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28.09.2009 · IWW-Abrufnummer 092959

Landgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 31.08.2009 – 2-19 O 287/08

Zur Haftung eines Kreditinstituts bei telefonischer Beratung ohne hinreichende Aufklärung des Kunden über die Funktionsweise und Risiken des empfohlenen Zertifikats.


Landgericht Frankfurt am Main

2-19 O 287/08

Tatbestand

Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns XY (Zedent) Schadensersatz gegenüber der Beklagten im Zusammenhang mit dem Kauf von 7 Zertifikaten der Lehman Brothers Treasury Co. B.V. durch die Beklagte auf Rechnung des Zedenten geltend.

Der Zedent ist Rechtsanwalt und jedenfalls seit 1991 Kunde der Beklagten.

Seit Februar 2000 unterhält er bei der Beklagten ein Wertpapierdepot. Am 23.08.2007 (einen Tag vor Ablauf der Zeichnungsfrist) rief ein Mitarbeiter der Beklagten, der dem Zedenten bis dahin unbekannt war, diesen an seinem Arbeitsplatz an und riet ihm, die sich zum damaligen Zeitpunkt in seinem Depot befindlichen Einzelwerte in kleinen Stückzahlen (Daimler AG, Allianz AG, Telekom AG, Deutsche Post AG und BB Biotech AG) zu verkaufen und von dem Erlös die streitgegenständlichen Lehman Zertifikate zu erwerben, wobei der genaue Inhalt des Beratungsgesprächs zwischen den Parteien im Einzelnen streitig ist.

Am Ende des Telefonats erteilte der Zedent der Beklagten den Auftrag, für Euro 7.000,- die streitgegenständlichen Lehman Zertifikate für ihn zu erwerben. Am 27.08.2007 erwarb die Beklagte für den Zedenten 7 sog. TwinWin-Zertifikate von Lehman Brothers zum Preis von insgesamt Euro 7.000,- (auf die Wertpapierabrechnung, Bl.18 d.A., wird Bezug genommen).

Das TwinWin-Zertifikat ist so ausgestaltet, dass auf die Wertentwicklung des Dow Jones EURO STOXX 50-Indexes spekuliert wird. Solange der Index während des Beobachtungszeitraums im Verhältnis zum anfänglichen Bewertungsstichtag zu keinem Zeitpunkt um 50% oder um mehr als 50% gefallen sein sollte, ist der Anleger vor Kapitalverlusten geschützt und kann Gewinne abhängig von der absoluten Wertentwicklung des Dow Jones EURO STOXX 50 - Index erzielen. Wird dagegen diese Sicherheitsbarriere gerissen, erhält der Anleger am Ende der Laufzeit im Jahr 2012 Dow Jones EURO STOXX 50-Zertifikate mit einer Laufzeit bis 2057, die die Wertentwicklung des Dow Jones EURO STOXX 50 abbilden.

Die Emittentin hat in diesem Fall ab 2014 jährlich das Recht, das Zertifikat zu kündigen (hinsichtlich der Bedingungen des Zertifikats im Einzelnen wird auf die Anlage K 5, Bl.114 ff d.A., Bezug genommen). Die Klägerin behauptet, dem Zedenten sei im telefonischen Beratungsgespräch gesagt worden, dass im ungünstigsten Fall - bei Berührung der Sicherheitsschwelle - das Kapital zu 100% zurückgezahlt werde. Eine weitere Risikoaufklärung sei ebenso wenig erfolgt wie ein Hinweis auf den Erhalt einer Vertriebsprovision in Höhe von 5%. Ferner sei dem Zedenten suggeriert worden, dass es sich um ein Produkt der Beklagten handele. Schon im März 2007 habe es Hinweise auf eine verschlechterte Bonität des Emittenten gegeben.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilten, an sie Euro 7.000,- nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Rückübertragung von Zertifikaten in Höhe von nominal Euro 7.000,- der Lehman Brothers Treasury Co. B.V., EO-Zo Index Lkd MTN 2007(12) (DE000A0NZAV4) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Zedent habe schon bei einem Gespräch im Juni 2001 erklärt, er sei bereit hohe Verlustrisiken in kauf zu nehmen; dies habe er in dem Telefongespräch wiederholt. In dem Telefonat sei dem Zedenten die Funktionsweise des Zertifikates detailliert erklärt worden.

Die Klage ist der Beklagten am 18.12.2008 zugestellt worden. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten aus abgetretenem Recht einen Anspruch auf Zahlung von Euro 7.000,- gemäß §§ 280 Abs.1, 398 BGB aufgrund der Verletzung von Beratungspflichten aus dem zwischen dem Zedenten und der Beklagten bestehenden Beratungsvertrag.

Zwischen dem Zedenten und der Beklagten ist ein Beratungsvertrag im Zusammenhang mit dem Erwerb der streitgegenständlichen Zertifikate abgeschlossen worden. Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank oder - wie hier - der Anlageberater einer Bank an einen Kunden heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden bzw. zu beraten, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (BGHZ 123, 126, 128).

Aus dem Beratungsvertrag ergab sich für die Beklagte die Pflicht zur objektgerechten Beratung (vgl. zuletzt BGHZ 178, 149, Rn. 10 ff - zitiert nach juris; BGH v. 05.03.2009 - III ZR 302/07, juris).

Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt, indem ihr Mitarbeiter, für den sie gemäß § 278 Satz 1 BGB einzustehen hat, dem Zedenten am Telefon nur unvollständige Produktinformationen zukommen ließ, die ein unzutreffendes Bild über die Chancen und Risiken des Produktes vermittelte, ohne ihm vor der Auftragserteilung schriftliches Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen. Es ist schon zweifelhaft, ob ein Zertifikat mit einer komplexen Struktur wie das Streitgegenständliche überhaupt in objektgerechter Weise einem Kunden am Telefon ohne schriftliches Informationsmaterial erläutert werden kann.

Jedenfalls lässt sich aber feststellen, dass auch auf Grundlage des Vorbringen der Beklagten zum Ablauf des telefonischen Beratungsgesprächs eine objektgerechte Beratung nicht stattgefunden hat, weil nicht alle wesentlichen Informationen über das Produkt dem Zedenten mitgeteilt worden sind.

Auch nach dem Vortrag der Beklagten soll der Zedent lediglich darauf hingewiesen worden sein, dass bei Berühren oder Unterschreiten der Sicherheitsschwelle er am Ende der Laufzeit Dow Jones Euro Stocks 50-Endloszertifikate erhält, deren Wert ohne Begrenzung nach oben oder unten zu 100% am Kurs des Basiswerts partizipiere. Der Mitarbeiter der Beklagten hat somit unstreitig dem Zedenten nicht näher erläutert worden, welche Konsequenzen es für ihn hat, wenn er am Laufzeitende des Zertifikates diese Ersatzzertifikate erhält.

Dies wäre aber erforderlich gewesen, um sich ein Bild von dem mit dem Zertifikat verbundenen Verlustrisiko zu machen. Dass der Zedent nicht näher nachgefragt hat, entlastet die Beklagte nicht, weil ein Anleger sich darauf verlassen kann, auch ohne Rückfragen alle wesentlichen Informationen dargestellt zu bekommen, insbesondere wenn es um die Risiken einer empfohlenen Anlage geht.

Dementsprechend wird auch in der Produktinformation der Emittentin das streitgegenständliche Zertifikat betreffend (Anlage K 5, Bl.114 ff, Bl.117 d.A.) unter der Überschrift -Risiken- ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Falle der Lieferung des Ersatzzertifikats dieses 2057 fällig wird, wobei ein jährliches Kündigungsrecht der Emittentin (ab 2014) besteht.

Es wird erläutert, dass mit diesem Kündigungsrecht ein Verlustrisiko verbunden ist, aber auch, dass unabhängig davon in den Fällen der Lieferung des Ersatzzertifikats ein Verlustrisiko bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals sowie der Transaktionskosten besteht. Ferner wird darauf hingewiesen, dass Lehman Brothers sich darum bemühe, börsentäglich einen Sekundärmarktpreis für das Zertifikat und gegebenenfalls für das Ersatzzertifikat im Frankfurter Freiverkehr zu stellen, was beinhaltet, dass gewisse Unwägbarkeiten hinsichtlich einer angemessenen Veräußerungsmöglichkeit des Ersatzzertifikats bestanden.

All diese relevanten Risikoinformationen hat der Zedent auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht erhalten, sodass eine Pflichtverletzung der Beklagten hinsichtlich der geschuldeten Beratungsleistung festzustellen ist. Soweit die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 31.07.2008 - und damit nach Abschluss der mündlichen Verhandlung – vorträgt, ihr Mitarbeiter habe regelmäßig den Kunden angeboten, Produktinformationen entsprechend Anlage B 4, Bl.73 ff d.A., als Email zu schicken, war dies gemäß § 296a ZPO nicht zu berücksichtigen.

Denn der Beklagten war zwar ein Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der Klägerseite vom 26.06.2009 eingeräumt worden, doch steht dieser neue Vortrag der Beklagten nicht im Zusammenhang mit dem Schriftsatz vom 26.06.2009; die Klägerin hatte vielmehr schon mit Schriftsatz vom 23.03.2009 ausgeführt, dass die Beklagte dem Zedenten weder die Übersendung eines Flyers noch eines offiziellen Prospektes angeboten habe (Bl.99 d.A.).

Davon abgesehen bleibt nach dem Vortrag der Beklagten unklar, ob auch im konkreten Fall weitergehende schriftliche Informationen per Email angeboten worden sein sollen. Ferner könnte die Verneinung einer Pflichtverletzung der Beklagten infolge des Anbietens weiter Informationen auch nur dann angenommen werden, wenn sie darauf hingewiesen hätte, dass diese zu einer hinreichenden Risikoeinschätzung des Produkts erforderlich sind. Die fehlerhafte Beratung der Beklagten war kausal für den Erwerb der Zertifikate durch den Zedenten.

Steht eine Aufklärungspflichtverletzung fest, streitet für den Anleger die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, das heißt, dass der Aufklärungspflichtige beweisen muss, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte, er also den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte (vgl. BGHZ 61, 118, 122; 124, 151, 159 f.; auch BGH, Urteil vom 2. März 2009 - II ZR 266/07, WM 2009, 789, Tz. 6 m.w.N.). Diese Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens gilt grundsätzlich für alle Aufklärungsfehler eines Anlageberaters (BGH, Urteil vom 12.05.2009 – XI ZR 586/02, juris Rz 22); sie ist von der Beklagten hier nicht widerlegt worden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zedent die Fehlerhaftigkeit der Beratung erkannte und seine Anlageentscheidung somit nicht kausal auf der Pflichtverletzung der Beklagten beruhte. Gemäß § 249 Abs.1 BGB hat die Beklagte den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der Zedent zutreffend beraten worden wäre, also die streitgegenständlichen Zertifikate nicht erworben hätte.

In diesem Fall könnte der Zedent noch über Euro 7.000,- verfügen, hätte andererseits aber auch nicht die Zertifikate in seinem Depot, sodass die Klägerin aus abgetretenem Recht die Rückzahlung des Kaufpreises von Euro 7.000,- Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Zertifikate verlangen kann. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs.1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB 280, BGB 398

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