Urteil vom 22.06.2023 · IWW-Abrufnummer 238051
Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 6 Sa 823/22
Wer während der Pandemie nach § 20 a Abs. 1 IfSG verpflichtet war, über einen Impf- oder Genesenennachweis zu verfügen, konnte ohne einen solchen Nachweis die vertraglich geschuldete Arbeit in einer Einrichtung nach § 20 a Abs. 1 IfSG nicht anbieten. Ein Annahmeverzug konnte daher nicht eintreten.
Tenor: 1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.11.2022 - 6 Ca 1485/22 - wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Entgeltansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges und um Beschäftigung. Kern des Streits ist die Tatsache, dass die Klägerin während des streitgegenständlichen Zeitraums einen Impf- und Genesenen-Nachweis im Sinne des damals geltenden § 20 a IfSG nicht vorgelegt hat.
Die Beklagte betreibt ein Seniorenzentrum. Die Klägerin ist seit dem 12.05.1997 bei der Beklagten als Servicemitarbeiterin in der Pflege beschäftigt. Zuletzt erhielt sie ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 1.123,30 EUR für eine Teilzeittätigkeit im Umfang von 20 Stunden pro Woche. Die Klägerin hat sich nicht gegen das SARS-COV-2-Virus impfen lassen und hatte im Herbst 2021 eine Infektion. Nach dem zu jener Zeit geltenden Wortlaut des § 22 a Abs. 2 Nr. 2 IfSG galt nur diejenige als Genesen, deren "Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion mindestens 28 Tage und höchstens 90 Tage zurückliegt"; die Klägerin galt in diesem Sinne also nicht mehr als genesen im Sinne der Vorschrift.
Die Regelungen in § 20a sind vom Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 10.12.2021 (BGBl I Nr. 10 S. 5162) mit Wirkung zum 12.12.2021 in das Infektionsschutzgesetz eingefügt worden. Mit weiterem Gesetz vom 18.3.2022 (BGBl. I Nr. 10 S. 466), dort Art. 1 Nr. 2 Buchst a, wurde der Eingangssatz des § 20a Abs. 1 Satz 1 mit Wirkung zum 19.03.2022 konkretisiert. Im hier streitigen Zeitraum hatte die mit dem am 31.12.2022 wieder außer Kraft getretene Vorschrift unter anderem den folgenden Wortlaut (Unterstreichungen und Fettdruck nur hier):
(1) Folgende Personen müssen ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a Absatz 1 oder Absatz 2 verfügen :
1. Personen, die in folgenden Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind:
a) Krankenhäuser,
b) Einrichtungen für ambulantes Operieren,
c) Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen,
[...]
2. Personen, die in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind,
3. Personen, die in ambulanten Pflegediensten und weiteren Unternehmen, die den in Nummer 2 genannten Einrichtungen vergleichbare Dienstleistungen im ambulanten Bereich anbieten, tätig sind; zu diesen Unternehmen gehören insbesondere:
a) ambulante Pflegeeinrichtungen gemäß § 72 des Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie Einzelpersonen gemäß § 77 des Elften Buches Sozialgesetzbuch,
[...]
(2) Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens bis zum Ablauf des 15. März 2022 folgenden Nachweis vorzulegen :
1. einen Impfnachweis nach § 22a Absatz 1,
2. einen Genesenennachweis nach § 22a Absatz 2,
3. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie sich im ersten Schwangerschaftsdrittel befinden, oder
4. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden können.
2Wenn der Nachweis nach Satz 1 nicht bis zum Ablauf des 15. März 2022 vorgelegt wird oder wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten zu übermitteln. 3Die oberste Landesgesundheitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass
1. der Nachweis nach Satz 1 nicht der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens, sondern dem Gesundheitsamt oder einer anderen staatlichen Stelle gegenüber zu erbringen ist,
2. die Benachrichtigung nach Satz 2 nicht durch die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens, sondern durch die nach Nummer 1 bestimmte Stelle zu erfolgen hat,
3. die Benachrichtigung nach Satz 2 nicht gegenüber dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, sondern gegenüber einer anderen staatlichen Stelle zu erfolgen hat.
(3) Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen ab dem 16. März 2022 tätig werden sollen, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens vor Beginn ihrer Tätigkeit einen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorzulegen . 2Wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten zu übermitteln. 3Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend. 4Eine Person nach Satz 1, die keinen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorlegt , darf nicht in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen beschäftigt werden . 5Eine Person nach Satz 1, die über keinen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 verfügt oder diesen nicht vorlegt, darf nicht in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig werden . 6Die oberste Landesgesundheitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann allgemeine Ausnahmen von den Sätzen 4 und 5 zulassen, wenn das Paul-Ehrlich-Institut auf seiner Internetseite einen Lieferengpass zu allen Impfstoffen mit einer Komponente gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, die für das Inverkehrbringen in Deutschland zugelassen oder genehmigt sind, bekannt gemacht hat; parallel importierte und parallel vertriebene Impfstoffe mit einer Komponente gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 bleiben unberücksichtigt.
(4) 1Soweit ein Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 ab dem 16. März 2022 seine Gültigkeit auf Grund Zeitablaufs verliert, haben Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens einen neuen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 innerhalb eines Monats nach Ablauf der Gültigkeit des bisherigen Nachweises vorzulegen. 2Wenn der neue Nachweis nach Satz 1 nicht innerhalb dieses Monats vorgelegt wird oder wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten zu übermitteln. 3Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.
(5) 1Die in Absatz 1 Satz 1 genannten Personen haben dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorzulegen. 2Bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises, so kann das Gesundheitsamt eine ärztliche Untersuchung dazu anordnen, ob die betroffene Person auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann. 3Das Gesundheitsamt kann einer Person, die trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 nicht Folge leistet, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtung oder eines in Absatz 1 Satz 1 genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird. 4Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine vom Gesundheitsamt nach Satz 2 erlassene Anordnung oder ein von ihm nach Satz 3 erteiltes Verbot haben keine aufschiebende Wirkung.
Mit Schreiben vom 16.12.2021 (Bl. 105 f. d.A.), also vier Tage nach Inkrafttreten des § 20 a IfSG wandte sich die Beklagte unter anderem an die Klägerin. In diesem Schreiben heißt es auszugsweise:
Seit einer Woche steht fest: Für unsere Branche und damit auch für unsere Einrichtungen gilt ab dem 16. März 2022 für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - egal aus welchem Bereich - eine gesetzlich verankerte Impfpflicht. Wer ab diesem Tag keine vollständige Corona-Schutzimpfung verweisen kann, darf bundesweit in keiner Pflegeeinrichtung mehr beruflich tätig sein. Aus unserem bisherigen Impfstatusreport geht hervor, dass Sie bislang leider noch nicht vollständig immunisiert sind. Sollten Sie bereits geimpft sein und wir dies noch nicht erfasst haben, bitten Sie ihre Residenzleitung, dies direkt zu ändern. Und Sie können gewiss sein, dass wir über Ihre Entscheidung dann sehr froh sind! Sollten Sie sich jedoch bislang noch nicht für eine Impfung entschieden haben, wollen wir Sie nun auf die Folgen hinweisen, denn wir möchten Sie keinesfalls aus diesem Grund verlieren! Wir dürfen Sie dann ab dem 18. März 2022 nicht mehr einsetzen, und auch andere Pflegeheimbetreiber dürfen Sie nicht mehr einstellen.
Die Klägerin ließ sich auch in der Folgezeit nicht gegen das SARS-CoV-2-Virus impfen. Gleichwohl wurde sie über den 15.03.2022 hinaus zunächst beschäftigt. Am 25.04.2022 arbeitete sie zum letzten Mal für die Beklagte. Seitdem lehnt die Beklagte ihre Arbeitsleistung ab. Ab dem 01.07.2022 nahm die Klägerin eine geringfügige Beschäftigung außerhalb des Anwendungsbereichs des § 20 a Abs. 1 IfSG auf.
Mit ihrer vorliegenden Klage hat die Klägerin zunächst Annahmeverzugsentgelt ab dem 16.03.2022 bis zum 30.09.2022, die Feststellung, dass noch ein Arbeitsverhältnis besteht und tatsächliche Beschäftigung begehrt. Die Beklagte hat im Verfahren klargestellt, dass es keinen Beendigungstatbestand gibt. Ferner hat sie das Gehalt bis Ende April 2022 nachgezahlt. Diesbezüglich haben die Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Den Feststellungsantrag hinsichtlich des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses hat die Klägerin zurückgenommen. Die von der Klägerin geltend gemachten Entgeltansprüche sind rechnerisch unstreitig. Streitig ist nur die Rechtsfrage, ob die Voraussetzungen des Annahmeverzuges dem Grunde nach vorliegen und ob die Einkünfte aus der geringfügigen Beschäftigung ab dem 01.07.2022 in Höhe von 450,00 EUR monatlich auf das geforderte Entgelt Anrechnung finden müssen.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, es sei das Gesundheitsamt, das darüber zu befinden habe, ob sie arbeiten dürfe oder nicht. Ihr gegenüber sei ein solches Verbot nicht ausgesprochen worden. Aus der gesetzlichen Regelung gehe nach ihrer Auffassung ein Beschäftigungsverbot nicht hervor.
Zur Verteidigung gegen die Klage hat die Beklagte vorgetragen, sie interpretiere § 20a Abs. 1 IfSG als Tätigkeitsvoraussetzung. Aufgrund eines internen Versehens sei die Klägerin über den 15.03.2022 hinaus bis zum 24.04.2022 weiter beschäftigt worden. An diesem letzten Tag sei sie vom Einrichtungsleiter unter Hinweis auf § 20 a Abs. 1 IfSG freigestellt worden. Die Vorschrift differenziere nicht zwischen neuen Mitarbeitern und Bestandsmitarbeitern. Die gesetzliche Regelung zum Tätigwerden des Gesundheitsamts beziehe sich nur auf öffentlich-rechtliche-Rechtsfolgen. Zusätzlich beruft sich die Beklagte auf ein entsprechendes Konzept, das sie bei der Ausübung des Direktionsrechts durchsetze.
Das Arbeitsgericht Aachen hat mit Urteil vom 08.11.2022 die Klage abgewiesen. Weder habe die weiterhin nicht geimpfte Klägerin einen Anspruch auf Beschäftigung als Servicemitarbeiterin Pflege, noch habe sie einen Anspruch auf Zahlung von Entgelt für die Zeit, in der sie von der Beklagten unter Bezugnahme auf den fehlenden Impfschutz nicht beschäftigt worden sei. Dass die Klägerin keinen Anspruch auf Beschäftigung habe, ergebe sich aus § 20a Abs. 1 IfSG, aus dem ein gesetzliches Tätigkeitsverbot folge. Darüber hinaus ergebe sich das Fehlen des Beschäftigungsanspruchs auch aus dem Ergebnis der hilfsweise vorzunehmenden Interessenabwägung hinsichtlich der arbeitgeberseitigen Freistellungsentscheidung.
Gegen dieses ihr am 21.11.2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.12.2022 Berufung eingelegt und sie hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 21.02.2023 begründet.
Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, nach ihrer Auffassung verkenne das Arbeitsgericht die Rechtslage, wenn es nicht zwischen Bestandsarbeitnehmern und Neuarbeitnehmern unterscheide.
Die Klägerin beantragt,
das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.11.2022 - 6 Ca 1485/22 - abzuändern und 1. die Beklagte zu verurteilen, sie als Servicemitarbeiterin Pflege in der Betriebsstätte A SeniorenzentrumE weiter zu beschäftigen; 2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.123,20 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.05.2022 zu zahlen; 3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.492,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.10.2022 zu zahlen.Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klägerin, die nicht immunisiert ist und die deshalb über keinen Nachweis im Sinne des § 20 a Abs. 1 IfSG verfügt, hat gegen die Beklagte, eine Einrichtung zur Betreuung und Unterbringung älterer Menschen im Sinne des § 20 a Abs. 1 Nr. 2 IfSG weder einen Anspruch auf Beschäftigung noch einen Anspruch auf Entgelt aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges.
Die geltend gemachten Ansprüche scheiden schon deshalb aus, weil die Klägerin ihre Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß angeboten hat. Jedenfalls ergibt sich aus § 20 a IfSG ein Beschäftigungsverbot. Müssten beide vorgenannten Begründungen als nicht tragend erachtet werden, so wäre der Beklagten die Beschäftigung der Klägerin jedenfalls unzumutbar.
1. Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum ihre Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß angeboten. Das Erfordernis des Angebots in den §§ 293 ff. hat zwei Funktionen, nämlich die Leistungsbereitschaft der Schuldnerin klarzustellen und den Zeitpunkt des Annahmeverzugs eindeutig festzulegen (BAG v. 09.98.1984 - 2 AZR 374/83 -; ErfK/Preis, 23. Aufl. 2023, BGB § 615 Rn. 16). Die Arbeitnehmerin muss der Arbeitgeberin ihre Arbeitskraft in eigener Person (§ 613 S. 1), zur rechten Zeit, am rechten Ort und in der rechten Weise anbieten (BAG v. 26.04.1956 - GS 1/56 -). Erforderlich ist das Angebot der geschuldeten Arbeitsleistung.
Die Klägerin hat die von ihr geschuldete Arbeitsleistung nicht angeboten. Als Servicemitarbeiterin Pflege schuldet sie eine Tätigkeit mit dem Ziel, das Leben der zu pflegenden Menschen zu schützen und deren Gesundheit so weit wie möglich zu sichern. Ohne Immunisierung gefährdet die Klägerin aber das Leben und die Gesundheit der zu pflegenden Menschen, bewirkt also das Gegenteil des Ziels der geschuldeten Tätigkeit.
Die fehlende Immunisierung ist nicht bloß eine unerhebliche Gefährdung als Teil des allgemeinen Lebensrisikos. Die Erheblichkeit ergibt sich aus der gesetzlichen Wertung, die in der Nachweispflicht aus § 20 a Abs. 1 IfSG und dem ausdrücklichen Beschäftigungsverbot in § 20 a Abs. 3 IfSG ihren Ausdruck findet und an deren Verfassungsmäßigkeit kein Zweifel besteht (zur Verfassungsmäßigkeit siehe BVerfG v. 27.04.2022 - BvR 2649/21). Es lag in der Hand der Klägerin, das Leistungshindernis, nämlich die Tatsache, dass ihre Tätigkeit in der Pflegeinrichtung eine vom Gesetz definierte Gefahr darstellt, durch Impfung abzustellen. Für die Gefahr, die von der Arbeitnehmerin ausgeht, gilt somit strukturell und spiegelbildlich das gleiche, wie für die Gefahr, die sich aus der Sphäre der Arbeitgeberin ergeben kann: Verstößt nämlich eine arbeitgeberseitige Weisung gegen eine zwingende Schutzvorschrift des technischen Arbeitsschutzes, kann die Weisung an die Beschäftigten in entsprechender Anwendung des § 134 BGB unwirksam sein, sie muss von den Beschäftigten nicht befolgt werden und lässt den Entgeltanspruch der Beschäftigten gemäß § 615 BGB unberührt; eine Interessenabwägung über die Berechtigung einer Arbeitsverweigerung erübrigt sich in solchen Fällen (vgl. hierzu Nebe in: MHdB ArbR, § 175 Privatrechtlicher Arbeitsschutz Rn. 29). Es ist dann die Norm des technischen Arbeitsschutzes - ggfls. mit der Festlegung maximaler Arbeitsplatzkonzentrationen - die die Grenze zwischen der hinnehmbaren Gefahr aus dem allgemeinen Lebensrisiko einerseits und dem Leistungshindernis für das arbeitsvertragliche Pflichtenprogramm andererseits zieht. Dem entsprechend und spiegelbildlich definiert hier die Regelung in § 20 a Abs. 1 IfSG mit einem konkreten Datum, nämlich dem 15.03.2022, die Grenze zwischen der hinzunehmenden und der nicht mehr hinzunehmenden Gefahr für die zu pflegenden Menschen, die von der Tätigkeit der nicht immunisierten Klägerin ausgeht.
Die Frage, ob sich aus der Vorschrift ein Beschäftigungsverbot ergibt, oder ob die Arbeitgeberin bei der Nichtannahme der Arbeitsleistung pflichtgemäßes Ermessen ausgeübt hat, stellt sich mangels eines ordnungsgemäßen Leistungsangebots der Klägerin nicht.
2. Auch wenn von einem ordnungsgemäßen Leistungsangebot ausgegangen würde, ergibt sich aber aus § 20 IfSG ein solches Beschäftigungsverbot. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei der Regelung um eine öffentlich-rechtliche Vorschrift handelt, die Handlungspflichten, Nachweispflichten, Verbote und Ordnungswidrigkeiten insbesondere im Verhältnis zur Aufsichtsbehörde regelt. In der Vorschrift ist keine Rede von Rechtsverhältnissen, Beschäftigungsverhältnissen oder gar Arbeitsverhältnissen. Auch findet sich der in der Rechtsprechung und der Literatur (LAG Hamm v. 12.01.2023 - 18 Sa 886/22 -; LAG Baden-Württemberg v. 03.02.2023 - 7 Sa 67/22 -; Chama/Noll, MDR 2022, 606; Steinigen, ZTR 2022, 131; Weigert, NZA 2022, 166, 168 f.; Thönißen/Born, DB 2022, 1131, 1134) bemühte Begriff des "Bestandsmitarbeiters" nicht im Text der Vorschrift. Es wird allein auf die reale "Tätigkeit" abgestellt und auf das "Verfügen" und das "Vorlegen" eines Nachweises. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass derjenige, der über einen Impf- oder Genesenen-Nachweis verfügt, geimpft oder genesen, also immunisiert ist. Wer über keinen Impf- oder Genesenen-Nachweis verfügt, kann trotzdem geimpft (Nachweis verloren) oder (nicht diagnostiziert) genesen sein. Das Gesetz nimmt hier also auf dem Weg einer abstrakt-generellen Formalisierung eine Vereinfachung der Gefahrendefinition vor. Von der Formulierung dieser öffentlich-rechtlichen Vorschrift nicht notwendig mitgedacht sind die zivilrechtlichen Besonderheiten eines Dauerschuldverhältnisses und insbesondere die Tatsache, dass die aus dem Arbeitsverhältnis bestehende Leistungspflicht der Arbeitnehmerin eine Fixschuld ist, die jeden Tag, jede Stunde und jede Sekunde neu entsteht. Die Tätigkeit in der ersten Stunde der ersten Schicht am 16.03.2022 konnte weder vorgearbeitet werden, noch war eine Nachleistung möglich. Die Tätigkeit ist die Erfüllung der Fixschuld, die in der ersten Stunde der ersten Schicht am 16.03.2022 entstanden und danach untergegangen ist - entweder durch Erfüllung oder durch objektive Unmöglichkeit. "Ab dem 16.03.2022 tätig" ist daher nach arbeitsvertraglichem Verständnis sowohl die für den 16.03.2022 neu eingestellte Arbeitnehmerin, als auch die Arbeitnehmerin, die am 16.03.2022 aus einer drei Jahre währenden Elternzeit zurückkehrt, wie auch die Arbeitnehmerin, die bis zum 15.03.2022 sechs Wochen Urlaub genommen hatte, wie auch diejenige Arbeitnehmerin, die wegen Personalmangels einvernehmlich aus der Ruhephase der Altersteilzeit ab dem 16.03.2022 zurück in ein aktives Arbeitsverhältnis geholt wird, wie schließlich auch diejenige Arbeitnehmerin, die in der Schicht zuvor und im Übrigen seit 1997 durchgehend in der Einrichtung tätig war und ist. Bei all diesen Menschen und damit auch bei der Klägerin, handelt es sich um solche, die "ab dem 16. März 2022 tätig werden sollen."
Dies vorausgeschickt ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift für Menschen, die wie die Klägerin in einer Pflegeeinrichtung wie die der Beklagten tätig sind, ein ausdrückliches Beschäftigungsverbot ab dem 16.03.2022: § 20 a Abs. 1 IfSG definiert die Menschen und Einrichtungen, die ab dem 15.03.2022 von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht (bzw. Vorlage- und Nachweispflicht) betroffen sind. Das sind unstreitig die Klägerin und die Beklagte. Nach § 20 a Abs. 2 IfSG war die Klägerin wie auch ihre Kolleginnen und Kollegen, verpflichtet, bis zum Ablauf des 15.03.2022 unter Vorlage von Dokumenten ihre jeweilige Einrichtungsleitung über ihren Impf- und/oder Genesenenstatus zu informieren; im Übrigen handelt dieser Absatz der Vorschrift von der Rolle der Landesgesundheitsbehörden während der Zeit bis zum 15.03.2022. Die Regelung in § 20 a Abs. 3 IfSG betrifft nun die Tätigkeit ab dem 16.03.2022, bzw. ausdrücklich die "Personen, die ... ab dem 16. März 2022 tätig werden sollen"; das war im oben erläuterten arbeitsvertraglichen Sinne auch die Klägerin, die bis zuletzt keinen Nachweis vorgelegt hat. In § 20 a Abs. 3 Satz 4 IfSG heißt es nun für Menschen wie die Klägerin "darf nicht beschäftigt werden" und in Satz 5 des gleichen Absatzes heißt es "darf nicht ... tätig werden".
Der Wortlaut der Vorschrift ist somit eindeutig. Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung einer abstrakt-generellen Vorschrift kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Die bloße Tatsache, dass sich in der umfangreichen Regelung Widersprüchlichkeiten und ggfls. überflüssige Passagen finden, ist nicht geeignet, aus systematischen Gründen das Wortlautverständnis zu verlassen. Der Sinn und Zweck der Regelung bestätigt jedenfalls das hier gefundene Verständnis des Wortlauts: Der Schutz der vulnerablen Menschen vor der Gefahr, die von nichtimmunisierten Menschen in ihrer Umgebung ausgeht.
3. Auch wenn von einem ordnungsgemäßen Leistungsangebot der Klägerin auszugehen ist und auch wenn entgegen dem hier dargestellten Verständnis der Regelung in § 20 a IfSG kein Beschäftigungsverbot angenommen wird, war der Beklagten die Beschäftigung der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls nicht zumutbar. Die Entscheidung, die Klägerin ohne Entgeltfortzahlung freizustellen, war daher ermessensfehlerfrei. Hierfür wird Bezug genommen auf die inzwischen veröffentlichte Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 19.04.2023 (- 12 Sa 621/22 -). Das Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung der nicht immunisierten Klägerin überwiegt das Beschäftigungsinteresse der Klägerin. In einem solchen Fall scheidet ein Anspruch auf Entgelt aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges aus (BAG v. 29.10.1987 - 2 AZR 144/87 -; BAG 16.04.2014 - 5 AZR 739/11 -).
III. Nach allem bleibt es somit bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung waren im Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung nicht gegeben: Die Entscheidung betrifft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, da die zu Grunde liegende Vorschrift, § 20 a IfSG, mit dem 31.12.2022 außer Kraft getreten ist. Mit der tragenden Begründung, nämlich dem fehlenden ordnungsgemäßen Leistungsangebot der Klägerin, handelt es sich vorliegend um die Entscheidung über einen Einzelfall. Soweit die Entscheidung in der Hilfsbegründung von anderen LAG-Entscheidungen abweicht, waren diese im Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung noch nicht veröffentlicht.