Beschluss vom 20.07.2022 · IWW-Abrufnummer 238334
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein - Aktenzeichen 2 Ta 63/22
1. Der Streitwert eines Datenauskunftsantrages nach Art. 15 DSGVO beträgt pauschal 5.000,00 Euro.(Rn.27)
2. Wird im Rahmen einer Streitwertbeschwerde ein geringer Wert vom Beschwerdeführer beantragt als nach den allgemeinen Regeln festzusetzen wäre, führt der Grundsatz der Streitwertwahrheit zur höheren Festsetzung. § 308 Abs. 1 ZPO gilt insoweit nicht.(Rn.31)
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts Neumünster vom 14.07.2022, Az.: 1 Ca 70 d/22, abgeändert und der Wert des Streitgegenstandes für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren auf € 12.900,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Beschwerdeführer wendet sich im Beschwerdeverfahren gegen einen Streitwertbeschluss für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren. Im Hauptsacheverfahren hatte die Klägerin am 28.01.2022 eine Klage mit folgenden Anträgen gestellt:
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1. Die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 24.09.2021 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Einsichtnahme in ihre Personalakte zu gewähren;
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3. Die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft nach Art. 15 über ihre personenbezogenen Daten und folgende Informationen zu erteilen:
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a) Die Verarbeitungszwecke;
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b) die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden;
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c) die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen;
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d) falls möglich, die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer;
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e) das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschen der sie betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Beeinschränkung der Verarbeitung durch den Verantwortlichen oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung;
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f) das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde;
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g) würden die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben werden, alle verfügbaren Informationen über die Herkunft der Daten;
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h) das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gem. Art. 22 Abs. 1 und 4 und - zumindest in diesen Fällen - aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person;
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4. die Beklagte zu verurteilen, das Recht der Klägerin über die geeigneten Garantien gem. Art. 46 DSGVO und Auskunft darüber zu erteilen, ob und gegebenenfalls welche personenbezogenen Daten der Klägerin von der Beklagten an ein Drittland ober an eine internationale Organisation übermittelt worden sind und gegebenenfalls noch werden;
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5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Kopien der personenbezogenen Daten herauszugeben;
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6. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 5.000,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab 11.01.2022 zu zahlen.
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Am 23.02.2022 erging gegen die Beklagte ein Teil-Anerkenntnis, mit dem die Beklagte verurteilt wurde, der Klägerin Einsicht in ihre Personalakte zu gewähren. Mit Beschluss vom 07.06.2022 stellte das Arbeitsgericht nach § 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleich fest. Auf den Inhalt des geschlossenen Vergleichs (Bl. 374 d. A.) wird Bezug genommen.
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Auf den Streitwertfestsetzungsantrag des Beschwerdeführers vom 22.06.2022 erfolgte ebenfalls am 22.06.2022 eine Streitwertanhörung durch das Arbeitsgericht, indem das Arbeitsgericht mitteilte, dass beabsichtigt sei, den Streitwert in Höhe von 7.900,00 Euro festzusetzen. Hierbei seien für die Anträge zu 3., 4., 5. und 6. betreffend die Auskunft und Erteilung von Kopien nach der DSGVO sowie dem damit zusammenhängenden Schadensersatz insgesamt 5.000,00 Euro in Ansatz zu bringen. Der Antrag zu 1. werde mit 2.400,00 Euro und der Antrag zu 2. mit 500,00 Euro berücksichtigt.
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Mit Schriftsatz vom 04.07.2022 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er mit der Festsetzung der Höhe des Streitwertes nicht einverstanden sei und die Anträge im Einzelnen wie folgt zu bewerten seien:
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- Klageantrag zu 1.:2.400,00 €- Klageantrag zu 2.:500,00 €- Klageantrag zu 3.:500,00 €- Klageantrag zu 4.:500,00 €- Klageantrag zu 5.:500,00 €- Klageantrag zu 6.:5.000,00 €20
Mit der vorbenannten Bezifferung der Gegenstandswerte für die einzelnen Klageanträge entsprächen sie den Vorgaben des Arbeitsgerichts Hamburg in einem ähnlich gelagerten Fall.
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Mit Beschluss vom 04.07.2022 setzte das Arbeitsgericht den Streitwert auf 7.900,00 Euro entsprechend der erfolgten Anhörung fest. Mit Schriftsatz vom 18.07.2022 legte der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Beschluss vom 14.07.2022 ein und legte dar, dass er mit der Wertfestsetzung für die Anträge zu 1. und 2. einverstanden sei, nicht jedoch mit der Festsetzung der übrigen Anträge. Das Arbeitsgericht hätte den Antrag zu 6. mit 500,00 Euro beziffern müssen. Es handele sich hier um einen Zahlungsanspruch, der entsprechend beziffert worden sei. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb das Arbeitsgericht hiervon abweicht. Darüber hinaus seien auch die Anträge zu 3., 4. und 5. jeweils wertmäßig zu beziffern. Das Arbeitsgericht Hamburg habe in seinem Urteil vom 14.06.2022 (Az.: 25 Ca 34/22) jeweils einen Wert von 1.250,00 € angenommen. Im hiesigen Fall sei daher nicht ersichtlich, weshalb den Klageanträgen überhaupt kein Wert beigemessen werde.
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Bei vier Auskunfts- und einem Entschädigungsantrag in Höhe von 5.000,00 € habe das Arbeitsgericht Hamburg in dem in der Antragslage identischen Fall den Gesamtwert mit 10.000,00 € beziffert.
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Das Arbeitsgericht half der als sofortige Beschwerde auszulegenden Beschwerde mit Beschluss vom 19.07.2022 nicht ab und legte die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor.
II.
24
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist gemäß § 33 Abs. 3 S. 1 RVG zulässig. Der Beschwerdewert von € 200,00 ist angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer statt des ursprünglich festgesetzten Streitwerts von € 7.900,00 die Festsetzung von € 9.400,00 beantragt hat, erreicht. Der Wert des Beschwerdegegenstands richtet sich nach der Differenz der Kosten, um die sich der Beschwerdeführer verbessern will, nicht nach der Differenz zwischen dem festgesetzten und dem gewünschten Gegenstandswert. Die auf einen Streitwert von € 9.400,00 berechneten Anwaltsgebühren übersteigen die auf einen Streitwert von € 7.900,00 berechneten Anwaltsgebühren schon nach überschlägiger Berechnung um mehr als € 200,00.
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Die sofortige Beschwerde ist auch in der Sache begründet.
26
Der Beschwerdeführer rügt zu Recht die Streitwertfestsetzung durch das Arbeitsgericht für die Anträge 3.-6. in Höhe von insgesamt 5.000,00 Euro.
27
Der Streitwert der Anträge zu Ziffer 3.-5. aus der Klagschrift sind als Datenauskunftsklage gemäß Art. 15 DSGVO pauschal mit 5.000,00 Euro anzusetzen.
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Seiner Natur nach dient der Auskunftsanspruch nach der Datenschutz-Grundverordnung nicht speziell dazu, als "Hauptsache" Schadensersatz "durchsetzbar" zu machen, die mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unmittelbar nichts zu tun haben. Die Auskünfte, die eine natürliche Person nach Art. 15 DS-GVO fordern kann, dienen vielmehr primär dazu, ihr die Wahrnehmung der weiteren Rechte nach der DS-GVO zu ermöglichen, also insbesondere das Recht auf Berichtigung nach Art. 16, auf Löschung nach Art. 17 und auf Einschränkung der Verarbeitung nach Art. 18. Zwar mag eine Auskunft über personenbezogene Daten auch Erkenntnisse und Indizien hervorbringen, die einen Schadensersatzanspruch nach gänzlich anderen Vorschriften begründen oder zumindest nahelegen können. Dabei handelt es sich aber nicht um den eigentlichen Zweck der DS-GVO, sondern um einen bloß zufälligen Nebeneffekt (OLG Köln, Beschluss vom 3. September 2019 - I-20 W 10/18 -, juris).
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Der Antrag zu Ziffer 6. ist mit dem geltend gemachten Wert in Höhe von 5.000,00 Euro anzusetzen. Es handelt sich um einen neuen Streitgegenstand, der mit der Datenauskunftsklage nur insoweit in Zusammenhang steht, als dass sich aufgrund der zu erteilenden Auskunft ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO ergeben könnte. Dieser Anspruch wird vom Umfang der Datenauskunftsklage nicht umfasst.
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Der Antrag zu Ziffer 1. ist mit einem Bruttogehalt in Höhe von 2.400,00 Euro zu bemessen, der Antrag zu Ziffer 2. ist mit 500,00 Euro anzusetzen, sodass sich insgesamt ein Wert in Höhe von 12.900,00 ergibt.
31
Soweit der Beschwerdeführer lediglich insgesamt mit seinen Anträgen verlangt hat, einen Streitwert in Höhe von 9.400,00 Euro festzusetzen, ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Grundsatz der Streitwertwahrheit folgt, dass - in Abweichung zu § 308 Abs. 1S. 1 ZPO - der Gegenstandswert auch zugunsten des Beschwerdeführers über dessen Antrag hinausgehend (bei einer Heraufsetzungsbeschwerde also höher als beantragt) festgesetzt werden kann. Eine Bindung an den Beschwerdeantrag könnte bei anderer Sichtweise dazu führen, dass das Gericht unter Verstoß des Grundsatzes der Streitwertwahrheit einen unrichtigen Gegenstandswert festsetzen müsste (Stefan Müller in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2016; vgl. auch AnwaltsKommentar RVG/E. Schneider, § 33 Rn. 69 mwN; auch zur a.A: ).
32
Aus den genannten Gründen ist der Beschwerde des Beschwerdeführers in vollem Umfang abzuhelfen. Der Gegenstandswert war auf 12.900,00 EUR heraufzusetzen.
33
Ein Rechtsmittel ist gegen diesen Beschluss nach § 33 Abs. 4 S. 3 RVG nicht gegeben.