Beschluss vom 27.01.2023 · IWW-Abrufnummer 238278
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 5 Ta 67/22
1. § 48 III GKG ist im Geltungsbereich des RVG nicht anwendbar.
2. Eine analoge Anwendung des § 48 III GKG ist ausgeschlossen.
Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten
1.
- Beteiligter -
2.
- Beteiligte -
3.
- Beteiligte -
4.
- Beteiligte -
5.
- Beteiligte -
6.
- Beteiligte -
7.
- Beteiligte -
8.
- Beteiligter/Beschwerdeführer -
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 5. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Krets ohne mündliche Verhandlung am 27.01.2023
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des antragstellenden Betriebsrats (Beteiligter zu Ziffer 8) wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 27.10.2022 - 6 BV 11/21 - dahingehend abgeändert, dass der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts H. von 6.924,23 EUR auf 12.924,23 EUR angehoben wird. Der Vergleichsmehrwert verbleibt unverändert bei EUR 16.576,32.
Gründe
I.
Gegenstand des Beschlussverfahrens war die Feststellung, dass die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an einem Betriebsratsseminar erforderlich ist sowie die Freistellung von den erstandenen Schulungskosten. Wegen des Sach- und Streitstandes bis zur Vorlage an das Beschwerdegericht wird ergänzend auf die Sachverhaltswiedergabe im angegriffenen Beschluss in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist statthaft (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Im Gegensatz zur Entscheidung des Arbeitsgerichts hat eine Addition der nichtvermögensrechtlichen und des vermögensrechtlichen Anspruchs zu erfolgen, weil § 48 Abs. 3 GKG im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.
2. Das Arbeitsgericht hat die einzelnen Anträge zunächst zutreffend einzeln bewertet:
Antrag 1: 3.000,00 EUR (für die dreitägige Schulung 3/5 des Regelwerts,
vgl. LAG Baden-Württemberg 11.01.2022 - 5 Ta 96/21 - Rn. 10)
Antrag 2: 750,00 EUR (25 % des Werts von Antrag 1,
vgl. LAG Schleswig-Holstein 03.07.2019 - 5 Ta 39/19 - Rn. 15 ff.)
Antrag 3: 750,00 EUR (25 % des Werts von Antrag 1,
vgl. LAG Schleswig-Holstein 03.07.2019 - 5 Ta 39/19 - Rn. 15 ff.)
Antrag 4: 750,00 EUR (25 % des Werts von Antrag 1,
vgl. LAG Schleswig-Holstein 03.07.2019 - 5 Ta 39/19 - Rn. 15 ff.)
Antrag 5: 750,00 EUR (25 % des Werts von Antrag 1,
vgl. LAG Schleswig-Holstein 03.07.2019 - 5 Ta 39/19 - Rn. 15 ff.)
Antrag 6: 6.924,53 EUR (wie beziffert)
Außerdem hat es zutreffend den Vergleichsmehrwert auf EUR 16.576,32 festgesetzt. Da die zutreffende Bewertung der einzelnen Anträge sowie des Vergleichsmehrwerts zudem unstreitig ist, sind hierzu keine weiteren Ausführungen veranlasst.
3. Die einzelnen Anträge Ziffer 1 bis 6 sind gemäß § 22 Abs. 1 RVG zu addieren, so dass sich ein Gesamtstreitwert in Höhe von EUR 12.924,53 ergibt. § 48 Abs. 3 GKG ist nicht anwendbar.
a) Nach § 22 Abs. 1 RVG werden in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer Gegenstände grundsätzlich zusammengerechnet. Gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 RVG ist der Wert in Beschwerdeverfahren, in denen Gerichtsgebühren unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nicht erhoben werden (wie im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren), nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu bestimmen, soweit sich "aus diesem Gesetz" nichts anderes ergibt. Eine unmittelbare Anwendung des § 48 Abs. 3 GKG, also einer Vorschrift eines anderen Gesetzes, ist mithin ausgeschlossen. Das RVG enthält auch keine § 48 Abs. 3 GKG entsprechende Bestimmung. Nach § 48 Abs. 3 GKG ist für die Streitwertbemessung nur der höhere Anspruch maßgebend, wenn mit einem nichtvermögensrechtlichen Anspruch ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden ist. Eine entsprechende Vorschrift im RVG, z.B. ein Absatz 4 in § 23 RVG, fehlt jedoch. Deswegen ist der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein (03.07.2019 - 5 Ta 39/19, juris), die ohne weitere Begründung § 48 Abs. 3 GKG anwendet, nicht zu folgen.
b) Eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 3 GKG scheidet nach Auffassung der Streitwertkammer ebenfalls aus, weil keine planwidrige Regelungslücke besteht. Das LAG Düsseldorf (09.01.2017 - 4 Ta 630/16, juris) wendet § 48 Abs. 3 GKG analog an. Die analoge Heranziehung der Vorschriften aus dem Gerichtskostengesetz für die Wertfestsetzung nach § 23 Abs. 3 RVG sei nach ganz herrschender Meinung geboten (LAG Düsseldorf a.a.O., Rn. 26). Nach Auffassung der Streitwertbeschwerdekammer ist die Frage einer analogen Anwendung von Vorschriften aus dem GKG im Anwendungsbereich des RVG bei jeder Einzelbestimmung zu prüfen. So hat das LAG Baden-Württemberg bereits in der Vergangenheit eine Anwendung des § 45 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 GKG bei Hilfsanträgen (LAG Baden-Württemberg vom 30.10.2018 - 5 Ta 126/18, juris) sowie konkret in einer mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Konstellation eine Anwendung des § 48 Abs. 3 GKG unterlassen (LAG Baden-Württemberg 11.01.2022 - 5 Ta 96/21, Rn. 17, juris). Das LAG Baden-Württemberg ist im letztgenannten Fall zwar nicht auf § 48 Abs. 3 GKG eingegangen, trotzdem hat es § 48 Abs. 3 GKG nicht versehentlich übersehen, sondern bewusst unangewendet gelassen. Auch die Streitwertbeschwerdekammer in neuer Besetzung hält an dieser Rechtsprechung fest, weil keine planwidrige Regelungslücke besteht. Das Gerichtskostengesetz und das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz regeln unterschiedliche Gegenstände und es wäre daher grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, eine § 48 Abs. 3 GKG entsprechende Vorschrift auch in das RVG aufzunehmen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber übersehen hat, dass im RVG eine solche Vorschrift fehlt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass selbst im Bereich des GKG § 48 Abs. 3 GKG eine absolute Ausnahmevorschrift darstellt. So merkt Toussaint (in BeckOK Kostenrecht, Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, 39. Edition, Stand: 01.10.2022) an, dass die Vorschrift heute keine praktische Bedeutung mehr habe. Zum historischen Sinn der Vorschrift führt er aus:
Die Regelung ist daher bereits im Anwendungsbereich des GKG auf Ausnahmefälle begrenzt. Berücksichtigt man weiter, dass der Rechtsgedanke der wirtschaftlichen Identität auch im Anwendungsbereich des RVG als Grundsatz gilt, ist keine Notwendigkeit für einen weitergehenden Ausschluss der Zusammenrechnung ersichtlich, in denen zwar keine wirtschaftliche Identität vorliegt, aber der vermögensrechtliche Anspruch aus dem nichtvermögensrechtlichen hergeleitet wird.
III.
Im Hinblick auf den Erfolg der Beschwerde kommt die Pauschalgebühr Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nicht in Ansatz.
Die Kosten des Festsetzungs- und des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 Satz 2 RVG).
Der Vorsitzende: Dr. Krets