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05.01.2006 · IWW-Abrufnummer 053199

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 26.04.2005 – 9 U 113/04

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Gründe

I. Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche des Klägers auf Grund einer bei der Beklagten abgeschlossenen Vollkaskoversicherung wegen eines Verkehrsunfalls des PKW Chevrolet Corvette Cabrio (amtliches Kennzeichen xx - xx xxx).

Der Kläger kam am 16.11.2002 gegen 12.50 Uhr mit seinem Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von mindestens 120 km/h auf der Autobahn, K. - 0., Kreis H.-R., Ortsteil B., von der Fahrbahn ab und überschlug sich. Durch den Unfall erlitt der Kläger schwere Verletzungen und wurde zur stationären Behandlung in das Krankenhaus B. H. transportiert. An dem Kraftwagen entstand wirtschaftlicher Totalschaden.

Die unfallaufnehmenden Polizeibeamten stellten fest (BI.31 GA), dass bei dem Reifen vorne rechts innen auf einer Breite von 6 cm kein Profil vorhanden war, der Rest wies eine Profiltiefe von 1,0 bis 3,0 mm auf. Der vordere linke Reifen hatte auf beiden Seiten einen Rand von 5 cm mit einer Profiltiefe von 0,0 bis 0,3 mm, der Rest wies 4,00 mm auf. Die hinteren Reifen hatte eine Profiltiefe von 2,0 bis 4,0 mm. Die Fahrbahn war nach den Feststellungen der Polizei trocken.
Die Lebensgefährtin des Klägers, die Zeugin P., füllte unter dem Datum des 16.12.2002 (BI. 100 ff GA) die Schadenmeldung aus. Sie unterschrieb mit dem Namen des Klägers. In der Schadenmeldung trug die Zeugin, nachdem sie mit dem Kläger im Krankenhaus über den Unfall gesprochen hatte, handschriftlich ein in die vorgedruckte Zeile "Vorgeschriebene Geschwindigkeit:.. "120 km/h erlaubt, ca. 90 km/h gefahren." Zum Schadenhergang trug sie ein:" Ich fuhr am 16.11.02 auf der BAB 4 Richtung Erfurt. An diesem Tag regnete es so stark, dass sich in einer Senke Wasser angesammelt hatte. Verkehrsbedingt musste ich abbremsen und geriet dadurch ins Schleudern .....

Die Beklagte lehnte außergerichtlich die Regulierung ab, weil der Schaden im Hinblick auf verkehrsunsichere Reifen grob fahrlässig herbeigeführt sei.

Mit der Klage hat der Kläger eine Entschädigungsbetrag von 28.000,00 EUR nebst Zinsen verlangt.

Die Beklagte hat sich wegen der mangelnden Profiltiefe der Reifen auf Gefahrerhöhung und falsche Angaben in der Schadenanzeige zum Hergang berufen. Schließlich hat sie die Höhe des anzurechnenden Restwertes bestritten.

Das Landgericht hat nach Vernehmung der Zeugin die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, es bestehe Leistungsfreiheit, weil die Zeugin die Schadenmeldung im Hinblick auf den Straßenzustand und die gefahrene Geschwindigkeit in grob fahrlässiger Weise falsch ausgefüllt habe, was dem Kläger über die Grundsätze der Wissenserklärungsvertretung zuzurechnen sei.

Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil und seine tatsächlichen Feststellungen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1ZPO) Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers. Er macht im Wesentlichen geltend, er habe die Zeugin nicht konkret mit der Ausfüllung der Schadenmeldung betraut. Diese habe die Angaben ohne sein Wissen gemacht. Vom 16.11.2002 bis 28.11.2002 sei er auf der postoperativen Intensivstation im Krankenhaus behandelt worden. Danach sei er auf Grund von Medikamenten nicht bei klarem Bewusstsein gewesen. Zudem sei die Zeugin als Mitarbeiterin der Beklagten tätig geworden. Außerdem sei er bei trockener Straße von der Fahrbahn abgekommen, so dass auch bei abgefahrenen Reifen eine Haftung wie mit VollprofiI vorhanden gewesen sei.

Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen,
an den Kläger 28.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten
über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 12.2.2003
zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, dass der Kläger die Zeugin generell mit der Bearbeitung seiner Versicherungsangelegenheiten betraut habe. Sie habe zumindest bedingt vorsätzlich falsche Angaben zu den Umständen des Unfalls gemacht.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Schriftsätze verwiesen.

II. Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Dem Kläger steht aus der Vollkaskoversicherung gegen die Beklagte ein Entschädigungsanspruch wegen des Schadenereignisses vom 16.11.2002 aus §§ 1, 49 WG, 12 Abs. 11 e AKB nicht zu.
Der Ersatzanspruch des Klägers entfällt, weil die Beklagte wegen schuldhafter Verletzung der dem Versicherungsnehmer nach § 7 I Nr. 2 Satz 3 AKB obliegenden Aufklärungspflicht gemäß § 7 V Nr. 4 AKB in Verbindung mit § 6 Abs. 3 WG von ihrer etwaigen Leistungspflicht frei geworden ist.

a) Der Versicherungsnehmer ist nach Eintritt des Versicherungsfalles gemäß § 7 I Nr. 2 Satz 3 AKB verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann. Dazu gehört auch die Pflicht, den Versicherer wahrheitsgemäß und vollständig über solche Umstände zu unterrichten, die für die Regulierung von Bedeutung sind. Es muss dem Versicherer ermöglicht werden, sachgemäße Feststellungen zu treffen. Diese Aufklärungsobliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls ist verletzt worden, wobei dem Kläger das Handeln seiner Lebensgefährtin, der Zeugin Pegel, zuzurechnen ist.

b) Eine falsche Angabe liegt bereits darin, dass die vor dem Landgericht vernommene Zeugin in der Schadenmeldung an die Beklagte vom 16.12.2002 die gefahrene Geschwindigkeit mit "ca. 90 km/h" angegeben hat, obwohl der Kläger in Wahrheit mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h gefahren ist. Dies hat der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Landgericht (BI. 46 ff GA) eingeräumt, wobei er zudem erwähnt, dass er den Tempomat eingestellt gehabt habe. Außerdem hat die Zeugin im Zusammenhang mit der Schilderung des Schleudervorgangs angegeben, dass es so stark geregnet habe, dass sich in einer Senke Wasser angesammelt habe. In Wirklichkeit war der Straßenzustand ausweislich der Feststellungen der Polizei trocken. Dass die Zeugin insoweit eine unzutreffende Darstellung gegeben hat, räumt der Kläger in seiner Berufungsbegründung auch ein.

c) Diese falschen Angaben sind dem Kläger auch zuzurechnen. Die Zeugin P. war nämlich Wissenserklärungsvertreterin des Versicherungsnehmers.

Wissenserklärungsvertreter ist, wer vom Versicherungsnehmer mit der Erfüllung von dessen Obliegenheiten und zur Abgabe von Erklärungen an Stelle des Versicherungsnehmers betraut worden ist (vgl. BGH, r+s 1993, 281 = VersR 1993,960; Prölss in Prölss/Martin, WG, 27. Aufl, § 6 Rn 54). Es reicht aus, wenn der Dritte generell mit den genannten Aufgaben betraut worden ist, was sich auch aus den Umständen ergeben kann. So liegt es hier.

Die Zeugin hat ausgesagt, dass sie die gesamten versicherungsrechtlichen Angelegenheiten des Klägers erledigt habe, was auch heute noch so sei Eine insoweit vom Versicherungsnehmer erklärte Einschränkung ergibt sich aus der Bekundung nicht. Vielmehr hat ein generelles Einverständnis des Versicherungsnehmers mit dem Handeln der Zeugin vorgelegen.

Dass die Zeugin mit dem Namen des Versicherungsnehmers unterschrieben hat, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Auf die Differenzierung bei dem Abschluss von Rechtsgeschäften unter fremdem Namen (vgl. PalandtHeinrichs, BGB, 64. Aufl., § 164, Rn 10 - 13) kommt es bei der hier vorliegenden Wissenserklärung nicht an. Die Zeugin hat mit Wirkung für den Versicherungsnehmer als Vertreter unterschrieben, ohne dies kenntlich zu machen.

d) Aus den danach unzutreffenden Angaben folgt Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 7 I Nr. 2 Satz 3, V Nr. 4 AKB i.V.m. § 6 Abs. 3 WG.
Die gegen die Zeugin als Wissenserklärungsvertreterin sprechende Vorsatzvermutung (§ 6 Abs. 3 S. 1 WG) ist nicht widerlegt.
Sie hat jedenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt. Nach ihrer eigenen Aussage hat sie erkannt, dass der Kläger auf der Intensivstation "viel Unsinn erzählt habe, nichts, was man ernst nehmen könne". Der Kläger räumt auch ein, dass sich die Zeugin dann habe "etwas einfallen lassen", nachdem sie sich selbst ein "vermeintliches Bild vom Unfallhergang" sporadisch gemacht zu haben schien. Wenn in einem solchen Fall bewusst "ins Blaue hinein" feststehende Angaben gemacht werden, ist die Kenntnis der Ungewissheit der Kenntnis der Unrichtigkeit gleichzusetzen (vgl. Senat, r+s 2004, 229; OLG Hamm, r+s 1995, 208). Dass die Sachbearbeiterin der Beklagten eine schnelle Bearbeitung wünschte, entlastet die Zeugin nicht.

Nach den Grundsätzen der sog. Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, VersR 1984,228), tritt bei vorsätzlichen, aber für den Versicherer folgenlos gebliebenen Verletzungen der Aufklärungspflicht Leistungsfreiheit allerdings nur ein, wenn die Verletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und wenn dem Versicherungsnehmer ein schweres Verschulden zur Last fällt. Ferner muss er über den Eintritt der Leistungsfreiheit des Versicherers bei derartigen Obliegenheitsverletzungen zutreffend belehrt worden sein. Diese Voraussetzungen sind in der Person der Zeugin gegeben. Die Obliegenheitsverletzung war geeignet, die Interessen der Beklagten als Versicherer ernsthaft zu gefährden. Es liegt auf der Hand, dass der Kaskoversicherer für seine Regulierungsentscheidung über die Umstände des Unfalls informiert sein muss. Die Belehrung in dem Fragebogen ist inhaltlich zutreffend und entspricht den Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 1998,447; r+s 1993, 321 ). Dem Versicherungsnehmer ist klar und deutlich gesagt, dass bewusst unwahre oder unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, auch wenn dem Versicherer hierdurch kein Nachteil entsteht. Es liegen keine Umstände vor, die das Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten.
Auf die Frage der groben Fahrlässigkeit und der Kausalität oder der Gefahrerhöhung durch Fahren mit abgefahrenen Reifen kommt es nicht mehr an.

2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO n. F. sind nicht gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen

Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.
Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 28.000,00 EUR

RechtsgebietVersicherungsrechtVorschriften§ 7 AKB

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