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23.08.2007 · IWW-Abrufnummer 072718

Bundesfinanzhof: Urteil vom 15.03.2007 – III R 28/06

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Gründe:

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat zwei Söhne und eine 1996 geborene Tochter, die aufgrund einer Birkenpollenallergie an allergischem Asthma-Bronchiale leidet.

Im November 2003 ließ der Kläger alle 67 Birken auf seinem Wohngrundstück fällen. Dafür entstanden ihm Aufwendungen in Höhe von 7 716 ¤, die er als außergewöhnliche Belastung geltend machte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte diese Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid 2003 nicht.

Im Einspruchsverfahren legte der Kläger ein fachärztliches Attest vom 10. Juni 2004 vor. Danach leidet die Tochter an schwerem allergischem Asthma-Bronchiale und nachgewiesener massiver Birkenpollenallergie und befand sich seit dem 3. Quartal 2001 in fachärztlicher Behandlung. Die körperliche Leistungsfähigkeit sei eingeschränkt. Hyposensibilisierungsmaßnahmen und eine fachgerechte anti-asthmatische Therapie gemäß den Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga hätten keine eindeutige Besserung erbracht. Den Eltern sei bereits 2001 empfohlen worden, sämtliche in der Nähe stehende Birken fällen zu lassen, auf die sie Zugriff hätten. Hierbei handele es sich um eine medizinisch notwendige Maßnahme im Sinne der Allergenkarenz.

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Es berief sich u.a. darauf, dass es an einem vor Durchführung der Maßnahme ausgestellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachten zur medizinischen Notwendigkeit fehle.

Zur Begründung seiner Klage legte der Kläger eine amtsärztliche Bescheinigung vom 4. August 2005 vor, dass die Tochter an einer schweren nachgewiesenen Birkenpollenallergie leide. Zu den Behandlungsmaßnahmen gehörten gemäß den Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga neben Hyposensibilisierungsmaßnahmen und medikamentöser Therapie, die bereits fachgerecht durchgeführt worden seien, auch sog. Karenzmaßnahmen (Beseitigung bzw. Verminderung allergieauslösender Substanzen), wie es im vorliegenden Fall durch das Fällen der zahlreichen Birken auf dem elterlichen Grundstück geschehen sei. Um einen längerfristigen und dauerhaften Erfolg der weiteren Therapien zu gewährleisten, sei eine derartige Maßnahme dringend erforderlich gewesen.

Das Finanzgericht (FG) hörte die Amtsärztin als Sachverständige. Diese bekundete, ihr seien bei der Vorstellung der Tochter im August 2005 u.a. Lungenfunktionstests aus dem September 2001, Dezember 2001, September 2002 und September 2003 vorgelegt worden. Da sie sich auf die apparativen ärztlichen Untersuchungen aus den Jahren 2001 bis 2003 gestützt habe, spiele es für das Ergebnis des Gutachtens keine Rolle, dass dieses erst 2005 abgegeben worden sei.

Das FG gab der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 744 veröffentlicht. Das FG führte aus, es teile die Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht, dass Aufwendungen, die ihrer Art nach nicht eindeutig und unmittelbar nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen könnten und deren medizinische Indikation schwer zu beurteilen sei, nur anerkannt werden könnten, wenn zuvor ein amtsärztliches Attest erstellt worden sei. Aufgrund der Bescheinigung der Amtsärztin und ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung sei das Gericht überzeugt, dass sie im August 2005 die medizinische Notwendigkeit des Fällens der Birken im November 2003 zutreffend habe beurteilen können.

Dagegen richtet sich die Revision, mit der das FA die Verletzung des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) rügt. Ein nachträgliches amtsärztliches Gutachten sei nur zuzulassen, wenn der Steuerpflichtige die Notwendigkeit der vorherigen Begutachtung nicht habe kennen können, weil der BFH ein derartiges Erfordernis erstmals für bestimmte Aufwendungen aufgestellt habe (BFH-Urteil vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543), oder wenn auf Grund besonderer Umstände in den neuen Bundesländern in einer Übergangsphase ein unverschuldeter Beweisnotstand geherrscht habe (BFH-Urteil vom 2. April 1998 III R 67/97, BFHE 186, 79, BStBl II 1998, 613).

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet.

Dem FG ist zwar nicht beizupflichten, soweit es in Fällen wie dem vorliegenden ein vorheriges amts- oder vertrauensärztliches Gutachten für entbehrlich hält. Sein Urteil stellt sich aber im Ergebnis als zutreffend dar, weil das nachträglich erstellte Gutachten aufgrund von Besonderheiten des Streitfalles einem vor Durchführung der Maßnahme erstellten gleich zu erachten ist.

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen sind außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. BFH-Urteil vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418).

Aufwendungen für Maßnahmen zur Behandlung von Krankheiten können als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden (§ 33 EStG). Sie sind auch dann zwangsläufig, wenn sie der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen, unter der ein unterhaltsberechtigtes minderjähriges Kind des Steuerpflichtigen leidet. Aufwendungen für die Beseitigung einer konkreten Gesundheitsgefährdung können ebenfalls aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig sein, wenn anderenfalls mit gesundheitlichen Schäden des Steuerpflichtigen oder seiner Familie zu rechnen ist.

2. Sind Aufwendungen für Maßnahmen entstanden, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Erforderlichkeit deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt der BFH seit dem Urteil vom 14. Februar 1980 VI R 218/77 (BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295, betr. Badekur in Ibiza) in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlung zweifelsfrei ergibt (BFH-Urteile vom 11. Januar 1991 III R 70/88, BFH/NV 1991, 386, betr. Frischzellenbehandlung; vom 9. August 1991 III R 54/90, BFHE 165, 272, BStBl II 1991, 920, betr. Bett mit motorgetriebener Oberkörperaufrichtung; vom 30. Juni 1995 III R 52/93, BFHE 178, 81, BStBl II 1995, 614, betr. Kuraufenthalt; in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, betr. Ayurveda-Behandlung; vom 9. August 2001 III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240, betr. Asbestsanierung der Außenfassade eines Wohnhauses; vom 23. Mai 2002 III R 52/99, BFHE 199, 287, BStBl II 2002, 592, betr. Neuanschaffung von Mobiliar wegen Formaldehydemission; vom 21. April 2005 III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602, betr. Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe; BFH-Beschlüsse vom 10. Dezember 2004 III B 56/04, juris, betr. Asbestbeseitigung; vom 24. November 2006 III B 57/06, BFH/NV 2007, 438, betr. Aufwendungen für Fettabsaugung).

Hieran hält der Senat fest; mit der dagegen geäußerten Kritik (z.B. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG Rz 26), derartige Nachweispflichten ergäben sich nicht aus dem Gesetz und widersprächen dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), hat er sich mehrfach auseinandergesetzt (z.B. Senatsurteil in BFHE 186, 79, BStBl II 1998, 613, betr. Kinderkur außerhalb eines Kinderheims).

3. Das Fällen der Birken ist ähnlich wie die Beseitigung von Umweltbelastungen zu beurteilen. Sie unterscheidet sich von Maßnahmen zur Asbestsanierung oder zum Austausch Formaldehyd emittierender Möbel dadurch, dass Birkenpollen grundsätzlich unbedenklich sind und nur Menschen schädigen, die auf sie allergisch reagieren, jedoch steht die Beseitigung gegenwärtiger Beschwerden gegenüber der Vermeidung künftiger gesundheitlicher Beeinträchtigungen im Vordergrund. Da das Fällen von Birken aber auch anderen Zwecken, z.B. einer Umgestaltung des Gartens gedient haben könnte, ist zum Nachweis der medizinischen Zwangsläufigkeit ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten zu verlangen.

4. Dem Streitfall liegt kein Sachverhalt zugrunde, für den die Rechtsprechung erstmals den Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein amtsärztliches Attest verlangt (Senatsurteil vom 17. Dezember 1997 III R 35/97, BFHE 185, 34, BStBl II 1998, 298, betr. Nachweis der Notwendigkeit der Begleitung während einer medizinisch indizierten Kur); für die Notwendigkeit einer Beweiserleichterung in Form eines nachträglichen Gutachtens ist nichts ersichtlich (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1996 III R 118/95, BFH/NV 1997, 337, betr. logopädische Behandlung im Jahr 1993).

5. Das Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) gehören könnte, beruht vornehmlich auf zwei Erwägungen. Zum einen sollen durch Einschaltung eines Amts- oder Vertrauensarztes --oder eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers wie einer Beihilfestelle oder einer gesetzlichen Krankenkasse-- Gefälligkeitsgutachten vermieden werden, die z.B. zu befürchten sind, weil auch Maßnahmen der Lebensführung die physische und psychische Gesundheit bessern können und ein langjährig behandelnder Arzt deshalb im Interesse seines Patienten die therapeutische Zwangsläufigkeit weniger streng beurteilen könnte. Eine vorherige Begutachtung ist vor allem deshalb erforderlich, weil sich frühere Gegebenheiten --z.B. die Umweltbelastung nach Beseitigung emittierender Gegenstände oder der Gesundheitszustand vor der streitigen Behandlung-- im Nachhinein regelmäßig nicht oder jedenfalls nicht zuverlässig feststellen lassen.

Der Streitfall ist demgegenüber durch Besonderheiten gekennzeichnet. Während das Vorhandensein und das Ausmaß von Umweltbelastungen durch Asbest oder Formaldehyd technischer Messungen bedarf, die im Nachhinein naturgemäß nicht möglich sind, liegt die gesundheitliche Beeinträchtigung einer auf Birkenpollen allergischen Person durch Birken in unmittelbarer Umgebung des Wohnhauses auf der Hand. Es stand --anders als z.B. im Legasthenie-Fall (BFH-Urteil vom 3. März 2005 III R 64/03, BFH/NV 2005, 1286)-- fest, dass die Tochter krank war und über Jahre ärztlich therapiert wurde. Die Amtsärztin stützte sich bei der Beurteilung des früheren Gesundheitszustandes der Tochter nicht auf deren Schilderungen, subjektive Beurteilungen anderer behandelnder Ärzte oder eigene Vermutungen, sondern auf vor dem Fällen der Bäume durchgeführte Lungenfunktionstests, d.h. objektive, "apparatemedizinische" Untersuchungen. War sie sich deshalb sicher, die medizinische Notwendigkeit der Beseitigung der Bäume auch im Nachhinein zuverlässig beurteilen zu können, durfte das FG ihre Stellungnahme wie ein vorheriges Gutachten behandeln und seiner Überzeugungsbildung zugrunde legen.

RechtsgebieteEStG, FGOVorschriftenEStG § 33 EStG § 33 Abs. 1 FGO § 96 Abs. 1 Satz 1

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