04.07.2006 · IWW-Abrufnummer 061921
Bundesgerichtshof: Urteil vom 17.05.2006 – IV ZR 230/05
Sehen die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung die Anrufung eines Ärzteausschusses im Einverständnis beider Seiten vor, kann der Versicherer, der eine Leistung ablehnt, nicht zugleich die Frist des § 12 Abs. 3 VVG für eine gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen wirksam setzen, wenn er dabei nicht ausdrücklich klarstellt, dass er sich gegen ein Verfahren vor dem Ärzteausschuss entschieden hat.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 230/05
Verkündet am:
17. Mai 2006
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2006
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. September 2005 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht Ansprüche gegen die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend. Im Jahre 2000 erkrankte er. Nachdem sein Krankentagegeldversicherer ein ärztliches Gutachten eingeholt und den Kläger darauf hingewiesen hatte, er sei berufsunfähig, meldete er Ansprüche bei der Beklagten an.
Nach Einholung eines weiteren ärztlichen Gutachtens teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 2. November 2001 - zugegangen am 14. November 2001 - u.a. mit:
"...
Aufgrund der ärztlichen Einschätzung sind uns daher Leistungen aus dieser BUZ zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich.
Sollte jedoch zu unserer heutigen Entscheidung kein Einverständnis bestehen, müssten die vermeintlichen Ansprüche innerhalb einer Frist von 6 Monaten - gerechnet ab Zugang dieses Schreibens - gerichtlich gegen uns geltend gemacht werden. Wird diese Frist versäumt, so sind wir gemäß § 12 III Versicherungsvertragsgesetz allein schon wegen des Fristablaufs von der Verpflichtung zur Leistung frei. ..."
Der anwaltlich vertretene Kläger machte mit Schreiben vom 2. Mai 2002 geltend, im Hinblick auf das in den Bedingungen der Beklagten vorgesehene Verfahren vor dem Ärzteausschuss, dessen Durchführung verlangt werde, sei die Belehrung der Beklagten in ihrem Schreiben vom 2. November 2001 unvollständig. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 7. Mai 2002, nach den Bedingungen stehe auch dem Versicherer das Recht zu, anstelle einer Entscheidung des Ärzteausschusses eine Entscheidung durch die ordentlichen Gerichte zu verlangen; von diesem Recht habe sie in ihrem Schreiben vom 2. November 2001 Gebrauch gemacht und folgerichtig den Hinweis nach § 12 Abs. 3 VVG erteilt. Der Kläger reichte seine Klage am 1. August 2002 bei Gericht ein. Die Beklagte hat sich auf Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG berufen.
Die maßgebenden Bestimmungen in den Versicherungsbedingungen der Beklagten (im Folgenden: AVB) lauten:
"§ 5 Wann geben wir eine Erklärung über unsere Leistungspflicht ab?
Nach Prüfung der uns eingereichten sowie der von uns beigezogenen Unterlagen erklären wir, ob und von welchem Zeitpunkt an wir eine Leistungspflicht anerkennen.
§ 6 Bis wann können bei Meinungsverschiedenheiten Rechte geltend gemacht werden und wer entscheidet in diesen Fällen?
1. Wenn derjenige, der den Anspruch auf die Versicherungsleistung geltend macht, mit unserer Leistungsentscheidung (§ 5) nicht einverstanden ist, kann er innerhalb von sechs Monaten nach Zugang unserer Entscheidung Klage erheben. Die Entscheidung liegt dann ausschließlich bei den Gerichten.
2. Beschränken sich die Meinungsverschiedenheiten auf die Frage, ob, in welchem Grad oder von welchem Zeitpunkt an Berufsunfähigkeit vorliegt, so entscheidet anstelle des Gerichts ein Ärzteausschuß, wenn sich beide Seiten darauf einigen. Der Ansprucherhebende muß sich innerhalb von sechs Monaten nach Zugang unserer Leistungsentscheidung (§ 5) äußern, ob er das Verfahren vor dem Ärzteausschuß wünscht.
3. Läßt der Ansprucherhebende die Sechsmonatsfrist verstreichen, ohne daß er entweder vor dem Gericht Klage erhebt oder das Verfahren vor dem Ärzteausschuß verlangt, so sind weitergehende Ansprüche, als wir sie anerkannt haben, ausgeschlossen. Auf diese Rechtsfolge werden wir in unserer Erklärung nach § 5 besonders hinweisen.
..."
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat die Beklagte nach Beweisaufnahme über die Berufsunfähigkeit im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Beklagte nicht nach § 12 Abs. 3 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden. Denn es fehle an einer wirksamen Belehrung gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG. Die Beklagte habe in ihrem Schreiben vom 2. November 2001 nicht gemäß § 6 Nr. 3 Satz 2 AVB darauf hingewiesen, dass die Sechsmonatsfrist außer durch gerichtliches Geltendmachen des Anspruchs auch durch das Verlangen gewahrt werde, den Ärzteausschuss einzuschalten. Die Beklagte habe sich in dem Schreiben vom 2. November 2001 auch nicht dahin erklärt, dass sie selbst nicht mit einer Entscheidung des Ärzteausschusses einverstanden sei, so dass dem Kläger nur der Weg gerichtlicher Geltendmachung offen stehe. Dies sei dem Schreiben der Beklagten zwar konkludent zu entnehmen. Das genüge aber nicht, weil ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer aufgrund des § 6 AVB eine ausdrückliche Erklärung der Beklagten erwarten könne, wenn diese das Verfahren vor dem Ärzteausschuss von sich aus ablehnen wolle. Denn § 6 AVB sehe zunächst auf einer ersten Stufe eine Belehrung darüber vor, dass der Versicherungsnehmer entweder das Verfahren vor dem Ärzteausschuss oder ein gerichtliches Verfahren verlangen könne. Wähle der Versicherungsnehmer dann das Verfahren vor dem Ärzteausschuss, könne die Beklagte dies auf einer weiteren Stufe ablehnen. Wenn die Beklagte dagegen die Anrufung des Ärzteausschusses sofort von sich aus ablehnen wolle, was zulässig sei, müsse sie dies für den Versicherungsnehmer eindeutig verständlich machen; dann erst könne die Beklagte den Versicherungsnehmer auf die gerichtliche Geltendmachung verweisen. An einer eindeutigen Erklärung der Beklagten, sie lehne den Ärzteausschuss ab, fehle es jedoch im Schreiben vom 2. November 2001. Der verständige Versicherungsnehmer müsse diesem Schreiben nicht zwingend entnehmen, dass damit zugleich die Anrufung des Ärzteausschusses abgelehnt werde. Auch in den nachfolgenden Schreiben habe die Beklagte lediglich auf ihr Schreiben vom 2. November 2001 Bezug genommen. Damit sei die Frist des § 12 Abs. 3 VVG nicht wirksam in Gang gesetzt worden.
Das Berufungsgericht stellt schließlich fest, der Kläger sei bedingungsgemäß berufsunfähig.
2. Die Revision greift die Feststellungen zur Berufungsunfähigkeit des Klägers nicht an. Sie wendet sich allein gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Frist des § 12 Abs. 3 VVG sei nicht wirksam in Lauf gesetzt worden. Diese Annahme trifft jedoch im Ergebnis zu.
a) Aus dem Schreiben der Beklagten vom 2. November 2001 geht hervor, dass die Beklagte ihre Leistungsverpflichtung nur deshalb abgelehnt hat, weil sie anderer Meinung als der Kläger hinsichtlich der Frage war, ob bei ihm nach ärztlicher Einschätzung Berufsunfähigkeit vorliege. Mithin kam hier nach § 6 Nr. 2 Satz 1 AVB grundsätzlich anstelle des Gerichts auch eine Entscheidung des Ärzteausschusses in Betracht, wenn sich beide Seiten darauf einigten. Aus der Notwendigkeit einer Einigung beider Seiten geht für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis es für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen ankommt (st. Rspr., vgl. BGHZ 123, 83, 85), hinreichend deutlich hervor, dass der Versicherer nicht verpflichtet ist, das Verfahren vor dem Ärzteausschuss auf Wunsch des Versicherungsnehmers durchzuführen, sondern diese Alternative auch von sich aus ablehnen kann. Das kann bereits in der Entscheidung über die Leistungsablehnung nach § 5 AVB geschehen (Senatsurteil vom 7. November 1990 - IV ZR 201/89 - VersR 1991, 90 unter 3), wie das Berufungsgericht auch nicht verkannt hat. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Kläger mit ihrem Schreiben vom 2. November 2001 zwar unter Belehrung über die Folgen einer Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG allein auf den Weg der gerichtlichen Geltendmachung verwiesen. Eine ausdrückliche Ablehnung des Verfahrens vor dem Ärzteausschuss enthält es aber nicht.
b) Indessen wird erst durch die Ablehnung des Verfahrens vor dem Ärzteausschuss die Rechtslage geschaffen, die Voraussetzung für die Anwendung von § 12 Abs. 3 VVG ist. Hierfür genügt eine Leistungsablehnung des Versicherers für sich genommen noch nicht, weil die Versicherungsbedingungen bei Meinungsverschiedenheiten über Fragen der Berufsunfähigkeit auch das Verfahren vor dem Ärzteausschuss vorsehen. Solange sich noch keine der Parteien einem solchen Verfahren verschlossen hat, ist die Ablehnung der Leistungspflicht durch den Versicherer nicht endgültig.
Kann der Versicherer von § 12 Abs. 3 VVG also erst Gebrauch machen, wenn die in § 6 Nr. 2 Satz 1 AVB eröffnete Möglichkeit einer Entscheidung des Ärzteausschusses nicht mehr in Betracht kommt, muss er, wenn dies nicht schon geschehen ist, spätestens im Zusammenhang mit seiner Belehrung nach § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG deutlich machen, dass er das Verfahren vor dem Ärzteausschuss ablehne und dieser Weg deshalb auch für den Versicherten abgeschnitten sei. Denn erst mit dem Zugang einer solchen Erklärung wird der Rechtszustand geschaffen, den die Anwendung des § 12 Abs. 3 VVG voraussetzt (Senatsurteil vom 7. November 1990 aaO).
c) Das Berufungsgericht hat auch nicht verkannt, dass eine Belehrung nach § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG - wie sie hier im Schreiben vom 2. November 2001 erteilt worden ist - als konkludente Ablehnung einer an sich noch möglichen Anrufung des Ärzteausschusses gemeint sein kann. Ein solches Verständnis liegt aber für den Empfänger dieser Erklärung gerade bei sorgfältiger Prüfung der hier vereinbarten Versicherungsbedingungen fern. Die ablehnende Leistungsentscheidung im Schreiben vom 2. November 2001 eröffnete dem Kläger nach § 6 Nr. 2 Satz 2 AVB ohne weiteres die Möglichkeit, innerhalb von sechs Monaten klarzustellen, ob er eine Anrufung des Ärzteausschusses wünsche. Dieser Vorschrift liegt - wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat - die Vorstellung zugrunde, dass sich der Versicherer nicht schon in seiner Leistungsentscheidung gemäß § 5 AVB zu der Frage äußern werde, ob er dem Verfahren vor dem Ärzteausschuss zustimme oder nicht, sondern erst nach einem entsprechenden Verlangen des Versicherungsnehmers. In diese Richtung weist auch die in § 6 Nr. 3 Satz 2 AVB vorgesehene Belehrung. Will der Versicherer von diesem Verfahren abweichen und mit seiner Leistungspflicht zugleich auch eine Anrufung des Ärzteausschusses ablehnen, was ihm die Bedingungen nicht verwehren, bedarf dies einer ausdrücklichen Klarstellung, die zu einer Belehrung nach § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG hinzutreten muss (Senatsurteil vom 7. November 1990 aaO; vgl. Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 12 Rdn. 92; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. AUB 61 § 12 Rdn. 4 unter Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Ansicht). Andernfalls bleiben bei einer nicht weiter im Hinblick auf § 6 Nr. 2 Satz 1 AVB erläuterten Verweisung des Versicherungsnehmers auf eine gerichtliche Geltendmachung wie im vorliegenden Fall zumindest Zweifel, ob das Verfahren vor dem Ärzteausschuss noch möglich sei und dem Versicherungsnehmer deshalb offen stehe, sich für diese Alternative zu entscheiden.
Das Berufungsgericht hat daher mit Recht angenommen, dass mit Schreiben vom 2. November 2001 die Frist des § 12 Abs. 3 VVG nicht in Lauf gesetzt worden ist.