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Urteil vom 06.12.2022 · IWW-Abrufnummer 238370

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 15 Sa 14/22

1. Die in einem Vergleich enthaltene Verpflichtung des Arbeitgebers zur ordnungsgemäßen Abrechnung und Auszahlung von Entgeltansprüchen kann im Einzelfall dahin auszulegen sein, dass die Anwendung von § 615 Satz 2 letzter Fall BGB bzw. § 11 Nr. 2 KSchG (Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs/Verdienstes) ausgeschlossen ist. Eine solche Auslegung kann sich beispielsweise aus der Vorgeschichte des Vergleichs (Ablauf und Inhalt der Vergleichsverhandlungen) ergeben.

2. Im Annahmeverzug des Arbeitgebers obliegt es dem Arbeitnehmer zwar, die Nachteile für den Arbeitgeber möglichst gering zu halten. Seine Obliegenheit, keinen zumutbaren Erwerb oder Verdienst böswillig zu unterlassen (§ 615 Satz 2 letzter Fall BGB, § 11 Nr. 2 KSchG) bedeutet aber nicht, dass er um jeden Preis und unter allen Umständen möglichst ab dem ersten Tag des Annahmeverzugs einen durchgängigen Verdienst erzielen müsste. Ein Arbeitnehmer, dem dies nicht gelingt, trägt im Annahmeverzugsprozess nicht etwa schon deshalb die Darlegungslast für fehlende Böswilligkeit. Dies gilt erst recht, wenn sich der Annahmeverzug an eine unwirksame fristlose Kündigung anschließt und der Arbeitnehmer mit diesem Makel behaftet einen anderweitigen Erwerb oder Verdienst suchen muss.


In der Rechtssache
- Beklagte/Berufungsklägerin -
Proz.-Bev.:
gegen
- Kläger/Berufungsbeklagter -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 15. Kammer - durch die Vorsitzende
Richterin am Landesarbeitsgericht Steer, den ehrenamtlichen Richter Greiner und die ehrenamtliche Richterin Regele auf die mündliche Verhandlung vom 06.12.2022
für Recht erkannt:

Tenor: 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 12.04.2022 - 8 Ca 24/22 - wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für den Monat Juni 2021 Arbeitsentgelt aus einem Vergleich oder jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs schuldet.

Der Kläger hatte bei der Beklagten zunächst seit dem 1. September 2017 eine Ausbildung absolviert. Mit dem am 7. Januar 2021 abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag (Anlage B8, Bl. 86 bis 92 LAG-Akte, künftig: ArbV) vereinbarten die Parteien sodann ein bis zum 31. Juli 2021 befristetes Arbeitsverhältnis, das voraussichtlich ab dem 18. Januar 2021 beginnen sollte und auf das die Betriebszugehörigkeit seit dem 1. September 2017 vollumfänglich angerechnet werden sollte (vgl. Nr. 2 Buchst. a ArbV).

Im Hinblick auf das zum 31. Juli 2021 infolge der Befristung anstehende Ende des Arbeitsverhältnisses der Parteien meldete sich der Kläger bei der Agentur für Arbeit am 25. April 2021 online arbeitssuchend ("Online-Arbeitssuchend-Meldung" vom 25. April 2021, Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 1. September 2022, Bl. 46 LAG-Akte). Hierbei gab er als letzten Tag der Beschäftigung den 31. Juli 2021 und als zuletzt ausgeübte Tätigkeit entsprechend der mit der Beklagten arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit "Anlernkraft Instandhaltung" an.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2021 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine außerordentliche, fristlose Kündigung aus (Anlage K1 im Verfahren des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - 8 Ca 33/21 -, Bl. 4 der beigezogenen Akte 8 Ca 33/21).

Ab dem 11. Mai 2021 bewarb der Kläger sich auf Stellen bei ua. sechs Arbeitgebern (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 1. September 2022, Seite 1, Bl. 44 LAG-Akte iVm. den Bewerbungsbestätigungen Anlagen B2 bis B7, Bl. 47 bis 52 LAG-Akte). Darunter befand sich auch die Firma L. Zuvor war dem Kläger ein Stellenvorschlag als Mechaniker bei der Firma L. von der Agentur für Arbeit zugeleitet worden. Der Kläger hatte daraufhin bei der Agentur für Arbeit angefragt, ob er seinen Obliegenheiten auch genüge, wenn er bei dieser Firma frage, ob er nicht eine Stelle als Mechatroniker statt als Mechaniker bekommen könne. Die Agentur für Arbeit signalisierte ihm, dass das in Ordnung sei. Seine Bewerbungen bei den übrigen fünf besagten Arbeitgebern kamen zumindest teilweise dadurch zustande, dass die Firma L. den Kläger, den sie nicht selbst als Mechatroniker beschäftigen konnte, gefragt hatte, ob er noch Arbeit suche, und ihm dann Informationen über einige andere Stellen gegeben hatte.

Mit Schreiben vom 11. Mai 2021 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger zusätzlich zu ihrer fristlosen Kündigung vom 7. Mai 2021 eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2021 aus (Anlage K2 im Verfahren 8 Ca 33/21, Bl. 5 der beigezogenen Akte 8 Ca 33/21). Ausweislich des Textes des Kündigungsschreibens vom 11. Mai 2021 kündigte sie "hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt, nach unserer Berechnung zum 30. Juni 2021".

Der Kläger hatte die Agentur für Arbeit nach Erhalt der fristlosen Kündigung telefonisch und per Online-Formular über diese Kündigung informiert. Später, als er die ordentliche Kündigung bekommen hatte, wollte er die Agentur für Arbeit auch darüber in Kenntnis setzen und teilte ihr mit, dass er zum 30. Juni 2021 gekündigt sei und ab dann arbeitslos sei, gab also nicht weiter, dass diese Kündigung nur hilfsweise ausgesprochen war. Letzteres lag daran, dass er den bloßen Hilfscharakter der ordentlichen Kündigung nicht verstanden hatte. So kam es, dass Frau G. von der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit dem Kläger mit E-Mail vom 12. Mai 2021 mitteilte, der Beginn seiner Arbeitslosigkeit verschiebe sich somit auf den 1. Juli 2021 (Anlage B9, Bl. 93 LAG-Akte).

Am 20. Mai 2021 hatte der Kläger ein Vorstellungsgespräch bei L. U. in C., am 25. Mai 2021 ein Gespräch bei G. F. in A. und am 26. Mai 2021 bei E. in S. G. Die letztgenannte Firma erteilte dem Kläger schon am 26. Mai 2021 die mündliche Zusage, am 28. Mai 2021 dann die schriftliche Zusage, dass er bei ihr ein Arbeitsverhältnis ab dem 1. Juli 2021 beginnen könne. Dieses Arbeitsverhältnis kam dann tatsächlich ab dem 1. Juli 2021 zustande. Arbeitslosengeld hatte der Kläger in der Phase seiner Nichtbeschäftigung nicht bezogen.

Am 27. Mai 2021 ging beim Arbeitsgericht Stuttgart die gegen beide Kündigungen gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers vom 20. Mai 2021 ein, die der Beklagten am 8. Juni 2021 zugestellt wurde und beim Arbeitsgericht Stuttgart - Kammern Aalen - unter dem Aktenzeichen 8 Ca 33/21 geführt wurde. In diesem Rechtsstreit schlossen die Parteien im Kammertermin, nachdem vorherige Versuche - sowohl im Gütetermin als auch im Prozessgang bis zum Kammertermin - gescheitert waren, am 9. November 2021 den folgenden

Vergleich: 1. Die Parteien stellen außer Streit, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen durch die ordentliche, fristgerechte Kündigung der beklagten Partei vom 11.05.2021 ohne Verschulden einer der Parteien mit Ablauf des 30.06.2021 sein Ende gefunden hat. 2. Die beklagte Partei verpflichtet sich zur ordnungsgemäßen Abrechnung und Auszahlung von Entgeltansprüchen an die klagende Partei, soweit dies noch nicht erfolgt sein sollte. Die Parteien sind sich darüber einig, dass eventuell auf Dritte übergegangene Ansprüche bei der Auszahlung des Nettobetrages an die klagende Partei zu berücksichtigen sind. 3. Die beklagte Partei verpflichtet sich zur Ausfüllung und Herausgabe der Arbeitspapiere an die klagende Partei, soweit dies noch nicht erfolgt sein sollte. 4. Die beklagte Partei verpflichtet sich, der klagenden Partei ein wohlwollend formuliertes, qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen, in dem das Leistungsverhalten der klagenden Partei die Bewertung "stets zur vollen Zufriedenheit" und das Führungsverhalten die Bewertung "stets einwandfrei" trägt. Das Zeugnis wird eine entsprechende Bedauerns-, Dankes- und Wunschformel enthalten. 5. Die Parteien sind sich in tatsächlicher Hinsicht darüber einig, dass Ansprüche der klagenden Partei auf Urlaub vollständig in natura gewährt wurden. 6. Damit sind alle beiderseitigen finanziellen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund diese entstanden sein mögen und gleich ob bekannt oder unbekannt erledigt. 7. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit bei Kostenaufhebung erledigt.

Das Monatsentgelt des Klägers bei der Beklagten betrug zuletzt 2.458,67 € brutto. Sein Arbeitsentgelt für Mai 2021 rechnete die Beklagte im Anschluss an den Vergleich entsprechend ab und bezahlte es - unstreitig korrekt - aus. Dagegen rechnete sie für den Monat Juni 2021 kein Arbeitsentgelt des Klägers ab und bezahlte für den Monat Juni 2021 auch nichts an ihn aus.

Vielmehr forderte sie ihn mit Schreiben vom 22. November 2021 auf, "Auskunft über den anderweitigen Erwerb ab dem Ausspruch der Kündigung bis zum Beendigungstermin schriftlich" zu erteilen und für den Fall, dass er keinen anderweitigen Verdienst habe erzielen können, Auskunft "über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge" zu erteilen (Anlage B1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 21. Februar 2022, Bl. 39 bis 40 ArbG-Akte).

Hierauf antwortete der Kläger mit E-Mail vom 26. November 2021, dass er "im Zeitraum ab der fristlosen Kündigung bis zum 30. Juni 2021 kein Arbeitslosengeld oder sonstige Leistungen erhalten" habe "und auch keinen Vermittlungsvorschlägen nachging, da ich ab dem 1. Juli 2021 wieder Vollzeit eingestellt wurde" (Anlage B2, Bl. 41 ArbG-Akte).

Da die Beklagte für den Monat Juni 2021 für den Kläger weiterhin kein Arbeitsentgelt abrechnete und auszahlte, forderten seine Prozessbevollmächtigten sie mit Schreiben vom 17. Januar 2022 zur Erfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen aus dem Vergleich vom 9. November 2021 auf (Anlage zur Klageschrift, Bl. 8 ArbG-Akte). Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten argumentierten mit Schreiben vom 21. Januar 2022 (Anlage B3, Bl. 42 bis 43 ArbG-Akte), der Kläger sei ihrem Auskunftsverlangen nicht vollständig nachgekommen, er habe sogar selbst mitgeteilt, dass er für die Zeit vom 7. Mai 2021 bis zum 30. Juni 2021 die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit ignoriert habe. Das sei ein böswilliges Unterlassen. Die Beklagte müsse ihm infolgedessen für den Monat Juni 2021 kein Entgelt zahlen.

Nach weiterem vorgerichtlichen streitigen Schriftwechsel erhob der Kläger die vorliegende Klage vom 28. Januar 2022, die am 2. Februar 2022 beim Arbeitsgericht einging und der Beklagten am 7. Februar 2022 zugestellt wurde.

Erstinstanzlich hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, dass ihm bereits direkt aus dem Vergleich vom 9. November 2021 ein Anspruch auf Auszahlung des Entgelts für den Monat Juni 2021 erwachse, ohne dass es auf einen etwaigen böswillig unterlassenen Zwischenverdienst ankomme. Jedenfalls aber habe er einen Annahmeverzugslohnanspruch für Juni 2021 gegen die Beklagte, weil er keine anderweitige Verdiensterzielung böswillig unterlassen habe und auch seinen Auskunftspflichten nachgekommen sei.

Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.458,67 € brutto, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10. November 2021 zu bezahlen.

Erstinstanzlich hat die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Erstinstanzlich hat die Beklagte im Wesentlichen gemeint, aus dem Vergleich stehe dem Kläger kein Anspruch auf Auszahlung des streitigen Arbeitsentgelts zu. Die zu unbestimmte Formulierung des Vergleichs spiegele überdies nur die ohnehin geltende Rechtslage wider. Dem Annahmeverzugslohnanspruch stehe entgegen, dass der Kläger anderweitige Verdienstmöglichkeiten böswillig unterlassen habe. Zumindest habe sie ein Zurückbehaltungsrecht, bis der Kläger über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit vollständig Auskunft erteile.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Anlagen und die Terminsprotokolle sowie auf den Tatbestand des hier angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts vom 12. April 2022 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zwar habe der Kläger keinen Anspruch auf Auszahlung des Arbeitsentgelts für Juni 2021 unmittelbar aus dem Vergleich vom 9. November 2021. Doch ergebe sich der Anspruch aus § 611 a Abs. 2, § 615 Satz 1 BGB.

In Nr. 2 des Vergleichs hätten die Parteien keinen Rechtsgrund für eine Zahlungspflicht geschaffen, die über die gesetzlichen Bestimmungen und insbesondere über § 611 a Abs. 2, § 615 BGB hinausgehe. Verpflichte sich der Arbeitgeber in einem gerichtlichen Vergleich, das Arbeitsverhältnis abzurechnen, werde dadurch im Zweifel nur die ohnehin bestehende Rechtslage bestätigt. Das Wort "ordnungsgemäß" solle nur die vorzunehmende Abrechnung näher beschreiben und ziele auf außerhalb des Vergleichs vorzufindende, vom Vergleich unabhängig anzuwendende Rechtsnormen. Habe sich der Arbeitgeber im Abrechnungszeitraum mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug befunden, seien deshalb auch diejenigen Normen heranzuziehen, die die Anrechnungspflicht böswillig unterlassenen Verdienstes regelten. Etwas Anderes gelte nur, wenn die Anwendung von § 615 Satz 2 BGB, § 11 Nr. 1 KSchG wirksam abbedungen sei (Bezugnahme auf BAG 10. Januar 2007 - 5 AZR 84/06 - NZA 2007, 384 und 27. Mai 2020 - 5 AZR 101/19 - NZA 2020, 1130).

Im vorliegenden Fall spreche Nr. 2 des Vergleichs nicht für die Begründung einer eigenständigen Zahlungsverpflichtung. In Verbindung mit der Vorgabe, die Abrechnung sei "ordnungsgemäß" vorzunehmen, beziehe sich der Wortlaut auf den Betrag, der in die Vergütungsberechnung nach den außerhalb des Vergleichs vorzufindenden Rechtsnormen einfließen solle. Ein anderes Verständnis folge nicht aus der Klarstellung in Satz 2 der Nr. 2 des Vergleichs. Dieser Satz berücksichtige ersichtlich, dass der Kläger in Bezug auf diese Ansprüche gem. § 115 SGB X nicht mehr Forderungsinhaber wäre und deshalb auch von der Beklagten nicht Zahlung verlangen könnte (Bezugnahme auf BAG 27. Mai 2020 - 5 AZR 101/19 - aaO.).

Der Kläger könne den Betrag von 2.458,67 € brutto jedoch unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs verlangen. Im Falle einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung sei § 296 BGB anzuwenden, ein Angebot der Arbeitsleistung also entbehrlich. Eine solche Situation sei hier gegeben, und zwar infolge des Vergleichs. Da sich die Parteien in dem Vergleich auf die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2021 geeinigt hätten, liege für jeden vorhergehenden Zeitpunkt denknotwendig eine unwirksame außerordentliche Arbeitgeberkündigung vor. Denn ein bereits beendetes Arbeitsverhältnis könnte nicht erneut durch eine ordentliche Kündigung sein Ende finden.

Der Anspruch bestehe in voller Höhe, da eine Kürzung wegen böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes hier ausscheide. Ein Arbeitnehmer handele böswillig, wenn er in Kenntnis der objektiven Umstände (Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit und Nachteilsfolge für den Arbeitgeber) vorsätzlich untätig bleibe oder die Arbeitsaufnahme verhindere. Von Bedeutung für die Zumutbarkeit seien einerseits die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, andererseits seine Treuepflicht zum Arbeitgeber. Hier fehlten Anhaltspunkte für Böswilligkeit. Der Kläger habe sich nach Ausspruch der Kündigung arbeitssuchend und arbeitslos gemeldet. Dass er bereits zum 1. Juli 2021 eine Anschlussbeschäftigung gefunden habe, indiziere das Vorliegen seiner Bemühungen, eine entsprechende Beschäftigung zu finden. Dass er für den Monat Juni 2021 nicht zusätzlich eine kurzfristige Anschlussbeschäftigung aufgenommen habe, sei nicht böswillig. Von ihm könne nicht erwartet werden, dass er gegenüber einem anderen Arbeitgeber die bereits gefundene Beschäftigung ab dem 1. Juli 2021 verschweige, um nur für Juni 2021 eine Übergangsbeschäftigung zu erhalten, die er sodann innerhalb der Probezeit sofort wieder hätte kündigen müssen. Dies würde nur das Risiko einer unwirksamen außerordentlichen Arbeitgeberkündigung von der Beklagten auf einen Dritten abwälzen. Außerdem sei es schlicht unvorstellbar, dass der Kläger für Juni 2021 eine auf diesen Monat befristete, zumutbare Anschlussbeschäftigung hätte finden können. Diese Einschätzung decke sich auch mit der Angabe des Klägers, dass er kein auf Juni 2021 befristetes Arbeitsverhältnis von der Agentur für Arbeit vermittelt bekommen habe. Überdies sei in einem derart frühen Stadium der Arbeitssuche der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit besondere Bedeutung zuzumessen. Die ordentliche Kündigungsfrist habe gerade den Zweck, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, nahtlos eine neue Beschäftigung zu finden, die seinen Vorstellungen und Fähigkeiten entspreche. Werde diese Kündigungsfrist durch Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abgeschnitten, sei es der Arbeitgeber, der das resultierende Risiko zu tragen habe. Erst mit zunehmendem Zeitablauf falle die Bedeutung der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers, wirtschaftlichen Schaden möglichst gering zu halten, proportional ab.

Die Beklagte habe auch kein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht. Zwar sei der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Auskunft über Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit und des Jobcenters nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, wenn er Vergütung wegen Annahmeverzugs fordere und die Einwendung böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs wahrscheinlich begründet sei (Bezugnahme auf BAG 27. Mai 2020 - 5 AZR 387/19 - NZA 2020, 1113 Rn. 30 ff.). Jedoch bestehe hier schon nicht die geforderte Wahrscheinlichkeit, dass die Einwendung böswillig unterlassener anderweitiger Arbeit begründet sei. Vorliegend sei es dem Kläger gelungen, nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung innerhalb der kürzest möglichen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 BGB eine Anschlussbeschäftigung zu finden. Noch während des Kündigungsschutzverfahrens habe er eine neue Vollzeittätigkeit begonnen und habe so das wirtschaftliche Risiko der Beklagten verringert. Es gebe schlicht keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass er anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen habe. Entgegen der arbeitgeberseitigen Interpretation seiner E-Mail vom 26. November 2021 gebe diese keinen Anlass zu Zweifeln an seiner Redlichkeit.

Der Zinsanspruch folge aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 614 Satz 2 BGB und bestehe jedenfalls ab dem vom Kläger geltend gemachten Zeitpunkt.

Dieses Urteil wurde der Beklagten am 28. April 2022 zugestellt. Die Berufungs- und zugleich Berufungsbegründungsschrift der Beklagten ging rechtzeitig am 19. Mai 2022 beim Landesarbeitsgericht ein.

In Auseinandersetzung mit der Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Das Arbeitsgericht habe sowohl verkannt, dass dem Kläger böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs vorwerfbar sei, als auch, dass ihr jedenfalls ein Leistungsverweigerungsrecht zustehe. Das Arbeitsgericht habe wesentliche Tatsachen nicht aufgeklärt, zB den Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung des Klägers. Es habe die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dessen Urteil vom 27. Mai 2020 (5 AZR 387/19 - aaO) nicht auf den vorliegenden Fall angewandt. Der Arbeitgeber habe gemäß § 242 BGB einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Solange diese Auskunft nicht vollständig und ordnungsgemäß erfolgt sei, bestehe für den Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung. Hier habe der Kläger zum einen mitgeteilt, dass er für den Zeitraum vom 7. Mai 2021 bis zum 30. Juni 2021 die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit ignoriert habe. Zum anderen habe er die erneute Aufforderung der Beklagten vom 21. Januar 2022 nicht ordnungsgemäß beantwortet. Die Tatsache, dass er eine Anschlussstelle ab dem 1. Juli 2021 gefunden habe, spreche nicht dagegen, dass ihm eine anderweitige und zumutbare Beschäftigung bereits vor dem 1. Juli 2021 möglich gewesen wäre. Bei einer Kündigung vom 7. Mai 2021 wäre es ihm möglich gewesen, zu den üblichen Zeitpunkten (15. Mai 2021, 1. Juni 2021, 15. Juni 2021) eine Beschäftigung zu beginnen.

Auf den weiteren Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren führt die Beklagte aus, es erschließe sich ihr nicht, wieso der Kläger eine Arbeitslosmeldung bereits am 24. April 2021 abgegeben habe. Sie bestreite mit Nichtwissen, dass Vermittlungsvorschläge an den Kläger durch die Agentur für Arbeit nur bis zum 11. Mai 2021 erfolgt seien. Viel zu pauschal behaupte der Kläger in diesem Zusammenhang, sich auf alle Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit beworben zu haben. Das bestreite die Beklagte mit Nichtwissen, denn immerhin habe er mit E-Mail vom 26. November 2021 an die Beklagte geschrieben, dass er keinem der Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit nachgegangen sei. Also widerspreche er sich, wenn er nun behaupte, sich auf alle Vermittlungsvorschläge beworben zu haben.

Sie bestreite auch, dass er auf seine Bewerbung an die Firma E. am 26. Mai 2021 eine mündliche Zusage und am 28. Mai 2021 eine schriftliche Zusage per E-Mail mit Nennung des 1. Juli 2021 als des frühesten Eintrittsdatums erhalten habe. Sie bestreite zudem mit Nichtwissen, dass er keine weiteren Zusagen auf seine behaupteten Bewerbungen erhalten habe.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Kammern Aalen, vom 12.04.2022 - 8 Ca 24/22 - wird aufgehoben. 2. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Zweitinstanzlich trägt der Kläger unter Wiederholung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen vor, er habe bereits Ende Mai 2021 gewusst, dass er ab dem 1. Juli 2021 eine neue Arbeitsstelle habe. Seine neue Arbeitsstelle habe er sich letztlich eigeninitiativ gesucht. Im Übrigen sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (19. Mai 2021 - 5 AZR 420/20) für die Beurteilung der Böswilligkeit stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen. Diese führe hier zur Verneinung einer Böswilligkeit. Die Agentur für Arbeit habe ihm Vermittlungsvorschläge unterbreitet, bis er die ordentliche Kündigung vom 11. Mai 2021 vorgelegt habe. Danach seien keine Vorschläge mehr gekommen. Er könne sich im Einzelnen nicht mehr an die Vorschläge erinnern. Er habe sich auf die Vermittlungsvorschläge auch beworben, wie seine drei Vorstellungsgespräche zeigten. Außer von der Firma E. habe es keine Zusagen gegeben. Die Arbeitsvermittlungsangebote, die er von der Agentur für Arbeit bekommen habe, lägen ihm nicht vor, auch nicht weitere Unterlagen bezüglich einzelner Bewerbungen. Seine Arbeitslosmeldung bereits im April 2021 sei damit zu erklären, dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten von vorneherein nur bis zum 31. Juli 2021 befristet gewesen sei.

Zu den weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll über den Berufungsverhandlungstermin vom 6. Dezember 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

A.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gem. § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft und ist gem. § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form sowie gem. § 66 ArbGG in der gesetzlichen Frist eingelegt und begründet worden.

B.

Die Berufung der Beklagten ist allerdings unbegründet.

Die Berufungskammer schließt sich aus zwei voneinander unabhängigen Gründen dem Ergebnis des Arbeitsgerichts an. Erstens führt bereits der Vergleich vom 9. November 2021 unter den hier konkret gegebenen Umständen dazu, dass die Beklagte dem Kläger einen angeblich von diesem böswillig unterlassenen Verdienst nicht mehr entgegenhalten durfte, weder als anspruchshindernd, noch indirekt über den Weg einer Einrede wegen Auskunftserteilung (nachfolgend I.). Auf die Möglichkeit einer solchen rechtlichen Bewertung wurden die Parteien im Berufungsverhandlungstermin hingewiesen. Zweitens schließt sich die Berufungskammer der Begründung des Arbeitsgerichts, mit dem dieses seine Stattgabe begründet hat, an: Weder gibt es Anhaltspunkte für ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes, noch ist die Einrede des nicht erfüllten Auskunftsanspruchs erfolgreich (nachfolgend II.).

I.

Der Vergleich vom 9. November 2021 enthält bereits eine Einigung, die die hier streitgegenständlichen Verteidigungsmittel der Beklagten gegen den Anspruch ausschließt.

Die Berufungskammer legt wie das Arbeitsgericht die von diesem zitierten, höchstrichterlich entwickelten Auslegungsgrundsätze zugrunde, kommt aber im konkreten Einzelfall zu einem anderen Auslegungsergebnis.

1. Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge - auch Prozessvergleiche - so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist zunächst vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Parteiwillens sind darüber hinaus die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen (vgl. BAG st. Rspr. 27. Mai 2020 - 5 AZR 101/19 -, Rn. 14, juris mwN).

2. Wendet man dies auf den Streitfall an, ergibt sich aus den vom Arbeitsgericht dargestellten Gründen im Wesentlichen der vom Arbeitsgericht ermittelte Vergleichsinhalt, allerdings mit einer Ausnahme: Auf einen tatsächlich gar nicht erzielten, nur hypothetisch erzielbaren Zwischenverdienst des Klägers kommt es gemäß dem Vergleich nicht an.

Das folgt nach Auffassung der Berufungskammer aus den folgenden Umständen.

Dem damaligen Vergleichsabschluss war ein umfangreicher Wechsel von Schriftsätzen, vorgeschlagenen Vergleichsformulierungen, Zustimmungen und Ablehnungen vorausgegangen. So hatte die Beklagte mit Schriftsatz vom 9. August 2021 einen Vorschlag formuliert, dessen Nr. 1 bei einer Beendigung durch die ordentliche Kündigung vom 11. Mai 2021 zum 30. Juni 2023 folgende weitere Übereinkunft vorsah (Bl. 75 der Akte 8 Ca 33/21):

Daraufhin unterbreitete das Gericht genau diesen von der Beklagten vorgeschlagenen Wortlaut als gerichtlichen Vergleichsvorschlag (Verfügung vom 10. August 2021, Bl. 77 der Akte 8 Ca 33/21). Die Beklagte nahm diesen Vorschlag an. Der Kläger hingegen protestierte mit Schriftsatz vom 24. August 2021 (Bl. 82 der Akte 8 Ca 33/21). So könne der Vergleich nicht abgeschlossen werden. Es sei unzutreffend, dass das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses bereits ordnungsgemäß abgerechnet und die "sich ergebenden Mittelbeträge" ausgegliedert worden seien. Er habe insoweit keinerlei Zahlungen bzw. Abrechnungen erhalten.

Etwas später, mit Schriftsatz vom 16.09.2021, teilte der Kläger mit, er sei nach wie vor bereit, den Vorschlag vom 10. August 2021 anzunehmen, allerdings mit der Maßgabe, dass klargestellt werde, dass bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ordnungsgemäß abgerechnet und ausbezahlt werde (Blatt 92 der Akte 8 Ca 33/21). Dieser Schriftsatz des Klägers schließt mit dem Satz "Es müsste doch möglich sein, den Vergleich so abzuschließen, dass klar ist, dass bis zum Ablauf des 30.06.2021 bezahlt wird."

Daraufhin unterbreitete das Gericht mit Verfügung vom 20. September 2021 erneut einen schriftlichen Vergleichsvorschlag, der abermals in Nr. 1 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 11. Mai 2021 zum 30. Juni 2021 vorsah, und dessen Nr. 2 nunmehr folgendermaßen lautete (Bl. 93 der Akte 8 Ca 33/21):

Diesen Vorschlag nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 23. September 2021 ohne Kommentar an (Bl. 95 der Akte 8 Ca 33/21). Die Beklagte lehnte den Vorschlag ohne Kommentar ab (Bl. 97 der Akte 8 Ca 33/21).

Der Kläger verlieh mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2021 seinem Unverständnis darüber Ausdruck, warum die Beklagte dem Vergleichsvorschlag vom 20. September 2021 nicht zustimmen wolle (Bl. 100 der Akte 8 Ca 33/21). Sie sei doch selbst mit einer Beendigung zum 30. Juni 2021 einverstanden, und es gehe nur darum, ob das vertragsgemäße Entgelt bis dahin schon gezahlt worden sei oder nicht. Er habe mehrfach vorgetragen, dass - entgegen dem Vortrag der Beklagten - eben noch nichts bezahlt worden sei.

Weiterer Schriftsatzwechsel erfolgte nicht. Als nächstes kam es zum Kammertermin und Vergleichsschluss vom 9. November 2021. Die hier im Rahmen des Vergleichs vereinbarte Klausel Nr. 2 mit dem Wortlaut

unterscheidet sich von derjenigen des Vorschlags vom 20. September 2021 nur durch die Zusätze "ordnungsgemäßen" und "soweit dies noch nicht erfolgt sein sollte". Die Beklagte wusste, dass der Kläger schon den Vorschlag des Gerichts vom 20. September 2021 vor dem Hintergrund angenommen hatte, dass er unmittelbar zuvor vom Gericht einen Vorschlag erbeten hatte, bei dem "klar ist, dass bis zum Ablauf des 30.06.2021 bezahlt wird." Dies war aus seiner Sicht offensichtlich durch die Formulierung des Vorschlags vom 20. September 2021 erreicht. Der am 9. November noch hinzugekommene Zusatz "soweit dies noch nicht erfolgt sein sollte" bestärkte erst recht die bereits zuvor geäußerte Annahme des Klägers, dass der Streit nur noch darum gehe, inwieweit er - wie von der Beklagten zuvor behauptet - bereits Zahlungen für die Schlussphase des Arbeitsverhältnisses erhalten habe, während der Zusatz "ordnungsgemäß" in diesem Zusammenhang neutral ist. Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt diese Annahme des Klägers, wonach es nur noch um den Umfang einer etwaigen Erfüllung gehe, zurückgewiesen, obwohl das Problem für sie seit Wochen erkennbar war und es ein Leichtes für sie gewesen wäre, seine Annahme richtigzustellen und von ihm zeitnah diejenigen Auskünfte zu fordern, die sie dann erst nach dem Vergleichsschluss verlangte. Sie selbst wusste, dass sie nichts über seine Bewerbungsbemühungen und Vermittlungsvorschläge bezogen auf den Juni 2021 wusste. Sie selbst konnte aber auch erkennen, dass der Kläger am 9. November 2021 aufgrund der Vorgeschichte nicht damit rechnete und auch nicht damit rechnen musste, dass sie die Abrechnung und Auszahlung unter den Vorbehalt mutwillig unterlassenen Zwischenverdienstes und umfangreicher Auskünfte stellen wollte.

Nach §§ 133, 157 BGB durfte der Kläger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte deshalb den Vergleich in diesem konkreten Einzelfall so verstehen, dass sein Anspruch nicht von der Aufklärung der Frage abhängen sollte, ob er ein zumutbares Arbeitsangebot anzunehmen böswillig unterlassen habe.

II.

Unabhängig davon ist der Anspruch auch bei gegenteiliger Auslegung des Vergleichs als Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung begründet, und ihm steht auch keine Einrede entgegen. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich die Berufungskammer anschließt, hat das Arbeitsgericht angenommen, dass es weder Anhaltspunkte für ein böswilliges Unterlassen iSv. § 615 Satz 2 BGB gibt, noch der von der Beklagten im Wege der Einrede erhobene Auskunftsanspruch unerfüllt geblieben ist.

Das zweitinstanzliche Vorbringen der Parteien rechtfertigt keine andere Entscheidung. Es gibt nur Anlass zu folgenden ergänzenden Erwägungen der Berufungskammer.

1. Nach wie vor bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger böswillig ein zumutbares Arbeitsangebot ausgeschlagen hätte, bei dem er schon ab einem Zeitpunkt im Mai oder Juni 2021 einen Arbeitsverdienst erzielt hätte. Die Beklagte trägt keine diesbezüglichen konkreten Tatsachen vor, und es ist auch objektiv nichts dafür ersichtlich. Die Zumutbarkeit ist Ergebnis einer Abwägung. Der Kläger hat sich nicht vor der Arbeitssuche gedrückt, sondern hat - wie er schriftsätzlich und mündlich im Berufungsverhandlungstermin beschrieben hat - Bewerbungen unternommen und Vorstellungsgespräche absolviert. Er hat sich beispielsweise nicht davon abschrecken lassen, dass eine bestimmte Firma keinen Mechatroniker suchte, sondern hat - in Absprache mit der Agentur für Arbeit - sich gleichwohl dort als Mechatroniker beworben und so - wie von ihm beschrieben - eine Kettenreaktion ausgelöst, die zu einer weiteren Verbreitung seines Stellengesuchs führte und wahrscheinlich zu der gefundenen neuen Beschäftigung beitrug. Diese hat er schnell gefunden, nämlich mit einem Beginn noch nicht einmal zwei Monate nach der fristlosen Kündigung und sofort nach dem Ende der ordentlichen Kündigungsfrist. Es handelt sich um eine Stelle, die seiner Ausbildung entsprach und die ihm offensichtlich eine mehr als kurzfristige Perspektive bot.

Irrelevant ist, dass die Beklagte bestreitet, dass dieser Arbeitgeber dem Kläger den 1. Juli 2021 als "frühestes" Eintrittsdatum genannt habe. Abgesehen davon, dass der Kläger eine solche Mitteilung seines neuen Arbeitgebers, wonach das mitgeteilte Eintrittsdatum das frühestmögliche sei, nie ausdrücklich behauptet hat, ist es ohnehin nicht der Kläger, der darlegen und beweisen muss, dass dieser Arbeitgeber ihn nicht schon früher eingestellt hätte. Vielmehr ist es die Beklagte, die darlegen und beweisen müsste, dass der Kläger - wie sie anscheinend annimmt - auf ihre Kosten später als für ihn erkennbar objektiv möglich mit seiner neuen Arbeit begonnen habe. Denn darlegungs- und beweispflichtig für einen anrechenbaren böswillig unterlassenen Erwerb ist der Arbeitgeber (vgl. Krause in Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar 10. Aufl. 2022 Rn. 108; BAG 25. Oktober 2007 - 8 AZR 917/06 - juris Rn. 56).

Nicht für, sondern gegen die Ansicht der Beklagten spricht der Umstand, dass der Kläger seine Stellensuche mit dem Makel der fristlosen Kündigung durchführen musste. Dass mit dieser Hypothek ein noch schnellerer Erfolg als der tatsächlich eingetretene wahrscheinlich gewesen wäre, ist lebensfremd.

Nicht überzeugend ist des Weiteren die Berufung der Beklagten auf die E-Mail des Klägers vom 26. November 2021. Diese E-Mail rechtfertigt nicht den von der Beklagten aus ihr gezogenen Schluss, es habe Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit bezogen auf eine mögliche Beschäftigung beginnend ab einem vor dem 1. Juli 2021 liegenden Zeitpunkt gegeben. Dass der Kläger "keinen Vermittlungsvorschlägen nachging" impliziert nicht, dass es überhaupt Vermittlungsvorschläge gegeben hätte, erst recht nicht, dass es solche gegeben hätte, die einen im Mai oder Juni liegenden Beschäftigungsbeginn angeboten hätten.

Die Zeitpunkte der Arbeitssuchendmeldungen des Klägers gegenüber der Arbeitsagentur haben sich im Berufungsverfahren nachvollziehbar und glaubhaft entsprechend den Angaben des Klägers aufgeklärt. Insbesondere ist die schon im April 2021 erfolgte Arbeitslos- bzw. Arbeitssuchendmeldung des Klägers dadurch verständlich geworden, dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nur bis zum 31. Juli 2021 befristet war. Allein wegen dieser Befristung musste er rechtzeitig die Suche beginnen, noch bevor die erste Kündigung ausgesprochen war. Die Berufungskammer hat keine Zweifel daran, dass der Kläger dann wie von ihm geschildert die Arbeitsagentur zuerst von der fristlosen Kündigung und kurz danach von der ordentlichen Kündigung unterrichtet hat. Letzteres wird untermauert durch die von ihm vorgelegte E-Mail der Frau G. vom 12. Mai 2021 (Anlage B 9, Bl. 93 LAG-Akte). Dem Kläger ist auch nicht anzulasten, dass die Agentur für Arbeit, nachdem er diese über die ordentliche Kündigung informiert hatte, davon ausging, seine Arbeitslosigkeit beginne ab dem 1. Juli 2021. Hier handelte es sich ursprünglich um ein Missverständnis auf Seiten des Klägers, der den Hilfscharakter der ordentlichen Kündigung - für die Berufungskammer völlig glaubhaft - nicht begriffen hatte. Wenn in dieser Lage die Mitarbeitenden der Arbeitsagentur, für die die Konstruktion einer hilfsweise ausgesprochenen Kündigung aufgrund ihrer Ausbildung und Praxis geläufiger sein sollte als für den Kläger, demselben Missverständnis unterlagen, liegt die etwaige Fortsetzung des Missverständnisses nicht im Verantwortungsbereich des Klägers.

Soweit die Beklagte meint, die vom Kläger ihr gegenüber geschuldete Rücksichtnahme hätte gefordert, dass er sich trotz der gefundenen Stelle um eine Beschäftigung schon ab der fristlosen Kündigung hätte bemühen müssen und gegebenenfalls sogar seine ab dem 1. Juli 2021 gefundene Stelle wieder hätte absagen müssen, um eine unter Umständen für ihn weniger "passende" Stelle nur wegen deren früheren Beginns anzunehmen, verkennt sie einen wesentlichen Umstand. Das ist der Umstand, dass sie es war, die die Ursache für die Situation gesetzt hat, und zwar durch ihre fristlose Kündigung, die - gemäß dem unstreitigen Inhalt des Vergleichs - keinen Bestand hatte. Eine Hintanstellung der eigenen Interessen des Klägers in dem von der Beklagten geforderten Maße würde diesen wesentlichen Verursachungsanteil der Beklagten nicht angemessen würdigen. Die Beklagte war es, die die Beschäftigung des Klägers - im Nachhinein zu Unrecht - in der Zeit ab der fristlosen Kündigung im Mai bis zum 30. Juni 2021 abgelehnt hatte und damit das Pflichtengefüge des Arbeitsverhältnisses so erschüttert hatte, dass die Folgeprobleme entstanden. Dem Kläger oblag es zwar nach der vom Arbeitsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die Nachteile für die Beklagte im Annahmeverzug möglichst gering zu halten. Er musste aber im Anschluss an deren unwirksame fristlose Kündigung nicht um jeden Preis, mit jeder denkbaren Anstrengung und unter allen Umständen sicherstellen, dass er einen durchgängigen Verdienst möglichst ab dem ersten Tag nach der fristlosen Kündigung hätte. Dies fordern weder § 615 BGB, noch eine sonstige Rechtsgrundlage. Zu Recht hat das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang die durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit des Klägers herausgestellt und außerdem auf den Zweck der Kündigungsfrist abgehoben.

2. Dem Anspruch hält die Beklagte ohne Erfolg einen Auskunftsanspruch über die unterbreiteten Vermittlungsvorschläge im Wege der Einrede entgegen.

Diesen Anspruch hat der Kläger - wenn er bestand - durch seine Angaben im vorliegenden Rechtsstreit jedenfalls erfüllt. Soweit er sich nicht mehr an Details erinnert bzw. keine Unterlagen mehr hat, ändert dies nichts an der Erfüllung. Die Beklagte hat das Risiko einer solchen Entwicklung selbst gesetzt. Ihr war es möglich und zumutbar, die Auskunft bereits früher zu fordern, nachdem spätestens seit dem Gütetermin des Kündigungsschutzverfahrens 8 Ca 33/21 klar war, dass der Kläger ua. für den Juni 2021 Arbeitsentgelt verlangte. Sofern man also nicht deshalb schon die für die Entstehung des Auskunftsanspruchs geforderte "entschuldbare" Ungewissheit der Beklagten über den Gegenstand der Auskunft verneint, ist dies jedenfalls bei der ebenfalls zu fordernden Zumutbarkeit einer noch detaillierteren Auskunftserteilung für den Kläger zu dessen Gunsten zu berücksichtigen (vgl. zu diesen Voraussetzungen BAG 27. Mai 2020 - 5 AZR 387/19 - juris Rn. 31, 32, 35 und 36).

Unabhängig davon fehlt es hier ohnehin an einer weiteren Anspruchsentstehungsvoraussetzung, nämlich der Wahrscheinlichkeit, dass die Einwendung böswillig unterlassener anderweitiger Arbeit begründet ist (vgl. BAG 27. Mai 2020 - 5 AZR 387/19 - juris Rn. 32 und 40). Schließlich ist der Auskunftsanspruch nur ein Hilfsmittel zur Durchsetzung des eigentlichen Anliegens. Vorliegend steht nur der Annahmeverzug für Juni 2021 und ein darauf bezogenes böswilliges Unterlassen in Frage. Aus den bereits dargestellten Gründen ist es aber nicht wahrscheinlich, dass es einen Vorschlag der Arbeitsagentur gegeben hätte, der den Interessen des Klägers, insbesondere dessen durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützter Berufsfreiheit in gleichem Maße wie die von ihm tatsächlich angetretene Stelle entsprochen hätte, aber schon mit einem angebotenen Arbeitsbeginn im Mai oder Juni 2021 einhergegangen wäre.

III.

Auch die Zinsforderung hat das Arbeitsgericht dem Kläger zu Recht und mit zutreffender Begründung zugesprochen.

C.

Die Beklagte trägt gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer ohne Erfolg eingelegten Berufung.

Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

SteerGreinerRegele

Verkündet am 06.12.2022

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