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14.10.2009 · IWW-Abrufnummer 093254

Landgericht Limburg: Beschluss vom 04.08.2009 – 2 Qs 30/09

Die Anordnung einer Blutentnahme durch Ermittlungspersonen verstößt nicht gegen den Richtervorbehalt, wenn während der Nachtzeit kein richterlicher Eildienst eingerichtet ist. Ist nach dem Ergebnis des Atemalkoholtests, welches im Grenzbereich zur Ordnungswidrigkeit lag, und der Ausgestaltung des amtsgerichtlichen Eildienstes eine Gefährdung des Untersuchungserfolges für die Polizeibeamten gegeben, besteht für eine solche Blutprobe kein Beweisverwertungsverbot. Die Rechtsansicht des Ermittlungsrichters, nur auf Grundlage einer Akte zu entscheiden, kann dabei ebenfalls eine Eilfallkompetenz begründen.


2 Qs 30/09
6 Js 9578/09 AG Limburg/Lahn
04.08.2009

LANDGERICHT LIMBURG

BESCHLUSS

In dem Ermittlungsverfahren

wegen: Trunkenheit im Verkehr

hier: wegen vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis

hat die 2. Strafkammer des Landgerichts in Limburg
auf die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Limburg vom 23.6.2009
am 4.8.2009 beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschuldigten verworfen.

Gründe

Das Amtsgericht hat dem Beschuldigten mit der angefochtenen Entscheidung die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Der Beschuldigte sei dringend verdächtig, am 30.5.2009 um 2.25 Uhr in L. mit seinen Pkw im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit – Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,23 ‰ – teilgenommen zu haben. Der Beschuldigte wendet sich gegen die Verwertung des Blutalkoholgutachtens mit dem Argument, er habe in die Blutentnahme nicht eingewilligt, die Anordnung der Blutentnahme aber sei dem Richter vorbehalten. Da eine solche richterliche Anordnung von dem Beamten nicht versucht worden sei, sei das Ergebnis des Blutalkoholgutachtens unverwertbar.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Fahrerlaubnis ist zu Recht vorläufig entzogen worden (§ 111a StPO.) Es bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass eine Maßnahme nach § 69 StGB angeordnet wird. Der Beschuldigte ist der Anlasstat des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB – einer fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) – dringend tatverdächtig.

Nach den bisherigen Erkenntnissen befuhr der Beschuldigte am 30.5.2009 um 2.25 Uhr die E.-straße in L. und geriet hierbei in eine verdachtsunabhängige Alkoholkontrolle. Der kontrollierende Beamte nahm Alkoholgeruch in der Atemluft des Beschuldigten wahr. Um 2.30 Uhr wurde vor Ort ein Alkoholatemtest mit Zustimmung des Beschuldigten durchgeführt. Dieser ergab einen Wert von 0,80 ‰. Daraufhin wurde er zur nahe gelegenen Dienststelle der Polizeidirektion L. sistiert, wo um 3.02 Uhr ärztlich eine Blutprobe entnommen wurde. Der Beschuldigte wurde um 3.05 Uhr entlassen. Weder die Anordnung einer Blutentnahme noch eine Einwilligung sind in der Ermittlungsakte dokumentiert.

Der Direktor des Amtsgerichts in L. hat sich zum richterlichen Eildienst auf Anfrage der Kammer wie folgt erklärt:
In der Nachtzeit i.S.d. § 104 Abs. 3 StPO sei ein richterlicher Eildienst nicht eingerichtet. Die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts entschieden während der Dienstzeit und während eines eingerichteten Eildienstes nicht auf der Grundlage eines fernmündlichen oder eines mündlichen Antrages.

Gefordert sei die Vorlage einer Akte, aus der sich ein Antrag der Staatsanwaltschaft ergebe. Grund für diese in jeweils richterlicher Unabhängigkeit getroffenen Entscheidungen zum Verfahrensgang sei die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsgrundlage, auf der grundrechtsrelevante Eingriffe ggf. angeordnet würden. Hinzu komme, dass der Inhalt – insbesondere die Reichweite – einer Entscheidung bei fernmündlicher Bekanntgabe missverstanden werden könne.

Richterliche Entscheidungen ergingen grundsätzlich nur schriftlich. Dieses Verständnis des richterlichen Eildienstes sei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht in L. bekannt gegeben worden.

Bei dieser Sachlage verstößt die Beweiserhebung – die Entnahme der Blutprobe – nicht gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO und unterliegt schon von daher keinem Beweisverwertungsverbot. Eine richterliche Anordnung gemäß § 81a StPO war nach derzeitiger Sachlage voraussichtlich nicht aufgrund einer Einwilligung entbehrlich. Der mit der Blutentnahme verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist zwar ein für den Beschuldigten disponibles Recht und bedarf bei einer ausdrücklich und eindeutig erklärten Einwilligung in die Blutentnahme keiner Anordnung der Maßnahme (§ 81a Abs. 1 Satz 2 StPO).

Von einer solchen Einwilligung kann aber nur bei einer freiwilligen, ernstlichen und in Kenntnis der Sachlage und des Weigerungsrechts erteilten ausdrücklichen Zustimmung des Beschuldigten ausgegangen werden. Auch darf die Alkoholisierung nicht einen solchen Grad erreicht haben, dass der Beschuldigte Sinn und Tragweite der Einwilligung nicht mehr erfassen kann. Die bloße Hinnahme des Eingriffs genügt zur Annahme einer Einwilligung nicht (vergl. OLG Bamberg, Beschl.v. 19.3.2009 – 2 Ss 15/09 – iuris – mit weiteren Nachweisen). So liegt der Fall nach Aktenlage hier. Die Ermittlungsakte weist lediglich die Duldung der Blutentnahme und Mitwirkung an der ärztlichen Untersuchung, der Beantwortung von Fragen, aus.

Mithin obliegt nach § 81a Abs. 2 StPO die Zuständigkeit für die Anordnung des körperlichen Eingriffs primär dem Richter. Nur ausnahmsweise kann ein solcher Eingriff durch die Staatsanwaltschaft oder durch ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) „bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung“ angeordnet werden.

Richterliche Eilanordnungen sind nach Wortlaut und Systematik des § 81a Abs. 2 StPO die Regel und die nichtrichterlichen die Ausnahme. Vor allem wegen der grundrechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts ist „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 40), weshalb die Pflicht, einen Entnahmebeschluss zu beantragen, den Spielraum der Ermittlungsbeamten begrenzt, das Ermittlungsverfahren nach praktischen Erwägungen zu gestalten. Nur in Ausnahmefällen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Maßnahme gefährden würde, dürfen die Strafverfolgungsbehörden selbst die Anordnung treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48). Eine generalisierende Betrachtung unter Hinweis auf die Gefährdung des Untersuchungserfolges in Hinblick auf den körpereigenen Alkoholabbau wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht anerkannt (vgl. OLG Bamberg, Beschl.v. 19.3.2009 – 2 Ss 15/09 – iuris; OLG Köln ZfS 2009, 48/49; OLG Hamm NJW 2009, 242/243; OLG Thüringen, Beschl.v. 25.11.2008 – 1 Ss 230/08 -iuris; OLG Hamburg NJW 2008, 2597/2598; anders mit gewichtigen Gründen LG Hamburg, Beschl.v. 12.11.2007, Blutalkohol 2008, 77). Die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges muss auf Tatsachen gestützt werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 62, OLG Bamberg aaO). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend gegeben. Angesichts der nächtlichen Tatzeit, des Ergebnisses des Atemalkoholtests, welches im Grenzbereich zur Ordnungswidrigkeit lag, und der Ausgestaltung des amtsgerichtlichen Eildienstes drängte sich die Gefährdung des Untersuchungserfolges für die Polizeibeamten geradezu auf und bedurfte angesichts der Offenkundigkeit keiner Dokumentation.

Dem steht nicht entgegen, dass die Gefährdung des Untersuchungserfolges grundsätzlich nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden kann, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48; BVerfG NJW 2007, 1444; BGHSt 51, 285/293 ). Denn es besteht die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zu gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48). Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG die Länder insoweit dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge zu tragen. Zur Nachtzeit im Sinne des § 104 Abs. 3 StPO muss aber nicht unabhängig vom konkreten Bedarf stets ein richterlicher Eildienst zur Verfügung stehen (aaO). Vielmehr ist ein nächtlicher Bereitschaftsdienst des Ermittlungsrichters von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht. Diesen Anforderungen genügt der beim Amtsgericht L. eingerichtete Eil- und Notdienst, denn ein Ermittlungsrichter war bis um 21.00 Uhr des Vortages, einem Samstag, und wieder ab 4.00 Uhr des Tattages, einem Sonntag, erreichbar. Dass der Direktor des Amtsgerichts für die Einrichtung eines Eildienstes zur Nachtzeit – anders als die Justiz der Großstadt Berlin (vgl. LG Berlin Beschl.v. 23.4.2008 – iuris) – keinen praktischen Bedarf sieht, ist nicht zu beanstanden.

Ein weiteres Zuwarten – etwa bis zur Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters um 4.00 Uhr – war ersichtlich nicht angezeigt, ginge dem eine erhebliche zeitliche Verzögerung verbunden mit einer grundrechtsrelevanten Ausweitung freiheitsbeschränkender Maßnahmen für den Beschuldigten einher. Hinzu kommt, dass die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts L. – jeder in einer eigenen richterlichen Entscheidung zur Verfahrensgestaltung – übereinstimmend mündliche Entscheidungen aufgrund mündlichen Sachvortrages ablehnen. Entgegen der Verteidigung liegt hierin keine Weigerung der Richter, eine Rechtsnorm anzuwenden. Eine mündliche Entscheidung ohne Akte wäre zwar auch prozessordnungsgemäß (vgl. BGHSt 51, 285 ) und begründet bei entsprechender amtsgerichtlicher Praxis (etwa AG Essen – Beschl.v. 11.10.2007 – 44 Gs 4577/07 – iuris) auch die Verpflichtung der Polizeibeamten zu versuchen, eine mündliche Anordnung einzuholen (vgl. OLG Hamm, Beschl.v. 25.8.2008 – 3 Ss 318/08 – iuris). Im Amtsgerichtsbezirk L. liegt der Fall aber anders. Die hier in richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) getroffene Entscheidung zur Verfahrensgestaltung ist, weil mit der Prozessordnung im Einklang stehend, zu respektieren. Eine Verpflichtung zur mündlichen Entscheidung besteht nicht.

Im Übrigen ist eine Entscheidung auf der Grundlage eines schriftlich unterbreiteten Sachverhalts, einer Akte, auch sachgerecht. Die Durchsetzung der vorbeugenden Kontrolle und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebieten eine solche Verfahrensweise, soll der Richtervorbehalt seine Funktion einer verstärkten Sicherung der Grundrechte genügen. Anzunehmen, es könne „im Idealfall binnen einer Viertelstunde“ (so etwa OLG Stuttgart NStZ 2008, 238, Zopfs NJW 2009, 244) eine mündliche richterliche Anordnung eingeholt werden, wahrt den Richtervorbehalt nur formal.

Einer solchen Entwertung richterlicher Tätigkeit verbunden mit einem Vertrauensverlust die Seriosität richterlicher Arbeit betreffend ist entgegen zu treten. So hat auch das LG Hamburg (aaO) eine Anordnung ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage schlicht als „unzumutbar“ angesehen.

Zu Recht verweisen die Richter des Amtsgerichts L. darauf, dass bei einem mündlichen Sachvortrag die tatsächliche Entscheidungsgrundlage nicht nachvollzogen werden kann. Das gesprochene Wort ist flüchtig und birgt zudem die Gefahr, dass gerade in Grenzfällen, in denen sich die richterliche Kontrolle zu bewähren hat, entscheidungserhebliche Details nicht in gebotener Sorgfalt dargestellt und abgewogen werden können. Zudem verschieben sich Verantwortlichkeiten.

Mit der von den Ermittlungsbehörden zu fordernden schriftlichen Dokumentation eines vorläufigen Ermittlungsergebnisses geht ein höheres Maß an Verantwortung einher als dies in einem mündlichen Vortrag der Fall ist. Dies gilt insbesondere, wenn im Anfangsstadium von Ermittlungen richterliche Entscheidungen beantragt werden. Bei schriftlicher Unterbreitung der Ermittlungsergebnisse ist auch ausgeschlossen, dass Ermittlungsrichter und Polizeibeamter sich unterschiedlich an Details der Entscheidungsgrundlage erinnern. Schon die Gefahr derartiger Missverständnisse ist angesichts des Gewichts der Entscheidung zu vermeiden, schwächen solche Missverständnisse auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit richterlicher Entscheidungen. Mit guten Gründen fordern daher die Amtsrichter in L., dass die richterliche Entscheidungsgrundlage – auch für den Beschuldigten – nachvollziehbar ist.

Nach all dem ist die nächtliche Beweiserhebung vorliegend nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

RechtsgebieteStGB, StPOVorschriftenStGB § 69; StPO § 81a; StPO § 111a

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