· Fachbeitrag · Neuropädiatrie
Gestörter Kaliumfluss eine Ursache für frühkindliche Epilepsien
| Bestimmte Formen frühkindlicher Epilepsien werden durch bislang unbekannte Mutationen des Kalium-Ionenkanal-Gens KCNA2 ausgelöst. Wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) und die Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) in einer Pressemitteilung berichten, lautet so das Ergebnis der aktuellen Nature Genetics-Publikation einer europäischen Arbeitsgruppe unter Leitung von Wissenschaftlern aus Leipzig und Tübingen. |
Krankheitsbild „frühkindliche Epilepsie“
Der gestörte Kaliumfluss kann zu schlecht behandelbaren epileptischen Anfällen sowie zu einem Stillstand oder Rückschritten in der geistigen und motorischen Entwicklung führen. Frühkindliche Epilepsien bilden ein eigenständiges Krankheitsspektrum innerhalb der sogenannten epileptischen Enzephalopathien. Dies sind schwerwiegende Epilepsien mit Beginn im Kindesalter, mit unterschiedlich stark ausgeprägten Entwicklungsstörungen, Intelligenzminderungen und weiteren neuropsychiatrischen Symptomen, wie Autismus und Koordinationsstörungen (Ataxie).
Kaliumfluss entweder stark erhöht oder stark reduziert
Bei ihren Untersuchungen stellten die Wissenschaftler fest, dass die entdeckten genetischen Mutationen die Funktion des Kaliumkanals KCNA2 auf zwei Arten stören: Bei einigen Patienten ist der Kaliumfluss stark eingeschränkt (loss of function), bei anderen massiv erhöht (gain of function). Für Patienten mit erhöhtem Kaliumfluss ergibt sich durch die gezielte medikamentöse Blockade des Kaliumkanals KCNA2 eine konkrete neue Behandlungsmöglichkeit. Bei Patienten mit reduziertem Kaliumfluss sollen weitere Experimente Erkenntnisse darüber bringen, wie die epileptischen Anfälle genau entstehen, um daraus neue Therapiemöglichkeiten abzuleiten.
Ionenkanäle wichtig für elektrisches Gleichgewicht im Gehirn
Die Funktionsfähigkeit des Gehirns beruht unter anderem auf dem Zusammenspiel vieler verschiedener Ionenkanäle. Sie verhindern eine überschießende Ausbreitung elektrischer Aktivität durch ein sensibles Gleichgewicht zwischen hemmenden und fördernden Einflüssen. Die Ionenkanäle ‒ darunter auch der Kaliumkanal KCNA2 ‒ sitzen gemeinsam mit vielen weiteren Poren und Kanälen in der Zellwand einer Nervenzelle. Durch Öffnen und Schließen bestimmt KCNA2 den Durchfluss von Kaliumionen und beeinflusst damit die elektrische Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn.
Meilenstein für die Epilepsie-Forschung
Auch wenn der Kaliumkanaldefekt nur bei einem kleinen Teil der erkrankten Kinder nachweisbar ist, beseitigt die Studie für die betreffenden kleinen Patienten und deren Eltern die Ungewissheit. Die Studie zeigt auch, dass sich Forschungsanstrengungen großer Konsortien lohnen, bei Betrachtung kleinerer Patientengruppen wären Fallzahlen von dieser Evidenz nie erreicht worden. An der Studie waren zahlreiche Wissenschaftler aus unterschiedlichen Schwerpunktbereichen der Neurologie und Neuropädiatrie beteiligt, darunter das Konsortium EuroEPINOMICS. Dieses europäische Konsortium von Epilepsieforschern hat europaweit DNA-Proben mit epileptischen Enzephalopathien und Ataxien gesammelt ‒ bei der Auswertung der Daten von mehr als 400 Patienten wurden insgesamt sechs Mutationen gefunden.
Quellen
- Syrbe, S. et. al (2015) De novo loss- or gain-of-function mutations in KCNA2 cause epileptic encephalopathy. Nature Genetics (09 March 2015) doi: 10.1038/ng.3239
- Gemeinsame Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) und der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) online unter http://tinyurl.com/kpwvypg