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Urteil vom 28.06.2023 · IWW-Abrufnummer 238332

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein - Aktenzeichen 1 Sa 115/22

Einzelfallentscheidung zu einem Anspruch des Arbeitnehmers auf eine bestimmte Zielprovision aufgrund einer Konkretisierung des dem Arbeitgeber nach § 315 Abs. 3 BGB zustehenden Leistungsbestimmungsrechts.


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 27.04.2022 - 2 Ca 588 c/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, auf welcher Berechnungsgrundlage der Anspruch des Klägers auf eine Jahresprämie zu ermitteln ist.

2

Die Beklagte ist ein Chemieunternehmen mit Sitz in N. und Teil des internationalen J. & J. Konzerns. Sie beschäftigt unter anderem überschlägig 490 Arbeitnehmer im Außendienst. Der Außendienst besteht aus verschiedenen Business Units bzw. Geschäftsbereichen, unter anderem aus der Business Unit DPS. Die Außendienstmitarbeiter erhalten für ihre Tätigkeit neben einem Fixum auch eine Prämie, die die Parteien als "Provision"bezeichnen.

3

Im Betrieb der Beklagten existiert eine "Rahmenbetriebsvereinbarung über variable Vergütung von Vertriebsmitarbeitern"vom 31.3.2015 (Anlage K 1, Blatt 10 ff. der Akte, im Folgenden "RBV"). Dort heißt es unter Ziff. 2:

4

"2. Vergütungsstruktur

5

(1) Die Vergütung der Arbeitnehmer des Außendienstes besteht grundsätzlich aus zwei Vergütungsbestandteilen, einem fixen Vergütungsbestandteil und einem variablen Bestandteil.

6

(2) Die Höhe des fixen Vergütungsbestandteils ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag und der tariflichen Eingruppierung, soweit die Arbeitnehmer von dem persönlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages-Chemie erfasst sind.

7

(3) Jährliche BU-bezogene Provisionssysteme: Für die im Betrieb N. ansässigen Business Units gelten unterschiedliche Provisionssysteme. Die Provisionssysteme sind auf das Kalenderjahr befristet. Der Arbeitgeber stellt dem Betriebsrat die BU-bezogenen Provisionssysteme für das Folgejahr vor Ablauf des laufenden Jahres, spätestens im Februar des Folgejahres, vor.

8

(4) Die Provisionssysteme sind mitbestimmt; sie bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Betriebsrates. Die generelle,,Provisionssystematik" wird bis Mitte/Ende Januar des Folgejahres vorgestellt."

9

Auf Basis der RBV verhandelt die Beklagte mit ihrem Betriebsrat jährlich ein "Provisionsmodell", das in einer Matrix für den jeweiligen Zielerreichungsgrad einen Prozentsatz der zu erreichenden Zielprovision (Provisionshöhe bei Erreichung der Ziele zu 100 %) festlegt. Wegen Einzelheiten hierzu wird auf die Anlagen CMS 1 und CMS 2 verwiesen.

10

Der Kläger ist bei der Beklagten im Außendienst als "Sales Rep"in der Business Unit DPS beschäftigt. Nach seinem Arbeitsvertrag vom Mai 1992 (Bl. 90 - 95 Berufungsakte) mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten erhält er ein monatliches Bruttogehalt sowie eine "Provision nach Maßgabe des jeweils gültigen Provisionsplans". Im Änderungsvertrag mit der D. P. GmbH - einer weiteren Rechtsvorgängerin der Beklagten - vom 18.01./30.03.2007 zum Arbeitsvertrag des Klägers (Bl. 89 Berufungsakte) ist u.a. geregelt:

11

"§ 2 Gehaltszahlungen

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Ab dem 01.01.2007 beträgt das monatliche Grundgehalt 5.770,00 € brutto.

13

§ 3 Erfolgsabhängige Vergütung

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Die Zahlung einer erfolgsabhängigen Vergütung richtet sich nach der jeweiligen Bonuspolicy des Arbeitgebers. Die Gewährung des Bonusses stellt keinen vertraglichen Anspruch, sondern eine freiwillige Leistung des Unternehmens dar, die jederzeit widerruflich ist, bzw. deren Regelung und Kalkulation jederzeit geändert werden kann. Diese Regelung ersetzt alle bisherigen Vereinbarungen oder Zusagen über erfolgsabhängige Vergütungen wie insbesondere Boni, Prämien und Provisionen zwischen den Parteien."

15

Die Regelung gilt nach einem zwischenzeitlichen Betriebsübergang auf die Beklagte zwischen den Parteien weiter. Die Parteien trafen für jedes Kalenderjahr eine Zielvereinbarung, die zuletzt nicht mehr unterschrieben wurde. Dabei wurde bis zum Jahr 2020 die Zielprovision des Klägers bei einem Zielerreichungsgrad von 100 % stets mit EUR 44.150,- angesetzt.

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Beginnend mit dem Jahr 2021 setzte die Beklagte eine von ihr beabsichtigte Vereinheitlichung der Provisionszahlungen in ihren drei Geschäftsbereichen E., CSS und DPS um. Das "Provisionsmodell"für dieses Jahr sieht in seiner letzten mit dem Betriebsrat vereinbarten Version für die Sales Rep eine Zielprovision von (nur noch) EUR 36.000,- EUR im Jahr 2021, EUR 34.000,- im Jahr 2022 und EUR 32.000,- im Jahr 2023 vor.

17

Gegen diese Kürzung seiner Zielprovision wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage.

18

Er hat die Auffassung vertreten, die Höhe seiner Zielprovision - "sein Provisionstopf"- könne von der Beklagten nicht einseitig verändert werden. Diese sei auch nicht Gegenstand der Mitbestimmung des Betriebsrats, sondern Teil seiner vertraglichen Vergütungsabrede. Da seine Zielprovision seit Jahren auf EUR 44.150,- festgesetzt worden sei, habe sich eine entsprechende betriebliche Übung entwickelt. Die Höhe dieser Zielprovision könne auch zulässigerweise zum Gegenstand eines Feststellungsantrags gemacht werden, hilfsweise klage er für 2021 die ihm bei einer Zielprovision von EUR 44.150,- zustehende Provision ein.

19

Die Beklagte hat erwidert: Der Feststellungsantrag sei unzulässig und im Übrigen auch unbegründet. Sie gebe mitbestimmungsfrei einen "Gesamtprovisionstopf"vor, den sie Jahr für Jahr in Abstimmung mit dem Betriebsrat verteile. Daraus folge für den Kläger kein Anspruch auf eine bestimmte Höhe seiner Zielprovision. Vielmehr sei deren Höhe Teil der von ihr zu treffenden Verteilungsentscheidung. Es liege auch keine betriebliche Übung vor. Insoweit sei bei der Auslegung ihres Verhaltens der kollektivrechtliche Rahmen zu berücksichtigen. Alle Parameter der jeweils kalenderjährlichen Provisionssysteme hätten erkennbar "unter Mitbestimmungsvorbehalt"gestanden. So sei auch der vertragliche Verweis auf das jeweils gültige Provisionssystem zu verstehen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass sie in Erfüllung der Verbindlichkeit aus der GBV gehandelt habe, was dem Entstehen einer betrieblichen Übung ebenfalls entgegenstehe.

20

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

21

Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsantrag als teilweise unzulässig und die Klage im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Für das Jahr 2021 greife der Grundsatz des Vorrangs der Leistungsklage ein, sodass die Klage insoweit unzulässig sei, für die Jahre 2022 und 2023 sei die Feststellungsklage, ebenso wie die hilfsweise gestellten weiteren Anträge unbegründet. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf eine jährliche Zielprovision von EUR 44.150,- zu. Er folge nicht aus den Grundsätzen der betrieblichen Übung. Hiergegen spreche, dass die Parteien jährlich Zielvereinbarungen abgeschlossen hätten, die jeweils auf ein Jahr befristet gewesen seien. Die Höhe der Zielprovision sei auch Gegenstand der Zielvereinbarung gewesen, auch wenn hierüber nicht ausdrücklich verhandelt worden sei. Die Gewährung der Zielprovision sei auch nicht Gegenstand eines einseitigen Verhaltens der Beklagten, sondern Inhalt einer übereinstimmenden Regelung gewesen. Ein Anspruch bestehe auch dann nicht, wenn man zugunsten des Klägers unterstellen wolle, dass die Beteiligung des Betriebsrats im Zuge der Harmonisierung des Provisionssystems fehlerhaft gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

22

Gegen das am 20.05.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.06.2022 Berufung eingelegt und diese am 15.07.2022 begründet.

23

Er trägt vor: Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts greife für das Jahr 2021 nicht der Grundsatz des Vorrangs der Leistungsklage ein. Er könne seinen Anspruch nicht selbst beziffern, weil ihm hierfür die entsprechenden Daten fehlten. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen bei Klageerhebung ein Teil des Schadens bereits entstanden sei, eine Feststellungsklage erhoben werden könne, die dann auch im Laufe des Rechtsstreits nicht auf eine Leistungsklage umgestellt werden müsse.

24

In der Sache sei die Entscheidung des Arbeitsgerichts fehlerhaft, weil tatsächlich die Höhe der Zielprovision zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Zielvereinbarungen gewesen seien. Die Verhandlung zwischen ihm und dem Regionalvertriebsleiter hätten allein die Frage zum Gegenstand gehabt, ab welcher Zielerreichung 100 % der Ausschüttungssumme erreicht sei. Schon bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der S. GmbH, habe die Zielprovision EUR 44.150,- betragen. Diese habe sich während des 8 Jahre mit der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht verändert. Aus diesem Verhalten der Beklagten habe er auf einen entsprechenden vertraglichen Bindungswillen schließen dürfen. So habe auch eine andere Kammer des Arbeitsgerichts in einen Parallelfall den geltend gemachten Anspruch als aus "individueller Übung"begründet angesehen.

25

Der Kläger beantragt,

26

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Neumünster vom 27.04.2022, zugestellt am 20.05.2022, Az. 2 Ca 588 c/21, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, gegenüber dem Kläger bei der Berechnung seiner Provision für die Jahre 2021, 2022 und 2023 und darüber hinaus jeweils einen Provisionstopf von 44.150,-EUR (jeweils bezogen auf einen Zielerreichungsgrad von 100%) anzuwenden.

27

Die Beklagte beantragt,

28

die Berufung zurückzuweisen.

29

Sie vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag wie folgt: Der Feststellungsantrag des Klägers sei insgesamt unzulässig. Für das Jahr 2023 habe es zum Zeitpunkt der Antragstellung in der ersten Instanz noch kein mitbestimmtes Provisionssystem gegeben, sodass es an einem gegenwärtigen Rechtsverhältnis fehle, für 2021 greife der Vorrang der Leistungsklage. Im Übrigen sei die Feststellungsklage unzulässig, weil durch die Entscheidung über die Anträge kein Rechtsfrieden geschaffen werden. Der Kläger greife lediglich ein Element aus dem Provisionssystem heraus - die Zielprovision - und lasse im Übrigen offen, was an die Stelle der von ihm für unwirksam gehaltenen Regelung treten soll. Es sei unklar, wie sich der Kläger die Berechnung seiner Provision vorstelle.

30

Im Übrigen sei der Antrag unbegründet. Es gebe weder eine kollektivrechtliche Anspruchsgrundlage für das Begehren, noch liege eine ausdrücklich getroffene Individualabrede vor. Zutreffend habe das Arbeitsgericht auch das Bestehen einer betrieblichen oder individuellen Übung abgelehnt. Die bloße Zahlung von Provisionen in jeweils unterschiedlicher Höhe stelle kein Verhalten dar, aus dem auf eine betriebliche Übung geschlossen werden könne. Die Zielprovision, auf die der Kläger abstelle, sei Teil des mitbestimmten Provisionsmodells. Die Beibehaltung der Höhe dieser Zielprovision sei kein Arbeitgeberverhalten, das den Rückschluss auf eine betriebliche Übung zulasse. Bei den Zielvereinbarungen habe es sich lediglich um Umsatzübersichten gehandelt. Der Kläger habe nicht davon ausgehen können, dass die Höhe der Zielprovision dauerhaft aufrechterhalten werde. Dies folge auch aus dem Verweis im Arbeitsvertrag des Klägers auf die jeweils gültige "Bonuspolicy". Entgegen der Auffassung des Klägers unterliege die Zielprovision des Klägers auch der Mitbestimmung. Mitbestimmungsfrei lege sie nur den Gesamtdotierungsrahmen für den gesamten Außendienst fest. Die Verteilung dieses Gesamtdotierungsrahmen unterliege aber der Mitbestimmung, das gelte auch für die Höhe der Zielprovisionen der einzelnen Mitarbeiter. Auch deswegen habe der Kläger nicht von einer betrieblichen Übung ausgehen dürfen. Die Zielprovision sei entgegen der Auffassung des Klägers gerade nicht individualrechtlich geschuldet.

31

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien im Einzelnen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

32

Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und damit zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

33

A. Der Antrag des Klägers bedarf zunächst der Auslegung. Dem Kläger geht es nach seinem gesamten erst- und zweitinstanzlichen Vortrag allein um die Feststellung der Höhe seiner Zielprovision, also um die Feststellung, dass ihm bei einer Zielerreichung von 100% ein Betrag in Höhe von EUR 44.150,- als Vergütung zusätzlich zu seinem Festgehalt zusteht und dies ab dem Jahr 2021 auf Dauer.

34

Das folgt bereits aus dem Wortlaut des Antrags, der sich auf die Feststellung der Höhe des "Provisionstopfes"beschränkt. Es folgt darüber hinaus auch aus dem Vortrag des Klägers auf Seite 9 seines erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 04.04.2022 (Bl. 137 d. A.). Hier führt der Kläger ausdrücklich aus, er wende sich allein gegen die Kürzung des Provisionstopfes, nicht aber gegen das Provisionssystem an sich.

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Mit seiner Formulierung, dass ein Provisionstopf von EUR 44.150,- bei einem Zielerreichungsgrad von 100 Prozent "anzuwenden"sei, will der Kläger erkennbar dem Umstand Rechnung tragen, dass die endgültige Höhe seiner Provision vom Grad der Zielerreichung im jeweiligen Jahr abhängt. Die weiteren Regelungen des Provisionsmodells der Beklagten sind dagegen nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Der Kläger wendet sich also nicht etwa gegen die prozentuale Aufteilung der Provisionsziele auf die verschiedenen Quartale des Jahres oder die Festlegungen in den Provisionstabellen.

36

B. Mit diesem Inhalt ist der Antrag des Klägers als Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 1 ZPO - entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts - insgesamt zulässig.

37

I. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Dabei können nur Rechtsverhältnisse Gegenstand einer Feststellungsklage sein, nicht bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage muss sich jedoch nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis als Ganzes erstrecken. Sie kann sich auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken; sog. Elementenfeststellungsklage ( BAG, Urteil vom 15.11.2011 - 9 AZR 348/10 -, Rn 19). Eine Feststellungsklage ist wegen des Vorrangs der Leistungsklage grundsätzlich unzulässig, wenn dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar ist. Dieser Grundsatz steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage aber dann nicht entgegen, wenn mit ihr eine sachgerechte, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte erreichbar ist und prozesswirtschaftliche Überlegungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (BAG, aaO, Rn 22 f).

38

II. Nach diesen Maßgaben ist der vom Kläger erhobene Feststellungsantrag zulässig. Er hat eine Elementenfeststellungsklage erhoben. Ihm geht es um die Klärung eines Faktors bei der Ermittlung seiner Provision. Die Parteien streiten insoweit über eine einzelne Verpflichtung aus dem sie verbindenden Arbeitsverhältnis.

39

Der Kläger ist nicht, auch nicht teilweise auf die Erhebung einer Leistungsklage zu verweisen. Mit der Feststellung der Höhe der Zielprovision ist der Streit zwischen den Parteien endgültig beigelegt, denn nur hierüber streiten die Parteien. Der in die andere Richtung gehende Vortrag der Beklagten ist nicht nachvollziehbar, da sich der Kläger, wie bereits ausgeführt, ausschließlich gegen die Ermittlung der Zielprovision wendet.

40

Vor diesem Hintergrund greift der Grundsatz des Vorrangs der Leistungsklage auch im Hinblick auf die im Laufe des Prozesses bezifferbar gewordenen Prämienansprüche nicht ein. Bei Klageerhebung war der Provisionsanspruch des Klägers für das Jahr 2021 noch nicht bezifferbar. Bei Einreichung der Klage vom 16.07.2021 stand die Höhe der Provision für das Jahr 2021 noch nicht fest, da zu jenem Zeitpunkt nicht absehbar war, in welchem Umfang der Kläger seine Ziele erreichen würde. Der Umstand, dass eine Bezifferung des Anspruchs im Verlauf des Prozesses möglich wird, zwingt den Kläger nicht zur Umstellung seines Begehrens auf eine Leistungsklage (ständige Rechtsprechung: z. B. BGH vom 04.11.1998 - VIII ZR 248/97 - Rn. 15).

41

Da die Beklagte bestreitet, dass die Zielprovision des Klägers dauerhaft EUR 44.150,- beträgt, liegt auch das erforderliche Feststellungsinteresse vor.

42

C. Der Hauptantrag des Klägers ist unbegründet. Ihm steht kein Anspruch darauf zu, dass seine Zielprovision in den Jahren ab 2021 bis 2023 und darüber hinaus auf EUR 44.150,- festgesetzt wird.

43

Ausdrückliche schriftliche Vereinbarungen zwischen den Parteien über die Höhe der der Zielprovision gibt es nicht. Die Zielprovision ist auch nicht Gegenstand einer betrieblichen oder - wie eine andere Kammer des Arbeitsgerichts angenommen hat - individuellen Übung geworden. Schließlich hat sich das Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten auch nicht dahingehend konkretisiert, dass sie verpflichtet ist, die Zielprovision jedes Jahr auf EUR 44.150,- festzusetzen.

44

I. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält keine konkrete Regelung zur Höhe der Zielprovision. Nach Paragraf 3 des insoweit maßgeblichen Arbeitsvertrags aus dem Jahr 2007 richtet sich die Zahlung einer erfolgsabhängigen Vergütung nach der jeweiligen Bonus Policy des Arbeitgebers. Damit richtet sich die Ausgestaltung der erfolgsabhängigen Vergütung unter Berücksichtigung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nach billigem Ermessen ( § 315 Abs. 1 BGB .

45

II. Ein Anspruch des Klägers auf eine auf eine Zielprovision von EUR 44.150,- ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der individuellen Übung.

46

1. Eine individuelle Übung kommt immer dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber eine Zahlung nur an einen Arbeitnehmer vorgenommen hat und damit (in Abgrenzung zur betrieblichen Übung) das kollektive Element fehlt. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer aus einem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers auf ein Angebot schließen konnte, dass er gemäß § 151 BGB durch schlüssiges Verhalten angenommen hat ( BAG vom 14.09.2011 - 10 AZR 526/10 - Rn. 13).

47

2. Danach liegen die Voraussetzungen einer individuellen Übung nicht vor. Dies folgt schon daraus, dass die Beklagte unstreitig gegenüber allen Mitarbeitern der Business Units gleichermaßen die variable Vergütung berechnet und die Provisionsziele für alle Mitarbeiter auf gleiche Weise ermittelt und über viele Jahre nicht angetastet hat. Insofern hat das Verhalten der Beklagten kollektiven Bezug.

48

III. Der Kläger kann die Feststellung eines bestimmten Provisionsziels auch nicht aus einer betrieblichen Übung herleiten.

49

1. Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird ( § 151 BGB ), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände ( §§133 , 157 BGB ) verstehen musste und ob er auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durfte ( BAG vom 25.01.2023 - 10 AZR 109/22 - Rn. 11).

50

2. Bei der hier im Streit stehenden Festlegung des Provisionsziels handelt es sich nicht um eine Leistung oder Vergünstigung im Sinne einer betrieblichen Übung.

51

Die Festlegung einer Zielprovision stellt keine eigenständige Leistung/Vergünstigung im dargestellten Sinne dar. Geleistet wird von der Beklagten eine variable Vergütung.

52

Die Zielprovision ist nur eines von mehreren notwendigen Elementen zur Berechnung dieser Vergütung. Das Institut der betrieblichen Übung dient aber der Begründung eines eigenständigen zusätzlichen (vertraglichen) Anspruchs und unterscheidet sich von Konstellationen, in denen entweder das Direktionsrecht des Arbeitgebers oder - was hier in Betracht kommt - dessen Leistungsbestimmungsrecht konkretisiert worden ist. Bei der betrieblichen Übung ist das Verhalten des Arbeitgebers bereits notwendiger Baustein zur Konkretisierung entweder seiner Leistungs- oder Gegenleistungspflicht. Während also bei der betrieblichen Übung bereits das wiederholte Arbeitgeberverhalten für die Begründung eines zusätzlichen Anspruchs ausreicht, muss in den Fällen der Konkretisierung des Direktions- und Leistungsbestimmungsrechts neben dem Zeit- bzw. Wiederholungsmoment ein weiteres Umstandsmoment hinzutreten. Allein die wiederholte gleichförmige Ausübung des Direktions- bzw. Leistungsbestimmungsrechts begründet kein Vertrauen der Arbeitnehmer in die Fortsetzung der konkreten Ausübungspraxis. Die Ausübung ist im Arbeitsvertrag immanent. Hinzukommen müssen Umstände, aus denen die Arbeitnehmer objektivierbar entnehmen können, der Arbeitgeber werde seine Rechte zukünftig nur noch eingeschränkt dahingehend ausüben, dass es bei der bisherigen Ausübungspraxis verbleibe. Mit anderen Worten: die Arbeitnehmer müssen auf eine konkret festgelegte Ausübung des billigen Ermessens vertrauen dürfen ( BAG vom 26.09.2012 - 10 AZR 336/11 - Rn. 14; BAG vom 23.08.2017 - 10 AZR 376/16 - Rn. 21).

53

IV. Der Kläger kann die Feststellung eines bestimmten Provisionsziels nicht aus einer entsprechenden Konkretisierung des der Beklagten obliegenden Leistungsbestimmungsrechts verlangen.

54

1. Auch die Frage, ob das Provisionsziel des Klägers sich aufgrund einer Konkretisierung des Leistungsbestimmungsrechts der Beklagten auf einen bestimmten Betrag konkretisiert hat, ist Streitgegenstand des vorliegenden Prozesses. Der Kläger argumentiert vorliegend zwar irrtümlich mit dem Begriff der betrieblichen Übung, will allerdings auf tatsächlicher Ebene eine bestimmte jahrelange ausgeübte Verhaltensweise als festgeschrieben festgestellt wissen. Da insofern der Sachverhalt ein einheitlicher ist, handelt es sich um lediglich einen Streitgegenstand mit mehreren denkbaren Anspruchsgrundlagen über den hier zu entscheiden ist.

55

2. Eine Konkretisierung des Leistungsbestimmungsrechts der Beklagten auf einen Betrag von EUR 44.150,- ist aber tatsächlich nicht erfolgt.

56

a) Wie bereits ausgeführt, führt allein die gleichbleibende Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts über einen längeren Zeitraum noch nicht zu einer Konkretisierung mit der Folge, dass jede andere Ausübung des Ermessens nicht mehr der Billigkeit entspräche ( BAG vom 23.08. 2017 - 10 AZR 376/16 - Rn. 21). Voraussetzung für eine Konkretisierung ist vielmehr, dass über den bloßen Zeitablauf hinaus Umstände vorliegen, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitnehmers auf die Beibehaltung der bisherigen Leistungsbestimmungspraxis für die Zukunft begründen. Hier ist eine Betrachtung aller Umstände vorzunehmen ( BAG vom 26.09.2012 - 10 AZR 336/11 - Rn. 14).

57

b) Außer der langjährigen tatsächlichen Praxis hat der Kläger jedoch keine konkreten Umstände dargetan, die ein Vertrauen darauf begründen können, dass die Beklagte keine abweichende Festsetzung des Provisionsziels mehr vornehmen wird.

58

aa) Gegen eine entsprechende Konkretisierung der Leistungsbestimmung spricht vielmehr bereits die Regelung im Arbeitsvertrag, wonach die Regelungen und Kalkulationen des Bonusses jederzeit geändert werden können. Vertraglicher Ausgangspunkt der Parteien ist damit ein für den Kläger objektiv erkennbar immer wieder veränderbares variables System. Das enthält auch die Möglichkeit, dass sich das Provisionsziel verändern kann.

59

bb) Die vom Kläger insbesondere auch im Berufungstermin angeführten jährlichen Zielvereinbarungen, in denen zuletzt als Provisionsziel stets EUR 44.150,- festgelegt waren, begründen kein Vertrauen auf eine unveränderte Ausübung des Direktionsrechts auch in den Folgejahren. Die Zielvereinbarungen sind, das ist zwischen den Parteien nicht weiter streitig, jeweils auf ein Jahr befristet gewesen. Es ist schon nicht erkennbar, warum diese Befristung nur für die Ziele selbst, nicht aber für die Zielprovision gelten soll. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob über die Höhe der Zielprovision mit dem Regionalvertriebsleiter gesprochen worden ist oder - wie der Kläger behauptet - dies in den letzten Jahren nicht mehr geschehen ist. Die Ausübung eines Leistungsbestimmungsrechts setzt keine Gespräche oder Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien voraus. Da für jedes Jahr eine neue Zielvereinbarung getroffen wurde, konnte beim Kläger kein Vertrauen darauf entstehen, dass die Höhe der Zielprovision unverändert bleiben würde.

60

cc) Gegen eine Konkretisierung spricht insbesondere auch, dass die Festlegung der Provisionsziele der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG unterliegt.

61

(1.) Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und bei der Einführung und Anwendung neuer Entlohnungsmethoden. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist, das betriebliche Lohngefüge angemessen und durchsichtig zu gestalten und die betriebliche Lohn- und Verteilungsgerechtigkeit zu wahren. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist nicht die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts. Mitbestimmungspflichtig sind die Strukturform des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsform (ständige Rechtsprechung: BAG vom 28.02.2006 - 1 ABR 4/05 - Rn. 15). Nicht mitbestimmungspflichtig ist dagegen der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Dotierungsrahmen. Der Mitbestimmungspflicht unterliegt dagegen die Zuordnung von Geldbeträgen zu bestimmten Leistungsdaten (BAG vom 16.12.1986 - 1 ABR 26/85) .

62

(2.) Danach unterliegt die Festsetzung der Zielprovision für die verschiedenen Berufsgruppen, darunter die der "Sales Rep"der Mitbestimmung des Betriebsrats. Die Frage, aufgrund welcher ausgeübten Tätigkeiten einem Mitarbeiter die Möglichkeit eingeräumt wird, eine Zielprovision in einer bestimmten Höhe zu erreichen, betrifft unmittelbar die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit. Konkret liegen die Zielprovisionen (in dem Provisionsmodell der Beklagten "Provisionstöpfe"genannt) zwischen EUR 8.000,- Zielprovision für einen Head Office Sales bis EUR 45.000,- für einen Senior Business Manager. Die Zuordnung bestimmter Provisionsziele zu bestimmten Tätigkeiten setzt eine Bewertung dieser Tätigkeiten voraus. Hierdurch ist unmittelbar die Lohngerechtigkeit im Betrieb berührt. Bei der Durchführung dieser Bewertung hat daher der Betriebsrat mitzubestimmen.

63

Bei der Zielprovision handelt es sich auch nicht um einen nicht der Mitbestimmung unterliegenden Geldfaktor. Einen reinen Geldfaktor stellt etwa die Höhe des Stundenlohns oder bei einer echten Provisionsabrede der Provisonsfaktor dar. Der vorliegende Sachverhalt ist hiermit nicht vergleichbar. Je nach Zielerreichungsgrad steht dem Mitarbeiter ein Anspruch in unterschiedlicher Höhe auf seine erfolgsabhängige Vergütung vor. Bei der Zielprovision handelt sich damit um einen "Midpoint"oder Ausgangswert, der der Mitbestimmung unterliegt (vgl. hierzu BAG vom 25.06.1996 - 1 AZR 853/95 - Rn. 25 ff.).

64

(4) Da der Betriebsrat bei der Festlegung der Zielprovision mitzubestimmen hat, durfte der Kläger die unveränderte Bestimmung der Zielprovisionen in der Vergangenheit erst recht nicht dahin verstehen, dass diese nicht mehr geändert werden sollte. Es gab und gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich die Beklagte gegenüber ihren Mitarbeitern individualrechtlich einseitig auf eine bestimmte Höhe der Zielprovision verpflichten wollte, wenn sie auf der anderen Seite zur Festlegung der Zielprovision auch kollektivrechtlich verpflichtet ist. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Betriebsrat selbst davon ausgegangen ist, in dieser Frage kein Mitbestimmungsrecht zu haben. Der Empfängerhorizont ist objektiv zu bestimmen. Es kommt nicht darauf an, welchen Fehlvorstellungen der Betriebsrat oder auch der Kläger im Hinblick auf die Mitbestimmungspflicht der Zielprovision unterlag.

65

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO . Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

BAG, kein Datum verfügbar, 10 AZN 621/23, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt am 25.08.2023

Vorschriften§ 64 Abs. 2 lit. b ArbGG, § 256 Abs. 1 ZPO, § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, § 315 Abs. 1 BGB, § 151 BGB, §§133, 157 BGB, § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG, § 97 Abs. 1 ZPO