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12.08.2005 · IWW-Abrufnummer 052286

Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 28.06.2005 – 17 K 6808/02 E

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Düsseldorf

Urteil

Aktenzeichen: 17 K 6808/02 E


Tenor:

Der Ablehnungsbescheid vom 15.04.2002 und die Einspruchsentscheidung vom 06.11.2002 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, die Einkommensteuerbescheide für 1995 vom 17.04.1996,1996 vom 28.04.1997,1997 vom 06.12.1999 und für 1998 vom 07.12.1999 dahingehend zu ändern, dass weitere Unterhaltszahlungen des Klägers in Höhe von 15.000 DM jährlich als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anerkannt werden.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

Der in zweiter Ehe verheiratete Kläger leistete in den Streitjahren Unterhaltszahlungen in Höhe von 27.000 DM an seine erste Ehefrau S. Er beantragte - unter Verwendung der Anlage "U" - für 1995 bis 1998 den Abzug von Unterhaltszahlungen in Höhe von 12.000 DM jährlich als Sonderausgaben. Dem Beklagten (FA) lag ab dem Kalenderjahr 1990 eine Zustimmungserklärung der ersten Ehefrau zum Abzug der Unterhaltszahlungen als Sonderausgaben vor. Das FA gewährte den Sonderausgabenabzug durch Steuerbescheide vom 17.04.1996 (1995), 28.04.1997 (1996), 06.12.1999 (1997) und vom 07.12.1999 (1998) antragsgemäß.

Mit Schreiben vom 20.01.2001 beantragten die Kläger nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) einen Sonderausgabenabzug in Höhe von jährlich 27.000 DM.

Das FA lehnte eine Änderung der Bescheide ab. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und beriefen sich nunmehr auf § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Daraufhin haben die Kläger Klage erhoben. Sie sind der Auffassung, eine Erweiterung des Antrags auf Abzug von Unterhaltszahlungen als Sonderausgaben stelle ebenso ein rückwirkendes Ereignis dar, wie eine spätere erstmalige AntragsteIlung. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 12.07.1989 (X R 8/84, Bundessteuerblatt - BStBI - 11 1990,957) entschieden, dass letztere steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe.

Die Kläger haben geänderte Anlagen "U" mit einer entsprechenden Zustimmungserklärung der S ab 1995 zum Abzug der Unterhaltsaufwendungen als Sonderausgaben eingereicht. Sie haben Kontoauszüge vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass der Kläger Unterhaltszahlungen in Höhe von 27.000 jährlich geleistet hat.

Die Kläger beantragen,

den Ablehnungsbescheid vom 15.04.2002 und die Einspruchsentscheidung vom 06.11.2002 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide für 1995 bis 1998 dahingehend zu ändern, dass weitere Unterhaltszahlungen in Höhe von 15.000 DM jährlich als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) anerkannt werden.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es ist nach wie vor der Auffassung, dass die Erhöhung eines begrenzten Antrags zum Realsplitting nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt und verweist auf ein Urteil des BFH vom 22.09.1999 (XI R 121/96, BStBl1i 2000, 218). Hiernach binde die Ausübung des Wahlrechts die am Realsplitting Beteiligten bereits vor der Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids.

Die Klage ist begründet.

Die Einkommensteuerbescheide für 1995 bis 1998 sind nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, da die im Streitfall erfolgte nachträgliche Erweiterung des Antrags des Unterhaltleistenden auf Durchführung des Realsplittings mit Zustimmung der Unterhaltsempfängerin ein rückwirkendes Ereignis in Sinne von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO darstellt und § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG einer Erweiterung nicht entgegen steht.

I.

Nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

Nach dem Wortsinn und Zweck der Korrekturvorschrift erfasst der Begriff des "rückwirkenden Ereignisses" alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge - auch tatsächliche Vorgänge - ,die steuerlich in der Weise Rückwirkung entfalten, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zu Grunde zu legen ist. Bei laufend veranlagten Steuern, wie der ESt, sind die auf Grund neuer Ereignisse materiell- rechtlich erforderlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern erst in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn Vorschriften des materiellen Steuerrechts (ausnahmsweise) bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand erheblichen Sachverhalts auch zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt (Beschluss des BFH vom 19.07.1993, GrS 2/93, BStBl1i 1993, 897).

Das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses wird bejaht, wenn nach Unanfechtbarkeit eines Einkommensteuerbescheids die Zustimmung zur Anwendung des Realsplittings erteilt oder der Antrag nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG gestellt wird (BFH-Urteil vom 12.07.1989, a.a. 0.). Dies beruht auf der Überlegung, dass Unterhaltsaufwendungen nach § 12 Nr. 2 EStG - vom Ausnahmefall des § 33 a EStG abgesehen - steuerlich nicht abzugsfähig sind. Erst durch den Antrag des Leistenden und die Zustimmung des Leistungsempfängers werden sie nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nachträglich zu Sonderausgaben umqualifiziert.

Die im Streitfall erfolgte nachträgliche Erweiterung des Antrags des Unterhaltleistenden auf Durchführung des Realsplittings mit Zustimmungserklärung der Unterhaltsempfängerin stellt ebenfalls ein rückwirkendes Ereignis in Sinne von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Es ergab sich hierdurch ein neuer Sachverhalt. Dieser bewirkte auch eine Veränderung der Rechtsfolgen. Der vom Kläger gezahlte Unterhalt wurde zwar bereits zu den Zeitpunkten der erstmaligen Antragstellungen für 1995 bis 1998 und der ursprünglichen Zustimmungserklärung in vollem Umfang von steuerlich unbeachtlichen Unterhaltsleistungen zu Sonderausgaben umqualifiziert. Eine Rechtsfolgenänderung trat jedoch insoweit ein, als aus bisher steuerlich nicht abziehbaren Sonderausgaben abziehbare Sonderausgaben wurden (zur Umqualifizierung und Abziehbarkeit siehe BFH-Urteile vom 22.09.1999, XI R 121/96, BStBl1i 2000, 218 und 07.11.2000, 111 R 23/98, BStBl1i 2001,338; Stephan in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Loseblattsammlung, § 10 Rdnr. 19 und 20; Stöcker in Bordewin/Brandt, Kommentar zum EStG, Loseblattsammlung, § 10 Rdnr. 106).

II.
Der Senat hält eine Erweiterung des Antrags auf Durchführung des Realsplittings nach dem Ergehen der Steuerbescheide für zulässig (ebenso Gerard in Lademann, Kommentar zum EStG, Loseblattsammlung, § 10 Rdnr. 29; Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Kommentar, Loseblattsammlung, § 10 Rdnr. 27 kund Hutter in Blümich, EStG, Kommentar, Loseblattsammlung, § 10 Rdnr. 78; unklar Heinicke in Schmidt, 23. Auflage 2004, § 10 Rdnr. 53). Nach den Regelungen in § 10 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 2 und 4 EStG kann der Antrag auf Durchführung des Realsplittings zwar nicht zurückgenommen und die Zustimmung nur vor Beginn des betroffenen Kalenderjahres widerrufen werden. Hieraus folgert der BFH, dass die entsprechenden einmal ausgeübten Erklärungen nachträglich auch nicht betragsmäßig vermindert werden können (siehe Urteile vom 22.09.1999 XI R 121/99 und 07.11.2000111 R 23/98 a.a.O.) Der Senat folgt dem, denn die Einschränkung des Antrags stellt eine Teilrücknahme dar und wenn eine Rücknahme des Antrags nicht möglich sein soll, muss Gleiches auch für eine Teilrücknahme gelten.

Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG enthält jedoch kein Verbot der nachträglichen Erweiterung des Antrags des Unterhaltsleistenden (mit Zustimmung des Empfängers) auf Berücksichtigung weiterer Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben. Ob ein solches Verbot entgegen dem Wortlaut und zu Lasten des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG in die Vorschrift hineininterpretiert werden könnte, kann unentschieden bleiben. Denn für eine derartige Auslegung gegen den Wortlaut fehlt es schon an einem klar feststellbaren gesetzgeberischen Willen.

Weder dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens noch dem hierzu vorliegenden Textmaterial lässt sich entnehmen, dass eine Erweiterung des Antrags auf Realsplitting den Zielvorstellungen der Gesetzgebers widerspricht. Die Möglichkeit einer Erweiterung hat der Gesetzgeber wohl nicht bedacht. Allerdings lässt sich dem Bericht des Finanzausschusses entnehmen, dass die Einführung des zunächst auf 9.000 DM "begrenzten Realsplittings" einer verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen wurde. Hierbei erfolgte eine Abwägung zwischen dem grundgesetzlich gebotenen Schutz intakter Ehen und Familien einerseits und dem im Einkommensteuerrecht geltenden Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bei dem Unterhaltszahlenden sowie dem Unterhaltsempfänger (siehe Bundestagsdrucksachen 8/2118, 2200, und 2201, insbesondere 8/2201, S. 5). Will man der Leistungsfähigkeit des Klägers bei der Besteuerung Rechung tragen, so ist ihm ein Abzug des ab 1992 geltenden - bis heute nicht mehr angepassten - Höchstbetrags von 27.000 DM zu gewähren.

Die in § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG geregelte Bindungswirkung bezweckt zwar eine Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens (siehe Stöcker in Bordewin/Brandt, Kommentar zum EStG, Loseblattsammlung, § 10 EStG, Rdnr. 106). Hieraus können für den vorliegenden Streitfall aber keine entscheidenden Rückschlüsse gezogen werden. Denn gerade bei der Besteuerung von Ehegatten spielt das Ziel der Verwaltungsvereinfachung insgesamt eine eher untergeordnete Rolle. So können diese bei der Einkommensbesteuerung zwischen den Veranlagungsarten nach § 26 a, bund c EStG wählen und ihr bereits ausgeübtes Wahlrecht bis zur Bestandskraft der Steuerbescheide uneingeschränkt und auch mehrfach ändern (ständige Rechtsprechung des BFH, zuletzt bestätigt durch Urteil vom 03.05.2005 111 R 60/03, BFH Pressemitteilung Nr. 17 vom 25.05.2005).

Aus dem Urteil des 11. Senats des BFH vom 22.09.1999 (Az: XI R 121/96, a.a.O) ergibt sich nichts anderes. Dieser hat zwar ausgeführt, die am Realsplitting Beteiligten seien nach dem Gesetzeszweck an ihre einmal getroffene Wahlrechtsausübung bereits vor Unanfechtbarkeit der Steuerbescheide gebunden. In dem entschiedenen Streitfall war jedoch eine nachträgliche Einschränkung der Zustimmung des Unterhaltsempfängers auf Durchführung des Realsplittings erfolgt. Zur vorliegenden Fallkonstellation ist damit nichts gesagt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, weil dies zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. Denn der Streitfall wirft Rechtsfragen auf, die höchstrichterlich noch nicht geklärt sind.

RechtsgebietEStGVorschriften§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG

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