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Beschluss vom 12.09.2023 · IWW-Abrufnummer 238138

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 5 Ta 72/23

Wird ein paralleles Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG in einem gerichtlichen Vergleich miterledigt, besteht aufgrund wirtschaftlicher Identität der beiden Zustimmungsersetzungsanträge kein Vergleichsmehrwert.


Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten
1.
- Beschwerdeführerin -
Verf.-Bev.:
2.
- Beteiligter -
3.
- Beteiligte -
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 5. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Krets ohne mündliche Verhandlung am 12.09.2023
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin (Beteiligte zu Ziffer 1) wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Mannheim vom 16. Juni 2023 - 2 BV 6/22 - wie folgt abgeändert:

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwälte F. G. B. wird auf EUR 14.273,67 festgesetzt; ein Vergleichsmehrwert besteht nicht.

Gründe

I.

Gegenstand des Beschlussverfahrens war ein Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligter Ziffer 2) zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 103 BetrVG. Das Verfahren endete durch einen Vergleich vom 17. Mai 2023, durch welchen das Arbeitsverhältnis des Betriebsratsmitglieds gegen Zahlung einer Abfindung beendet wurde. Darüber hinaus wurden zwei parallele Beschlussverfahren miterledigt, deren Streitgegenstand ebenfalls eine Zustimmungsersetzung gemäß § 103 BetrVG war, gestützt auf weitere Kündigungssachverhalte.

Wegen des Sach- und Streitstandes bis zur Vorlage an das Beschwerdegericht wird ergänzend auf die Sachverhaltswiedergabe im angegriffenen Beschluss in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG), sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) und auch im Übrigen zulässig.

Die Beschwerde ist auch begründet. Ein Vergleichsmehrwert für die Miterledigung der beiden parallelen Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 BetrVG besteht aufgrund wirtschaftlicher Identität nicht.

1. Gegenstandswert

Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert zutreffend mit einem Quartalsverdienst bemessen. Nach Ziffer II.19. des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 09.02.2018 (im Folgenden: "SWK 2018", NZA 2018, 497 ff.) ist bei Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 BetrVG aufgrund der präjudiziellen Wirkung im Hinblick auf ein Kündigungsschutzverfahren eine Vierteljahresvergütung maßgebend. Die Streitwertbeschwerdekammer folgt angesichts der hohen Bedeutung einer bundeseinheitlichen Streitwertrechtsprechung grundsätzlich den Empfehlungen der Streitwertkommission. Das Arbeitsgericht zitiert als Rechtsgrundlage zutreffend die Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG in Anlehnung an § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG.

2. Kein Vergleichsmehrwert

Ein Vergleichsmehrwert besteht nicht, weil bei gedachter Geltendmachung der beiden weiteren parallelen Zustimmungsersetzungsanträge im vorliegenden Verfahren diese nicht zu einer Werterhöhung führen würden.

a) Das Arbeitsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass vergleichsweise miterledigte, anderweitig rechtshängige Gegenstände grundsätzlich nur dann zu einem Vergleichsmehrwert führen, wenn sie bei gedachter Geltendmachung in einem Verfahren zu einer Werterhöhung führen würden. Dies ergibt sich aus Ziffer I.25.1., 2. Absatz SWK 2018 und entspricht der ständigen Rechtsprechung des LAG Baden-Württemberg (z.B. vom 27. Juni 2019 - 5 Ta 52/19 - juris).

b) Bei der Frage, ob bei unterstellter Geltendmachung in einem Verfahren eine Werterhöhung eintreten würde, sind die Begrenzungsvorschriften des GKG, insbesondere der sich aus dem Rechtsgedanken des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG folgende Grundsatz der wirtschaftlichen Identität, zu beachten (LAG Baden-Württemberg 27. Juni 2019 - a.a.O., Rn. 20 f.).

c) Maßgeblich für die Identität der Gegenstände ist insoweit nicht der zivilprozessuale Streitgegenstand i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, sondern der weitergehende, am Interesse des Antragstellers ausgerichtete, kostenrechtliche Streitgegenstand. Wirtschaftliche Identität liegt danach vor, wenn der eine Antrag sich nur als rechtliche oder natürliche Folge aus dem anderen darstellt oder auf dasselbe Interesse gerichtet ist oder nur den Zweck verfolgt, ihn zu rechtfertigen oder ihm als Voraussetzung oder Begründung zu dienen (LAG Baden-Württemberg 26. Oktober 2012 - 5 Ta 166/12 - Rn. 27, juris).

d) Nach diesen Grundsätzen ist zunächst fiktiv zu unterstellen, die beiden parallelen Zustimmungsverfahren wären in einem Verfahren betrieben oder zu einem Verfahren verbunden worden. Das Arbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, dass dann in der Folge nur eine einheitliche gerichtliche Entscheidung ergehen würde, mit deren Rechtskraft die Kündigung ausgesprochen werden könnte. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts ließe diese Schlussfolgerung jedoch außer Betracht, dass die Beschwerdeführerin vor dem Hintergrund der einzuhaltenden Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB jeweils gesonderte Beteiligungsverfahren nach § 103 BetrVG eingeleitet und durchgeführt hat. Hierauf beruft sich auch die Beteiligte Ziffer 3 in ihrer Stellungnahme vom 28. August 2023; aufgrund der gesonderten Zustimmungsersetzungsverfahren hätte es auch unterschiedliche Beendigungszeitpunkte gegeben. Diesem Argument folgt die Streitwertbeschwerdekammer indes nicht. Die einzuhaltenden Fristen sowie unterschiedliche Kündigungssachverhalte mögen für die Arbeitgeberin der Grund für gesonderte Zustimmungsersetzungsverfahren gewesen sein, es ist bei der Frage des Vergleichsmehrwerts trotzdem zu unterstellen, dass alle Zustimmungsersetzungsverfahren in einem Verfahren geltend gemacht worden wären. Unterschiedliche Beendigungszeitpunkte aufgrund versetzt ausgesprochener Kündigungen hätte es bei gedachter Geltendmachung in einem Verfahren gerade nicht gegeben. Sämtliche Zustimmungsersetzungsanträge sind auf dasselbe wirtschaftliche Interesse gerichtet, nämlich die künftige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hierin liegt der Unterschied zur Situation bei mehreren Kündigungsschutzklagen. Im letzteren Fall sind die Kündigungen bereits ausgesprochen und können streitwerterhöhend auch in demselben Verfahren wirken, wenn sie den ursprünglichen Beendigungszeitpunkt hinausschieben (Ziffer I.21.3 SWK 2018). Unterstellt man die Geltendmachung in einem Zustimmungsersetzungsverfahren, sind unterschiedliche Beendigungszeitpunkte ausgeschlossen. Unterstützend spricht für die vorstehende Meinung der Gesichtspunkt der Praktikabilität. Bei mehreren Zustimmungsersetzungsverfahren und darauf basierend mehreren Kündigungen wäre der maßgebliche streiterhöhende Aspekt das Hinauszögern des Beendigungszeitpunkts. Auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit des Zustimmungsersetzungsantrags nach § 103 BetrVG kommt es hingegen nicht an. Der Zeitpunkt der Beendigung wäre indes ein ungewisses zukünftiges Ereignis, das nicht vorhergesagt werden kann. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausführt, hängt der Beendigungszeitpunkt vor allem von der Dauer der einzelnen Zustimmungsersetzungsverfahren ab, aber auch vom Zeitpunkt des Ausspruchs bzw. Zugangs der Kündigung. Gegen die Lösung des Arbeitsgerichts, den maximalen Streitwert eines Vierteljahresverdienstes zu unterstellen, spricht, dass der zeitliche Abstand zwischen den Kündigungen auch weniger als drei Monate betragen könnte und schlicht nicht vorhergesagt werden kann.

III.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei, weil die Beschwerde vollständig erfolgreich war (vgl. KV Nr. 8614 zu § 3 Abs. 2 GKG). Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 Satz 2 RVG).

Der Vorsitzende: Dr. Krets

Vorschriften§ 103 BetrVG, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG, § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 3 Abs. 2 GKG, § 33 Abs. 9 Satz 2 RVG