Urteil vom 06.09.2023 · IWW-Abrufnummer 238238
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - Aktenzeichen 4 Sa 900/22
1. Das Entschädigungsverlangen eines/einer erfolglosen Bewerbers/Bewerberin nach § 15 Absatz 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand ( § 242 BGB ) ausgesetzt sein.
2. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (im Anschluss an BAG 19. Januar 2023 - 8 AZR 437/21 - Randnummer 43 BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 - Randnummer 37; BAG 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - Randnummer 46 fortfolgende; BAG 26. Januar 2017 - 8 AZR 848/13 - Randnummer 123 fortfolgend mit weiteren Nachweisen).
3. Gerichtsbekannte Tatsachen dürfen im Einklang mit dem Beibringungsgrundsatz jedenfalls bei hinreichend substantiiertem Parteivortrag in den Prozess eingebracht werden.
in Sachen
pp.
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 4. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 6. September 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht .... als Vorsitzenden
sowie die ehrenamtliche Richterin .... und den ehrenamtlichen Richter ....
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23.06.2022 - 42 Ca 716/22 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) wegen einer Benachteiligung wegen des Geschlechts.
Die Beklagte betreibt oder betrieb ein Umzugsunternehmen in Form einer UG mit einem Stammkapital von 1.000 EUR in Berlin. Über einen Account mit Bezug zur Beklagten wurde auf dem Portal eBay-Kleinanzeigen eine Stellenanzeige veröffentlicht, wonach die Beklagte eine Sekretärin sucht. Der 1994 geborene Kläger, der in Lohne bei Oldenburg wohnte und wohnt, bewarb sich mit Nachricht vom 25.11.2021 bei der Beklagten auf diese Stelle. Die vom Kläger mit der Klageschrift als Kopie eingereichte Nachricht vom 25.11.2022 (Bl. 12 d. A.) hatte folgenden Inhalt:
"Hallo, ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die Sie fordern.
Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle.
Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben.
Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann und suche derzeit eine neue Herausforderung.
Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.
Ich wäre ab sofort verfügbar.
Mit freundlichen Grüßen Herr A."
Mit E-Mail vom 26.11.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit:
"Leider brauchen wir eine weibliche Sekretärin"
Der Kläger teilte der Beklagten mit Schreiben vom 24.12.2021 mit, dass sie ihn diskriminiert habe und machte Schadensersatz in Höhe von 3.000,00 EUR geltend. In dem Schreiben heißt es ua.:
"Der Schadensersatz in einem gerichtlichen Verfahren beträgt damit etwa 5.400 EUR. (...) Zusätzlich werde ich noch in einem gerichtlichen Verfahren meine notwendigen Auslagen und Kosten meiner Aufwendungen einklagen.
Nur weil ein gerichtliches Verfahren für mich mit einem enormen zeitlichen Aufwand verbunden ist, schlage ich ihnen diesen gütlichen und für Sie günstigen Vergleich vor. Bitte beachten Sie, dass eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2, wie in diesem Fall nicht lohnsteuerpflichtig ist und auch sonst keine typischen steuerlichen Abgaben anfallen. (...)
Nach Ablauf der Frist oder Ablehnung des Vergleichs werde ich das Arbeitsgericht Berlin einschalten und meine Schadensersatzansprüche dort höher beziffern. Bitte beachten Sie, dass dann neben dem Schadensersatzanspruch von etwa 5400 EUR, auch Schaden für meine Aufwendungen zu leisten sind und Sie die Gerichtskosten des Verfahrens zu tragen haben (§ 91 ZP0). Ihre notwendigen Auslagen für ihren Rechtsbeistand tragen Sie in jedem Fall selbst, weshalb Ihnen in jedem Fall Kosten entstehen werden, die Sie zu tragen haben. Dies ist auch unabhängig, ob Sie das Gerichtsverfahren gewinnen oder verlieren sollten. Vor den Arbeitsgerichten trägt jeder seine Kosten in 1. Instanz selbst (vgl. § 12a ArbGG). Alleine aus Kostengründen sollte daher einem außergerichtlichen Vergleich zugestimmt werden. Die Streitwerte in arbeitsgerichtlichen Verfahren sind oft sehr hoch, weshalb erhebliche Rechtsanwaltskosten anfallen. Durch einen Vergleich fallen weitere Gebühr nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz an. Bitte beachten Sie auch, dass sie nach § 22 AGG die Beweislast haben und dem Gericht aufzeigen und beweisen müssen, dass sie mich nicht wegen des Geschlechts diskriminiert haben. Durch ihr Schreiben und die Diskriminierung wird aber genau das Gegenteil bewiesen."
Hinsichtlich des weiteren Wortlauts des Schreibens vom 24.12.2021 wird auf die vom Kläger eingereichte Anlage K1 (Bl. 6 - 8 d. A.) verwiesen.
Dem Schreiben lag ein durch den Kläger vorformulierter Vergleichstext mit Datum vom 24.12.2021 bei, der bereits eine Unterschriftenzeile für den Kläger und die Beklagte vorsah. Der Vergleichstext enthielt ua. folgende Bestimmungen (sic !):
"1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass dem Kläger eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz in Höhe von 3000 € in Worten (Dreitausend) EUR gezahlt wird.
2. Der Anspruch besteht unmittelbar mit der Feststellung des Zustandekommens des Vergleichs und ist ab diesem Zeitpunkt vererblich.
....
4. Der Betrag ist nicht lohnsteuerpflichtig und auch weitere steuerpflichtige Abgaben sind nicht zu leisten, weshalb die Summe vollständig an den Kläger zu zahlen ist. (Urteil vom 21.03.2017, Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 5 K 1594/14)
...."
Hinsichtlich des weiteren Wortlauts des vorformulierten Vergleichsvorschlags vom 24.12.2021 wird auf die vom Kläger eingereichte Anlage K2 (Bl. 9 d. A.) verwiesen.
Der Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils enthält weiterhin folgende Feststellungen:
"Im Zeitraum vom März 2021 bis Juni 2022 machte der Kläger in insgesamt elf Verfahren beim Arbeitsgericht Berlin Entschädigung wegen Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) anhängig. In sämtlichen Verfahren schrieb er auf ausgeschriebene Stellen einer "Sekretärin" im Portal eBay Kleinanzeigen den wortgleichen Text wie auch in seiner E-Mail vom 25.11.2021 an die Beklagte."
Gegen den trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienenen Kläger ist im Gütetermin am 22.02.2022 klageabweisendes Versäumnisurteil ergangen. Der Kläger hat gegen das ihm am 04.03.2022 zugestellte Versäumnisurteil mit beim Arbeitsgericht am 10.03.2022 eingegangen Schriftsatz Einspruch eingelegt.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 23.06.2023 das klageabweisende Versäumnisurteil vom 22.02.2022 aufrechterhalten. Zwar habe die Beklagte den Kläger nach § 7 Absatz 1, 3 Absatz 1 AGG unmittelbar wegen seines Geschlechts benachteiligt. Dem Kläger stehe aber gleichwohl kein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG zu, denn der Kläger habe sich unter Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Absatz 1 Satz 2 Alt. 1 AGG verschafft und damit für sich den persönlichen Anwendungsbereich des AGG treuwidrig eröffnet. Die vorliegenden Umstände ließen den Schluss auf ein entsprechendes systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Klägers zu. Der in Lohne wohnhafte Kläger habe beim Arbeitsgericht Berlin binnen 15 Monaten elf Klagen über Entschädigung wegen Geschlechterdiskriminierung durch Ausschreibung von Stellen als "Sekretärin" anhängig gemacht. Zwar könne Rechtsmissbrauch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht bereits daraus geschlossen werden, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt. Vorliegend handele es sich jedoch um elf inhaltsgleiche Ausschreibungen als "Sekretärin" auf immer demselben Portal von eBay-Kleinanzeigen. Anschließend habe der Kläger dann den vorformulierten Text als Anschreiben an die Ersteller der Anzeige versendet. Das mit dem gerichtlichen Verfahren verbundene Kostenrisiko spreche nicht gegen ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers, da es keinen Erfahrungssatz gebe, wonach rechtsmissbräuchlich handelnde Personen ihren vermeintlichen Anspruch nicht einklagen. Das Vorgehen des Klägers beruhe auch auf der Annahme, es werde ein auskömmlicher Gewinn verbleiben, weil die Beklagte unter dem Druck des Geltendmachungsschreibens oder im Verlauf des Entschädigungsprozesses freiwillig die Forderung erfüllen werde. Der Kläger habe weite Teile seines Geltendmachungsschreibens vom 24.12.2021 dazu genutzt, die Beklagte erheblich unter Druck zu setzen. So habe er angekündigt, in einem gerichtlichen Verfahren statt den angebotenen 3.000,00 EUR die annährend doppelte Summe in Höhe von 5.400,00 EUR einzuklagen. Er habe weiter behauptet, in arbeitsgerichtlichen Verfahren seien die Streitwerte oft sehr hoch, weshalb zudem erhebliche Rechtsanwaltskosten anfallen würden. Auch die Hinweise des Klägers auf die Kostentragungspflicht der Beklagten bei Unterliegen im gerichtlichen Verfahren sowie auf das Prozessrisiko aufgrund der Beweislast der Beklagten seien geeignet, Druck auf die Beklagte auszuüben, damit sie der Forderung des Klägers zustimme und 3.000,00 EUR an den Kläger zahle. Auch die Aufforderung, den Betrag vollständig an den Kläger auszuzahlen unter Hinweis auf die steuerrechtliche Bewertung der Entschädigungszahlung, lasse ebenfalls eine intensive Auseinandersetzung des Klägers mit dem zu erwartenden wirtschaftlichen Gewinn erkennen. Ein Rechtsmissbrauch liege nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließe, auch dann vor, wenn der Bewerber die Ablehnung provoziere, indem er bereits im Anschreiben auf das Fehlen der für die Benachteiligung relevanten Eigenschaften hinweist. Der Kläger habe die Beklagte in seiner E-Mail vom 25.11.2021 ausdrücklich gefragt, ob sie ausschließlich eine Frau suche und dabei zugleich selbst festgestellt, dass die Beklagte das so angegeben habe. Die Frage sei daher unnötig gewesen und sollte die Beklagte nur darauf hinweisen, dass es sich bei dem Kläger als Bewerber um einen Mann handele. Dementsprechend habe sich der Kläger auch nicht mit seinem vollen Namen, sondern als "Herr A." benannt. Nach dem Lesen des Bewerbungsschreibens habe die Beklagte daher für die Absage nur noch bestätigen müssen, dass sie eine Frau suche. Dies lasse nur den Schluss zu, dass der Kläger mit dieser Absage Tatsachen schaffen wollte, eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG gegen die Beklagte geltend zu machen. Hinzu komme, dass der Kläger auf den Hinweis im Kammertermin, es beständen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung, keinerlei Tatsachen dargetan habe, um die Zweifel auszuräumen.
Gegen das ihm am 23.07.2022 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger am 19.08.2022 Berufung eingelegt und diese am 22.09.2022 begründet. Ein zeitgleich mit der Berufungsbegründung gestellter Prozesskostenhilfeantrag wurde zurückgewiesen, weil der Kläger - wie er erst nach mehrmaliger Nachfrage eingeräumt hatte - allein im Jahr 2022 aufgrund von Entschädigungszahlungen nach dem AGG ein so hohes Vermögen iSd. § 115 Abs. 4 ZPO (Zivilprozessordnung) erlangt hat, dass auch nach Abzug der vom Kläger geltend gemachter Zahlungen im mittleren vierstelligen Bereich und Abzug des Schonvermögens der Kläger ohne weiteres in der Lage war, die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Der Kläger ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht einen Rechtsmissbrauch bejaht. Die Nachfrage, ob tatsächlich nur Frauen gesucht werden, sei nur Ausdruck seiner Verwunderung gewesen, dass, trotzdem hinreichend bekannt sei, dass Stellenausschreibungen geschlechtsneutral sein müssen, nur eine Frau gesucht werde. Er habe deswegen die Möglichkeit gegeben, ein etwaiges Missverständnis in der Formulierung der Stellenausschreibung auszuräumen, weil er verwundert gewesen sei. Der Kläger habe die Beklagte auch nicht in zielgerichteter Gewinnerzielungsabsicht damit unter Druck gesetzt, indem er mitgeteilt habe, in einem gerichtlichen Verfahren, statt den angebotenen 3.000,00 EUR die annähernd doppelte Summe einzuklagen sowie auf die Kostenlast verwiesen habe. Der Kläger habe aufgrund seines Studiums des Wirtschaftsrechts Kenntnis von Gesetzen und könne daher die im Studium erlangten Kenntnisse soweit erforderlich auf private Belange anwenden. Der Kläger sei der Beklagten im Grunde genommen sogar noch entgegengekommen, indem er ihr trotz der offensichtlichen Diskriminierung einen außergerichtlichen Vergleichsvorschlag unterbreitet und nicht sogleich Klage erhoben habe. Auch der Einwand des Arbeitsgerichts, der Berufungskläger habe binnen 15 Monaten elf Klagen erhoben, denen inhaltsgleiche Ausschreibungen als Sekretärin auf immer demselben Portal zugrunde lagen und der Kläger habe einen vermeintlich vorformulierten Text als Anschreiben verwendet, ließen nicht auf ein systematisches zielgerichtetes Vorgehen schließen. Auch habe das Arbeitsgericht bei der Berücksichtigung der weiteren Verfahren des Klägers mit derselben Vorgehensweise gegen den Beibringungsgrundsatz verstoßen und Tatsachen in den Entscheidungsgründen berücksichtigt, die nicht von der Beklagten vorgetragen worden seien und nicht offenkundig gewesen seien.
Nachdem die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 11.01.2023 ihre Rechtsaufassung nach dem Ergebnis der Vorberatung geäußert hatte, hat der Kläger mehrere erfolglose Befangenheitsanträge gegen alle Richter/innen der Kammer sowie gegen eine weitere Richterin gestellt. In der dann für den 06.09.2023 anberaumten Verhandlung ist für die Beklagte niemand erschienen.
Der Kläger hat sodann beantragt,
das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Berlin - 42 Ca 716/22 - aufzuheben und das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. Juni 2022 dahingehend abzuändern, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Die Entschädigung ist seit Rechtshängigkeit der Klage mit fünf Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen. Die Höhe der Entschädigung wird in das Ermessen des Gerichts gestellt, sollte aber 5.400,00 Euro nicht unterschreiten und den Erlass eines entsprechenden Versäumnisurteils beantragt.
Entscheidungsgründe
A. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz), 511 ZPO (Zivilprozessordnung) statthafte Berufung des Klägers ist formgerecht und fristgemäß im Sinne von § 64 Abs. 6, § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist daher zulässig.
B. Die Berufung war aber als unbegründet zurückzuweisen.
I. Nach § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 539 Abs. 2 ZPO ist für den Fall, dass der Berufungsbeklagte nicht erscheint und der Berufungskläger gegen ihn ein Versäumnisurteil beantragt, das zulässige tatsächliche Vorbringen des Berufungsklägers als zugestanden anzunehmen. Soweit es den Berufungsantrag rechtfertigt, ist nach dem Antrag zu erkennen; soweit dies nicht der Fall ist, ist die Berufung zurückzuweisen.
II. Vorliegend ergibt sich bereits aus dem eigenen Vorbringen des Klägers zu seiner Bewerbung bei der Beklagten, dass nicht nach dem Antrag zu erkennen war, weil das Begehren des Klägers dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand aus § 242 BGB ausgesetzt ist. Hierauf hatte die Kammer den Kläger bereits in der mündlichen Verhandlung vom 11.01.2023 ua. mit Verweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.10.2018 - 8 AZR 562/16 - ausdrücklich hingewiesen.
1. Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers bzw. einer erfolglosen Bewerberin nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in im Sinn von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (BAG 19. Januar 2023 - 8 AZR 437/21 - Randnummer 43 mit weiteren Nachweisen; BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 - Randnummer 37; 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - Randnummer 46 fortfolgende; 26. Januar 2017 - 8 AZR 848/13 - Randnummer 123 fortfolgend mit weiteren Nachweisen). Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Der Ausnutzung einer rechtsmissbräuchlich erworbenen Rechtsposition kann demnach der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen. Allerdings führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinn von § 242 BGB vor (BAG 19. Januar 2023 - 8 AZR 437/21 - Randnummer 44 mit weiteren Nachweisen BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 - Randnummer 38 mit weiteren Nachweisen).
2. Vorliegend ergibt sich bereits aus den vom Kläger hinsichtlich seines Bewerbungsverfahrens vorgetragenen Tatsachen, dass es dem Kläger bei seiner Bewerbung allein darum ging, den formalen Status als Bewerber im Sinn von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen.
a. Dies war allerdings für die Beklagte nicht erkennbar. Die Beklagte musste angesichts der formal ordnungsgemäßen Bewerbung von einer ernsthaften Bewerbung ausgehen. Dass die Beklagte auch von einer ernstgemeinten Bewerbung ausging, zeigt sich schon in der Absage an den Kläger mit der (diskriminierenden) Begründung, man brauche leider eine weibliche Sekretärin.
b. Trotz der Vermittlung des Eindrucks einer ernstgemeinten Bewerbung durch den Kläger gegenüber der Beklagten ist bereits aus den vom Kläger hinsichtlich seines Bewerbungsverfahrens vorgetragenen Tatsachen erkennbar, dass die Bewerbung mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen, erfolgte.
aa. Hierzu hat das LAG Berlin-Brandenburg bereits in einem der anderen von dem Kläger geführten Verfahren, in denen der Kläger bei der Bewerbung identisch vorgegangen ist, ausgeführt (LAG Berlin-Brandenburg 20. Januar 2023 - 3 Sa 898/22 - Randnummer 46 fortfolgende mit zustimmender Anmerkung Burmann jurisPR-ArbR 32/2023 Anm. 3).
"b) Aufgrund der hier vorliegenden Umstände ist davon auszugehen, dass das Entschädigungsverlangen des Klägers dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand aus § 242 BGB ausgesetzt ist. Bei einer Würdigung aller Umstände im Zusammenhang mit seiner Bewerbung um die ausgeschriebene Stelle steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger mit dem Text seiner Bewerbung es geradezu auf eine Absage des Beklagten angelegt hat, mithin die Absage provoziert hat. In Ermangelung von gegenteiligen Anhaltspunkten kann hieraus aber nur der Schluss gezogen werden, dass es ihm nicht darum ging, die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern dass er mit seiner Bewerbung nur die Voraussetzungen für die Zahlung einer Entschädigung schaffen wollte. Damit liegt sowohl das für den Rechtsmissbrauchseinwand erforderliche objektive als auch das erforderliche subjektive Element vor. Eine Person, die mit ihrer Bewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur die formale Position eines Bewerbers/einer Bewerberin im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG erlangen will mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung oder Schadensersatz nach § 15 Absatz 2 AGG geltend zu machen, handelt auch nach Unionsrecht rechtsmissbräuchlich (vergleiche EuGH 28. Juli 2016 - C-423/15 - [Kratzer] Randnummer 35 fortfolgende).
aa) Die Stellenausschreibung wies Indizien dafür aus, dass die Stelle unter Verstoß gegen § 7 Absatz 1 AGG ausgeschrieben wurde. Der Kläger hat unmittelbar nach dem Satz: "Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle." die Frage gestellt, ob ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau gesucht wird. Er selbst hat dann ausgeführt, dies sei so in der Stellenanzeige angegeben. Obwohl der Kläger bereits zu Beginn des Textes Ausführungen zu seinen Fähigkeiten und Erfahrungen getätigt hatte, erwähnt er seine abgeschlossene Ausbildung unter Verwendung der männlichen Form "Industriekaufmann" erst im direkten Anschluss an seine Frage und seiner Erläuterung zu der gestellten Frage. Hierdurch lenkt er bereits an dieser Stelle das Augenmerk des Lesers darauf, dass es sich bei dem Bewerber um einen Mann handelt. In der Grußformel verwendet der Kläger das Wort Herr, wodurch er an dieser Stelle nochmals hervorhebt, dass der Bewerber männlichen Geschlechts ist und auch als solcher angesprochen werden möchte. Bereits diese Umstände zeigen, dass es dem Kläger gerade nicht darum ging, den Beklagten mit seiner Bewerbung davon zu überzeugen, dass er der bestgeeignete beziehungsweise jedenfalls ein geeigneter Bewerber war, sondern dass er beabsichtigte, dem Beklagten bereits nach dem ersten Lesen des Bewerbungstextes einen Grund für eine Absage zu geben, nämlich den Grund, dass der Kläger ein Mann sei und der Beklagte eine Frau für die Stelle suche. Hieraus folgt aber wiederum, dass der Kläger mit der zu erwartenden Absage letztlich nur die Grundlage dafür schaffen wollte, erfolgreich eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG geltend machen zu können, weil alles darauf hindeutet, dass sein Geschlecht (zumindest mit-) ursächlich für die Absage war. Wenn die Bewerbung tatsächlich dazu hätte dienen sollen, für die Stelle ausgewählt zu werden, ist nämlich nicht ersichtlich, weshalb der Kläger diese Frage stellt und zudem noch in besonderer Weise betont, dass es sich bei dem Bewerber um eine männliche Person handelt. Die Frage konnte dem Kläger für ein Bewerbungsverfahren erkennbar keinen Vorteil bringen. Die Frage und die in diesem Zusammenhang besondere Betonung, dass sich ein Mann um diese Stelle bewirbt, hatte vielmehr ausschließlich den Zweck, den Beklagten dazu zu bewegen, die Bewerbung des Klägers mit der Begründung, er suche eine Frau, abzulehnen. Ein anderer objektiv nachvollziehbarer Grund für dieses Verhalten des Klägers ist nicht ersichtlich. Auch der Kläger hat in diesem Prozess keinen nachvollziehbaren Grund für die von ihm gestellte Frage dargelegt.
(1) Der Kläger gibt an, das weibliche Geschlecht sei Einstellungsvoraussetzung gewesen und der klägerische Hinweis, er bewerbe sich als Mann, habe der Klarstellung gedient. Hieraus erklärt sich aber nicht die von ihm ausdrücklich gestellte Frage. Denn wenn er bereits erkannt hatte, dass Einstellungsvoraussetzung das weibliche Geschlecht ist, bedurfte es gerade nicht mehr einer diesbezüglichen Nachfrage bei dem Beklagten. Im Übrigen bedurfte es auch nicht der besonderen Betonung, dass es sich bei dem Bewerber um einen Mann handelt. Dieser Umstand wäre für den Beklagten bereits erkennbar gewesen, wenn der Kläger seinen Vor- und Nachnamen angegeben hätte.
(2) Die Frage konnte auch ersichtlich nicht dem Zweck dienen, dem Kläger die Entscheidung zu ermöglichen, ob er sich überhaupt auf die Stelle bewerben soll, obwohl er möglicherweise das Anforderungsprofil nicht erfüllt. Denn der Kläger hatte ja bereits vor der Frage ausdrücklich erklärt, dass er sich um die Stelle bewirbt. Die Frage war demnach für die Entscheidung des Klägers, sich um die Stelle zu bewerben, nicht von Bedeutung. Der Kläger führt ferner aus, die Stellenausschreibung habe auch keinerlei Inhalte zu dem Anforderungsprofil für die Bewerber mit Ausnahme des Geschlechts genannt. In seinem Bewerbungstext vom 2. September 2021 hatte der Kläger dementsprechend auch keine ergänzenden Angaben zu der Bewerbung angekündigt. Demnach lag bereits mit dem Übermitteln des Bewerbungstextes eine vollständige Bewerbung vor.
(3) Zwar ist es denkbar, dass der Begriff "Sekretärin" im Sinn einer bloßen Berufsbezeichnung verwandt wird und tatsächlich Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gesucht werden. Abgesehen davon, dass der Kläger selber nicht vorbringt, er sei davon ausgegangen, der Beklagte habe mit der Bezeichnung "Sekretärin" nur ein Tätigkeitsgebiet/Arbeitsplatz bezeichnen wollen, ist auch nicht ersichtlich, welches Interesse der Kläger haben konnte, ein solches Missverständnis in diesem Stadium der Bewerbung aufzuklären. Der Kläger hatte seine Bewerbung ja bereits erklärt. Wenn die weibliche Form der Berufsbezeichnung lediglich fälschlicherweise von dem Beklagten benutzt wurde, musste der Kläger demnach auch keine Nachteile befürchten.
(4) Die Kammer hält es auch für ausgeschlossen, dass der Kläger die Frage stellte, um dem Beklagten die Gelegenheit zu geben, Rechtfertigungsgründe für die von ihm vorgenommene Stellenausschreibung mitzuteilen. Die Kammer geht daher auch nicht davon aus, dass der Kläger gegebenenfalls prüfen wollte, ob das Begehren des Beklagten, die Stelle nur mit einer Frau zu besetzen, nach den Vorschriften des AGG legitim sein könne. Denn die Frage war objektiv gar nicht geeignet, das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen oder überhaupt die Motivation des Beklagten für die vorgenommene Stellenausschreibung aufzuklären. Der Kläger hat lediglich danach gefragt, ob ausschließlich eine Frau gesucht wird. Er hat weder in dem Bewerbungsschreiben noch im Zusammenhang mit der Ablehnung am 2. September 2021 nach den Gründen gefragt, weshalb nur eine Frau eingestellt werden soll. Ein Leser des Bewerbungstextes hatte keine Veranlassung, bei der gestellten Frage von sich aus zu den Hintergründen der Stellenausschreibung irgendwelche Aussagen zu tätigen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger beim Verfassen seines Textes angenommen hat, mit dieser Frage veranlasse er den Beklagten, weitere Auskünfte darüber zu geben, aus welchen Gründen er nur eine Frau suche."
bb. Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich die Kammer vollumfänglich an.
c. Soweit der Kläger der Auffassung ist, sein Fall sei mit dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - zugrundeliegenden Fall nicht vergleichbar, ist es zutreffend, dass es sich um unterschiedliche Sachverhalte handelt. Hieraus folgt aber nicht, dass im vorliegenden Fall der Rechtsmissbrauchseinwand zu verneinen ist. Vielmehr ergibt sich unter Anwendung der vom Bundesarbeitsgericht auch in dieser Entscheidung aufgestellten rechtlichen Grundsätze, dass der hier klägerseits zur Entscheidung vorgetragene Sachverhalt den Rechtsmissbrauchseinwand begründet. Es wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Der Umstand, dass der Kläger im Zeitpunkt der Bewerbung arbeitssuchend gewesen ist, steht der Annahme des Rechtsmissbrauchseinwands im vorliegenden Verfahren nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, aus welchen Gründen die Bewerbung erfolgt ist, auf deren Grundlage die streitgegenständliche Entschädigung begehrt wird. (ebenso bereits LAG Berlin-Brandenburg 20. Januar 2023 - 3 Sa 898/22 - Randnummer 65).
3. Bereits die unter Punkt II. 2 dargestellten Umstände begründen den Rechtsmissbrauchseinwand nach dem eigenen Vorbringen des Klägers. Die weiteren Umstände im Zusammenhang mit der Bewerbung bestätigen, wie bereits das Arbeitsgericht überzeugend ausgeführt hat, im Übrigen das aufgezeigte Ergebnis, dass es dem Kläger mit seiner Bewerbung nicht darum ging, die Beklagte davon zu überzeugen, dass er ein geeigneter Bewerber war, sondern dass es ihm nur darum ging, den formalen Bewerberstatus zu erlangen und eine Absage seiner Bewerbung mit der Begründung, er sei ein Mann, provozieren wollte.
a. Allerdings ist dem Kläger zuzugestehen, dass unter Zugrundelegung der vom Kläger wiederholend ausführlich zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in Sachen "K." (BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 -) der Eindruck entstehen kann, ein Rechtsmissbrauchseinwand sei praktisch kaum begründbar. So hat das BAG in der damaligen Entscheidung nicht ausreichen lassen, dass kumuliert der Kläger für die ausgeschriebene Stelle (zumindest nach Darstellung der dortigen Beklagten) ungeeignet war, das Bewerbungsschreiben eher inhaltslos und floskelhaft formuliert war und dass der Kläger sich in 15 weiteren Fällen - unabhängig von der jeweils vorausgesetzten speziellen Qualifikation und Kanzleiausrichtung - ausschließlich auf ihm diskriminierend erscheinende Stellenanzeigen beworben hat, ohne die geforderte Qualifikation aufzuweisen und anschließend Entschädigung und Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG eingeklagt hat (kritisch gegenüber der damaligen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und die Anforderungen an den Rechtsmissbrauch als zu hoch erachtend u.a. Löw BB 2020, 2425 (2427); Korinth ArbRB 2019, 82 (85); Bauer/Krieger/Günther AGG 5. Aufl. § 6 Rn. 12; Adam Anm. zu EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Auswahlverfahren Nr. 67; Franke SAE 2018 1 (5); Schiefer/Worzalla DB 2017, 1207 (1209), die ironisch konstatieren, auf Grundlage des BAG könnten die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs erst vorliegen, wenn der "AGG-Hopper" ein entsprechendes Gewerbe angemeldet hat; Wank RdA 2017, 259(263 f.); Zaumseil DB 2017, 1036; Krieger/Wieg NZA-RR 2018, 584, 589 ff.; Hoffmann DB 2019, 1387 (1391); vgl. a. die sehr instruktive Kritik an der damaligen Rechtsprechung von Benecke EuZA 2018, 403 (413 ff).
b. Unabhängig davon, dass das Bundesarbeitsgericht in neueren Entscheidungen von diesen äußerst hohen Maßstäben für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs abgerückt ist (vgl. BAG 19. Januar 2023 - 8 AZR 437/21 -; BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 -; BAG 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 -), wäre im Falle des Klägers selbst unter Anlegung der Maßstäbe der Entscheidung in Sachen "K" ein Rechtsmissbrauch anzunehmen.
aa. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sich nicht nur gezielt auf nicht geschlechtsneutrale Ausschreibungen bewirbt. Seine Bewerbungen erfolgen auch stets - wie aus den veröffentlichten Entscheidungen ersichtlich - auf Anzeigen im Portal Ebay Kleinanzeigen, also einer Plattform, in der anders als bei großen Stellenportalen oder Tageszeitungen insbesondere Kleinstunternehmen inserieren. Dies geschieht ersichtlich in der Annahme, dass bei diesen Kleinstbetrieben ein Bewusstsein hinsichtlich der rechtlichen Vorgaben des AGG geringer ist, als dies bei größeren Unternehmen der Fall ist, was sich bereits in der nicht geschlechtsneutralen Stellenausschreibung zeigt. Soweit der Kläger behauptet, er habe bei seiner Nachfrage, ob wirklich nur eine Frau gesucht werde, allein die Möglichkeit gegeben, ein etwaiges Missverständnis in der Formulierung der Stellenausschreibung auszuräumen, weil er über die nicht geschlechtsneutrale Ausschreibung verwundert gewesen sei, ist dies nicht glaubhaft, sondern widerspricht den Anforderungen an einen wahrheitsgemäßen Vortrag nach § 138 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat trotz entsprechender Nachfrage der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 11.01.2023 keinen einzigen Fall benennen können, in dem er sich auch auf eine geschlechtsneutrale Ausschreibung beworben hatte. Der Kläger war entsprechend über die nicht geschlechtsneutrale Ausschreibung nicht verwundert, sondern hat gezielt nach ihr gesucht. Damit diente die Nachfrage nicht dem Ziel, ein Missverständnis auszuräumen, sondern - der Erwartung des Klägers entsprechend - eine weitere Bestätigung zur Begründung der nachfolgenden Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs durch die rechtlich nicht vorgebildete Gegenseite zu erlangen.
bb. Mit überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht ein weiteres Indiz für einen Rechtsmissbrauch auch daraus hergeleitet, dass der Kläger sodann den vorformulierten Text als Anschreiben an die Ersteller der Anzeige versendet hat und zeitgleich einen vorformulierten Vergleichsvorschlag übersandt hat.
(1) Das Berufungsgericht schließt sich insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts (S. 10 - 11 des Urteils = Bl. 86 - 87 d. A.) an und sieht von einer rein wiederholenden Stellungnahme nach § 69 Abs. 2 ArbGG ab.
(2) Das Berufungsvorbringen stellt dies nicht in Frage. Der Kläger ist insoweit der Auffassung, er sei der Beklagten im Grunde genommen sogar noch entgegengekommen, indem er ihr trotz der offensichtlichen Diskriminierung einen außergerichtlichen Vergleichsvorschlag unterbreitet und nicht sogleich Klage erhoben habe. Entgegen der Darstellung des Klägers handelt es sich hierbei aber nicht etwa um ein Entgegenkommen, sondern um den Versuch, schnell und ohne gerichtliches Verfahren einen finanziellen Vorteil zu erlangen. Vollkommen zutreffend trägt der Kläger in der Berufungsschrift vor, er habe aufgrund seines Studiums des Wirtschaftsrechts Kenntnis von Gesetzen und könne daher die im Studium erlangten Kenntnisse soweit erforderlich auf private Belange anwenden (S. 5 der Berufungsschrift = Bl. 108 d. A.). Genau dies tut der Kläger gegenüber der rechtlich unerfahrenen Beklagten mit dem Ziel, einen Vermögensvorteil zu erlangen.
4. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Berücksichtigung der Vielzahl der vom Kläger allein beim Arbeitsgericht Berlin und beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg anhängig gemachten Verfahren nicht ohne weiteres der Beibringungsgrundsatz entgegensteht. Dass der Kläger derart viele Verfahren allein beim Arbeitsgericht Berlin anhängig gemacht hatte und macht, ist gerichtsbekannt gemäß § 291 ZPO. Gerichtsbekannte Tatsachen dürfen im Einklang mit dem Beibringungsgrundsatz jedenfalls bei hinreichend substantiiertem Parteivortrag in den Prozess eingebracht werden (ArbG Berlin 07. Dezember 2022 - 24 Ca 546/22 - zu III. 5 b bb (1) der Gründe in einem der weiteren Verfahren des Klägers; OLG Frankfurt a. M. 9. Juni 2022 - 6 U 134/21 - Randnummer 25; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 291 Rn. 2a; Pörnbacher/Suchomel, NJW 2010, 3202). Im Übrigen spricht viel dafür, dass das Gericht offenkundige Tatsachen auch ohne Behauptung durch die Parteien zum Gegenstand des Prozesses machen darf (so ua. MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, ZPO § 291 Rn. 13; Dötsch MDR 2011, 1017). Zwar ist die Verhandlungsmaxime mit einer gewissen Parteidisposition über den Tatsachenstoff verbunden, aber der Umfang dieser Dispositionsfreiheit hat Grenzen, wie sich insbesondere im Rahmen des Geständnisses zeigt: Eine Dispositionsmöglichkeit muss dort ausscheiden, wo unmögliche oder offenkundige Tatsachen dem Geständnis entgegenstehen (vgl. MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, ZPO § 288 Rn. 3, 4 und 35). Diese (im Rahmen des Geständnisses weithin anerkannte) Wertung muss auch im Rahmen von § 291 ZPO Geltung haben. Anderenfalls würde ein unverständlicher Wertungswiderspruch entstehen (MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, ZPO § 291 Rn. 13).
C. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ArbGG.
D. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Die Kammer hat bei der Entscheidung die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt. Dabei waren allein Umstände des Einzelfalls entscheidend.
Verkündet am 6. September 2023