Beschluss vom 17.07.2023 · IWW-Abrufnummer 238338
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein - Aktenzeichen 2 Ta 45/23
Ein Vergleichsmehrwert für eine im Rahmen eines Vergleichs mitgeregelte Freistellung fällt nur an, wenn dargelegt ist, dass die Parteien hierüber streitig verhandelt haben. Eine Erhöhung des Vergleichsmehrwertes ohne streitige Verhandlung mit der Begründung, bei diesen Vereinbarungen handele es sich um Streitgegenstände über die typischerweise im Rahmen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gestritten werde, ist kein angemessenes Abgrenzungskriterium. Ein derartiges Abgrenzungskriterium würde zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Anhebung der Vergleichswerte führen. Maßgeblich für die Festsetzung ist jedoch § 3 ZPO sowie die allgemeine Rechtsprechung der Obergerichte unter Einbeziehung des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit.(Rn.15)
Tenor:
Die Beschwerde des Klägerinvertreters vom 28.06.2023 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 28.06.2023 - 6 Ca 796/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin begehrt eine Heraufsetzung des Streitwertes aus einem Kündigungsschutzverfahren.
2
Die Parteien führten einen Kündigungsrechtsstreit.
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Das Verfahren wurde vergleichsweise mit einem Beschluss vom 02.06.2023 nach § 278 Abs. 6 ZPO beendet. In dem Vergleich wurde unter Ziffer 1 das Ende des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31.08.2023 festgestellt. Unter Ziffer 3 vereinbarten die Parteien, dass die Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung ihrer vertragsgemäßen Bezüge (vgl. Ziffer 4 dieses Vergleichs) und unter Anrechnung auf Urlaubs- und sonstige Freizeitausgleichsansprüche unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt bleibt.
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Mit Schriftsatz vom 06.06.2023 beantragte der Klägerinvertreter Streitwertfestsetzung. Mit Verfügung vom 07.06.2023 hörte das Arbeitsgericht die Parteien zur Streitwertfestsetzung für die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 16.520,56 Euro an und begründet die Höhe damit, dass für die Kündigung nach § 42 Abs. 2 GKG drei Bruttomonatsgehälter der Klägerin in Ansatz gebracht werden sollen. Hinzu komme der Zeugnisantrag, der mit einem Gehalt bewertet werde. Nach Ablauf der Anhörungsfrist, in der keine Stellungnahmen der Prozessvertreter eingingen, setzte das Arbeitsgericht den Streitwert entsprechend fest. Nachdem der Beschluss des Arbeitsgerichts dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 28.06.2023 zugestellt worden ist, legte dieser - auch im eigenen Namen - am gleichen Tag Streitwertbeschwerde ein und begründete diese damit, dass die im Vergleich geregelte Freistellung der Klägerin bis 31.08.2023 nicht berücksichtigt worden sei und deshalb pauschalierend ein Monatsgehalt des Arbeitnehmers festzusetzen sei. Der Freistellungsanspruch sei das "Gegenstück" zu Beschäftigungsanspruch, der nach dem Streitwertkatalog ebenfalls mit einem Bruttomonatsgehalt festzusetzen sei. Dieser sei als Vergleichsmehrwert festzusetzen.
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Mit Beschluss vom 29.06.2023 half das Arbeitsgericht der Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht ab und legte die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor. Das Arbeitsgericht führte in seiner Begründung aus, dass die Beschwerde schon unzulässig sei, da der Wert des Beschwerdegegenstands nach der Berechnung des Arbeitsgerichts schon nicht 200,00 EUR übersteige. Die Einigungsgebühr belaufe sich ohne zusätzlichen Vergleichsmehrwert auf 770,00 EUR. Mit dem vom Beschwerdeführer begehrten Mehrwert belaufe sich diese auf 822,00 EUR. Die Differenz liege somit unter 200,00 EUR.
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Die Beschwerde sei im Übrigen auch nicht begründet. Ein Mehrwert für die Regelung über die Freistellung sei nicht ersichtlich. Das gelte unabhängig von der Frage, ob die Parteien im Rahmen der Vergleichsverhandlungen über den Zeitpunkt bzw. die Dauer der letztlich vereinbarten Freistellung verhandelt hätten. Denn eine in einem Vergleich enthaltene Freistellungsvereinbarung sei werterhöhend, wenn über die Frage eines Anspruchs oder Rechts auf Weiterbeschäftigung oder Freistellung bis zum Beendigungstermin zwischen den Parteien ein Streit oder eine Ungewissheit bestanden haben (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2017 - 4 Ta 210/17). Das komme etwa bei einer unberechtigten Suspendierung des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung, gegen die sich der Arbeitnehmer wehrt, in Betracht. Anderenfalls sei davon auszugehen, dass die Freistellung - wie vorliegend - nur eine zusätzliche Gegenleistung für die vorgesehene Beendigung des Arbeitsverhältnisses darstellt und damit den Gegenstandswert nicht erhöht (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.05.2020 - 1 Ta 35/20). Der Auffassung des Beschwerdeführers, dass für eine Freistellungsregelung immer pauschalierend ein Monatsgehalt anzusetzen sei, schließe sich das Gericht nicht an. Dies entspreche weder der ständigen Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein hierzu noch überzeuge es inhaltlich.
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Nachdem die Vorsitzende der Beschwerdekammer den Klägerinvertreter auf die Unzulässigkeit der Beschwerde mangels Erreichens des Beschwerdewertes hingewiesen hat, legte der Klägerinvertreter mit Schriftsatz vom 30.06.2023 eine konkrete Vergleichsberechnung vor, aus der sich ergibt, dass sich die Berechnung der Kosten ohne Vergleichsmehrwert auf 3.230,85 Euro und mit Vergleichsmehrwert auf 3.936,52 Euro beläuft. Demgemäß ergibt sich eine Differenz von 705,67 Euro und damit eine Überschreitung des Beschwerdewertes über 200,00 Euro.
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Auf den Inhalt der erstinstanzlichen Verfahrensakte und auf den Schriftsatz des Klägerinvertreters vom 30.06.2023 wird Bezug genommen.
II.
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1. Die gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist zulässig. Nach den korrekten Berechnungen des Klägerinvertreters aus dem Schriftsatz vom 30.06.2023 bezüglich der Kosten mit und ohne Vergleichswert ergibt sich eine Differenz in Höhe von 705,67 Euro und damit eine 200,00 Euro übersteigende Beschwerdesumme.
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2. Die sofortige Beschwerde des Klägervertreters ist jedoch nicht begründet.
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Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen Streitwertbeschluss zu Recht keinen Mehr-Vergleichswert festgesetzt. Es kann und soll zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses i.d.F. des Nichtabhilfebeschlusses verwiesen werden.
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a) Ein Vergleichsmehrwert fällt nur an, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt
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(LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 03.11.2016 - 6 Ta 98/16 -, Rn. 11, juris; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 06.09.2016 - 4 Ta 91/160; Ziffer 25.1 des Streitwertkatalogs in der überarbeiteten Fassung vom 09.02.2018).
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b) Hieran gemessen kann vorliegend gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien mit dem Prozessvergleich anderweitig rechtshängige Streitgegenstände oder außergerichtliche Streitigkeiten über Rechte oder Ansprüche werterhöhend mit-verglichen haben. Der Klägerinvertreter hat sich in seiner Beschwerdeschrift lediglich darauf berufen, dass der Gegenstandswert für eine Freistellung pauschalierend in Höhe eines Bruttomonatsgehalts festzusetzen sei. In seinen ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 30.06.2023 trägt der Klägerinvertreter nur zur Berechnung der Beschwerdesumme, nicht jedoch zur Bewertung des Freistellungsanspruches vor. Eine irgendwie geartete streitige Auseinandersetzung über die Freistellung der Klägerin ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Soweit sich der Klägerinvertreter auf die Entscheidungen des LAG Hamburg vom 07.12.2012 - 7 Ta 31/11 und vom 01.03.2022 - 7 Ta 1/22 - bezieht; ist der dort vertretenen Rechtsansicht nicht zu folgen. Das LAG Hamburg hat in diesen Entscheidungen, die Ansicht vertreten, dass die Voraussetzung einer streitigen Auseinandersetzung für eine streitwerterhöhende Berücksichtigung jedoch nicht für Ansprüche gelte, über die typischerweise im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen gestritten werde wie Zeugnis, Beschäftigung bzw. Freistellung (Landesarbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 1. März 2022 - 7 Ta 1/22 -, Rn. 26, juris). Das LAG Hamburg verkennt hierbei die eindeutige Vorgabe, dass nur dann eine Werterhöhung eintritt, wenn zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit über die jeweilige Regelung bestanden hat. Allein die Tatsache, dass typischerweise über Angelegenheiten gesprochen wird bzw. diese in einem Vergleich mitgeregelt werden, ist kein angemessenes Abgrenzungskriterium. Ein derartiges Abgrenzungskriterium würde zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Anhebung der Vergleichswerte führen. Maßgeblich für die Festsetzung ist jedoch § 3 ZPO sowie die allgemeine Rechtsprechung der Obergerichte unter Einbeziehung des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit.
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3. Nach alledem war die sofortige Beschwerde mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
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Gegen diese Entscheidung gibt es gemäß § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG kein Rechtsmittel.