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14.02.2012

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 21.10.2011 – 7 Sa 912/11


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 24.05.2011 - 2 Ca 3282/10 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit zweier ordentlicher Kündigungen des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses, die die Beklagte darauf stützt, der Kläger sei am Arbeitsplatz eingeschlafen.

Der im Zeitpunkt des Kündigungszugangs 40 Jahre alte, unverheiratete und keinen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten, die etwa 5.000 Mitarbeiter beschäftigt, als Anwendungsprogrammierer zu einem Bruttomonatsgehalt von etwa 3.300 € tätig. Die Beklagte produziert und vertreibt u.a. Systemtechnik aus Aluminium, Kunststoff und Stahl für Fenster, Türen, Fassaden und Wintergärten.

Die Beklagten kündigte mit Schreiben vom 22.12.2010, das dem Kläger an diesem Tag zuging, das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2011. Eine weitere ordentliche Kündigung zum 30.06.2011 sprach die Beklagte mit einem dem Kläger am 28.01.2011 zugegangenen Schreiben vom 26.01.2011 aus.

Mit Schreiben vom 15.12.2012 wandte sich die Beklagte an ihren Betriebsrat und schilderte dort die Kündigungsgründe. Am 21.12.2011 teilte der Betriebsrat mit, er werde sich zur Kündigungsabsicht nicht äußern. Hinsichtlich des Inhalts des Anhörungsschreibens wird auf Bl. 68 bis 70 d. A. Bezug genommen, ebenso wie wegen des näheren Inhalts des weiteren Anhörungsschreibens an den Betriebsrat vom 21.01.2011 auf Bl. 73 bis 76 d. A. verwiesen wird. Auch hinsichtlich der weiteren Kündigung teilte der Betriebsrat am 25.01.2011 mit, sich zur Kündigung nicht äußern zu wollen.

Im Nachgang zu einem Personalgespräch im September 2003, das die Beklagte mit dem Kläger wegen der Hintergründe für das von der Beklagten angenommene Einschlafen des Klägers während der Arbeitszeit führte, stellte sich der Kläger noch in diesem Monat in der betriebsärztlichen Sprechstunde vor. Der Betriebsarzt empfahl dem Kläger eine ärztliche Klärung, die allerdings bis zu einem weiteren Gespräch des Klägers mit dem Betriebsarzt im Mai 2004, der sich auch mit dem Hausarzt des Klägers in Verbindung setzte, nicht erfolgte. Mit Schreiben vom 11.05.2004, wegen dessen weiteren Inhalts auf Bl. 45 f. der Akten verwiesen wird, mahnte die Beklagte den Kläger ab. Ein weiteres Gespräch beim Betriebsarzt im Mai 2004 nahm der Kläger nicht wahr. Auch zu späteren Zeitpunkten suchte der Kläger den Betriebsarzt nicht mehr auf. Doch schilderte der Kläger der Beklagten während eines Gesprächs am 13.08.2004, dass er bei seinem Hausarzt und einem Lungenfacharzt gewesen sei, die keine Befunde hätten feststellen können. Eine weitere Untersuchung bei einem Lungenfacharzt stünde noch an. Der Kläger sagte zu, er werde die Beklagte unterrichten, sofern sich neue Erkenntnisse ergeben würden. Eine solche Unterrichtung erfolgte nicht. Den Inhalt des Gesprächs vom 13.08.2004 hielt die Beklagte in einem Gesprächsprotokoll fest, das der Kläger mit dem Bemerken "einverstanden" unterzeichnete. Hinsichtlich des Inhalts dieses Protokolls wird auf Bl. 48 bis 50 d.A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 31.08.2010 mahnte die Beklagte den Kläger erneut mit der Begründung ab, dieser sei am 6. und 23.08.2010 eingenickt und am 10.08.2010 eingeschlafen. Weiter führte sie aus, ihr Teamleiter M1 habe am 29.06.2008 festgestellt, dass der Kläger eingeschlafen gewesen sei. Wegen des weiteren Inhalts der Abmahnung wird auf Bl. 51 f. der Akten Bezug genommen. Im August 2010 war dem Kläger ein Büro zwei weiteren Arbeitskollegen zugewiesen. Spätestens Anfang November 2010 wechselte der Kläger in ein anderes Büro, in dem er sodann gemeinsam mit seinem Teamleiter M1 arbeitete. Am 03.12.2010 erhielt der Kläger angesichts einer zehnjährigen Betriebszugehörigkeit eine silberne S4-Nadel mit einem Begleitschreiben überreicht.

Der Kläger hat die Rechtsauffassung geäußert, der Direktor der Unternehmenskoordination L1, der die Kündigungen unterzeichnet habe, sei nicht unterschriftsbefugt. Die Abmahnung vom 11.05.2004 sei bereits deshalb rechtsunwirksam, weil dort konkrete Vorgänge nicht benannt seien. Außerdem befände sich die Abmahnung - so seine Behauptung - nicht mehr in der Personalakte. Sie hätte ohnehin angesichts des langen Zeitablaufs aus der Personalakte entfernt werden müssen. Soweit in dieser Abmahnung ein Einschlafen am 05.05.2004 genannt sei, sei dies zu bestreiten. Er habe lediglich tief nachgedacht. Er nutze Zeiten, in denen Daten über seinen Rechner laufen würden und er nicht anderweitig tätig werden könne, um weitere Arbeitsaufgaben zu überdenken. Sofern er zum Sekundenschlaf neige, sei dieses Verhalten für ihn nicht steuerbar, was allerdings nicht krankheitsbedingt sei, sondern Ausdruck seiner körperlichen Konstitution. Nach wie vor befände er sich in hausärztlicher Behandlung. Neue Erkenntnisse über seinen Gesundheitszustand hätte es nicht gegeben.

Die Abmahnung vom 31.08.2010 sei insbesondere deshalb unwirksam, weil er am 29.06.2008 überhaupt nicht im Betrieb gewesen sei. Das abgemahnte Fehlverhalten am 29.06.2008 habe daher nicht stattgefunden. An den anderen Tagen sei es zu keinem vorwerfbaren Schlafen am Arbeitsplatz gekommen. Den gelegentlichen Sekundenschlaf könne die Beklagte ihm nicht vorwerfen. Am 06.12.2010 habe er nicht um 15.00 Uhr fest geschlafen, wie es die Beklagte behaupte. Er habe an diesem Tag bereits um 15.02 Uhr erneut an seinem PC gearbeitet. Dies hätte er nicht gekonnt, hätte er unmittelbar zuvor geschlafen. Die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Der Sachverhalt sei dem Betriebsrat nicht vollständig und wahrheitsgetreu mitgeteilt worden. So sei es insbesondere falsch, werde in der Abmahnung ein Vorfall vom 29.06.2008 genannt, der nicht stattgefunden habe. Es werde im Betriebsratsanhörungsschreiben auch nicht erwähnt, dass er - der Kläger - mitgewirkt habe, seinen gesundheitlichen Zustand aufzuklären.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.12.2010 nicht beendet worden ist,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die weitere Kündigung der Beklagten vom 26.01.2011 nicht beendet worden ist,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände beendet worden ist,

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung geäußert, sie könne die ausgesprochenen Kündigungen auf verhaltensbedingte Gründe stützen. Die weitere vorsorgliche Kündigung vom 26.01.2011 sei auch aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt.

Sie hat behauptet, der Kläger habe seine Arbeitspflicht dadurch mehrfach verletzt, dass er während der Arbeitszeit eingeschlafen sei. Dies sei, so ihre Auffassung, eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten und rechtfertige nach vorheriger Abmahnung den Ausspruch der Kündigung.

Am 05.05.2004 sei der dem Kläger vorgesetzte Mitarbeiter G1 in dessen Büro gekommen und habe ihn gegen 10.00 Uhr mit dem auf die Ellenbogen gestützten Kopf und geschlossenen Augen angetroffen. Das Näherkommen des Vorgesetzten habe der Kläger nicht bemerkt. Er sei aus dem Schlaf hochgeschreckt. Das Verhalten habe sie zum Gegenstand ihrer Abmahnung vom 11.05.2004 gemacht. Auch einige Wochen vor dem 11.05.2004 und im September 2003 sei der Kläger schlafend angetroffen worden. Im September 2003 habe es deswegen ein Personalgespräch gegeben.

Bereits im September 2003 sei der Kläger danach befragt worden, ob sein Schlafen während der Arbeitszeit gesundheitliche Ursachen habe. Da der Kläger sich im Nachgang zu den 2004 durchgeführten Untersuchungen nicht mehr gemeldet habe, habe sie davon ausgehen müssen, dass gesundheitliche Gründe für sein Einschlafen auszuschließen seien.

Hatte die Beklagte zunächst behauptet, der Teamleiter des Klägers M1 habe diesen am 29.06.2008 um 11.30 Uhr schlafend am Arbeitsplatz angetroffen, hat sie diesen Vortrag erstinstanzlich mit dem Bemerken, dies sei ein Datumsfehler, dahingehend korrigiert, das sei am 29.06.2010 gewesen. Der Teamleiter M1 habe den Kläger wecken und ihn danach befragen müssen, ob alles in Ordnung sei. Der Kläger sei im Übrigen am 29.07.2010, am 06.08.2010, am 10.08.2010 und am 23.08.2010 an seinem Arbeitsplatz eingeschlafen, wie in der Abmahnung vom 31.08.2010 ausgeführt.

Bei Übergabe der Abmahnung vom 31.08.2010 sei der Kläger danach gefragt worden, ob sie, die Beklagte, ihn dabei unterstützen könne, dass dieser nicht einschlafe. Der Kläger habe erwidert, er könne sich sein Einschlafen nicht erklären. Er habe während dieses Gesprächs sein Fehlverhalten eingesehen und Besserung versprochen.

Am 06.12.2010 gegen 15.00 Uhr sei der Mitarbeiter G1 am Büro des Klägers - ebenso wie viele andere ihrer Mitarbeiter - vorbeigelaufen und habe den Kläger mit seitlich geneigtem Kopf schlafend am Arbeitsplatz bemerken können. Er sei nach einigen Schritten wieder umgekehrt und habe festgestellt, dass der Kläger trotz des Lärms, den die vorbeigehenden Mitarbeiter verursacht hätten, schlafen würde. Der Kläger sei aus dem Schlaf hochgeschreckt, als er nähergetreten sei.

Dies habe bei ihr den Entschluss ausgelöst, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Der Kläger sei nicht überlastet. Er leiste kaum Mehrarbeit. Für das gesamte Jahr 2010 habe der Arbeitszeitsaldo lediglich 6 Plusstunden ergeben. Da sich das Fehlverhalten seit dem Jahr 2003 des Öfteren wiederholt habe, sei das Arbeitsverhältnis erheblich gestört. Schriftliche Abmahnungen hätten keine Verbesserung gezeigt. Mildere Mittel als eine Kündigung stünden ihr nicht zur Verfügung. Einen Bürowechsel habe es bereits gegeben. Ein Stehpult für den Kläger sei keine ernsthafte Alternative.

Sollte das Einschlafen des Klägers am Arbeitsplatz auf gesundheitliche Gründe zurückzuführen sein, müsse von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen werden. Gesundheitliche Ursachen für das Einschlafen habe der Kläger nicht mitgeteilt, weshalb sie davon ausgehe, dass das Schlafen keine gesundheitlichen Gründe habe. Vorsorglich berufe sie sich aber auch auf Krankheitsursachen. Die klimatischen Bedingungen im Ausweichbüro hätten das Fehlverhalten des Klägers im August 2010 nicht zu rechtfertigen vermocht. Der vom Kläger eingewandte Speichervorgang um 15.02 Uhr am 06.12.2010 besage nichts über dessen vorherigen Schlaf gegen 15.00 Uhr.

Der Kläger könne sich nicht damit entlasten, er könne während der Zeiten, in der Rechenvorgänge an seinem PC verarbeitet würden, keine anderen Tätigkeiten verrichten. Er könne vielmehr andere, typische Büroaufgaben erledigen. Die Betriebsratsanhörungen seien ordnungsgemäß. Der Übertragungsfehler im Hinblick auf das Datum des 29.06.2008 mache die Anhörungen nicht unwirksam. Mildere Mittel seien in der Betriebsratsanhörung nicht erwähnt, weil sie nicht existierten.

Mit Urteil vom 24.05.2011 hat das Arbeitsgericht der Klage unter Abweisung des auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses gerichteten Klageantrags stattgegeben, im Wesentlichen mit der Begründung, zwar stelle das Einschlafen am Arbeitsplatz eine arbeitsvertragliche und auch erhebliche Pflichtverletzung dar, allerdings sei unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls eine darauf gestützte Kündigung trotz der bereits ausgesprochenen Abmahnungen unverhältnismäßig. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Abmahnung vom 11.05.2004 nicht mehr herangezogen werden könne, weil sie durch Zeitablauf gegenstandslos geworden sei und ihre Wirkung nicht zuletzt deshalb verloren habe, weil das Verhalten des Klägers nach Ausspruch dieser Abmahnung bis zu den Vorgängen im Kalenderjahr 2010 sechs Jahre beanstandungsfrei gewesen sei. Neben der sodann erfolgten Abmahnung am 31.08.2010 hätte es einer weiteren Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung bedurft, zumal die Warnfunktion dieser Abmahnung durch die im Dezember 2010 erfolgte Verleihung der silbernen S4-Nadel abgeschwächt worden sei. Letztlich sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht über längere Zeiträume geschlafen habe, sondern nur kurz eingenickt sein soll. Die Kündigung vom 26.01.2010 sei aus diesen Gründen ebenfalls unwirksam. Sie könne auch nicht auf personenbedingte Gründe gestützt werden. Zu Betriebsablaufschwierigkeiten habe die Beklagte nicht vorgetragen. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung sei die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet. Die allgemeine Feststellungsklage des Klägers scheitere hingegen am fehlenden Feststellungsinteresse.

Gegen das der Beklagten am 03.06.2011 zugestellte Urteil richtet sich deren am 06.06.2011 eingegangene Berufung vom 03.06.2011, die die Beklagte am 27.07.2011 unter Wiederholung und Vertiefung ihres Sachvortrags erster Instanz im Wesentlichen wie folgt begründet:

Das Einschlafen des Klägers am Arbeitsplatz stelle nicht nur eine Verletzung von Nebenpflichten, sondern eine solche von Hauptpflichten dar, weil der Kläger schlafend seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen könne. Die Pflichtverletzung sei auch nicht etwa geringfügig. Vergleichbar sei das Einschlafen am Arbeitsplatz mit einem unpünktlichen Erscheinen am Arbeitsplatz. Es müsse auch nicht erst eine weitere Abmahnung ausgesprochen werden. Der Übergabe der Abmahnung vom 31.08.2010 sei ein Personalgespräch am 01.09.2010 vorausgegangen. Dem Kläger sei während dieses Gesprächs deutlich gemacht worden, dass sie, die Beklagte, nicht bereit sei, sein Fehlverhalten weiter zu tolerieren. Dennoch sei es zu einem wiederholten Einschlafen gekommen. An einer Negativprognose im Hinblick auf eine Wiederholung des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens bestünden daher keine Zweifel. Letztlich könne auch die Abmahnung vom 11.05.2004 unter Berücksichtigung aktueller arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung herangezogen werden. Die Wirkung der Abmahnung vom 31.08.2010 werde auch nicht etwa durch die Verleihung der silbernen S4-Nadel im Dezember 2010 abgeschwächt. Die Nadel werde anlässlich zehnjähriger Firmenzugehörigkeit vergeben. Es handele sich um ein standardisiertes Vorgehen, das nichts über ihre Zufriedenheit mit dem Arbeitsverhalten des Klägers aussage. Sollte das Einschlafen des Klägers allerdings krankheitsbedingte Ursachen haben, so bewirke dies eine erhebliche Störung des Austauschverhältnisses. Den Kläger beschäftigte sie inzwischen ausschließlich zur Vermeidung der ansonsten drohenden Zwangsvollstreckung weiter.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 24.05.2011 - 2 Ca 3282/10 - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger, der das arbeitsgerichtliche Urteil verteidigt, behauptet, er sei an den von der Beklagten vorgetragenen Zeitpunkten nicht eingeschlafen gewesen, sondern habe sich - trotz geschlossener Augen - im Zustand tiefen Nachdenkens befunden. Ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflichten liege demgemäß - so seine Auffassung - nicht vor. Letztlich seien die ausgesprochenen Kündigungen aber auch unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Abmahnung aus dem Jahr 2004 sei zwar erwähnt, aber den Anhörungsschreiben nicht beigefügt worden. Es werde nicht klargestellt, dass diese Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen sei bzw. bereits entfernt sei. Der Betriebsrat sei nicht darüber informiert worden, dass er, der Kläger, bestreite, eingeschlafen zu sein. Es werde auf ein Fehlverhalten "bereits seit 2004" verwiesen. Dem Betriebsrat sei nicht verdeutlicht worden, dass ein Einschlafen während des Zeitraums von Mai 2004 bis zum 29.06.2010 nicht behauptet werde. Es werde ferner nicht klargestellt, dass er bereits im Jahr 2004 ärztliche Untersuchungen über sich habe ergehen lassen.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die nach § 64 Abs. 1 ArbGG gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld an sich statthafte, nach ihrem Streitgegenstand zulässige (§ 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG) sowie gegen das am 03.06.2011 zugestellte Urteil in gesetzlicher Form (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) und innerhalb der Monatsfrist des § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG am 06.06.2011 eingelegte und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist des § 66 Abs. 1 S. 2 ArbGG am 27.07.2011 ordnungsgemäß begründete Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigungen der Beklagten vom 22.12.2010 und 26.01.2011 aufgelöst worden ist sowie die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

II. Die Kündigungen vom 22.12.2010 und 26.01.2011 sind nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Nach dieser Bestimmung ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Der Betriebsrat ist nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG vor jeder Kündigung zu hören. Dabei hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG die Gründe für die Kündigung mitzuteilen.

Ordnungsgemäß ist die Betriebsratsanhörung nur dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die geplante Kündigung mitteilt und ihn zu diesem Zwecke über alle Tatsachen informiert, auf die er die Kündigung stützen will und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind (vgl. nur BAG 17.01.2008 AP Nr. 96 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Rn 25; GK-Raab, BetrVG, 9. Aufl. 2010 § 102 Rn 55).

Die Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG nicht nur dann rechtsunwirksam, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat überhaupt nicht informiert, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachkommt (ständ. Rspr., vgl. nur BAG 22.09.1994 - 2 AZR 31/94, NZA 1995, 363, juris Rn 23) oder dem Betriebsrat den Sachverhalt bewusst unrichtig oder unvollständig schildert, um die Kündigung möglichst überzeugend darzustellen (BAG 13.05.2004 - 2 AZR 329/03 - NZA 2004, 1037; 07.11.2002 - 2 AZR 599/01 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40; 22.09.1094 - 2 AZR 31/94 - NZA 1995, 678; GK-Raab, BetrVG, 9. Aufl. 2010 § 102 Rn 57). Bei einer verhaltensbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber das kündigungsrelevante Verhalten genau bezeichnen (KR-Etzel, 9. Aufl., § 102 BetrVG Rn 64). Er ist auch gehalten, dem Betriebsrat die Umstände mitzuteilen, die den Arbeitnehmer entlasten oder sonstige Gründe anzugeben, die gegen die Kündigung sprechen, sofern dies nach Meinung des Arbeitgebers zum relevanten Kündigungssachverhalt gehört (BAG 22.09.1994 - 2 AZR 31/94 - NZA 1995, 678; 06.02.1997 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 96; KR-Etzel, 9. Aufl., § 102 BetrVG Rn 62; GK-Raab, BetrVG, 9. Aufl. 2010 § 102 Rn 68; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsemaier, BetrVG, 25. Aufl. 2010, § 102 Rn 24).

Eine bewusst unrichtige oder unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe, die für den Arbeitgeber maßgeblich sind, ist nach Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens so zu behandeln, als wäre der Betriebsrat nicht informiert worden (BAG 22.09.1994 - 2 AZR 31/94 - NZA 1995, 678). Eine solche Nichtinformation kann nicht nur in der unrichtigen Aufbereitung der mitgeteilten Tatsachen bestehen, sondern auch darin, die gegen die Kündigung sprechenden, den Arbeitnehmer entlastenden Umstände wegzulassen. Dies führt zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG, sofern die irreführend dargestellten oder weggelassenen Tatsachen nicht nur eine lediglich untergeordnete Ergänzung oder Konkretisierung des im Übrigen zutreffend mitgeteilten Sachverhalts bewirken.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Betriebsratsanhörungen beider Kündigungen rechtsunwirksam. Der in den Anhörungsschreiben geschilderte Sachverhalt ist unrichtig und unvollständig.

So führt die Beklagte im dritten Absatz auf Seite 2 des Betriebsratsanhörungsschreibens vom 15.12.2010 aus, sie sei bereits seit längerer Zeit mit dem persönlichen Verhalten des Klägers unzufrieden. Die Verhaltensweise des Klägers sei in den letzten Jahren und aktuell in den letzten Monaten daher auch Gegenstand diverser Gespräche bzw. Abmahnungen gewesen.

Bezieht sich die Beklagte auf diverse Gespräche und Abmahnungen, deckt sich dies nicht mit dem Inhalt des Sachverhalts, den sie ihrer Kündigung zugrunde gelegt hat. Tatsächlich hat die Beklagte den Kläger lediglich zwei Abmahnungen erteilt, nämlich eine aus dem Jahr 2004 und eine weitere Abmahnung mit Datum des 31.08.2010. Auch im letzten Abmahnungsschreiben, das die Beklagte dem Anhörungsschreiben beigefügt hat, führt diese aus, bereits seit dem Jahre 2004 sei der nun erneut aufgefallene Sachverhalt des Einschlafens am Arbeitsplatz "in diversen Personalgesprächen besprochen, protokolliert und abgemahnt" worden. Im weiteren Verlauf des Anhörungsschreibens vom 15.12.2010, dort im letzten Absatz auf Seite 2, gibt die Beklagte an, dem Kläger seien seit 2004 "durch die vielfach protokollierten Gespräche und mündlichen Er- und Abmahnungen mehrere Möglichkeiten gegeben" worden, "sein Verhalten zu ändern".

Für den objektiven Empfänger der im Anhörungsschreiben enthaltenen Wissenserklärungen entsteht der Eindruck, der Kläger sei seit 2004 von der Beklagten dauernden Ermahnungen und Abmahnungen ausgesetzt gewesen. Der Kündigung vorausgegangen sind allerdings nur zwei Abmahnungen, nämlich eine aus dem Jahr 2004, die sich nach den Behauptungen des Klägers nicht mehr in seiner Personalakte befinden soll, und sodann eine weitere Abmahnung vom 31.08.2010. Das sind nicht "viele" Abmahnungen, sondern lediglich zwei, die auch in einem großen zeitlichen Abstand ausgesprochen worden sind. Dieser Unterschied in der Sachverhaltsdarstellung ist auch nicht nur eine zu vernachlässigende fehlerhafte Konkretisierung oder Ergänzung der bereits mitgeteilten Umstände. Es macht in der Wertung des Sachverhalts einen ganz erheblichen Unterschied, ob das pflichtwidrige Verhalten, auf das eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung gestützt werden soll, im Kalenderjahr 2004 abmahnungswürdig war, um sodann erstmals nach sechs beanstandungsfreien Jahren erneut ein Ausmaß zu erreichen, das eine Abmahnung auslöst, oder ob ein Arbeitgeber bis zum Ausspruch einer Kündigung das pflichtwidrige Verhalten eines Arbeitnehmers vielfach zu beanstanden und abzumahnen hatte.

Bereits dies führt dazu, dass in den Betriebsratsanhörungsschreiben ein unrichtiger Sachverhalt dargestellt wird. Für den Leser der Anhörungsschreiben wird der Eindruck dauerhaft nötiger Abmahnungen dadurch verstärkt, dass die Beklagte zumindest einen Vorgang des Einschlafens des Klägers auf den 29.06.2008 datiert hat, obwohl sich dieser Vorfall, wie die Beklagte im weiteren Verlauf des Klageverfahrens richtig gestellt hat, erst im Kalenderjahr 2010 ereignet hat. Angesichts des von der Beklagten in diesem Zusammenhang wohl angenommenen Informationsversehens kann zu ihren Gunsten davon ausgegangen werden, dass es sich insoweit nicht um eine bewusst unrichtige Sachverhaltsdarstellung handelt. Dies ändert nichts daran, dass bereits die sonstige Darstellung beim Leser des Anhörungsschreibens den Eindruck erwecken musste, der Kläger sei seit dem Kalenderjahr 2004 nicht nur zwei Mal, sondern vielfach abgemahnt worden. Es kann deshalb offen bleiben, ob bereits auch eine unbewusst falsche Sachverhaltsdarstellung die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung begründen kann (so GK-Raab, BetrVG, 9. Aufl. 2010 § 102 Rn 57). Offen bleiben kann auch, wie es sich auf die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung auswirkt, dass in den Anhörungsschreiben von der Beklagten sowohl ausgeführt wird, sie sei mit dem persönlichen Verhalten des Klägers schon seit langem unzufrieden, als auch, es sei im Verhältnis zum Teamleiter und den direkten Kollegen des Klägers zu Beschwerden und Gesprächen gekommen, ohne dass zu den Gründen für die Unzufriedenheit der Beklagten und den Ursachen von Beschwerden ihrer Mitarbeiter nähere konkretisierenden Angaben erfolgen.

2. Das zweite Anhörungsschreiben vom 21.01.2011 wiederholt weitgehend den Inhalt des Anhörungsschreibens vom 15.12.2010. Es ist, soweit es ebenso wie das Schreiben vom 15.12.2010 beim Leser den Eindruck erweckt, der Kläger sei seit dem Jahr 2004 vielfach abgemahnt worden, in einem wesentlichen Bereich unrichtig. Die Beklagte setzt in diesem Schreiben ihr Verhalten fort, beim Leser den Eindruck vom Umfang und der Anzahl erteilter Abmahnungen verstärken zu wollen. So schließt das Schreiben vom 21.01.2011 - anders als dasjenige vom 15.12.2010 - auf der letzten Seite mit den Worten, der Kläger dürfe sich "nach dem Ausspruch der vielen Abmahnungen und Führung von Gesprächen nicht wundern", dass die Beklagte die Zusammenarbeit mit ihm als unzumutbar empfinde. Vorausgegangen waren auf Seite 3 im dortigen zweiten Absatz erneut die Ausführungen, der Kläger sei "bereits seit 2004 auf sein Fehlverhalten aufmerksam gemacht" worden und ihm seien "durch die vielfachen protokollierten Gespräche und mündlichen Er- und Abmahnungen mehrere Möglichkeiten gegeben" worden, "sein Verhalten zu ändern".

Unrichtig ist allerdings auch die Darstellung in der Betriebsratsanhörung vom 21.01.2010, soweit es den Umfang der Mitwirkung des Klägers anbelangt. So führt die Beklagte im Anhörungsschreiben vom 15.12.2010 - dort im zweiten Absatz auf Seite 3 - aus, der Kläger hätte ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen, sofern die Ursache seines Einschlafens in einer Krankheit liegen sollte, während er hingegen auf mehrfaches Anfragen seiner Vorgesetzten keinen Hinweis darauf gegeben habe, dass er in ärztlicher Behandlung sei. Weiter unten auf Seite 2 des Anhörungsschreibens wird sodann dargestellt, die fehlende Mitwirkungsbereitschaft des Klägers, die Leistungsstörung zu beenden oder überhaupt anzugehen, habe sich negativ bei der Abwägung der gegensätzlichen Interessen ausgewirkt. Sodann wird sinngemäß ausgeführt, der Kläger habe sich nicht konstruktiv beteiligt und sei komplett passiv geblieben.

Ebenso wenig wie im Anhörungsschreiben vom 15.12.2010 findet der Umstand Erwähnung, dass sich der Kläger nach den bereits 2003 erfolgten Gesprächen im Zusammenhang mit einem Einschlafen am Arbeitsplatz in der betriebsärztlichen Sprechstunde vorstellte und - wie es der Kläger der Beklagten in einem Gespräch am 13.08.2004 ausweislich des darüber geführten und von der Beklagten vorgelegten Protokolls mitgeteilt hat -nach seinen Bekundungen bei seinem Hausarzt und einem Lungenfacharzt vorgestellt habe und eine weitere Untersuchung bei einem Lungenfacharzt ausstehe. Das ist etwas anderes als ein "komplett passives" Verhalten des Klägers, wie es die Beklagte in ihrem Anhörungsschreiben vorgetragen und ausweislich des Anhörungsschreibens vom 21.01.2011 zu Lasten des Klägers im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt hat.

3. Der Kläger hat die Betriebsratsanhörung bestritten und darauf hingewiesen, der Sachverhalt sei dem Betriebsrat nicht vollständig und wahrheitsgetreu mitgeteilt worden. Den Arbeitgeber trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es sich nicht um eine bewusst unrichtige Sachverhaltsdarstellung handelt, wenn die objektiven Umstände mit den Informationen an den Betriebsrat nicht übereinstimmen. Sofern der Arbeitnehmer bestreitet, dass die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß ist, hat der Arbeitgeber die Richtigkeit und Vollständigkeit der Betriebsratsanhörung darzulegen, wozu nicht zuletzt auch aus Gründen der Sachnähe des Arbeitgebers gehört, dazulegen und zu beweisen, dass er dem Betriebsrat nicht bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt mitgeteilt hat (BAG 22.09.1994 - 2 AZR 31/94 - NZA 1995, 678; LAG Köln 29.03.2011 - 12 Sa 1395/10, juris). Dem ist die Beklagte nur insoweit nachgekommen, als sie vorgetragen hat, dass es sich bei der Aufnahme des fehlerhaften Datums im Hinblick auf den Vorgang des Einschlafens am 29.06.2008 um ein Informationsversehen gehandelt hat. Ausführungen dazu, dass die Überbetonung erteilter Abmahnungen oder die fehlende Darstellung erfolgter Mitwirkung des Klägers sowie die Behauptung, der Kläger sei völlig passiv gewesen, unbewusst erfolgt sein sollen, erfolgten indes nicht.

II. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Beklagte, die den Kläger nur angesichts einer drohenden Zwangsvollstreckung beschäftigt hat, auch zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verurteilt.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des von ihr erfolglos eingelegten Rechtsmittels, § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision i. S. d. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der für die Entscheidung erheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von einer Rechtsprechung eines der in § 72 Abs. 2 Ziffer 2 ArbGG genannten Gerichte rechtfertigen würde.

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