04.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220317
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 17.06.2020 – 7 K 7013/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg
In dem Rechtsstreit
des Herrn A...,
Kläger,
bevollmächtigt:
gegen
die Familienkasse,
Beklagte,
die Richterin am Finanzgericht ... und
die Richterin ...
sowie die ehrenamtlichen Richter Herr ... und
Herr ...
Tenor:
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger, der deutscher Staatsangehöriger ist, und seine Ehefrau, C... -Mutter-, die israelische Staatsangehörige ist, sind die Eltern der am 20.09.1996 in D.../Israel geborenen B..., die deutsche Staatsangehörige ist (Bl. 4 Kindergeldakte -KGA-), und des am 08.10.2002 in D.../Israel geboren E..., der israelischer Staatsangehöriger ist (Bl. 20 KGA).
Der Kläger war vom 10.10.1995 bis 31.08.2001 in der F...-straße in G... gemeldet, vom 01.09.2001 bis 01.05.2003 in der H...-straße in G..., vom 02.05.2003 bis 15.05.2008 erneut in der F...-straße, danach war er an eine unbekannte Anschrift in Israel abgemeldet. Vom 01.12.2011 (Zuzug aus Israel) bis 01.04.2015 war er in der I...-straße in G... gemeldet, seit dem 01.04.2015 unter seiner aus dem Rubrum ersichtlichen Anschrift. Mit Wirkung vom 31.08.1999 meldeten sich die Mutter und B... unter der Anschrift F...-straße in G... an und mit Wirkung vom 01.09.2001 in die H...-straße in G... um, von wo sie sich am 16.01.2004 mit unbekanntem Ziel abmeldeten (Bl. 143 ff. Gerichtsakte -GA-).
Mit Wirkung vom 01.04.2015 mietete der Kläger eine 66,35 m2 große 2 1/2 Zimmerwohnung in der J...-straße in G... (Bl. 77 GA). Dort meldeten sich am 21.06.2015 E... und am 09.11.2015 die Mutter (jedoch nicht die Tochter) an (Bl. 28 KGA, Bl. 143 GA).
Im September 1999 beantragte der Kläger mit einem nicht unterschriebenen Antrag Kindergeld für B..., wobei er angab, dass B... nicht außerhalb seines Haushalts lebe. Der Vordruck enthält eine Wahrheitsversicherung und den Hinweis, dass der Antragsteller alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen habe. Das Merkblatt über Kindergeld habe er, der Antragsteller, bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen (Bl. 1 f. KGA). Darauf gewährte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, das Arbeitsamt G..., dem Kläger Kindergeld für B... (Papierverfügung mit nicht lesbaren Unterschriften, Bl. 6 KGA), das bis zu ihrer Volljährigkeit gezahlt wurde.
Einen Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld füllte der Kläger am 24.04.2001 mit dem gleichen Inhalt und eigenhändiger Unterschrift aus (Eingang bei der Familienkasse am 27.04.2001), worauf die Kindergeldfestsetzung aufgrund einer Verfügung, die der als Bl. 6 KGA abgehefteten Verfügung ähnelt, unverändert blieb. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 11 bis 13 KGA Bezug.
Ferner enthält die KGA einen undatierten "Bearbeitungshinweis" auf der Basis des Dateistands März 2007, der keine Anschrift für B... enthält. Das folgende Blatt weist eine "zdA-Verfügung" vom 06.04.2007 mit einer nicht lesbaren Paraphe auf. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 9 f. KGA Bezug.
Der letzte vor 2016 entstandene Akteninhalt besteht in einem Beleg über die Umstellung der Bankverbindung (offenbar automatisch angestoßene Änderung der BIC) vom 27.08.2014 (Bl. 14 KGA).
Mit einem Antrag vom 26.05.2016 beantragte der Kläger Kindergeld für seinen Sohn E.... Insoweit und für die weiteren Angelegenheiten betreffend B... sind als Bearbeiterinnen bei der Festsetzungsstelle der Beklagten eine Frau K... (Bl. 22 bis 24 KGA), eine Frau L... (Bl. 25 f., 30 f., 35 bis 37, 201 f. KGA), eine Frau M... (Bl. 47 f., 105 f. KGA), eine Frau N... (Bl. 80, 82 bis 87, 164 KGA), eine Frau O... (Bl. 88, 154 KGA), eine Frau P... (Bl. 98 bis 104, 111 KGA), eine Frau Q... (Bl. 115 f. KGA), die Zeugin R... (Bl. 89 f., 130 bis 135, 218 KGA), eine Frau S... (Bl. 144 bis 148 KGA), eine Frau T... (Bl. 151 KGA), eine Frau U... (Bl. 158 f., 176, 180, 185, 187 bis 198 KGA), eine Frau V... (Bl. 206 f., 216 KGA) und eine Frau W... (Bl. 219 f., 223 bis 233 KGA) erkennbar.
Am 16.09.2016 führte die Benutzerin mit der Kennung "..." eine sog. "ADI Rechereche" durch, wobei einer der in diesem Zusammenhang gefertigten Ausdrucke in der Kopfzeile die Angabe "BZSt: Adi Recherche" und auf der ersten Seite das Logo des Bundeszentralamts für Steuern ausweist (Bl. 40 KGA). ADI steht nach Angabe der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung für Allgemeines Dialogverfahren.
Als Rechercheergebnis wurde ausgedruckt (Bl. 39 KGA):
Datum Daten
18.09.2009 20:39:07 96831714202, B..., Israel
25.06.2008 16:15:12 96831714202, B..., H...-straße, G...
30.06.2007 14.29:02 96831714202, B..., H...-straße, G...
Am 10.10.2016 erstellte Frau M... einen Aktenvermerk, in dem sie u.a. ausführte: "letzter Nachweis zum Wohnsitz in Dtl. laut Adi in 06/08". Im Übrigen erörterte sie die Frage der Verjährung und bat "TL" (offenbar: Teamleiter(in)) um einen Hinweis, was hier unterstellt werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 46 KGA Bezug.
Mit Bescheid vom 17.10.2016 (aufgrund einer Verfügung vom 14.10.2016, die von Frau M... als Feststeller und von Frau V... als Anordnungsbefugter elektronisch gezeichnet wurde, Bl. 49 f. KGA), hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für B... für den Zeitraum von Januar 2010 bis September 2014 auf, da diese nicht mehr im Inland wohnhaft sei (Bl. 51 KGA). Aufgrund einer Verfügung vom 17.10.2016 wurde vermerkt, dass der Verdacht einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit bestehe (abgezeichnet mit nicht leserlichen Paraphe, die aber "Jg 20.10.16" heißen könnte, Bl. 55 KGA). Gegen den Bescheid vom 17.10.2016 legte der Kläger am 18.11.2016 Einspruch ein, mit dem er angab, seine Tochter habe eine Schule im Ausland besucht und sei sodann zur Armee eingezogen worden. Nach Abschluss ihrer Armeezeit beabsichtige sie, nach Deutschland zurückzukehren und hier zu studieren (Bl. 57 KGA). In der Vorprüfung des Einspruchs vermerkte die Bearbeiterin N..., dass B... "laut Adi seit mindestens 18.09.2009 in Israel wohnhaft" sei. Den Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 16.01.2017 zurück (Bl. 98 KGA), die bestandskräftig wurde (Bl. 135, 137 GA).
Am 10.05.2017 hob die Beklagte aufgrund einer Verfügung von gleichen Tag (gezeichnet durch die Zeugin R... als Feststeller und Frau V... als Anordnungsbefugter, Bl. 130 KGA) die Kindergeldfestsetzung für B... für den Zeitraum von Februar 2004 bis Dezember 2009 auf (Rückforderungsbetrag 11.154,00 €). Es fehle insoweit an einem Wohnsitz von B... in Deutschland, da sie bereits am 16.01.2004 nach Israel verzogen sei (Bl. 131 ff. KGA, 23 ff. GA).
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 08.06.2017 Einspruch ein (Bl. 142 KGA).
Im Zusammenhang mit der Festsetzung von Kindergeld für E... trug der Kläger vor, dass E... sich im autistischen Spektrum befinde. Er sei zwar nicht schwerbehindert, könne jedoch auch nicht am regulären Unterricht teilnehmen. Wegen der fehlenden Schwerbehinderung sei er an der X...-schule in G... nicht aufgenommen worden, sondern habe in Israel eine Schule mit einer kleinen, nur 8 Schüler umfassenden Klasse besucht. Daher bekomme E... in G... Hausunterricht basierend auf den Vorgaben der israelischen Schule und mit dem entsprechenden Lehrmaterial. E... könne sehr schlecht im Hebräischen lesen und schreiben. An Deutsch sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht zu denken (Bl. 58 KGA unter Beifügung von Unterlagen über medizinische und pädagogische Einschätzungen von E... aus Israel im hebräischen Original und nicht amtlicher Übersetzung ins Deutsche) und gab in einem weiteren Schreiben vom 21.02.2017 an, dass er im 2. Halbjahr 2015 erfolglos versucht habe, eine geeignete Schule für E... in G... zu finden, was u.a. an dessen fehlenden Deutschkenntnissen gescheitert sei. In der pädagogischen Einschätzung der israelischen Schule vom 13.01.2014 wird hervorgehoben, dass der Kläger intensive Kontakte zur Schule unterhalten und auch beim Hausbesuch am 03.01.2014 anwesend gewesen sei (Bl. 63 ff., 67 KGA). In einem Fragebogen vom November 2013 werden sowohl für den Kläger als auch für seine Ehefrau die Anschrift Y... und jeweils eine israelische Telefonnummer angegeben (Bl. 62 KGA).
Nachdem der Kläger seinen Einspruch nicht begründet hatte, wies die Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 12.12.2017 wegen des Kindergelds für B... für den Zeitraum von Februar 2004 bis Dezember 2009 als unbegründet zurück (Bl. 187 ff. KGA, 31 ff. GA). Da B... sich seit Januar 2004 in Israel aufhalte und dort die Schule besuche, könne weder ein Wohnsitz noch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland festgestellt werden.
Darauf hat der Kläger am 15.01.2018 Klage erhoben. Die Klage hat ursprünglich auch die Kindergeldfestsetzung für E... umfasst. Insoweit ist das Verfahren in der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2020 unter den Aktenzeichen 7 K 7034/20 (Hauptsachenerledigung September bis Dezember 2017) und 7 K 7035/20 (Klageabweisung mit rechtskräftigem Urteil vom 04.03.2020 für Dezember 2016 bis August 2017) abgetrennt worden.
Der Kläger macht geltend, seine Tochter habe in den Streitzeiträumen ihren Wohnsitz in G... gehabt. Sie habe im Zeitraum von Februar 2004 bis Dezember 2009 ein eigenes Zimmer in der Wohnung des Klägers in der I...-straße in G..., die aus insgesamt 3 Zimmern bestanden habe, gehabt. Dieses Zimmer habe ihr während ihrer Aufenthalte in den Schulferien, die sie stets mit ihrer Familie in G... verbracht habe, zur Verfügung gestanden. Die Schule habe sie in diesem Zeitraum in Israel besucht, da dort ihr jüdischer Glaube besonders in der schulischen Ausbildung berücksichtigt worden sei. Im Übrigen sei B... deutsche Staatsangehörige und aufgrund ihrer engen Bindung und Kontakte zu ihrer Familie und Freunden fest in G... verwurzelt. Dort habe sie ihren Lebensmittelpunkt gehabt.
Der Kläger beantragt,
den Aufhebungsbescheid vom 10.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.12.2017 aufzuheben,
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage für unbegründet. Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung und ergänzt, dass nach den Angaben zu den Kontaktdaten des Klägers und seiner Ehefrau (jeweils israelisch) im Fragebogen vom November 2013 zweifelhaft sei, ob und ggf. in welchen Zeiträumen sich der Kläger und seine Ehefrau tatsächlich in Deutschland aufgehalten hätten. Die Verjährung wegen der Kindergeldfestsetzung für B... sei noch nicht abgelaufen gewesen, weil die Verfolgung der vom Kläger insoweit begangenen Steuerverkürzung noch nicht verjährt gewesen sei (vgl. Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 17.12.2015 - V R 13/15).
Am 22.12.2016 fertigte die Zeugin R... einen Abgabevermerk an die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Beklagten mit der Sachverhaltsangabe, dass das Kindergeld für B... von Januar 2010 bis September 2014 in Höhe von insgesamt 10.488,00 € überzahlt sei sowie dass das Kind den Haushalt verlassen habe und in Israel zur Schule gehe. Die Änderung in den Verhältnissen sei durch den Kindergeldberechtigten bekannt geworden (handschriftlich durch "..." [vermutlich eine Frau Z..., vgl. Bl. 222 KGA] korrigiert in "Datenabgleich"; Bl. 3 f. Strafakte -StrafA-). Beigefügt waren Ausdrucke/Kopien von Bl. 1 f., 5 f., 11 f., 39, 41, 44 bis 46, 50 bis 54, 56 f., 80, 88 KGA (Bl. 5 bis 24 StrafA). Am 23.12.2016 leitete die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Beklagten das Strafverfahren gegen den Kläger ein, da der Verdacht bestehe, dass dieser im Zeitraum von Januar 2010 bis September 2014 zu Unrecht Kindergeld für B... erhalten habe. Darin heißt es: "Im Rahmen einer Überprüfung wurde festgestellt, dass das Kind seit dem 18.09.2009 nicht mehr in Deutschland wohnt (Bl. 11). Dies teile die Be. Pflichtwidrig nicht mit. Am 18.11.2016 teilte der Be mit, dass das Kind im Ausland eine Schule besucht (Bl. 22)." (Bl. 25 StrafA). Bei den zitierten Blattangaben handelt es sich um das Ergebnis der Adi Recherche (Bl. 11 StrafA = Bl. 39 KGA) und die Email des Klägers vom 18.11.2016, die die Beklagte als Einspruch ausgelegt hatte (Bl. 22 StrafA = Bl. 57 KGA). Dies wurde dem Kläger wohl erst aufgrund einer Verfügung vom 16.03.2017 bekannt (Bl. 38 StrafA). Die Sachbearbeiterin der Bußgeld- und Strafsachenstelle, eine Frau AB... (vgl. Bl. 27 StrafA) rief am 27.02.2017 erneut über die sog. ADI Recherche die für B... gespeicherten Daten auf, die sich mit den am 16.09.2016 abgerufenen Daten deckten, und nahm den Ausdruck eines entsprechenden Screenshots zur Akte (Datum unten rechts auf dem Screenshot). Ferner verfügte sie am selben Tag handschriftlich, das Auszugsdatum nach Israel zu erfragen. Daneben ist von einer anderen Person mit unleserlicher Paraphe vom 02.03.2017 vermerkt "=> 16.01.2004 Israel/unbekannt/(kein Zuzug danach in G... nachweisbar)". Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 28 StrafA Bezug. Eine Kopie dieses Blattes übersandte die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Beklagten der Festsetzungsstelle mit Verfügung vom 02.05.2017 und wies darauf hin, dass nach einer telefonischen LABO-Anfrage B... bereits am 16.01.2004 verzogen sei, so dass sie um Rückforderung ab Februar 2004 bis Dezember 2009 bitte. Wegen der unterlassenen Mitteilung des Auslandsaufenthalts liege vorliegend der Verdacht einer Straftat vor (Bl. 46, 46a StrafA, 127 f. KGA). Am 19.05.2017 erweiterte die Beklagte das Strafverfahren auch auf den Zeitraum Februar 2004 bis Dezember 2009 (Bl. 53 StrafA).
Auf Antrag der Beklagten hat das Amtsgericht G... am 28.06.2018 unter dem Gz. 329 Cs 143/18 einen Strafbefehl erlassen, mit dem der Kläger zu einer Geldstrafe von 230 Tagessätzen zu 30,00 € (= 6.900,00 €) verurteilt worden ist (Bl. 95 StrafA). Gegen diesen Strafbefehl hat der Kläger Einspruch eingelegt, worauf das Verfahren unter dem Gz. 246 Js 1467/18 von der Staatsanwaltschaft G... übernommen worden ist.
In der Hauptverhandlung vom 12.11.2018 hat der Kläger angegeben, von seiner Ehefrau getrennt zu leben und dass keines seiner Kinder im Haushalt lebe. Nachdem seine Tochter in 2004 nach Israel gezogen sei, habe seine Ehefrau zeitweise auch in Deutschland gelebt und ihre Tochter dann bei den Großeltern. Es habe immer ein Zimmer für die Kinder bei ihm gegeben (mit zwei Betten). Er selbst sei nie über einen längeren Zeitraum in Israel gewesen. Bis 2011 habe er bei seiner Schwester in der I...-straße gewohnt. Die Angabe im Fragebogen vom 24.04.2001, dass er für das Kindergeld bedeutsame Änderungen mitteilen müsse, habe er nicht so aufgefasst, dass er den Auslandsaufenthalt mitteilen müsse. Dem hielt der Beklagtenvertreter entgegen, dass sich das Gegenteilige aus dem dem Kläger ausgehändigten Merkblatt (Bl. 116 ff. StrafA) ergebe. Die als "zuständige Fachkraft" (Bl. 107 StrafA, 217 KGA) geladene Sachbearbeiterin der Beklagten, die Zeugin R... (im Protokoll der Hauptverhandlung als Frau "..." bezeichnet), gab nach diesem Protokoll u.a. an: "Abfrage kam erst mit dem Datenabgleich, vom 16.09.2016. Veranlasst durch die ID Nummer. Grund für die Abfrage weiß ich nicht. ... 2008 war sie in Deutschland; 2009 wohnte sie in Deutschland. Das ergab sich aus ADI. 2004 gab es noch eine weitere Info des LABO, von dort wurde mitgeteilt, dass das Kind seit 2004 in Israel wäre. Die Info kam nach Anforderung über die Bustra-Stelle." Sodann ist vermerkt, dass der Beklagtenvertreter eingewandt hat, dass die Tochter schon seit 2004 abgemeldet gewesen sein solle, worauf ihm Bl. 28 StrafA vorgehalten wurde. Dazu erläuterte der Beklagtenvertreter, dass die Auskünfte telefonisch gemacht würden. Ferner gab die Zeugin an, das Merkblatt sei nicht mit dem Fragebogen vom 24.04.2011 übersandt worden. Sie habe nichts in der Akte, dass der Kläger das Merkblatt tatsächlich bekommen habe. Dieses werde nicht übersandt, dieses könne man sich bei ihnen mitnehmen. Mit Zustimmung der Beteiligten wurde das Verfahren gegen die Auflage einer Geldzahlung in Höhe von 2.300,00 €, die der Kläger leistete, gemäß § 153a Abs. 2 Strafprozessordnung -StPO- eingestellt (Bl. 141 StrafA). Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf das Protokoll Bezug (Bl. 111 ff. StrafA), in das der Kläger Einsicht erhielt (Bl. 130 StrafA).
Wegen der an den Kläger ergangenen Auflagen unter Ausschlussfristsetzung gemäß § 79b Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- vom 05.04.2018 und 04.11.2019 nimmt das Gericht auf die Aktendurchschriften Bezug.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin R.... Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.06.2020 Bezug genommen.
Dem Gericht haben die Streitakten der Verfahren 7 K 14045/18 und 7 K 8108/19, die von der Staatsanwaltschaft G... unter dem Gz. 246 Js 1467/18 geführte Strafakte sowie Ausdrucke der von der Beklagten unter der Kindergeld-Nr. ... und der Agentur für Arbeit AA... unter dem Gz. ... geführten elektronischen Akten (4 Bände) vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid nicht i.S. des § 100 Abs. 1 und 2 FGO in seinen Rechten verletzt.
Der Kläger war für seine Tochter B... in den Streitzeiträumen nicht kindergeldberechtigt. Die Beklagte war befugt, die zuvor bestehende Kindergeldfestsetzung für B... aufzuheben.
1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz -EStG- wird Kindergeld nur für Kinder, die im Inland (und weiteren hier nicht relevanten Territorien) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, gezahlt. Dies setzt voraus, dass die Kinder des Klägers im Streitzeitraum im Inland eine Wohnung unter Umständen innehatten, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen werden (§ 8 Abgabenordnung -AO-), oder dass sie sich im Inland unter Umständen aufgehalten hätten, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt hatten (§ 9 AO).
a) Nach § 8 AO, der auch im Rahmen der Prüfung des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG über § 1 Abs. 1 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG Anwendung findet, hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Damit knüpft der Wohnsitzbegriff des § 8 AO ausschließlich an die tatsächliche Gestaltung und nicht an subjektive Vorstellungen an (BFH, Urteil vom 12.01.2001 - VI R 64/98, BFH/NV 2001, 1231; Beschluss vom 19.09.2013 - III B 53/13, BFH/NV 2014, 38, Rn. 7 ff.).
Ein Wohnsitz nach § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumen das Innehaben der Wohnung in dem Sinn voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht (BFH, Urteil vom 23.11.2001 - VI R 107/99, Bundessteuerblatt -BStBl.- II 2001, 294, unter II.2.a). Der Wohnsitzbegriff setzt zwar weder voraus, dass die Wohnung im Inland den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet (BFH, Urteil vom 28.01.2004 - I R 56/02, BFH/NV 2004, 917, unter II.3.a) noch einen Aufenthalt während einer Mindestzeit (BFH, Urteile vom 19.03.1997 - I R 69/96, BStBl. II 1997, 447, unter II.3.; vom 12.01.2001 - VI R 64/98, BFH/NV 2001, 1231); erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH, Urteile vom 10.04.2013 - I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, unter II.2.c aa; vom 25.09.2014 - III R 10/14, BStBl. II 2015, 655, jeweils m.w.N.).
Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinn besteht nicht nur darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit zur Verfügung steht, sondern auch darin, dass diese von ihm subjektiv zu einem entsprechenden Aufenthalt mit Wohncharakter bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH, Urteile vom 26.02.1986 - II R 200/82, BFH/NV 1987, 301, unter 1.a; vom 13.11.2013 - I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046, unter II.2.b: vom 25.09.2014 - III R 10/14, BStBl. II 2015, 655). Bei Kindern, die zum Zwecke der Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung auswärtig untergebracht sind, reicht es für einen Inlandswohnsitz daher nicht aus, wenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht. Es muss, um einen inländischen Wohnsitz in diesen Fällen annehmen zu können, eine Beziehung zur elterlichen Wohnung vorhanden sein, die über die allein durch das Familienverhältnis begründete Beziehung hinausgeht und erkennen lässt, dass das Kind die elterliche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet (BFH, Urteile vom 17.03.1961 - VI 185/60 U, BStBl III 1961, 298; vom 25.09.2014 - III R 10/14, BStBl. II 2015, 655).
b) Nach der Überzeugung des Gerichts war dies im Streitzeitraum nicht der Fall. Denn es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Kinder, die mit Eintritt in die Grundschule oder kurz danach ihre Schulausbildung in einem ausländischen Staat, der nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zum inländischen Wohnort ihrer Eltern bzw. eines ihrer Elternteile gelegen ist, absolvieren, regelmäßig im Inland keinen Wohnsitz (mehr) unterhalten und aufgrund der ausbildungsbedingten längeren Abwesenheiten auch keine zusammenhängenden Aufenthalte im Inland absolvieren, die zu einem gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des § 9 AO führen.
Dem entsprechend hat der BFH (Urteil vom 23.11.2000 - VI R 165/99, BStBl. II 2001, 279) bei einem Schulkind, das im Alter von 6 Jahren für voraussichtlich 9 Jahre in der Türkei eingeschult wurde, auch dann die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes bejaht, wenn sich das Kind während der Schulferien "von nicht einmal 3 Monaten im Jahr" in der elterlichen Wohnung aufgehalten hat. Eine etwaige Rückkehrwilligkeit hat der BFH sowohl in dieser Entscheidung als auch in den zuvor genannten Entscheidungen für unerheblich gehalten (ebenso bereits BFH, Urteil vom 22.04.1994 - III R 22/92, BStBl. II 1994, 887 zu einem Kind, das im Alter von ca. 12 Jahren in die Türkei umgeschult wurde und dort 2 1/2 Jahre die Schule besucht und sich während der Ferien im Inland aufgehalten hatte; Urteil vom 27.04.1995 - III R 57//93, BFH/NV 1995, 967 [BFH 27.04.1995 - III R 57/93] zu zehnwöchigen Ferienaufenthalten).
Auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte -FG- werden Aufenthalte nur während der Schulferien bei Schulkindern nicht für ausreichend für eine Begründung des Wohnsitzes gehalten (Niedersächsisches FG, Urteil vom 24.07.2014 - 1 K 102/13, juris, bestätigt durch BFH, Urteil vom 17.12.2015 - V R 13/15, BFH/NV 2016, 534; FG Düsseldorf, Urteil vom 12.05.2015 - 10 K 2954/14 Kg, AO, juris - zu einem im Streitjahr ca. 15jährigem Schulkind, das bereits 2 Jahre in der Türkei zur Schule ging, dort mit seinem Vater lebte, noch weitere 5 Jahre dort zur Schule gehen sollte und dessen Mutter und Geschwister in Deutschland lebten; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 02.06.2017 - 4 K 138/16, juris; Hessisches FG, Urteil vom 16.08.2017 - 2 K 775/16, juris; FG Hamburg, Urteil vom 05.07.2019 - 6 K 215/18, juris; in diese Richtung wohl auch FG Bremen, Urteil vom 08.12.2016 - 3 K 59/15 (1), juris; a.A. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.07.2018 - 3 K 3220/17, juris, bestätigt durch BFH, Urteil vom 25.07.2019 - III R 46/18, BFH/NV 2020, 208; abweichend auch zu einem noch nicht schulpflichtigen Kind, das sich jedenfalls in einem Jahr nur ca. 2 1/2 Monate in Deutschland, im Übrigen mit ihrer Mutter in deren Heimatland aufgehalten hatte: Hessisches FG, Urteil vom 20.02.2018 - 3 K 572/15, juris). Abweichende Feststellungen im Einzelfall sind möglich, insbesondere, wenn die Kinder ihre sozialen Beziehungen in Deutschland nie aufgegeben haben (BFH, Urteil vom 25.07.2019 - III R 46/18, BFH/NV 2020, 208, Rn. 20).
Bei einer Geburt im Ausland kommt es darauf an, wann das Kind erstmals die inländische Wohnung aufgesucht hat (BFH, Urteil vom 07.04.2011 - III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351).
Zugunsten des Klägers ergibt sich nichts daraus, dass davon abweichend bei studierenden Kindern in einer Reihe von Fällen nach der Rechtsprechung des BFH Auslandsaufenthalte nicht zum Wegfall des inländischen Wohnsitzes geführt haben (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 25.09.2014 - III R 10/14, BStBl. II 2015, 655 zu einer in den USA studierenden Studentin; Urteil vom 23.06.2015 - III R 38/14, BStBl. II 2016, 102 - in China studierendes Kind; Beschluss vom 17.05.2017 - III B 92/16, BFH/NV 2017, 1179 - in der Türkei zur Oberschule gehendes und danach studierendes Kind; Beschluss vom 12.06.2017 - III B 157/16, BFH/NV 2017, 1318 - in den USA zur Oberschule gehende und danach studierende Kinder); vgl. auch die Urteile vom 23.11.2000 - VI R 107/99 (BStBl. II 2001, 294; zu einem in der Türkei studierenden Kind) und vom 28.04.2010 - III R 52/09 (BStBl. II 2010, 1013; zu einem in den USA studierenden Kind).
Der Grund für diese abweichende Würdigung besteht insbesondere darin, dass ein Kind, das im Grundschulalter in einem ausländischen Staat eingeschult wird, in der Regel wenige bis keine außerfamiliären Bindungen aufgebaut hat, die es während eines mehrjährigen - im Regelfall mindestens neunjährigen - Auslandsaufenthalts aufrecht erhält (ähnlich BFH, Urteile vom 22.04.1994 - III R 22/92, BStBl. II 1994, 887; vom 27.04.1995 - III R 57//93, BFH/NV 1995, 967 [BFH 27.04.1995 - III R 57/93]; Hessisches FG, Urteil vom 16.08.2017 - 2 K 775/16, juris; FG Hamburg, Urteil vom 05.07.2019 - 6 K 215/18, juris; die beiden letztgenannten Entscheidungen mit eingehender Abgrenzung zur "Studentenrechtsprechung" des BFH). Dies wird bei volljährigen Studenten - insbesondere, wenn sie ihre Schulzeit vollständig oder überwiegend im Inland verbracht haben - im Regelfall anders sein (zu einem Ausnahmefall vgl. BFH, Urteil vom 25.07.2019 - III R 46/18, BFH/NV 2020, 208, Rn. 20). Zudem sind die vorlesungsfreien Zeiten vielfach länger als Schulferien. Ferner hat der BFH verneint, dass ein minderjähriger Schüler während der Schulzeiten die inländische Wohnung jederzeit aufsuchen könne, so dass es dran fehle, dass die elterliche Wohnung im Inland jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung stehe (BFH, Urteil vom 22.04.1994 - III R 22/92, BStBl. II 1994, 887).
Im Streitfall ist die Tochter im Alter von 3 Jahren mit ihrer nur die israelische Staatsbürgerschaft besitzenden Mutter nach Deutschland eingereist und bereits mit 7 Jahren in Israel eingeschult worden. Sie hat dort - was nach den Äußerungen des Klägers auch von vornherein so vorgesehen war - ihre gesamte Schulausbildung absolviert. Ihre Mutter hielt sich ebenfalls in Israel auf, ebenso der in 2002 in Israel geborene Bruder. Denn nach den vorgelegten Unterlagen ist der in 2002 geborene Sohn in Israel aufgewachsen. Dort wurde er ausweislich der vorliegenden Unterlagen jedenfalls in den Jahren 2013 und 2014 auch persönlich vom Kläger betreut. Ausweislich der Meldedaten hielt sich auch der Kläger vom 15.05.2008 bis 01.12.2011 in Israel auf, also für 3 1/2 Jahre, ohne dass der Kläger etwas dafür vorgetragen hat, dass er sich im vorgenannten Zeitraum in Deutschland in einer einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründenden Weise aufgehalten hat und warum er sich in dieser Zeit nicht bei den zuständigen Meldebehörden angemeldet hat. Daher ist das Gericht überzeugt, dass der Mittelpunkt des familiären Lebens jedenfalls ab Anfang 2004 in Israel lag.
Das Gericht hält den Vortrag des Klägers, dass er stets über eine Wohnung verfügt habe, in der die gesamte Familie habe Aufnahme finden können und dass seine Tochter ihre gesamten Ferien in den G... Wohnungen des Klägers verbracht habe, für Schutzbehauptungen. Denn der Kläger hat diesen Vortrag trotz entsprechender Auflage vom 04.11.2019 nicht durch nähere Angaben zu den Wohnungen, die er vor der gegenwärtigen Wohnung bewohnt haben will, konkretisiert. Zudem waren der Kläger und die Tochter bereits seit dem 02.05.2003 in unterschiedlichen Wohnungen gemeldet, was ebenfalls dagegen spricht, dass der vom Kläger noch bis zum 15.05.2008 in G... unterhaltene (Melde-)Wohnsitz der Tochter einen inländischen Wohnsitz im steuerlichen Sinne vermittelt hat. Im Übrigen hat sich der Kläger auf die pauschale Behauptung beschränkt, dass seine Tochter in Deutschland familiäre und freundschaftliche Bindungen gehabt habe, ohne dies im Einzelnen zu erläutern. Nach den zuvor erörterten Grundsätzen hatte B... daher in Deutschland keinen Wohnsitz.
Unbeachtlich ist, dass die Beklagte im Hinblick auf die unter I. 3. erörterte Frage der Festsetzungsverjährung die Feststellungslast für das Fehlen des Wohnsitzes der Tochter des Klägers in Deutschland tragen dürfte. Denn aus dem Grundsatz in dubio pro reo, der auch im Besteuerungsverfahren gilt, wenn das Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung streitig ist (Gräber/Ratschow, FGO, 9. Aufl. 2019, § 96 Rn. 95), folgt nicht, dass zu Gunsten eines Steuerpflichtigen Umstände oder Geschehensabläufe zu unterstellen sind, für deren Vorliegen - außer der bloßen Behauptung des Steuerpflichtigen - keine Anhaltspunkte bestehen (Bundesgerichtshof -BGH-, Urteil vom 08.11.2011 - 1 StR 38/11, Neue Zeitschrift für Strafrecht -NStZ- 2012, 160 unter III.4.a).
2. Die Beklagte war nach § 70 Abs. 2 EStG befugt, die ursprüngliche in 1999 erfolgte Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 01.02.2004 aufzuheben. Durch den Wegzug der Tochter im Januar 2004 hatten sich i.S. des § 70 Abs. 2 AO die Verhältnisse geändert.
3. Die Beklagte hat auch die Festsetzungsfrist gewahrt.
a) Diese betrug im Streitfall gemäß § 169 Abs. 1 Satz 2 AO 5 Jahre. Da Kindergeld nicht aufgrund einer Steuererklärung oder -anmeldung festgesetzt wird, beginnt die Festsetzungsfrist für Kindergeld mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Kindergeldanspruch entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Dem entsprechend begann die Festsetzungsfrist für die hier streitigen Kindergeldansprüche frühestens mit Ablauf des 31.12.2004, so dass bei Anwendung einer 5jährigen Festsetzungsfrist diese für den Streitzeitraum 2004 regelmäßig am 31.12.2009 abgelaufen wäre. Jedoch war bei Ergehen des angefochtenen Aufhebungsbescheids vom 10.05.2017 der Ablauf der Festsetzungsfrist noch nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt.
b) aa) Der Kläger hat hinsichtlich der streitigen Kindergeldbeträge jedenfalls eine leichtfertige Steuerverkürzung i.S. der §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 378 Abs. 1, 169 Abs. 1 Satz 2 AO begangen. Danach begeht eine leichtfertige Steuerverkürzung, wer leichtfertig die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird (Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 378 Rn. 20 m.w.N.).
bb) Nach § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO sind die Familienkassen Finanzbehörden i.S. der §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 378 Abs. 1 AO. Nach § 31 Satz 3 EStG ist Kindergeld eine Steuervergütung und kann daher - wie § 370 Abs. 4 Satz 2 AO erkennen lässt - Gegenstand einer Steuerverkürzung i.S. der §§ 370, 378 AO sein.
cc) Der Kläger hat die für ihn zuständige Familienkasse pflichtwidrig über eine steuerlich erhebliche Tatsache in Unkenntnis gelassen.
Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG war der Kläger zur unverzüglichen Mitteilung von Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, an die Familienkasse verpflichtet. Wie unter I. 1. dargelegt, war der Wegzug seiner Tochter in 2004 eine für die Leistung des Kindergelds erhebliche Tatsache, so dass der Kläger verpflichtet war, den Wegzug unverzüglich mitzuteilen.
Der Kläger behauptet selbst nicht, eine solche Mitteilung gemacht zu haben. Sie ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Akten, so dass er pflichtwidrig gehandelt hat.
dd) Den zuständigen Bearbeitern der jeweils zuständigen Familienkasse war nach der Überzeugung des Gerichts auch nicht aufgrund anderer Erkenntnisquellen vor dem Jahre 2017 der Wegzug der Tochter in 2004 bekannt.
Abweichendes ergibt sich nicht aus der Aussage der Zeugin R... und dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 12.11.2018 vor dem Amtsgericht Tiergarten. Dass dort die Aussage der Zeugin dahingehend protokolliert wurde, dass bereits in 2004 eine Information des LABO über die Abmeldung von B... zur Kindergeldakte des Klägers gelangt sei, ist nach der Überzeugung des Gerichts auf ein Versprechen der Zeugin oder einen Protokollierungsfehler zurückzuführen. Denn die vorliegende Kindergeldakte enthält eine solche Mitteilung aus dem Jahre 2004 nicht. Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit der Akte bestehen nicht. Es wäre auch nicht nachvollziehbar, woher die Zeugin eine solche Erkenntnis gehabt haben sollte. Denn die Zeugin hat glaubhaft ausgesagt, dass sie sich auf die Aussage durch das Studium der elektronisch gespeicherten Kindergeldakte vorbereitet hat, deren Ausdruck dem Gericht vorliegt. Anhaltspunkte für weitere Erkenntnisquellen, etwa in Gestalt einer in analoger Form geführten Nebenakte, bestehen nicht. Die Zeugin hat solche Erkenntnisquellen, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass ihr solches nicht bekannt sei, ausgeschlossen. Angesichts der von der Zeugin im Einklang mit dem Akteninhalt beschriebenen extrem arbeitsteiligen Bearbeitungsweise in der Festsetzungsstelle der Beklagten schließt auch das Gericht solche weiteren Erkenntnisquellen aus. Ferner hat die Zeugin bereits in der Hauptverhandlung ausgesagt, dass die Beklagte durch die sog. ADI Recherche Kenntnis vom Wegzug der Tochter erhalten hat. Dies deckt sich mit dem Akteninhalt, der solche Rechercheergebnisse und ausschließlich Bezugnahmen darauf (und nicht auf andere Erkenntnisquellen) der mit dem Vorgang befassten Bearbeiterinnen (Vermerke vom 10.10.2016 und vom 30.11.2016) enthält. Auch die Einleitungsverfügung der Beklagten vom 23.12.2016 bezieht sich auf diese Rechercheergebnisse, die die Zeugin ihrem Abgabevermerk vom 22.12.2016 beigefügt hatte. Es wäre unverständlich gewesen, wenn an Amtsstelle bekannte frühere Erkenntnisse keine Erwähnung gefunden hätten. Anlass für die Annahme, seinerzeit seien diese früheren Erkenntnisse unterdrückt und erst durch die Zeugin R... in der Hauptverhandlung offenbart worden, bestehen nicht. Zudem enthält die Akte eine Mitteilung der Bußgeld- und Strafsachenstelle, nach der das LABO eine Abmeldung der Tochter in 2004 mitgeteilt habe. Diese stammt jedoch vom 02.05.2017. Diesem chronologischen Ablauf folgt auch die Schilderung der Zeugin in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten. Nach dem Duktus ihrer Schilderungen wäre unverständlich, warum die Zeugin nicht mit dem Vorgang der Bustra-Mitteilung begonnen hat, wenn diese tatsächlich in 2004 bei der Familienkasse eingegangen wäre. Schließlich wäre nicht verständlich, warum in 2004 die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Familienkasse eine im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang erfolgte Wohnsitzaufgabe hätte mitteilen sollen. Nach dem Akteninhalt und dem Inhalt weiterer beim erkennenden Senat anhängiger oder anhängig gewesener Verfahren wird die Bußgeld- und Strafsachenstelle erst tätig, wenn ihr der Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit im Zusammenhang mit Kindergeldfestsetzungen angezeigt wird.
Eine Bindung des erkennenden Gerichts an den Wortlaut des Protokolls der Hauptverhandlung vom 12.11.2018 besteht nicht. Dieser besteht schon nicht im Rahmen des Strafprozesses (Greger in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 373 Rn. 19; Valerius in Münchener Kommentar zur StPO, 2016, § 273 Rn. 43), erst recht daher nicht im hiesigen Verfahren. Da der Zeugin das Protokoll der Hauptverhandlung nicht vorgelesen wurde, wie die Zeugin, wenn auch mit einer gewissen Unsicherheit bekundet hat, wie sich auch aus dem Schweigen zu dieser Frage aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt und wie es in Strafverfahren üblich ist (Greger in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 373 Rn. 19), liegen die Möglichkeiten von Schreibfehlern oder unbemerkten Versprechern auf der Hand.
ee) Der Kläger hat bei seiner pflichtwidrigen Unterlassung die Sorgfalt außer Acht gelassen, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande war, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird.
Denn der Kläger hat seinem ersten Antrag vom 07.09.1999 eine Kopie eines Kinderausweises beigefügt, in dem als Wohnort von B... G... vermerkt ist und die Frage, ob das Kind außerhalb seines Haushalts lebt, verneint. Dass der Antrag nicht vom Kläger unterschrieben ist, lässt es nicht als zweifelhaft erscheinen, dass er von ihm bei der Familienkasse eingereicht wurde. Ferner hat der Kläger im Fragebogen vom 24.04.2001 wiederum verneint, dass B... außerhalb seines Haushalts lebe und mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er das Merkblatt über Kindergeld bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen habe und dass ihm bekannt sei, dass er alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung seien, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen habe. Wie der Beklagtenvertreter in der strafrechtlichen Hauptverhandlung unter Vorlage entsprechender Auszüge aus dem Merkblatt in Kopie (Bl. 116 - 119 StrafA) unwidersprochen vorgetragen hat, ergab sich aus dem Merkblatt, dass eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes (von EU-Fällen abgesehen) zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führt.
Unabhängig davon, ob der Kläger das Merkblatt in der Familienkasse mitgenommen hatte, hätte es sich dem Kläger aufdrängen müssen, dass eine einschneidende Änderung in den familiären Verhältnissen, wie es die Umschulung eines Kindes von Deutschland nach Israel darstellt, jedenfalls Anlass gab, sich eingehend nach den Auswirkungen auf den Kindergeldanspruch zu erkundigen. Dass auch der Kläger den Schulwechsel als einschneidend ansah, ergibt sich daraus, dass er die Tochter melderechtlich abgemeldet hat. Gleiches gilt, wenn nicht der Kläger, sondern die Mutter die Tochter abgemeldet hätte oder die Abmeldung von Amts wegen erfolgt wäre. Denn schon dann, wenn 3 von 4 Familienmitgliedern (Mutter, Tochter und Sohn) in Israel leben, ist unabhängig von melderechtlichen Erklärungen eine einschneidende Änderung in den Familienverhältnissen eingetreten.
Der Kläger ist nach den aus den Akten ersichtlichen Umständen (deutsche Staatsbürgerschaft, Tätigkeit als Unternehmensberater) auch ohne weiteres in der Lage gewesen, selbst entsprechende Schlussfolgerungen anzustellen. Wie die zahlreichen vom Kläger selbst verfassten Schriftstücke in den vorliegenden Behördenakten zeigen, ist der Kläger im Umgang mit Behörden durchaus gewandt und sprachlich ohne nennenswerte Einschränkungen in der deutschen Sprache ausdrucksfähig. Um so eher hat er über ein entsprechendes passives Sprachverständnis verfügt.
Von ähnlichen Erwägungen geht auch das die Leichtfertigkeit einer Kindergeldberechtigten bejahende Urteil des Niedersächsischen FG vom 24.07.2014 - 1 K 102/13, juris, aus (insoweit nicht beanstandet durch das nachgehende Urteil des BFH vom 17.12.2015 - V R 13/15, BFH/NV 2016, 534). Auch das Strafverfahren, das mit einer Einstellung gegen Auflage nach § 153a StPO endete, was zwar keiner Verurteilung, aber auch keinem Freispruch entspricht, hat zu keinen gegenteiligen Erkenntnissen geführt.
c) Davon ausgehend war der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt. Nach dieser Vorschrift läuft eine nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf 10 oder 5 Jahre verlängerte Festsetzungsfrist nicht ab, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist.
Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor. Die Verfolgung der vom Kläger begangenen Ordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 378 Abs. 2 AO verjährte nicht vor dem 31.08.2017.
Nach § 378 Abs. 2 AO kann diese Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße in Höhe von 50.000,00 € geahndet werden. Daher gilt insoweit gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten -OWiG- eine Verfolgungsverjährungsfrist von 3 Jahren, die nach § 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG beginnt, sobald die Handlung beendet ist. Tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung mit diesem Zeitpunkt (§ 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG).
"Handlung" war im Streitfall das Unterlassen der Mitteilung an die Familienkasse über den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen (vgl. § 8 OWiG), das für die Weitergewährung des Kindergeldes bis zur letztmaligen Zahlung im September 2014 kausal war. Der Erfolg der Handlung i.S. von § 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG trat erst mit der letzten Auszahlung ein.
Diese Sichtweise steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zur Gewährung fortlaufender Leistungen aufgrund einer (einzigen) betrügerischen Falscherklärung. Hiernach ist ein Betrug nach § 263 Strafgesetzbuch -StGB- erst mit der letzten Leistungsgewährung i.S. von § 78a Satz 2 StGB beendet (BFH, Urteil vom 26.06.2014 - III R 21/13, BStBl. II 2015, 886).
Demgegenüber stellt nicht jede monatliche Auszahlung eine beendete Ordnungswidrigkeit dar, was zur Folge hätte, dass mit der Beendigung auch die Verfolgungsverjährung begänne. Abweichendes folgt auch nicht aus dem im Kindergeldrecht geltenden Monatsprinzip des § 66 Abs. 2 EStG, wonach das Kindergeld monatlich vom Beginn des Monats an gezahlt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Voraussetzungen wegfallen. Denn nach § 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG sind alle durch die Handlung bewirkten Erfolge zu berücksichtigen. Im Streitfall hat sich der Erfolg der unterlassenen Mitteilung über die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes nicht in der Auszahlung des Kindergeldes für den Monat erschöpft, für den es erstmals zu Unrecht ausgezahlt wurde. Vielmehr sind die Zahlungen für die Folgemonate weitere "Erfolge" (BFH, Urteil vom 26.06.2014 - III R 21/13, BStBl. II 2015, 886; im Ergebnis ebenso FG München, Urteil vom 17.06.2014 - 10 K 56/12, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2014, 1939).
Dem entsprechend trat die Verjährung der Verfolgung der vom Kläger begangenen Ordnungswidrigkeit frühestens mit Ablauf des 31.08.2017 ein, 3 Jahre nach dem Monat, in dem B... ihr 18. Lebensjahr vollendete und in dem für sie letztmals Kindergeld an den Kläger gezahlt wurde. Der angefochtene Bescheid erging jedoch bereits am 10.05.2017. Ob der Kläger nicht nur leichtfertig, sondern sogar bedingt vorsätzlich gehandelt hat, kann daher dahinstehen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Urteil vom 17.06.2020
Az.: 7 K 7013/18
In dem Rechtsstreit
des Herrn A...,
Kläger,
bevollmächtigt:
gegen
die Familienkasse,
Beklagte,
wegen Familienleistungsausgleich Februar 2004 bis Dezember 2009 für das Kind B...
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 7. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. Juni 2020 durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,die Richterin am Finanzgericht ... und
die Richterin ...
sowie die ehrenamtlichen Richter Herr ... und
Herr ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob dem Kläger für sein Kind B... in den Streitzeiträumen Kindergeld zustand und ggf., ob die Beklagte befugt war, die insoweit bestehende Kindergeldfestsetzung aufzuheben.
Der Kläger, der deutscher Staatsangehöriger ist, und seine Ehefrau, C... -Mutter-, die israelische Staatsangehörige ist, sind die Eltern der am 20.09.1996 in D.../Israel geborenen B..., die deutsche Staatsangehörige ist (Bl. 4 Kindergeldakte -KGA-), und des am 08.10.2002 in D.../Israel geboren E..., der israelischer Staatsangehöriger ist (Bl. 20 KGA).
Der Kläger war vom 10.10.1995 bis 31.08.2001 in der F...-straße in G... gemeldet, vom 01.09.2001 bis 01.05.2003 in der H...-straße in G..., vom 02.05.2003 bis 15.05.2008 erneut in der F...-straße, danach war er an eine unbekannte Anschrift in Israel abgemeldet. Vom 01.12.2011 (Zuzug aus Israel) bis 01.04.2015 war er in der I...-straße in G... gemeldet, seit dem 01.04.2015 unter seiner aus dem Rubrum ersichtlichen Anschrift. Mit Wirkung vom 31.08.1999 meldeten sich die Mutter und B... unter der Anschrift F...-straße in G... an und mit Wirkung vom 01.09.2001 in die H...-straße in G... um, von wo sie sich am 16.01.2004 mit unbekanntem Ziel abmeldeten (Bl. 143 ff. Gerichtsakte -GA-).
Mit Wirkung vom 01.04.2015 mietete der Kläger eine 66,35 m2 große 2 1/2 Zimmerwohnung in der J...-straße in G... (Bl. 77 GA). Dort meldeten sich am 21.06.2015 E... und am 09.11.2015 die Mutter (jedoch nicht die Tochter) an (Bl. 28 KGA, Bl. 143 GA).
Im September 1999 beantragte der Kläger mit einem nicht unterschriebenen Antrag Kindergeld für B..., wobei er angab, dass B... nicht außerhalb seines Haushalts lebe. Der Vordruck enthält eine Wahrheitsversicherung und den Hinweis, dass der Antragsteller alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen habe. Das Merkblatt über Kindergeld habe er, der Antragsteller, bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen (Bl. 1 f. KGA). Darauf gewährte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, das Arbeitsamt G..., dem Kläger Kindergeld für B... (Papierverfügung mit nicht lesbaren Unterschriften, Bl. 6 KGA), das bis zu ihrer Volljährigkeit gezahlt wurde.
Einen Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld füllte der Kläger am 24.04.2001 mit dem gleichen Inhalt und eigenhändiger Unterschrift aus (Eingang bei der Familienkasse am 27.04.2001), worauf die Kindergeldfestsetzung aufgrund einer Verfügung, die der als Bl. 6 KGA abgehefteten Verfügung ähnelt, unverändert blieb. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 11 bis 13 KGA Bezug.
Ferner enthält die KGA einen undatierten "Bearbeitungshinweis" auf der Basis des Dateistands März 2007, der keine Anschrift für B... enthält. Das folgende Blatt weist eine "zdA-Verfügung" vom 06.04.2007 mit einer nicht lesbaren Paraphe auf. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 9 f. KGA Bezug.
Der letzte vor 2016 entstandene Akteninhalt besteht in einem Beleg über die Umstellung der Bankverbindung (offenbar automatisch angestoßene Änderung der BIC) vom 27.08.2014 (Bl. 14 KGA).
Mit einem Antrag vom 26.05.2016 beantragte der Kläger Kindergeld für seinen Sohn E.... Insoweit und für die weiteren Angelegenheiten betreffend B... sind als Bearbeiterinnen bei der Festsetzungsstelle der Beklagten eine Frau K... (Bl. 22 bis 24 KGA), eine Frau L... (Bl. 25 f., 30 f., 35 bis 37, 201 f. KGA), eine Frau M... (Bl. 47 f., 105 f. KGA), eine Frau N... (Bl. 80, 82 bis 87, 164 KGA), eine Frau O... (Bl. 88, 154 KGA), eine Frau P... (Bl. 98 bis 104, 111 KGA), eine Frau Q... (Bl. 115 f. KGA), die Zeugin R... (Bl. 89 f., 130 bis 135, 218 KGA), eine Frau S... (Bl. 144 bis 148 KGA), eine Frau T... (Bl. 151 KGA), eine Frau U... (Bl. 158 f., 176, 180, 185, 187 bis 198 KGA), eine Frau V... (Bl. 206 f., 216 KGA) und eine Frau W... (Bl. 219 f., 223 bis 233 KGA) erkennbar.
Am 16.09.2016 führte die Benutzerin mit der Kennung "..." eine sog. "ADI Rechereche" durch, wobei einer der in diesem Zusammenhang gefertigten Ausdrucke in der Kopfzeile die Angabe "BZSt: Adi Recherche" und auf der ersten Seite das Logo des Bundeszentralamts für Steuern ausweist (Bl. 40 KGA). ADI steht nach Angabe der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung für Allgemeines Dialogverfahren.
Als Rechercheergebnis wurde ausgedruckt (Bl. 39 KGA):
Datum Daten
18.09.2009 20:39:07 96831714202, B..., Israel
25.06.2008 16:15:12 96831714202, B..., H...-straße, G...
30.06.2007 14.29:02 96831714202, B..., H...-straße, G...
Mit Verfügung vom 16.09.2016 wies die Beklagte durch Frau L... den Kläger darauf hin, dass ihm möglicherweise für B... für den Zeitraum Juli 2008 bis September 2014 zu Unrecht Kindergeld gezahlt worden sei, da das Kind Deutschland verlassen habe. Daher müsse eine Aufhebung der bisherigen Festsetzung geprüft werden.
Am 10.10.2016 erstellte Frau M... einen Aktenvermerk, in dem sie u.a. ausführte: "letzter Nachweis zum Wohnsitz in Dtl. laut Adi in 06/08". Im Übrigen erörterte sie die Frage der Verjährung und bat "TL" (offenbar: Teamleiter(in)) um einen Hinweis, was hier unterstellt werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 46 KGA Bezug.
Mit Bescheid vom 17.10.2016 (aufgrund einer Verfügung vom 14.10.2016, die von Frau M... als Feststeller und von Frau V... als Anordnungsbefugter elektronisch gezeichnet wurde, Bl. 49 f. KGA), hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für B... für den Zeitraum von Januar 2010 bis September 2014 auf, da diese nicht mehr im Inland wohnhaft sei (Bl. 51 KGA). Aufgrund einer Verfügung vom 17.10.2016 wurde vermerkt, dass der Verdacht einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit bestehe (abgezeichnet mit nicht leserlichen Paraphe, die aber "Jg 20.10.16" heißen könnte, Bl. 55 KGA). Gegen den Bescheid vom 17.10.2016 legte der Kläger am 18.11.2016 Einspruch ein, mit dem er angab, seine Tochter habe eine Schule im Ausland besucht und sei sodann zur Armee eingezogen worden. Nach Abschluss ihrer Armeezeit beabsichtige sie, nach Deutschland zurückzukehren und hier zu studieren (Bl. 57 KGA). In der Vorprüfung des Einspruchs vermerkte die Bearbeiterin N..., dass B... "laut Adi seit mindestens 18.09.2009 in Israel wohnhaft" sei. Den Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 16.01.2017 zurück (Bl. 98 KGA), die bestandskräftig wurde (Bl. 135, 137 GA).
Am 10.05.2017 hob die Beklagte aufgrund einer Verfügung von gleichen Tag (gezeichnet durch die Zeugin R... als Feststeller und Frau V... als Anordnungsbefugter, Bl. 130 KGA) die Kindergeldfestsetzung für B... für den Zeitraum von Februar 2004 bis Dezember 2009 auf (Rückforderungsbetrag 11.154,00 €). Es fehle insoweit an einem Wohnsitz von B... in Deutschland, da sie bereits am 16.01.2004 nach Israel verzogen sei (Bl. 131 ff. KGA, 23 ff. GA).
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 08.06.2017 Einspruch ein (Bl. 142 KGA).
Im Zusammenhang mit der Festsetzung von Kindergeld für E... trug der Kläger vor, dass E... sich im autistischen Spektrum befinde. Er sei zwar nicht schwerbehindert, könne jedoch auch nicht am regulären Unterricht teilnehmen. Wegen der fehlenden Schwerbehinderung sei er an der X...-schule in G... nicht aufgenommen worden, sondern habe in Israel eine Schule mit einer kleinen, nur 8 Schüler umfassenden Klasse besucht. Daher bekomme E... in G... Hausunterricht basierend auf den Vorgaben der israelischen Schule und mit dem entsprechenden Lehrmaterial. E... könne sehr schlecht im Hebräischen lesen und schreiben. An Deutsch sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht zu denken (Bl. 58 KGA unter Beifügung von Unterlagen über medizinische und pädagogische Einschätzungen von E... aus Israel im hebräischen Original und nicht amtlicher Übersetzung ins Deutsche) und gab in einem weiteren Schreiben vom 21.02.2017 an, dass er im 2. Halbjahr 2015 erfolglos versucht habe, eine geeignete Schule für E... in G... zu finden, was u.a. an dessen fehlenden Deutschkenntnissen gescheitert sei. In der pädagogischen Einschätzung der israelischen Schule vom 13.01.2014 wird hervorgehoben, dass der Kläger intensive Kontakte zur Schule unterhalten und auch beim Hausbesuch am 03.01.2014 anwesend gewesen sei (Bl. 63 ff., 67 KGA). In einem Fragebogen vom November 2013 werden sowohl für den Kläger als auch für seine Ehefrau die Anschrift Y... und jeweils eine israelische Telefonnummer angegeben (Bl. 62 KGA).
Nachdem der Kläger seinen Einspruch nicht begründet hatte, wies die Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 12.12.2017 wegen des Kindergelds für B... für den Zeitraum von Februar 2004 bis Dezember 2009 als unbegründet zurück (Bl. 187 ff. KGA, 31 ff. GA). Da B... sich seit Januar 2004 in Israel aufhalte und dort die Schule besuche, könne weder ein Wohnsitz noch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland festgestellt werden.
Darauf hat der Kläger am 15.01.2018 Klage erhoben. Die Klage hat ursprünglich auch die Kindergeldfestsetzung für E... umfasst. Insoweit ist das Verfahren in der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2020 unter den Aktenzeichen 7 K 7034/20 (Hauptsachenerledigung September bis Dezember 2017) und 7 K 7035/20 (Klageabweisung mit rechtskräftigem Urteil vom 04.03.2020 für Dezember 2016 bis August 2017) abgetrennt worden.
Der Kläger macht geltend, seine Tochter habe in den Streitzeiträumen ihren Wohnsitz in G... gehabt. Sie habe im Zeitraum von Februar 2004 bis Dezember 2009 ein eigenes Zimmer in der Wohnung des Klägers in der I...-straße in G..., die aus insgesamt 3 Zimmern bestanden habe, gehabt. Dieses Zimmer habe ihr während ihrer Aufenthalte in den Schulferien, die sie stets mit ihrer Familie in G... verbracht habe, zur Verfügung gestanden. Die Schule habe sie in diesem Zeitraum in Israel besucht, da dort ihr jüdischer Glaube besonders in der schulischen Ausbildung berücksichtigt worden sei. Im Übrigen sei B... deutsche Staatsangehörige und aufgrund ihrer engen Bindung und Kontakte zu ihrer Familie und Freunden fest in G... verwurzelt. Dort habe sie ihren Lebensmittelpunkt gehabt.
Der Kläger beantragt,
den Aufhebungsbescheid vom 10.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.12.2017 aufzuheben,
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage für unbegründet. Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung und ergänzt, dass nach den Angaben zu den Kontaktdaten des Klägers und seiner Ehefrau (jeweils israelisch) im Fragebogen vom November 2013 zweifelhaft sei, ob und ggf. in welchen Zeiträumen sich der Kläger und seine Ehefrau tatsächlich in Deutschland aufgehalten hätten. Die Verjährung wegen der Kindergeldfestsetzung für B... sei noch nicht abgelaufen gewesen, weil die Verfolgung der vom Kläger insoweit begangenen Steuerverkürzung noch nicht verjährt gewesen sei (vgl. Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 17.12.2015 - V R 13/15).
Am 22.12.2016 fertigte die Zeugin R... einen Abgabevermerk an die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Beklagten mit der Sachverhaltsangabe, dass das Kindergeld für B... von Januar 2010 bis September 2014 in Höhe von insgesamt 10.488,00 € überzahlt sei sowie dass das Kind den Haushalt verlassen habe und in Israel zur Schule gehe. Die Änderung in den Verhältnissen sei durch den Kindergeldberechtigten bekannt geworden (handschriftlich durch "..." [vermutlich eine Frau Z..., vgl. Bl. 222 KGA] korrigiert in "Datenabgleich"; Bl. 3 f. Strafakte -StrafA-). Beigefügt waren Ausdrucke/Kopien von Bl. 1 f., 5 f., 11 f., 39, 41, 44 bis 46, 50 bis 54, 56 f., 80, 88 KGA (Bl. 5 bis 24 StrafA). Am 23.12.2016 leitete die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Beklagten das Strafverfahren gegen den Kläger ein, da der Verdacht bestehe, dass dieser im Zeitraum von Januar 2010 bis September 2014 zu Unrecht Kindergeld für B... erhalten habe. Darin heißt es: "Im Rahmen einer Überprüfung wurde festgestellt, dass das Kind seit dem 18.09.2009 nicht mehr in Deutschland wohnt (Bl. 11). Dies teile die Be. Pflichtwidrig nicht mit. Am 18.11.2016 teilte der Be mit, dass das Kind im Ausland eine Schule besucht (Bl. 22)." (Bl. 25 StrafA). Bei den zitierten Blattangaben handelt es sich um das Ergebnis der Adi Recherche (Bl. 11 StrafA = Bl. 39 KGA) und die Email des Klägers vom 18.11.2016, die die Beklagte als Einspruch ausgelegt hatte (Bl. 22 StrafA = Bl. 57 KGA). Dies wurde dem Kläger wohl erst aufgrund einer Verfügung vom 16.03.2017 bekannt (Bl. 38 StrafA). Die Sachbearbeiterin der Bußgeld- und Strafsachenstelle, eine Frau AB... (vgl. Bl. 27 StrafA) rief am 27.02.2017 erneut über die sog. ADI Recherche die für B... gespeicherten Daten auf, die sich mit den am 16.09.2016 abgerufenen Daten deckten, und nahm den Ausdruck eines entsprechenden Screenshots zur Akte (Datum unten rechts auf dem Screenshot). Ferner verfügte sie am selben Tag handschriftlich, das Auszugsdatum nach Israel zu erfragen. Daneben ist von einer anderen Person mit unleserlicher Paraphe vom 02.03.2017 vermerkt "=> 16.01.2004 Israel/unbekannt/(kein Zuzug danach in G... nachweisbar)". Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 28 StrafA Bezug. Eine Kopie dieses Blattes übersandte die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Beklagten der Festsetzungsstelle mit Verfügung vom 02.05.2017 und wies darauf hin, dass nach einer telefonischen LABO-Anfrage B... bereits am 16.01.2004 verzogen sei, so dass sie um Rückforderung ab Februar 2004 bis Dezember 2009 bitte. Wegen der unterlassenen Mitteilung des Auslandsaufenthalts liege vorliegend der Verdacht einer Straftat vor (Bl. 46, 46a StrafA, 127 f. KGA). Am 19.05.2017 erweiterte die Beklagte das Strafverfahren auch auf den Zeitraum Februar 2004 bis Dezember 2009 (Bl. 53 StrafA).
Auf Antrag der Beklagten hat das Amtsgericht G... am 28.06.2018 unter dem Gz. 329 Cs 143/18 einen Strafbefehl erlassen, mit dem der Kläger zu einer Geldstrafe von 230 Tagessätzen zu 30,00 € (= 6.900,00 €) verurteilt worden ist (Bl. 95 StrafA). Gegen diesen Strafbefehl hat der Kläger Einspruch eingelegt, worauf das Verfahren unter dem Gz. 246 Js 1467/18 von der Staatsanwaltschaft G... übernommen worden ist.
In der Hauptverhandlung vom 12.11.2018 hat der Kläger angegeben, von seiner Ehefrau getrennt zu leben und dass keines seiner Kinder im Haushalt lebe. Nachdem seine Tochter in 2004 nach Israel gezogen sei, habe seine Ehefrau zeitweise auch in Deutschland gelebt und ihre Tochter dann bei den Großeltern. Es habe immer ein Zimmer für die Kinder bei ihm gegeben (mit zwei Betten). Er selbst sei nie über einen längeren Zeitraum in Israel gewesen. Bis 2011 habe er bei seiner Schwester in der I...-straße gewohnt. Die Angabe im Fragebogen vom 24.04.2001, dass er für das Kindergeld bedeutsame Änderungen mitteilen müsse, habe er nicht so aufgefasst, dass er den Auslandsaufenthalt mitteilen müsse. Dem hielt der Beklagtenvertreter entgegen, dass sich das Gegenteilige aus dem dem Kläger ausgehändigten Merkblatt (Bl. 116 ff. StrafA) ergebe. Die als "zuständige Fachkraft" (Bl. 107 StrafA, 217 KGA) geladene Sachbearbeiterin der Beklagten, die Zeugin R... (im Protokoll der Hauptverhandlung als Frau "..." bezeichnet), gab nach diesem Protokoll u.a. an: "Abfrage kam erst mit dem Datenabgleich, vom 16.09.2016. Veranlasst durch die ID Nummer. Grund für die Abfrage weiß ich nicht. ... 2008 war sie in Deutschland; 2009 wohnte sie in Deutschland. Das ergab sich aus ADI. 2004 gab es noch eine weitere Info des LABO, von dort wurde mitgeteilt, dass das Kind seit 2004 in Israel wäre. Die Info kam nach Anforderung über die Bustra-Stelle." Sodann ist vermerkt, dass der Beklagtenvertreter eingewandt hat, dass die Tochter schon seit 2004 abgemeldet gewesen sein solle, worauf ihm Bl. 28 StrafA vorgehalten wurde. Dazu erläuterte der Beklagtenvertreter, dass die Auskünfte telefonisch gemacht würden. Ferner gab die Zeugin an, das Merkblatt sei nicht mit dem Fragebogen vom 24.04.2011 übersandt worden. Sie habe nichts in der Akte, dass der Kläger das Merkblatt tatsächlich bekommen habe. Dieses werde nicht übersandt, dieses könne man sich bei ihnen mitnehmen. Mit Zustimmung der Beteiligten wurde das Verfahren gegen die Auflage einer Geldzahlung in Höhe von 2.300,00 €, die der Kläger leistete, gemäß § 153a Abs. 2 Strafprozessordnung -StPO- eingestellt (Bl. 141 StrafA). Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf das Protokoll Bezug (Bl. 111 ff. StrafA), in das der Kläger Einsicht erhielt (Bl. 130 StrafA).
Wegen der an den Kläger ergangenen Auflagen unter Ausschlussfristsetzung gemäß § 79b Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- vom 05.04.2018 und 04.11.2019 nimmt das Gericht auf die Aktendurchschriften Bezug.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin R.... Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.06.2020 Bezug genommen.
Dem Gericht haben die Streitakten der Verfahren 7 K 14045/18 und 7 K 8108/19, die von der Staatsanwaltschaft G... unter dem Gz. 246 Js 1467/18 geführte Strafakte sowie Ausdrucke der von der Beklagten unter der Kindergeld-Nr. ... und der Agentur für Arbeit AA... unter dem Gz. ... geführten elektronischen Akten (4 Bände) vorgelegen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid nicht i.S. des § 100 Abs. 1 und 2 FGO in seinen Rechten verletzt.
Der Kläger war für seine Tochter B... in den Streitzeiträumen nicht kindergeldberechtigt. Die Beklagte war befugt, die zuvor bestehende Kindergeldfestsetzung für B... aufzuheben.
1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz -EStG- wird Kindergeld nur für Kinder, die im Inland (und weiteren hier nicht relevanten Territorien) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, gezahlt. Dies setzt voraus, dass die Kinder des Klägers im Streitzeitraum im Inland eine Wohnung unter Umständen innehatten, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen werden (§ 8 Abgabenordnung -AO-), oder dass sie sich im Inland unter Umständen aufgehalten hätten, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt hatten (§ 9 AO).
a) Nach § 8 AO, der auch im Rahmen der Prüfung des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG über § 1 Abs. 1 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG Anwendung findet, hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Damit knüpft der Wohnsitzbegriff des § 8 AO ausschließlich an die tatsächliche Gestaltung und nicht an subjektive Vorstellungen an (BFH, Urteil vom 12.01.2001 - VI R 64/98, BFH/NV 2001, 1231; Beschluss vom 19.09.2013 - III B 53/13, BFH/NV 2014, 38, Rn. 7 ff.).
Ein Wohnsitz nach § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumen das Innehaben der Wohnung in dem Sinn voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht (BFH, Urteil vom 23.11.2001 - VI R 107/99, Bundessteuerblatt -BStBl.- II 2001, 294, unter II.2.a). Der Wohnsitzbegriff setzt zwar weder voraus, dass die Wohnung im Inland den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet (BFH, Urteil vom 28.01.2004 - I R 56/02, BFH/NV 2004, 917, unter II.3.a) noch einen Aufenthalt während einer Mindestzeit (BFH, Urteile vom 19.03.1997 - I R 69/96, BStBl. II 1997, 447, unter II.3.; vom 12.01.2001 - VI R 64/98, BFH/NV 2001, 1231); erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH, Urteile vom 10.04.2013 - I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, unter II.2.c aa; vom 25.09.2014 - III R 10/14, BStBl. II 2015, 655, jeweils m.w.N.).
Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinn besteht nicht nur darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit zur Verfügung steht, sondern auch darin, dass diese von ihm subjektiv zu einem entsprechenden Aufenthalt mit Wohncharakter bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH, Urteile vom 26.02.1986 - II R 200/82, BFH/NV 1987, 301, unter 1.a; vom 13.11.2013 - I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046, unter II.2.b: vom 25.09.2014 - III R 10/14, BStBl. II 2015, 655). Bei Kindern, die zum Zwecke der Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung auswärtig untergebracht sind, reicht es für einen Inlandswohnsitz daher nicht aus, wenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht. Es muss, um einen inländischen Wohnsitz in diesen Fällen annehmen zu können, eine Beziehung zur elterlichen Wohnung vorhanden sein, die über die allein durch das Familienverhältnis begründete Beziehung hinausgeht und erkennen lässt, dass das Kind die elterliche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet (BFH, Urteile vom 17.03.1961 - VI 185/60 U, BStBl III 1961, 298; vom 25.09.2014 - III R 10/14, BStBl. II 2015, 655).
b) Nach der Überzeugung des Gerichts war dies im Streitzeitraum nicht der Fall. Denn es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Kinder, die mit Eintritt in die Grundschule oder kurz danach ihre Schulausbildung in einem ausländischen Staat, der nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zum inländischen Wohnort ihrer Eltern bzw. eines ihrer Elternteile gelegen ist, absolvieren, regelmäßig im Inland keinen Wohnsitz (mehr) unterhalten und aufgrund der ausbildungsbedingten längeren Abwesenheiten auch keine zusammenhängenden Aufenthalte im Inland absolvieren, die zu einem gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des § 9 AO führen.
Dem entsprechend hat der BFH (Urteil vom 23.11.2000 - VI R 165/99, BStBl. II 2001, 279) bei einem Schulkind, das im Alter von 6 Jahren für voraussichtlich 9 Jahre in der Türkei eingeschult wurde, auch dann die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes bejaht, wenn sich das Kind während der Schulferien "von nicht einmal 3 Monaten im Jahr" in der elterlichen Wohnung aufgehalten hat. Eine etwaige Rückkehrwilligkeit hat der BFH sowohl in dieser Entscheidung als auch in den zuvor genannten Entscheidungen für unerheblich gehalten (ebenso bereits BFH, Urteil vom 22.04.1994 - III R 22/92, BStBl. II 1994, 887 zu einem Kind, das im Alter von ca. 12 Jahren in die Türkei umgeschult wurde und dort 2 1/2 Jahre die Schule besucht und sich während der Ferien im Inland aufgehalten hatte; Urteil vom 27.04.1995 - III R 57//93, BFH/NV 1995, 967 [BFH 27.04.1995 - III R 57/93] zu zehnwöchigen Ferienaufenthalten).
Auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte -FG- werden Aufenthalte nur während der Schulferien bei Schulkindern nicht für ausreichend für eine Begründung des Wohnsitzes gehalten (Niedersächsisches FG, Urteil vom 24.07.2014 - 1 K 102/13, juris, bestätigt durch BFH, Urteil vom 17.12.2015 - V R 13/15, BFH/NV 2016, 534; FG Düsseldorf, Urteil vom 12.05.2015 - 10 K 2954/14 Kg, AO, juris - zu einem im Streitjahr ca. 15jährigem Schulkind, das bereits 2 Jahre in der Türkei zur Schule ging, dort mit seinem Vater lebte, noch weitere 5 Jahre dort zur Schule gehen sollte und dessen Mutter und Geschwister in Deutschland lebten; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 02.06.2017 - 4 K 138/16, juris; Hessisches FG, Urteil vom 16.08.2017 - 2 K 775/16, juris; FG Hamburg, Urteil vom 05.07.2019 - 6 K 215/18, juris; in diese Richtung wohl auch FG Bremen, Urteil vom 08.12.2016 - 3 K 59/15 (1), juris; a.A. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.07.2018 - 3 K 3220/17, juris, bestätigt durch BFH, Urteil vom 25.07.2019 - III R 46/18, BFH/NV 2020, 208; abweichend auch zu einem noch nicht schulpflichtigen Kind, das sich jedenfalls in einem Jahr nur ca. 2 1/2 Monate in Deutschland, im Übrigen mit ihrer Mutter in deren Heimatland aufgehalten hatte: Hessisches FG, Urteil vom 20.02.2018 - 3 K 572/15, juris). Abweichende Feststellungen im Einzelfall sind möglich, insbesondere, wenn die Kinder ihre sozialen Beziehungen in Deutschland nie aufgegeben haben (BFH, Urteil vom 25.07.2019 - III R 46/18, BFH/NV 2020, 208, Rn. 20).
Bei einer Geburt im Ausland kommt es darauf an, wann das Kind erstmals die inländische Wohnung aufgesucht hat (BFH, Urteil vom 07.04.2011 - III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351).
Zugunsten des Klägers ergibt sich nichts daraus, dass davon abweichend bei studierenden Kindern in einer Reihe von Fällen nach der Rechtsprechung des BFH Auslandsaufenthalte nicht zum Wegfall des inländischen Wohnsitzes geführt haben (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 25.09.2014 - III R 10/14, BStBl. II 2015, 655 zu einer in den USA studierenden Studentin; Urteil vom 23.06.2015 - III R 38/14, BStBl. II 2016, 102 - in China studierendes Kind; Beschluss vom 17.05.2017 - III B 92/16, BFH/NV 2017, 1179 - in der Türkei zur Oberschule gehendes und danach studierendes Kind; Beschluss vom 12.06.2017 - III B 157/16, BFH/NV 2017, 1318 - in den USA zur Oberschule gehende und danach studierende Kinder); vgl. auch die Urteile vom 23.11.2000 - VI R 107/99 (BStBl. II 2001, 294; zu einem in der Türkei studierenden Kind) und vom 28.04.2010 - III R 52/09 (BStBl. II 2010, 1013; zu einem in den USA studierenden Kind).
Der Grund für diese abweichende Würdigung besteht insbesondere darin, dass ein Kind, das im Grundschulalter in einem ausländischen Staat eingeschult wird, in der Regel wenige bis keine außerfamiliären Bindungen aufgebaut hat, die es während eines mehrjährigen - im Regelfall mindestens neunjährigen - Auslandsaufenthalts aufrecht erhält (ähnlich BFH, Urteile vom 22.04.1994 - III R 22/92, BStBl. II 1994, 887; vom 27.04.1995 - III R 57//93, BFH/NV 1995, 967 [BFH 27.04.1995 - III R 57/93]; Hessisches FG, Urteil vom 16.08.2017 - 2 K 775/16, juris; FG Hamburg, Urteil vom 05.07.2019 - 6 K 215/18, juris; die beiden letztgenannten Entscheidungen mit eingehender Abgrenzung zur "Studentenrechtsprechung" des BFH). Dies wird bei volljährigen Studenten - insbesondere, wenn sie ihre Schulzeit vollständig oder überwiegend im Inland verbracht haben - im Regelfall anders sein (zu einem Ausnahmefall vgl. BFH, Urteil vom 25.07.2019 - III R 46/18, BFH/NV 2020, 208, Rn. 20). Zudem sind die vorlesungsfreien Zeiten vielfach länger als Schulferien. Ferner hat der BFH verneint, dass ein minderjähriger Schüler während der Schulzeiten die inländische Wohnung jederzeit aufsuchen könne, so dass es dran fehle, dass die elterliche Wohnung im Inland jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung stehe (BFH, Urteil vom 22.04.1994 - III R 22/92, BStBl. II 1994, 887).
Im Streitfall ist die Tochter im Alter von 3 Jahren mit ihrer nur die israelische Staatsbürgerschaft besitzenden Mutter nach Deutschland eingereist und bereits mit 7 Jahren in Israel eingeschult worden. Sie hat dort - was nach den Äußerungen des Klägers auch von vornherein so vorgesehen war - ihre gesamte Schulausbildung absolviert. Ihre Mutter hielt sich ebenfalls in Israel auf, ebenso der in 2002 in Israel geborene Bruder. Denn nach den vorgelegten Unterlagen ist der in 2002 geborene Sohn in Israel aufgewachsen. Dort wurde er ausweislich der vorliegenden Unterlagen jedenfalls in den Jahren 2013 und 2014 auch persönlich vom Kläger betreut. Ausweislich der Meldedaten hielt sich auch der Kläger vom 15.05.2008 bis 01.12.2011 in Israel auf, also für 3 1/2 Jahre, ohne dass der Kläger etwas dafür vorgetragen hat, dass er sich im vorgenannten Zeitraum in Deutschland in einer einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründenden Weise aufgehalten hat und warum er sich in dieser Zeit nicht bei den zuständigen Meldebehörden angemeldet hat. Daher ist das Gericht überzeugt, dass der Mittelpunkt des familiären Lebens jedenfalls ab Anfang 2004 in Israel lag.
Das Gericht hält den Vortrag des Klägers, dass er stets über eine Wohnung verfügt habe, in der die gesamte Familie habe Aufnahme finden können und dass seine Tochter ihre gesamten Ferien in den G... Wohnungen des Klägers verbracht habe, für Schutzbehauptungen. Denn der Kläger hat diesen Vortrag trotz entsprechender Auflage vom 04.11.2019 nicht durch nähere Angaben zu den Wohnungen, die er vor der gegenwärtigen Wohnung bewohnt haben will, konkretisiert. Zudem waren der Kläger und die Tochter bereits seit dem 02.05.2003 in unterschiedlichen Wohnungen gemeldet, was ebenfalls dagegen spricht, dass der vom Kläger noch bis zum 15.05.2008 in G... unterhaltene (Melde-)Wohnsitz der Tochter einen inländischen Wohnsitz im steuerlichen Sinne vermittelt hat. Im Übrigen hat sich der Kläger auf die pauschale Behauptung beschränkt, dass seine Tochter in Deutschland familiäre und freundschaftliche Bindungen gehabt habe, ohne dies im Einzelnen zu erläutern. Nach den zuvor erörterten Grundsätzen hatte B... daher in Deutschland keinen Wohnsitz.
Unbeachtlich ist, dass die Beklagte im Hinblick auf die unter I. 3. erörterte Frage der Festsetzungsverjährung die Feststellungslast für das Fehlen des Wohnsitzes der Tochter des Klägers in Deutschland tragen dürfte. Denn aus dem Grundsatz in dubio pro reo, der auch im Besteuerungsverfahren gilt, wenn das Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung streitig ist (Gräber/Ratschow, FGO, 9. Aufl. 2019, § 96 Rn. 95), folgt nicht, dass zu Gunsten eines Steuerpflichtigen Umstände oder Geschehensabläufe zu unterstellen sind, für deren Vorliegen - außer der bloßen Behauptung des Steuerpflichtigen - keine Anhaltspunkte bestehen (Bundesgerichtshof -BGH-, Urteil vom 08.11.2011 - 1 StR 38/11, Neue Zeitschrift für Strafrecht -NStZ- 2012, 160 unter III.4.a).
2. Die Beklagte war nach § 70 Abs. 2 EStG befugt, die ursprüngliche in 1999 erfolgte Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 01.02.2004 aufzuheben. Durch den Wegzug der Tochter im Januar 2004 hatten sich i.S. des § 70 Abs. 2 AO die Verhältnisse geändert.
3. Die Beklagte hat auch die Festsetzungsfrist gewahrt.
a) Diese betrug im Streitfall gemäß § 169 Abs. 1 Satz 2 AO 5 Jahre. Da Kindergeld nicht aufgrund einer Steuererklärung oder -anmeldung festgesetzt wird, beginnt die Festsetzungsfrist für Kindergeld mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Kindergeldanspruch entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Dem entsprechend begann die Festsetzungsfrist für die hier streitigen Kindergeldansprüche frühestens mit Ablauf des 31.12.2004, so dass bei Anwendung einer 5jährigen Festsetzungsfrist diese für den Streitzeitraum 2004 regelmäßig am 31.12.2009 abgelaufen wäre. Jedoch war bei Ergehen des angefochtenen Aufhebungsbescheids vom 10.05.2017 der Ablauf der Festsetzungsfrist noch nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt.
b) aa) Der Kläger hat hinsichtlich der streitigen Kindergeldbeträge jedenfalls eine leichtfertige Steuerverkürzung i.S. der §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 378 Abs. 1, 169 Abs. 1 Satz 2 AO begangen. Danach begeht eine leichtfertige Steuerverkürzung, wer leichtfertig die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird (Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 378 Rn. 20 m.w.N.).
bb) Nach § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO sind die Familienkassen Finanzbehörden i.S. der §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 378 Abs. 1 AO. Nach § 31 Satz 3 EStG ist Kindergeld eine Steuervergütung und kann daher - wie § 370 Abs. 4 Satz 2 AO erkennen lässt - Gegenstand einer Steuerverkürzung i.S. der §§ 370, 378 AO sein.
cc) Der Kläger hat die für ihn zuständige Familienkasse pflichtwidrig über eine steuerlich erhebliche Tatsache in Unkenntnis gelassen.
Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG war der Kläger zur unverzüglichen Mitteilung von Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, an die Familienkasse verpflichtet. Wie unter I. 1. dargelegt, war der Wegzug seiner Tochter in 2004 eine für die Leistung des Kindergelds erhebliche Tatsache, so dass der Kläger verpflichtet war, den Wegzug unverzüglich mitzuteilen.
Der Kläger behauptet selbst nicht, eine solche Mitteilung gemacht zu haben. Sie ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Akten, so dass er pflichtwidrig gehandelt hat.
dd) Den zuständigen Bearbeitern der jeweils zuständigen Familienkasse war nach der Überzeugung des Gerichts auch nicht aufgrund anderer Erkenntnisquellen vor dem Jahre 2017 der Wegzug der Tochter in 2004 bekannt.
Abweichendes ergibt sich nicht aus der Aussage der Zeugin R... und dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 12.11.2018 vor dem Amtsgericht Tiergarten. Dass dort die Aussage der Zeugin dahingehend protokolliert wurde, dass bereits in 2004 eine Information des LABO über die Abmeldung von B... zur Kindergeldakte des Klägers gelangt sei, ist nach der Überzeugung des Gerichts auf ein Versprechen der Zeugin oder einen Protokollierungsfehler zurückzuführen. Denn die vorliegende Kindergeldakte enthält eine solche Mitteilung aus dem Jahre 2004 nicht. Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit der Akte bestehen nicht. Es wäre auch nicht nachvollziehbar, woher die Zeugin eine solche Erkenntnis gehabt haben sollte. Denn die Zeugin hat glaubhaft ausgesagt, dass sie sich auf die Aussage durch das Studium der elektronisch gespeicherten Kindergeldakte vorbereitet hat, deren Ausdruck dem Gericht vorliegt. Anhaltspunkte für weitere Erkenntnisquellen, etwa in Gestalt einer in analoger Form geführten Nebenakte, bestehen nicht. Die Zeugin hat solche Erkenntnisquellen, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass ihr solches nicht bekannt sei, ausgeschlossen. Angesichts der von der Zeugin im Einklang mit dem Akteninhalt beschriebenen extrem arbeitsteiligen Bearbeitungsweise in der Festsetzungsstelle der Beklagten schließt auch das Gericht solche weiteren Erkenntnisquellen aus. Ferner hat die Zeugin bereits in der Hauptverhandlung ausgesagt, dass die Beklagte durch die sog. ADI Recherche Kenntnis vom Wegzug der Tochter erhalten hat. Dies deckt sich mit dem Akteninhalt, der solche Rechercheergebnisse und ausschließlich Bezugnahmen darauf (und nicht auf andere Erkenntnisquellen) der mit dem Vorgang befassten Bearbeiterinnen (Vermerke vom 10.10.2016 und vom 30.11.2016) enthält. Auch die Einleitungsverfügung der Beklagten vom 23.12.2016 bezieht sich auf diese Rechercheergebnisse, die die Zeugin ihrem Abgabevermerk vom 22.12.2016 beigefügt hatte. Es wäre unverständlich gewesen, wenn an Amtsstelle bekannte frühere Erkenntnisse keine Erwähnung gefunden hätten. Anlass für die Annahme, seinerzeit seien diese früheren Erkenntnisse unterdrückt und erst durch die Zeugin R... in der Hauptverhandlung offenbart worden, bestehen nicht. Zudem enthält die Akte eine Mitteilung der Bußgeld- und Strafsachenstelle, nach der das LABO eine Abmeldung der Tochter in 2004 mitgeteilt habe. Diese stammt jedoch vom 02.05.2017. Diesem chronologischen Ablauf folgt auch die Schilderung der Zeugin in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten. Nach dem Duktus ihrer Schilderungen wäre unverständlich, warum die Zeugin nicht mit dem Vorgang der Bustra-Mitteilung begonnen hat, wenn diese tatsächlich in 2004 bei der Familienkasse eingegangen wäre. Schließlich wäre nicht verständlich, warum in 2004 die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Familienkasse eine im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang erfolgte Wohnsitzaufgabe hätte mitteilen sollen. Nach dem Akteninhalt und dem Inhalt weiterer beim erkennenden Senat anhängiger oder anhängig gewesener Verfahren wird die Bußgeld- und Strafsachenstelle erst tätig, wenn ihr der Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit im Zusammenhang mit Kindergeldfestsetzungen angezeigt wird.
Eine Bindung des erkennenden Gerichts an den Wortlaut des Protokolls der Hauptverhandlung vom 12.11.2018 besteht nicht. Dieser besteht schon nicht im Rahmen des Strafprozesses (Greger in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 373 Rn. 19; Valerius in Münchener Kommentar zur StPO, 2016, § 273 Rn. 43), erst recht daher nicht im hiesigen Verfahren. Da der Zeugin das Protokoll der Hauptverhandlung nicht vorgelesen wurde, wie die Zeugin, wenn auch mit einer gewissen Unsicherheit bekundet hat, wie sich auch aus dem Schweigen zu dieser Frage aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt und wie es in Strafverfahren üblich ist (Greger in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 373 Rn. 19), liegen die Möglichkeiten von Schreibfehlern oder unbemerkten Versprechern auf der Hand.
ee) Der Kläger hat bei seiner pflichtwidrigen Unterlassung die Sorgfalt außer Acht gelassen, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande war, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird.
Denn der Kläger hat seinem ersten Antrag vom 07.09.1999 eine Kopie eines Kinderausweises beigefügt, in dem als Wohnort von B... G... vermerkt ist und die Frage, ob das Kind außerhalb seines Haushalts lebt, verneint. Dass der Antrag nicht vom Kläger unterschrieben ist, lässt es nicht als zweifelhaft erscheinen, dass er von ihm bei der Familienkasse eingereicht wurde. Ferner hat der Kläger im Fragebogen vom 24.04.2001 wiederum verneint, dass B... außerhalb seines Haushalts lebe und mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er das Merkblatt über Kindergeld bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen habe und dass ihm bekannt sei, dass er alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung seien, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen habe. Wie der Beklagtenvertreter in der strafrechtlichen Hauptverhandlung unter Vorlage entsprechender Auszüge aus dem Merkblatt in Kopie (Bl. 116 - 119 StrafA) unwidersprochen vorgetragen hat, ergab sich aus dem Merkblatt, dass eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes (von EU-Fällen abgesehen) zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führt.
Unabhängig davon, ob der Kläger das Merkblatt in der Familienkasse mitgenommen hatte, hätte es sich dem Kläger aufdrängen müssen, dass eine einschneidende Änderung in den familiären Verhältnissen, wie es die Umschulung eines Kindes von Deutschland nach Israel darstellt, jedenfalls Anlass gab, sich eingehend nach den Auswirkungen auf den Kindergeldanspruch zu erkundigen. Dass auch der Kläger den Schulwechsel als einschneidend ansah, ergibt sich daraus, dass er die Tochter melderechtlich abgemeldet hat. Gleiches gilt, wenn nicht der Kläger, sondern die Mutter die Tochter abgemeldet hätte oder die Abmeldung von Amts wegen erfolgt wäre. Denn schon dann, wenn 3 von 4 Familienmitgliedern (Mutter, Tochter und Sohn) in Israel leben, ist unabhängig von melderechtlichen Erklärungen eine einschneidende Änderung in den Familienverhältnissen eingetreten.
Der Kläger ist nach den aus den Akten ersichtlichen Umständen (deutsche Staatsbürgerschaft, Tätigkeit als Unternehmensberater) auch ohne weiteres in der Lage gewesen, selbst entsprechende Schlussfolgerungen anzustellen. Wie die zahlreichen vom Kläger selbst verfassten Schriftstücke in den vorliegenden Behördenakten zeigen, ist der Kläger im Umgang mit Behörden durchaus gewandt und sprachlich ohne nennenswerte Einschränkungen in der deutschen Sprache ausdrucksfähig. Um so eher hat er über ein entsprechendes passives Sprachverständnis verfügt.
Von ähnlichen Erwägungen geht auch das die Leichtfertigkeit einer Kindergeldberechtigten bejahende Urteil des Niedersächsischen FG vom 24.07.2014 - 1 K 102/13, juris, aus (insoweit nicht beanstandet durch das nachgehende Urteil des BFH vom 17.12.2015 - V R 13/15, BFH/NV 2016, 534). Auch das Strafverfahren, das mit einer Einstellung gegen Auflage nach § 153a StPO endete, was zwar keiner Verurteilung, aber auch keinem Freispruch entspricht, hat zu keinen gegenteiligen Erkenntnissen geführt.
c) Davon ausgehend war der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt. Nach dieser Vorschrift läuft eine nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf 10 oder 5 Jahre verlängerte Festsetzungsfrist nicht ab, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist.
Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor. Die Verfolgung der vom Kläger begangenen Ordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 378 Abs. 2 AO verjährte nicht vor dem 31.08.2017.
Nach § 378 Abs. 2 AO kann diese Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße in Höhe von 50.000,00 € geahndet werden. Daher gilt insoweit gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten -OWiG- eine Verfolgungsverjährungsfrist von 3 Jahren, die nach § 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG beginnt, sobald die Handlung beendet ist. Tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung mit diesem Zeitpunkt (§ 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG).
"Handlung" war im Streitfall das Unterlassen der Mitteilung an die Familienkasse über den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen (vgl. § 8 OWiG), das für die Weitergewährung des Kindergeldes bis zur letztmaligen Zahlung im September 2014 kausal war. Der Erfolg der Handlung i.S. von § 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG trat erst mit der letzten Auszahlung ein.
Diese Sichtweise steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zur Gewährung fortlaufender Leistungen aufgrund einer (einzigen) betrügerischen Falscherklärung. Hiernach ist ein Betrug nach § 263 Strafgesetzbuch -StGB- erst mit der letzten Leistungsgewährung i.S. von § 78a Satz 2 StGB beendet (BFH, Urteil vom 26.06.2014 - III R 21/13, BStBl. II 2015, 886).
Demgegenüber stellt nicht jede monatliche Auszahlung eine beendete Ordnungswidrigkeit dar, was zur Folge hätte, dass mit der Beendigung auch die Verfolgungsverjährung begänne. Abweichendes folgt auch nicht aus dem im Kindergeldrecht geltenden Monatsprinzip des § 66 Abs. 2 EStG, wonach das Kindergeld monatlich vom Beginn des Monats an gezahlt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Voraussetzungen wegfallen. Denn nach § 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG sind alle durch die Handlung bewirkten Erfolge zu berücksichtigen. Im Streitfall hat sich der Erfolg der unterlassenen Mitteilung über die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes nicht in der Auszahlung des Kindergeldes für den Monat erschöpft, für den es erstmals zu Unrecht ausgezahlt wurde. Vielmehr sind die Zahlungen für die Folgemonate weitere "Erfolge" (BFH, Urteil vom 26.06.2014 - III R 21/13, BStBl. II 2015, 886; im Ergebnis ebenso FG München, Urteil vom 17.06.2014 - 10 K 56/12, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2014, 1939).
Dem entsprechend trat die Verjährung der Verfolgung der vom Kläger begangenen Ordnungswidrigkeit frühestens mit Ablauf des 31.08.2017 ein, 3 Jahre nach dem Monat, in dem B... ihr 18. Lebensjahr vollendete und in dem für sie letztmals Kindergeld an den Kläger gezahlt wurde. Der angefochtene Bescheid erging jedoch bereits am 10.05.2017. Ob der Kläger nicht nur leichtfertig, sondern sogar bedingt vorsätzlich gehandelt hat, kann daher dahinstehen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
RechtsgebieteEStG, AOVorschriften§ 63 Abs. 1 S. 3 EStG; § 8 AO; § 70 Abs. 2 EStG; § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 378 Abs. 1 AO; § 169 Abs. 1 S. 2 AO