vorgehens und meiner Reaktion darauf hat mich meine Ärztin nun erneut krankgeschrieben. [...]
Es folgte die Übersendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit bis zum 16.02.2022. Am 17.02.2022 erschien die Klägerin im Betrieb und nahm sodann für die Zeit bis zum 23.02.2022 Erholungsurlaub. Ab dem 24.02.2022 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung bis zum 31.03.2022. Für den Monat Februar vergütete die Beklagte die besagten Urlaubstage mit 1.087,50 EUR brutto, zahlte aber im Übrigen kein Entgelt.
Mit der seit dem 11.02.2022 beim Arbeitsgericht Bonn anhängigen Klage hat die Klägerin die Zahlung der Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Bruttomonatsentgelt und den jeweils für die Monate Januar und Februar 2022 tatsächlich gezahlten Bruttobeträge gefordert.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin behauptet, sie leide seit mehreren Jahren an einer psychischen Belastungsstörung. Diese sei aufgrund des Gesprächs vom 18.01.2022 erneut ausgebrochen. Ihrer Arbeitsunfähigkeit liege die Diagnose "nicht näher bezeichnete depressive Episode - gesichert" und "gesicherte Anpassungsstörung" zugrunde. In dem Gespräch vom 18.01.2022 habe die Beklagte ihr erklärt, sie solle in Zukunft als Sachbearbeiterin anstatt als Controllerin eingesetzt werden. Der nach dem Gespräch erfolgte Arztbesuch und sodann die Weiterleitung an eine Praxis für Psychoanalyse und Psychotherapie habe schließlich zur stationären Behandlung geführt. Als sie am 17.02.2022 wieder ins Büro gekommen sei, um zu arbeiten, habe sie das Büro ausgeräumt vorgefunden. Ihr sei dann gesagt worden, sie solle den Resturlaub nehmen, welchen die Beklage ihr für den Zeitraum vom 17.02.2022 bis zum 23.02.2022 bewilligt habe. Der Entgeltfortzahlung stünden auch keine rechtlichen Hindernisse entgegen; die Arbeitsunfähigkeitszeiten im Vorjahr seien auf andere Ursachen zurückzuführen gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie für die Zeit vom 19.01.2022 bis zum 31.01.2022 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 1.864,29 Euro brutto zu zahlen zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2022; 2. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Februar 2022 weitere 3.248,50 Euro brutto zu zahlten zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2022.Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.Zur Verteidigung gegen die Klage hat die Beklagte behauptet, die Klägerin habe ab Ausspruch der Kündigung unentschuldigt gefehlt. Insbesondere sei ihr Fehlen nicht durch Arbeitsunfähigkeit bedingt oder auf sonstige Weise gerechtfertigt gewesen. Eine Pflicht zur Entgeltfortzahlung komme daher nicht in Betracht. Für die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen lägen nach ihrer Auffassung hinreichende Indizien vor. So sei bereits die Schilderung des Gesprächs vom 18.01.2022 unzutreffend. In diesem Gespräch habe die Klägerin um eine Beförderung gebeten. Nach dem diese abgelehnt worden sei, habe sie aus Wut ihre Kündigung angekündigt. Im Anschluss habe sie sich bei ihren Arbeitskollegen verabschiedet und diesen mitgeteilt, sie werde sich krankschreiben lassen. Sie habe sämtliche persönliche Gegenstände aus der Küche sowie aus dem Büro mitgenommen und ihr Diensthandy abgegeben. Als besonders starkes Indiz betrachte sie die Tatsache, dass die angeblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten passgenau die verbleibende Kündigungsfrist abgedeckt hätten. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin bereits am 18.01.2022 geplant gehabt habe, sich bis zum Ende der Kündigungsfrist krankschreiben zu lassen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage antragsgemäß stattgegeben und zur Begründung angeführt, die Klägerin habe für den gesamten Zeitraum Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt, deren Beweiswert nicht erschüttert sei. Weder die Tatsache, dass die Klägerin am 18.01.2022 persönliche Gegenstände mitgenommen habe, noch die mögliche Aussage der Klägerin, sie komme nicht wieder und lasse sich krankschreiben, führe zur Erschütterung des Beweiswerts. Die Klägerin habe durch Preisgabe und Vorlage der Diagnose ihren Krankheitszustand glaubhaft und den Sachverhalt rund um die Eigenkündigung vom 19.01.2022 plausibel gemacht. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien zudem nicht "passgenau" gewesen. Die bescheinigten Zeiträume hätten sich zunächst nur auf die ersten zwei Wochen nach der Kündigung bezogen. Darauf habe sich eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Facharzt angeschlossen, gefolgt von Urlaub und einem Klinikaufenthalt. Die stationäre Behandlung und die über den Ablauf der Kündigungsfrist hinausgehende Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.03.2022 sprächen weiter für die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Gegen dieses ihr am 09.09.2022 zugestellten Urteil hat die Beklagte am 05.10.2022 Berufung eingelegt und diese am 08.11.2022 begründet.
Zur Begründung der Berufung hat die Beklagte geltend gemacht, die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei mit Blick auf die Bewertung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen fehlerhaft. Sie sei der Ansicht, der Klägerin habe für den Zeitraum vom 19.01.2022 bis zum 02.02.2022, vom 02.02.2022 bis zum 16.02.2022 und ab dem 24.02.2022 kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zugestanden. Es bestünden ernstliche Zweifel am Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit, die den Beweiswert der Bescheinigung erschüttere. Die Erschütterung sei bereits durch die Tatsache eingetreten, dass die behauptete Arbeitsunfähigkeit den Zeitraum bis zum Ende der Kündigungsfrist abdecke. Auf die neuere Rechtsprechung des fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts nehme sie hierzu Bezug. Die Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit durch den zwischenzeitlichen Urlaub führe zu keiner anderen Bewertung. Die Diagnose des Zeugen Dr. D vom 14.02.2022 treffe keinerlei Aussage zur Arbeitsfähigkeit oder Arbeitsunfähigkeit am 18.01.2022, also am Tag des Personalgesprächs und der Zeit danach. Dass bei der Klägerin schon seit längerer Zeit eine depressive Störung vorliege, bestreite sie. Wenn die Klägerin hierzu ein Schreiben des Krankenhauses L vorlege, sei zu beachten, dass dieses Schreiben das Datum 25.05.2022 trage und einen Klinikaufenthalt im Jahre 2018 betreffe. Weder die behandelnde Ärztin Frau Dr. F am 19.01.2022 noch Herr Prof. Dr. D hätten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 18.01.2022 ausgestellt. Der Inhalt des Gesprächs an jenem 18.01.2022 habe für die Klägerin nach ihrer Auffassung keinerlei belastenden Charakter gehabt und sei daher auch nicht geeignet gewesen, eine depressive Episode auszulösen. Die Beachtung weiterer Indizien fehle im Urteil des Arbeitsgerichts. So habe sich das Arbeitsgericht überhaupt nicht mit der Ankündigung der Klägerin gegenüber anderen Mitarbeitenden auseinandergesetzt, sie wolle sich krankschreiben lassen; gerade ein solches Verhalten begründe doch einen deutlichen Zweifel am Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit. Weiter habe das Arbeitsgericht außer Acht gelassen, dass die Klägerin am 18.01.2022 auch direkt ihr Diensthandy abgegeben habe. Das Verhalten der Klägerin, Essig und Öl aus der Teeküche mitzunehmen und zudem ihr Diensttelefon endgültig zurückzugeben, sei realistisch nicht anders zu deuten, als dass die Klägerin fest davon ausgegangen sei, sie werde gar nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Diese Eistellung komme auch in der E-Mail der Klägerin vom 19.01.2022 zum Ausdruck, wenn sie dort mitteile, sie "sehe sich nicht" in der Bearbeitung der ihr übertragenen Aufgaben. Offensichtlich habe die Klägerin schlicht keine Lust mehr gehabt zu arbeiten. Die E-Mail der Klägerin vom 02.02.2022 stehe auch im Widerspruch zu den vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen; die Klägerin habe hier geäußert, dass sie eigentlich gedacht habe, dass sie "nächste Woche", mithin frühestens ab dem 08.02.2022 wieder ins Büro kommen werde. Zu diesem Zeitpunkt sei sie lediglich bis zum 02.02.2022 krankgeschrieben gewesen, sei aber offensichtlich schon davon ausgegangen, nicht vor dem 08.02.2022 zurückzukehren. Ein weiteres Indiz sei, dass die Klägerin in der Zeit vom 17.02.2022 bis zum 23.02.2022 als sie ihren Erholungsurlaub genommen habe, offensichtlich arbeitsfähig gewesen sei. Die Behauptung, sie habe sich ab dem 24.02.2022 über zwei Wochen stationär behandeln lassen müssen, sei vor diesem Hintergrund nicht glaubwürdig. Der Klinikaufenthalt sei offensichtlich geplant gewesen und er habe sich an eine einwöchige Periode der Arbeitsfähigkeit angeschlossen. Für den Fall, dass die Klägerin tatsächlich an einem starken Schub ihrer angeblich rezidivierenden, depressiven Störung gelitten habe, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie auch in der Zeit vom 17.02.2022 bis 23.02.2022, also in der Zeit des Urlaubs, krankgeschrieben worden wäre.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 18.08.2022 - 1 Ca 241/22 - abzuändern und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Nach ihrer Auffassung habe sie durch Offenlegung ihrer Diagnose ihre Darlegungs- und Beweislast erfüllt. Eine Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei nach wie vor nicht anzunehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519,520 ZPO).
II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung erkannt, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Monate Januar und Februar 2022 in der eingeklagten Höhe besteht.
Insgesamt kann auf die zutreffende und ausführliche Begründung des Arbeitsgerichts Bezug genommen werden. Die nachfolgenden Ausführungen ergehen lediglich zur Vertiefung und mit Blick auf die Berufungsbegründung. Dabei können Wiederholungen der arbeitsgerichtlichen Erwägungen nicht ausgeschlossen werden.
1. Der Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung, also auf Arbeitsentgelt ohne Arbeit, ergibt sich aus dem zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnis in Verbindung mit §§ 611 a, 275, 326 BGB und §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 4 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Die Voraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruchs aus § 3 Abs. 1 EFZG, insbesondere die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin während der bescheinigten Zeiträume, sind erfüllt.
a. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin während der streitgegenständlichen Zeiträume gilt aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeiträume vom 19.01.2023 bis zum 02.02.2023, vom 02.02.2023 bis zum 16.02.2023 sowie ab dem 24.02.2023 als bewiesen. Es ergeben sich keine hinreichenden Zweifel an dem Beweiswert dieser Bescheinigungen. Auf dem Weg zu diesem Ergebnis war zunächst von der Regel auszugehen, der zufolge der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt wird (BAG v. 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 -; BAG v. 26.10.2016 - 5 AZR 167/16 -). Die Annahme dieser Regel geht allerdings nicht so weit, dass von einer gesetzlichen Vermutung im Sinne des § 292 ZPO gesprochen werden könnte, mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre. Vielmehr ist es nach wie vor die Klägerin, die die Beweislast für die Voraussetzungen der für sie günstigen Vorschrift zu tragen hat. Folglich wäre eine Beweiserhebung notwendig, wenn es der Gegenseite, hier also der Arbeitgeberin, gelänge, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern. Dies kann geschehen durch die Darlegung und - im Bestreitensfalle - durch den Beweis von Indizien, die einer Arbeitsunfähigkeit entgegenstehen. Bei dem Versuch, diese Erschütterung des Beweiswertes zu erreichen, ist die Arbeitgeberin bei der Benennung und bei der Wahl der Indizien frei; die Arbeitgeberin ist nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten sozialrechtlichen Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt (BAG v. 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 -). Allerdings reicht nicht jedes Indiz aus, den besagten Beweiswert zu erschüttern. So sind z.B. nur mehrdeutige Sachverhalte, die aber plausibel erklärbar sind, grundsätzlich ungeeignet, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu begründen (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 08.02.2023 - 3 Sa 135/22 -).
b. Im hier zu entscheidenden Fall führt die Gesamtschau der von der Beklagten vorgetragenen Indizien nicht zu einer Erschütterung des Beweiswertes der von der Klägerin vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
(1.) Die von der Klägerin vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 19.01.2022 bis zum 02.02.2022 ist nicht durch die von der Beklagten vorgetragenen Indizien in ihrem Beweiswert erschüttert. Weder eine Ankündigung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, sie werde sich krankschreiben lassen, noch die Mitnahme der persönlichen Gegenstände und die Abgabe des Diensttelefons und genau sowenig der Inhalt der von der Beklagten herangezogenen Email sind als Indizien geeignet, den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern. In der Gesamtschau auf alle Tatsachen, des streitigen Falles bestehen somit keine Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im besagten Zeitraum.
Auch wenn die Klägerin sich tatsächlich so geäußert haben sollte, wie hier von der Beklagten geschildert, führte dies im konkreten Sachverhalt nicht zur Annahme, dass die Klägerin unentschuldigt - also nicht aus Krankheitsgründen arbeitsunfähig - den Arbeitsplatz verlassen hat. Zu berücksichtigen ist hier nämlich die Tatsache, dass die Klägerin die ärztliche Diagnose über eine schon längere Zeit bestehende depressiven Störung offengelegt hat. Selbst wenn aus dem Blickwinkel der Arbeitgeberin ein Personalgespräch ohne besondere emotionale Belastungen verläuft, kann die betroffene Arbeitnehmerin dies anders empfinden. Dies gilt insbesondere dann, wenn in dem Personalgespräch über den zukünftigen Zuschnitt der Aufgaben gesprochen wird und es gilt insbesondere dann, wenn die betroffene Arbeitnehmerin psychisch vorbelastet ist, wie es die Klägerin am 18.01.2022 war. Die Klägerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass das Personalgespräch für sie psychisch belastend war und dass durch dieses Gespräch ihre depressive Störung akut wurde. Im hier streitigen Fall ist es besonders die Tatsache, dass wenig später ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik notwendig wurde, die die Plausibilität dieses Vorbringens begründet.
Die von der Beklagten als Indiz zur Erschütterung des Beweiswerts der Bescheinigung geltend gemachte Ankündigung der Klägerin sich krankschreiben zu lassen, mag ohne Vorgeschichte eine Erschütterung des Beweiswertes einer danach vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung veranlassen, nicht aber bei der Vorgeschichte der Klägerin, die bereits in der Vergangenheit an einer depressiven Störung gelitten hat. Dass sie dies bis dahin der Beklagten nicht mitgeteilt hatte, ist für den hier zu entscheidenden Fall nicht relevant. Eine Arbeitnehmerin ist gegenüber ihrer Arbeitgeberin nicht zur Darlegung von Krankheitsursachen verpflichtet. Das gilt erst recht für Zeiträume, in denen die Krankheit zwar weiterhin besteht, aber aktuell nicht zur Arbeitsunfähigkeit führt.
Aus dem gleichen Grund ist die Behauptung der Beklagten, die Krankschreibung beruhe auf Wut und Ärger der Klägerin, nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hervorzurufen. Die Annahme von Wut und Ärger widerspricht zunächst der Wertung der Beklagten, das Personalgespräch sei für die Klägerin nicht belastend gewesen. Diese Annahme bestätigt vielmehr eine emotionale Ausnahmesituation für die Klägerin. Sie macht die Darstellung der Klägerin, ihre Depression sei durch das Gespräch akut geworden, umso plausibler.
Die Mitnahme persönlicher Dinge in die Arbeitsunfähigkeit kurz vor Ende des Arbeitsverhältnisses kann zwar grundsätzlich den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Aus der Tatsache, dass die Klägerin Essig und Öl mitgenommen hat, lässt sich jedoch nicht schließen, dass sie ihr Büro insgesamt hat räumen wollen. Außer Essig und Öl benennt die Beklagte keine weiteren persönlichen Gegenstände, welche die Klägerin am 18.01.2022 mitgenommen haben soll. Vielmehr ist es die Klägerin, die vorträgt, sie habe bei Rückkehr aus der Arbeitsunfähigkeit am 17.02.2022 ihr Büro in einem geräumten Zustand vorgefunden.
Auch die Rückgabe des Diensthandys lässt nicht an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin zweifeln. In Anbetracht dessen, dass die Klägerin das Handy erst im Januar 2022 erhalten hatte, war es aus Sicht der Klägerin nicht sinnvoll, für die Kündigungsfrist das neue Handy zu nutzen und die dazugehörige Nummer weiterzugeben. Auch hinsichtlich dieser Sachverhaltsfacette ist es also so, dass das beschriebene Verhalten zwar allgemein geeignet sein kann, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, nicht aber in der besonderen Situation des streitigen Sachverhaltes und bei der (Krankheits-)Vorgeschichte der Klägerin.
Schließlich erschüttert auch die E-Mail der Klägerin vom 19.01.2022 nicht den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Aus der E-Mail ergibt sich nicht die Leistungsunwilligkeit der Klägerin. Vielmehr gibt sie als Kündigungsgrund an, dass sie sich nicht in der Bearbeitung weiterer Sachbearbeitungsaufgaben sehe. So ergibt sich aus der E-Mail der Klägerin ausschließlich das Fehlen ihrer Bereitschaft, Aufgaben zu übernehmen, welche nicht ihrer Stellenbeschreibung zugehörig sind. Dass sie generell nicht mehr zur Arbeit erscheinen wolle, ist daraus nicht erkennbar.
(2.) Das Vorgesagte gilt auch für den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 02.02.2022 bis zum 16.02.2022. Auch für diesen Zeitraum ist der Beweiswert der Bescheinigung nicht erschüttert. Eine solche Erschütterung ergibt sich weder aus der E-Mail der Klägerin vom 01.02.2022 und der dortigen Nachfrage, ob sie überhaupt noch kommen solle, noch aus der E-Mail vom 02.02.2022 und der dortigen Mitteilung, sie habe eigentlich gedacht, nächste Woche wieder ins Büro zu kommen, sei aber aufgrund des Vorgehens der Beklagten und ihrer Reaktion weiter krankgeschrieben worden; und es ergibt sich auch nicht eine solche Erschütterung des Beweiswerts aus der Tatsache, dass der behandelnde Facharzt die Klägerin trotz der besagten Diagnose am 14.02.2022 nicht weiter krankgeschrieben hat.
Aus der E-Mail der Klägerin wird vielmehr deutlich, dass die Klägerin am 02.02.2022 versuchte, den Umstand der reduzierten Entgeltfortzahlung für den Monat Januar aufzuklären. Rechtlich und tatsächlich unzutreffend scheint die Klägerin von einer durch die Beklagte ausgesprochenen fristlosen Kündigung ausgegangen zu sein. Die Klägerin hatte zuvor noch geplant, am 07.02.2022 wieder arbeitsfähig zu sein. Der Umstand, dass sie bis dahin nur bis zum 02.02.2022 krankgeschrieben war, ist nicht widersprüchlich oder geeignet einen Zweifel an der Richtigkeit der Folgebescheinigung anzunehmen. Zwar mag die Ankündigung einer Krankheit die Erstbescheinigung der besagten angekündigten Krankheit erschüttern. Dieser Grundsatz ist aber nicht übertragbar auf einen aus Krankheitsgründen arbeitsunfähigen Menschen, der aufgrund einer bestehenden Krankheit den Üblichkeiten entsprechend zunächst nur für zwei Wochen krankgeschrieben worden ist, der aus seiner Perspektive aber von einer Fortsetzung der Arbeitsunfähigkeit ausgeht. Auch war es aus Sicht der Klägerin nicht erforderlich, dass der behandelnde Facharzt ihr am Tag der Diagnose am 14.02.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellte. Die Klägerin war zu dem Zeitpunkt noch bis zum 16.02.2022 krankgeschrieben.
Der von der Klägerin genommene Urlaub vom 17.02.2022 bis zum 23.02.2022 lässt ebenso wenig an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Klägerin zweifeln. Es ist zwar fraglich, inwieweit die Klägerin zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in der Lage gewesen wäre, ihren Tätigkeiten nachzugehen. Jedenfalls erschien sie am 17.02.2022 bei der Beklagten und nahm sodann Erholungsurlaub. Die strittigen Umstände, ob sie tatsächlich nur bei der Beklagten erschien, um den Urlaub zu beantragen oder um ihre Arbeit anzubieten und sodann gedrängt wurde, den Resturlaub zu nehmen, ändern hieran nichts. Das Erscheinen bei der Arbeit stellt jedenfalls aufgrund des sich direkt anschließenden Urlaubs keinen Widerspruch zum anstehenden Klinikaufenthalt dar.
(3.) Das Vorgesagte gilt gleichermaßen für den dritten Bescheinigungszeitraum. Auch hier bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit ab dem 24.02.2022. Die Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt stationär in einer Klinik. Entgegen der Auffassung der Beklagten, der Aufenthalt der Klägerin sei geplant gewesen, mag die Frage aufgeworfen werden, inwieweit ein notwendiger stationärer Klinikaufenthalt bezüglich einer depressiven Störung planbar sein könnte. Aber selbst wenn dieser Aufenthalt tatsächlich geplant gewesen wäre, erwüchsen daraus keine ernsthaften Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Bei Arbeitsfähigkeit wäre der Klinikaufenthalt nicht notwendig gewesen.
Auch von einer "passgenauen" Bescheinigung kann keine Rede sein. Soweit sich die Beklagte auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - bezieht, muss hervorgehoben werden, dass dieses Urteil auf den vorliegenden Fall nicht "passt". Denn die Zeiträume, für die die Klägerin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hat, wurden durch einen Urlaub vom 17.02.2022 bis zum 23.02.2022 unterbrochen. Außerdem endete der Klinikaufenthalt der Klägerin ab dem 24.02.2022 nicht etwa "passgenau" zum Ende der Kündigungsfrist am 28.02.2022, sondern erst einen Monat später, am 31.03.2022.
c. Der somit dem Grunde nach entstandenen Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist auch nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen, zum Beispiel deshalb, weil es sich bei der psychischen Erkrankung der Klägerin um eine Fortsetzungserkrankung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EFZG gehandelt hätte. Die Beklagte hat keine Auskunft der Krankenkasse vorgelegt, die der entsprechenden Darlegung der Klägerin entgegenstünde.
Der Zinsanspruch folgt aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs. Die Beklagte befand sich mit der Entgeltfortzahlung in Verzug §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB.
III. Nach allem bleibt es somit bei dem vom Arbeitsgericht erkannten Ergebnis. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.