Beschluss vom 06.11.2023 · IWW-Abrufnummer 238423
Landesarbeitsgericht Niedersachsen - Aktenzeichen 2 Ta 218/23
1. Die Verfahrensart, in der ein Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen zu entscheiden ist, bestimmt sich nach § 2 und § 2a ArbGG. In den in § 2 ArbGG geregelten Arbeitssachen findet das Urteilsverfahren statt (§ 2 Abs. 5 ArbGG), während über die in § 2a ArbGG genannten Arbeitssachen im Beschlussverfahren zu befinden ist (§ 2a Abs. 2 ArbGG).
2. Maßgebend für die Bestimmung der zutreffenden Verfahrensart ist der Streitgegenstand. Vom Streitgegenstand werden alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes B-Stadt vom 23. August 2023 - - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über die zutreffende Verfahrensart.
Der antragstellende Beteiligte zu 1) ist freigestelltes Betriebsratsmitglied des bei der Beteiligten zu 2) (im Folgenden auch Arbeitgeberin) gebildeten Betriebsrats. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Haustarifverträge der Arbeitgeberin Anwendung. Der Antragsteller erhielt zuletzt eine Vergütung nach der Entgeltstufe ES 12. Mit Schreiben vom 30. Januar 2023 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass die Entgeltstufe aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen vom 10. Januar 2023 - 6 StR 133/22 - voraussichtlich nach unten korrigiert werden müsse. Die Arbeitgeberin vergütete den Antragsteller ab Februar 2023 nur noch unter Zugrundelegung der Entgeltstufe ES 10.
Der Antragsteller hat folgende Anträge angekündigt:
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23. August 2023, dem Antragsteller am 25. August 2023 zugestellt, die gewählte Verfahrensart des Beschlussverfahrens für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit in das Urteilsverfahren verwiesen.
Hiergegen hat der Antragsteller am 8. September 2023 Beschwerde eingelegt. Er vertritt - zusammengefasst - die Auffassung, das Beschlussverfahren sei vorliegend die richtige Verfahrensart. Er begehre mit seinen Anträgen Unterlassung von Benachteiligungen iSd. § 78 Satz 2 BetrVG und Schadensersatz wegen Verletzung des Benachteiligungsverbots sowie regelmäßige Auskunft zur Prüfung, ob weiterhin ihm gegenüber gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen werde. Hierbei handele es sich um Ansprüche, die aus seiner Amtstätigkeit herrührten und nicht um Individualansprüche. Dass auch andere Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen, sei für die zutreffende Verfahrensart unschädlich. Der Streitgegenstand werde vom Antragsteller und nicht seitens des Gerichts vorgegeben.
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 5. Oktober 2023 nicht abgeholfen und diese dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
B.
Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 80 Abs. 3, § 48 Abs. 1 ArbGG, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Rechtsstreit in das Urteilsverfahren verwiesen.
1.
Die Verfahrensart, in der ein Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen zu entscheiden ist, bestimmt sich nach § 2 und § 2a ArbGG. In den in § 2 ArbGG geregelten Arbeitssachen findet das Urteilsverfahren statt (§ 2 Abs. 5 ArbGG), während über die in § 2a ArbGG genannten Arbeitssachen im Beschlussverfahren zu befinden ist (§ 2a Abs. 2 ArbGG). Dem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren sind ua. bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG ausschließlich zugewiesen. Im Beschlussverfahren ist dagegen ua. nach § 2a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 ArbGG über Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz zu entscheiden, soweit es nicht um strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten nach dem BetrVG geht, die den ordentlichen Gerichten zugewiesen sind (BAG, 22. Oktober 2019 - 9 AZB 19/19 - Rn. 8 mwN).
Maßgebend für die Bestimmung der zutreffenden Verfahrensart ist der Streitgegenstand. Für das Vorliegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit ist entscheidend, ob der geltend gemachte Anspruch bzw. die begehrte Feststellung ihre Rechtsgrundlage in einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis hat. Das Verfahren muss sich auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner beziehen. Immer wenn die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung des Betriebs und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit stehen, sollen darüber die Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn es um Rechte betriebsverfassungsrechtlicher Organe geht. Diese müssen sich nicht unmittelbar aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben, sondern können ihre Grundlage auch in Tarifverträgen oder anderen Rechtsvorschriften haben (BAG, 22. Oktober 2019 - 9 AZB 19/19 - Rn. 10 mwN).
Nach dem für den Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess einschließlich des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geltenden sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt (BAG, 4. Dezember 2013 - 7 ABR 7/12 - Rn. 48). Der Streitgegenstand erfasst alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Antragsteller zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht unterbreitet hat (vgl. BAG, 26. Juni 2013 - 5 AZR 428/12 - Rn. 16 mwN).
2.
Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ist das Urteilsverfahren die richtige Verfahrensart.
a.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist im Kern die Frage, nach welcher Entgeltstufe der Antragsteller ohne Befreiung von der Arbeitsleistung wegen seines Betriebsratsamts zu vergüten wäre.
Der Antragsteller sieht sich aufgrund der Rückgruppierung iVm. den weiteren Änderungen, bspw. des Ansatzes von hypothetischer Mehrarbeit ua., in seinen Rechten nach § 78 Satz 2 BetrVG verletzt. Er sei wegen seiner Betriebsratstätigkeit benachteiligt. Ohne Benachteiligung wäre er richtig eingruppiert und hätte sich betriebsüblich entwickelt. Die vom Antragsteller in den Vordergrund gestellte Benachteiligung nach § 78 Satz 2 BetrVG stellt eine Wertung dar, verändert den hier zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex aber nicht.
b.
Ausgehend von dem Tatsachenvortrag des Antragstellers kommen sowohl kollektivrechtliche (§ 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 823 Abs. 2 BGB) als auch individualrechtliche (§ 611a Abs. 2 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG) Anspruchsgrundlagen in Betracht.
Mit dem Argument, nicht das Gericht, sondern der Antragsteller bestimme den Streitgegenstand, meint der Antragsteller dem Grunde nach, er - der Antragsteller - könne das Prüfprogramm des Gerichts auf die kollektivrechtlichen Anspruchsgrundlagen beschränken. Dem folgt das Beschwerdegericht nicht. Es ist ganz überwiegend anerkannt, dass Streitgegenstand eines Zivilprozesses nicht der materiell-rechtliche Anspruch iSd. § 194 BGB ist. Vom Streitgegenstand werden alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen (BAG, 19. November 2019 - 3 AZR 281/18 - Rn. 46). Könnte der Antragsteller das Prüfprogramm des Gerichts auf einzelne Anspruchsgrundlagen begrenzen und wäre das Gericht nach § 308 Abs. 1 ZPO verpflichtet, den Sachverhalt auch nur unter den zur Entscheidung gestellten Anspruchsgrundlagen zu prüfen, würde der Streitgegenstand auch nur teilweise - hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen, über welche eine Entscheidung ergangen ist - in Rechtskraft erwachsen. Der Antragsteller könnte mit den noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Anspruchsgrundlagen sein Begehren trotz lediglich bestehender Anspruchsgrundlagenkonkurrenz in einem weiteren Urteilsverfahren verfolgen. Diese Konsequenz ist zu vermeiden.
Der Umstand, dass der Antragsteller mit seinen Anträgen und/oder in der Anspruchsbegründung ausdrücklich (nur) einen aus § 78 Satz 2 BetrVG abgeleiteten betriebsverfassungsrechtlichen Leistungs- oder Schadensersatzanspruch geltend macht, macht die streitige Angelegenheit nicht bereits zu einer betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheit.
c.
Verfahren, die den Anspruch eines Betriebsratsmitglieds auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die durch Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben ausgefallene berufliche Tätigkeit (§ 37 Abs. 2 BetrVG) bzw. einen Vergütungsanspruch eines gemäß § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieds zum Gegenstand haben, sind bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG und gehören nicht zu den "Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz" gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Sie sind daher im Urteilsverfahren zu entscheiden (BAG, 12. Juni 2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 10).
Vorliegend geht es dem Antragsteller in der Sache um Zahlung von Arbeitsentgelt. Es ist zunächst zu prüfen, welcher Entgeltstufe der Antragsteller nach § 37 Abs. 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB ohne seine Freistellung zuzuordnen wäre. Abhängig vom Ergebnis dieser Prüfung kann oder muss sich die Prüfung anschließen, ob sich Ansprüche des Antragstellers (auch) aus einer Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 78 Satz 2 BetrVG ergeben. Bei der vom Antragsteller vordergründig bedienten Anspruchsgrundlage, basierend auf § 78 Satz 2 BetrVG, handelt es sich um einen sekundären Anspruch, der auch für die Bestimmung der richtigen Verfahrensart nur sekundär heranzuziehen ist.
Aus diesem Grund war die Beschwerde zurückzuweisen.
Vorstehende Wertung betrifft sämtliche vom Antragsteller geltend gemachten Ansprüche, die allesamt dem Bereich der Arbeitsvergütung zuzuordnen sind und erkennbar nur als Unterstützungsanträge dem Antragsteller zu einer aus seiner Sicht zutreffenden Arbeitsvergütung verhelfen sollen.
Urteils- und Beschlussverfahren schließen sich gegenseitig aus. In welcher Verfahrensart eine in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fallende Streitigkeit zu entscheiden ist, ist von Amts wegen zu prüfen und zu entscheiden. Welches Prozessrecht zur Anwendung gelangt, unterliegt somit nicht der Disposition der Parteien oder Beteiligten, sondern hängt vom jeweiligen Streitgegenstand ab (BAG, 12. Juni 2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 15).
C.
Der Antragsteller hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Eine Kostenentscheidung hat nicht deshalb zu unterbleiben, weil nach §§ 80 Abs. 3, 48 Abs. 1 ArbGG iVm. §§ 17 bis 17b GVG innerhalb des unzutreffend eingeleiteten Beschlussverfahrens über die Zulässigkeit der Verfahrensart zu entscheiden war. In Beschwerdeverfahren nach § 48 Abs. 1 ArbGG (ggf. iVm. § 80 Abs. 3 ArbGG), § 17a Abs. 4 GVG bestimmen sich die Kostenregelungen nach der Verfahrensart, in die der Rechtsstreit verwiesen wird (BAG, 12. Juni 2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 12).
Über die sofortige Beschwerde war ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden (§ 78 Satz 3 ArbGG).
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 80 Abs. 3, 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG. Vorliegend besteht jedenfalls eine Divergenz zu der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 7. November 2017 - 3 Ta 166/17 -.