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Beschluss vom 06.04.2023 · IWW-Abrufnummer 238330

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 5 Ta 20/23

Es liegt ausnahmsweise keine wirtschaftliche Identität zwischen einem Anspruch auf Vergütung nach Ablauf der Kündigungsfrist und einem Kündigungsschutzantrag vor, wenn der Arbeitnehmer einen Weiterbeschäftigungsantrag nach § 102 V 1 BetrVG gestellt hat.


Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten
1.
- Beteiligte -
2.
- Beschwerdeführerin -
3.
- Beteiligte -
4.
- Beteiligte -
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 5. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Krets ohne mündliche Verhandlung am 06.04.2023
beschlossen:

Tenor: 1. Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart - 6 Ca 4713/21 vom 15. Februar 2022 dahingehend abgeändert, dass der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert von EUR 43.784,68 auf EUR 52.748,68 angehoben wird. Der Vergleichsmehrwert bleibt unverändert bestehen. 2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.

Wegen des Sach- und Streitstandes bis zur Vorlage an das Beschwerdegericht wird auf die Sachverhaltswiedergabe im angegriffenen Beschluss in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Im Übrigen wird von der Wiedergabe des Sachverhalts abgesehen, da der Beschluss des Beschwerdegerichts einem weiteren Rechtsmittel nicht unterfällt.

II.

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch teilweise begründet.

Kernpunkt der Beschwerde ist, ob der mit Antrag Ziffer 4 geltend gemachte Anspruch auf Vergütung nach Ablauf der Kündigungsfrist teilweise wirtschaftlich identisch ist mit dem Kündigungsschutzantrag Ziffer 1. Insoweit ist die Beschwerde begründet, es liegt im vorliegenden Fall ausnahmsweise keine wirtschaftliche Identität vor, weil die Klägerin einen unbedingten Antrag auf Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG (Klagantrag Ziffer 3) gestellt hat (siehe nachfolgend unter Ziffer 1). Dagegen besteht konsequenterweise teilweise wirtschaftliche Identität zwischen dem unbedingten Weiterbeschäftigungsantrag nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG und dem Vergütungsanspruch.

1. Keine wirtschaftliche Identität zwischen Anspruch auf Vergütung nach Ablauf der Kündigungsfrist und Bestandsschutzantrag

Im vorliegenden Fall liegt ausnahmsweise keine wirtschaftliche Identität zwischen dem Anspruch auf Vergütung nach Ablauf der Kündigungsfrist und dem Kündigungsschutzantrag vor, weil die Klägerin einen Weiterbeschäftigungsantrag nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gestellt hat und die Vergütung für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist daher nicht abhängig ist vom Erfolg des Kündigungsschutzantrags und mithin die beiden Anträge (Bestandsschutz und Vergütung) nicht denselben "Streitgegenstand" im Sinne des GKG darstellen.

a) Grundsätzlich findet gemäß § 39 Abs. 1 GKG eine Zusammenrechnung der Werte mehrerer Streitgegenstände statt, soweit nichts anderes bestimmt ist. Eine Ausnahme liegt bei wirtschaftlicher (Teil-)Identität der Ansprüche vor (Rechtsgedanke des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Maßgeblich ist insoweit nicht der zivilprozessuale Streitgegenstand i.S.d § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, sondern der kostenrechtliche Streitgegenstand. Nach diesem kostenrechtlichen Gegenstandsbegriff sind für das Merkmal "desselben Gegenstandes" zwei Voraussetzungen erforderlich, nämlich dass die Ansprüche nicht nebeneinander bestehen können und dass sie auf dasselbe Interesse gerichtet sind (LAG Baden-Württemberg 14.05.2012 5 Ta 52/12 juris).

Wird ein Vergütungsanspruch für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist damit begründet, er stehe der Partei (auch) dann zu, wenn das Arbeitsverhältnis wirksam beendet ist, betreffen der Bestandsschutz- und der Zahlungsantrag unterschiedliche kostenrechtliche Streitgegenstände und sind deshalb zu addieren (LAG Baden-Württemberg 15.07.2013 - 5 Ta 67/13 - n.v., siehe Anlage; LAG Köln 12.12.2018 - 2 Ta 209/18, juris).

b) Nach diesen Grundsätzen liegt keine wirtschaftliche Teilidentität zwischen den Ansprüchen Ziffer 1 (Kündigungsschutzantrag) und Ziffer 4 (Vergütung) vor, weil der Vergütungsanspruch vorliegend nicht damit begründet wird, dass das Arbeitsverhältnis nicht wirksam beendet ist, d.h. als "klassischer" Annahmeverzugsanspruch. Vielmehr besteht aufgrund des (unbedingt gestellten) Anspruchs auf Weiterbeschäftigung gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG der Anspruch auf Vergütung - für den Fall der materiell-rechtlichen Begründetheit, die indes im Streitwertverfahren irrelevant ist - auch dann, wenn der Kündigungsschutzantrag erfolglos ist. Auch der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 09.02.2018 (im Folgenden: "SWK 2018", NZA 2018, 497 ff.) sieht in Ziffer I. 6 vor, dass eine wirtschaftliche Identität zwischen Bestandsstreit und Annahmeverzug (eben nur dann) besteht, wenn neben einer Bestandsstreitigkeit im Wege der Klagehäufung Annahmeverzugsvergütung geltend gemacht wird, bei der die Vergütung vom streitigen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängt. Eine solche Abhängigkeit liegt im Falle des Weiterbeschäftigungsantrags nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG gerade nicht vor.

2. Wirtschaftliche Identität zwischen Antrag Ziffer 3 (Weiterbeschäftigungsantrag) und Ziffer 4 (Vergütungsanspruch).

Es besteht dagegen teilweise wirtschaftliche Identität zwischen dem unbedingten Weiterbeschäftigungsantrag nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG und dem Vergütungsanspruch. Diese zutreffende Auffassung hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 02.11.2022 vertreten (Seite 2, Bl. 600 d.A. - ArbG). Beide Ansprüche sind auf dasselbe Interesse gerichtet und betreffen damit denselben (kostenrechtlichen) Streitgegenstand.

3. Ergebnis

Der Beschwerde war daher zum Teil stattzugeben und im Übrigen zurückzuweisen. Der Gegenstandswert berechnet sich demnach wie folgt:

Antrag Ziffer 1: EUR 13.446,00 (§ 42 Abs. 2 Satz 1 GKG)

Antrag Ziffer 4: EUR 24.928,49

Antrag Ziffer 5: EUR 11.113,19

Antrag Ziffer 6: EUR 3.241,00

Insgesamt: EUR 52.748,68.

Der Vergleichsmehrwert beträgt EUR 4.482,00.

III.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG); Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Der Vorsitzende: Dr. Krets

Vorschriften§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG, § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, § 39 Abs. 1 GKG, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG, § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG