25.09.2000 · IWW-Abrufnummer 000605
Landgericht Lübeck: Beschluss vom 03.02.2000 – 6 Qs 3/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Th.-
720 Js 35837/98 Wi
6 Qs 3/00 LG Lübeck
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
wegen Verdachts der Konkursverschleppung u.a.
hat die VI. Große Strafkammer -Wirtschaftsstrafkammer- des Landgerichts Lübeck auf die Beschwerde der Vorstandsmitglieder der Sparkasse vom 18.Januar 2000 gegen den Beschluß es Amtsgerichts Lübeck vom 22. Dezember 1999 nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Zimmermann und die Richter am Landgericht Singelmann und Brandt am 3. Februar 2000 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerden der Vorstandsmitglieder der Sparkasse werden auf ihre Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen die Beschuldigten forderte die Staatsanwaltschaft Lübeck neben anderen Geldinstituten die Sparkasse mit Schreiben vom 27.7.99 auf, Informationen über ein näher bezeichnetes Konto sowie etwaige weitere Konten der Firma deren Geschäftsführer die Beschuldigten waren, zu geben.
Dem kam die Sparkasse nur teilweise nach. Sie sah sich mangels richterlichen Beschlagnahmebeschlusses insbesondere nicht in Lage, Unterlagen, namentlich Kontoverdichtungen, zur Verfügung zu stellen. Trotz wiederholten Ersuchens der Staatsanwaltschaft blieb die Sparkasse bei ihrem Standpunkt, daß in Anerkennung der privatrechtlichen Verpflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses die freiwillige Vornahme einer Abwendungsvorlage nur bei erfolgter Beschlagnahme geschehen könne. Schließlich erklärte sie sich zur Herausgabe auch dann bereit, wenn ihr ein richterliches Herausgabeverlangen im Sinne von § 95 Abs. 1 StPO vorgelegt werde. Die Sparkasse könne nicht überprüfen, ob es sich um ein zulässiges Herausgabeverlangen handele; erst durch Überprüfung durch den gesetzlichen Richter erhalte sie die Gewißheit daß die Herausgabepflicht nach § 95 Abs. 1 StPO bestehe.
Mit Beschluß vom 22.12.99 hat das Amtsgericht Lübeck gegen die Vorstandsmitglieder der Sparkasse ein Ordnungsgeld von jeweils 300.- DM, ersatzweise je 100.- DM einen Tag Ordnungshaft, festgesetzt.
II.
Die hiergegen gerichteten Beschwerden der o.a. zwei Vorstandsmitglieder, denen das Amtsgericht nicht abgeholfen hat, sind nicht begründet.
Der angefochtene Bestrafungsbeschluss ist zu Recht ergangen.
Die Staatsanwaltschaft war berechtigt, gem. § 95 Abs. 1 StPO die Herausgabe der Unterlagen zu verlangen.
Die Frage, wer das Vorlageverlangen stellen kann, wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl. 1999, § 95 Rn 2).
Einigkeit besteht aber ersichtlich darin, dass das sogenannte Bankgeheimnis den Herausgabepflichtigen keinen Grund liefert, die Herausgabe zu verweigern. Ein gesetzlich geregeltes Beweiserhebungs- und/oder Verwertungsverbot bezüglich Unterlagen von Geldinstituten besteht nicht (Bittmann, Das Beiziehen von Kontounterlagen im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, wistra 90, 325; LG Landshut WM 85, 749, 750). Das "Bankgeheimnis" ist privatrechtlicher Natur, beruht auf der vertraglichen Vereinbarung der Bank bzw. Sparkasse mit dem Kunden und ist der Staatsanwaltschaft gegenüber nicht zu wahren (KK-Müller,4. Aufl. 1999, § 161, Rn 8 m. w. N.).
Die Weigerung der Beschwerdeführer, die Unterlagen auf Anforderung der Staatsanwaltschaft herauszugeben, greift nicht durch.
Die Kammer vertritt die Ansicht, dass eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für das Herausgabeverlangen gegeben ist (so Kleinknecht/Meyer-Goßner § 95 Rn 2, Rudolphi in SK StPO, § 95 Rn 7; LG Arnsberg, wistra 85, 205; Bittmann a.a.O.; Klinger, "Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für Maßnahmen nach § 95 StPO", wistra 1991, 17 ff.; Schäfer, "Ordnungs- und Zwangsmittel statt Beschlagnahme", wistra 83, 102; Kurth in Anmerkung zu LG Bonn NStZ 83, 327; zur Gegenmeinung, wonach nur der Richter, ausgenommen bei Gefahr im Verzug, für das Herausgabeverlangen zuständig ist: KK-Nack, § 95 Rn 3; L-R Schäfer, (24. Aufl. 1988), § 95 Rn 9; LG Berlin, WM 84, 772; LG Landshut WM 85, 749, LG Bonn, NStZ 83, 327 mit ablehnender Anmerkung Kurth; KG NStZ 89, 192, Braczyk, "Zur Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für das Herausgabeverlangen nach § 95 StPO", wistra 93, 57; Reiß, "Beschlagnahmebefugnis der Strafgerichte gegenüber Strafgericht und Auslieferungs- und Auskunftspflichten der Behörden gegenüber Behörden und Staatsanwaltschaft im Strafverfahren", StV 88,33,35).
Nach Auffassung der Kammer kommt § 95 StPO neben der Durchsuchung und Beschlagnahme eine eigenständige Funktion zu, um in den Besitz eines Beweismittels zu kommen.
Würde man das erfolglose Herausgabeverlangen aus § 94 Abs. 2 StPO, das zur Beschlagnahme führt, dem erfolglosen Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 StPO gleichsetzen, so würde dies die Regelung des § 95 Abs. 2 StPO obsolet machen (Klinger, a.a.O., S. 17). Eine solche Verdrängung durch § 94 Abs. 2 StPO ist auch dem Gesetz nicht zu entnehmen (Klinger, a.a.O.). Die Formulierung in § 95 Abs. 1 StPO, "wer einen Gegenstand der vorbezeichneten Art in seinem Gewahrsam hat", stellt sich für die Kammer - entgegen LG Düsseldorf, a.a.O., S. 200 und LG Berlin, a.a.O., S. 773 - nicht als Bezugnahme mit der Folge dar, dass es bei nicht freiwilliger Herausgabe grundsätzlich der Beschlagnahme bedarf. Der Verweis bezieht sich vielmehr lediglich auf die in § 94 Abs. 1 StPO aufgeführten Gegenstände, nämlich solche, "die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können".
Das Nebeneinander der Beweiserhebungsmöglichkeiten nach § 94 Abs. 2 und § 95 Abs. 1 StPO wird auch nicht durch § 98 StPO infrage gestellt. § 98 StPO regelt allein die Kompetenz für die Anordnung von Beschlagnahmen und erwähnt das Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 StPO nicht. Dass dies für die hier vertretene Ansicht spricht, wird auch von der Gegenansicht nicht geleugnet (LG Stuttgart, a.a.O., S. 2647).
Abgesehen davon, dass die gegenteilige Ansicht der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen erschwert (SK-Rudolphi Rn 7) und regelmäßig auch zu einer gewissen Verzögerung des Ermittlungsverfahrens führt (vgl. dazu Klinger, a.a.O., S. 18, der diesen Aspekt stärker gewichtet) liegt für die Kammer ein gewichtiger Grund dafür, §§ 94 Abs. 2 und 95 Abs. 1 StPO im Alternativverhältnis zu sehen, darin, dass die Situation der Beschlagnahme mit der des Herausgabeverlangens nach § 95 Abs. 1 StPO nicht vergleichbar ist (Klinger, a.a.O., SK Rudolphi, a.a.O.). Durch das Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 StPO entsteht zunächst lediglich mittelbarer Zwang auf die Rechtssphäre des Betroffenen (LG Berlin WM 84, 773; Klinger, a.a.O. S. 17). Demgegenüber stellt die Beschlagnahme, der regelmäßig eine Durchsuchung vorausgeht, unmittelbaren Zwang dar (Klinger, a.a.O., S. 17, 18). Der von dem Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 StPO Betroffene kann dem Herausgabeverlangen folgen oder nicht, unmittelbarer Zwang entsteht nicht. In Übereinstimmung mit Klinger, Rudolphi und Kurth (a.a.O.) sieht die Kammer daher die Notwendigkeit für eine präventive richterliche Entscheidung nicht. Eine Beschlagnahme ist typischerweise materiell beendet und prozessual erledigt, bevor der Betroffene nachträglich Rechtsschutz zu erlangen vermag (Kurth, a.a.O., S. 327). Anders ist es bei dem Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 StPO; da es sich nicht unmittelbar durchsetzen lässt, ist auch ein nachträglicher Rechtsschutz noch wirksam. Des vorgeschalteten Korrektivs durch Einschaltung des Richters bedarf es daher nicht (vgl. Kurth, a.a.O., 327, 328).
Dieses Ergebnis rechtfertigt sich auch unter dem Blickwinkel, dass das Herausgabeverlangen im Vergleich zur der Beschlagnahme regelmäßig vorausgehenden Durchsuchung das mildere Mittel ist. Derjenige, der sich mit einem Herausgabeverlangen konfrontiert sieht, kann in Ruhe überlegen, Handlungsalternativen erwägen und entscheiden (Bittmann, a.a.O., S. 333). Bei dieser Maßnahme besteht anders als bei der Durchsuchung kaum die Gefahr, dass die Außenwelt davon Kenntnis erlangt und sie birgt somit nicht auch etwa das Risiko negativer Presseveröffentlichungen.
Neben den bereits angef ührten Gründen, die für ein Alternativverhältnis zwischen § 94 Abs. 2 und § 95 Abs. 1 StPO sprechen und dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft für das Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 StPO zuständig ist, überzeugt die Kammer der Hinweis Bittmanns (a.a.O. S. 328) auf § 17 a ZSEG. Diese Vorschrift belegt nämlich, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgeht, dass die Ermittlungsbehörde für das Herausgabeverlangen zuständig ist, wenn es dort hinsichtlich der Entschädigung Dritter heißt, "Für Dritte, die aufgrund eines Beweiszwecken dienenden Ersuchens der Strafverfolgungsbehörde
1. Gegenstände herausgeben (§ 95 Abs. 1, § 98 a der Strafprozessordnung) oder der Pflicht zur Herausgabe entsprechend einer Anheimgabe der Strafverfolgungsbehörde abwenden...".
Eines der Hauptargumente der gegenteiligen Ansicht, dass strafprozessuale Grundrechtseingriffe einer richterlichen Anordnung bedürften (LG Landshut, a.a.O., S. 749, LG Düsseldorf, a.a.O., S. 200, LG Berlin, a.a.O., S. 773) verfängt letztlich nicht. Zu Recht führt Bittmann aus (a.a.O., S. 329), dass Grundrechtseingriffe auf gesetzlicher Basis auch nichtrichterlichen Organen erlaubt sind, anderenfalls wäre etwa die gesamte Eingriffsverwaltung verfassungswidrig. Den im Grundgesetz verankerten Richtervorbehalten (Wohnungsdurchsuchungen, Freiheitsentziehungen) unterfällt das Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 StPO nicht.
Desgleichen teilt die Kammer die Ansicht Bittmanns (a.a.O., S. 328), dass sich die Argumentation der Gegenansicht, dass im Falle der staatsanwaltschaftlichen Kompetenz zum Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 StPO die Vorschrift des § 94 Abs. 2 StPO unterlaufen werde, als Zirkelschluss darstellt. Eine Umgehung kann nämlich nur dann angenommen werden, wenn § 94 Abs. 2 eine abschließende Regelung enthält, was jedoch gerade streitig und nach dem Obengesagten nicht anzunehmen ist.
Allein ein allgemeines rechtspolitisches Bestreben nach möglichst weitgehender richterlicher Kontrolle kann vorliegend nicht dazu führen, gesetzlich nicht vorgesehene Anforderungen an das Herausgabeverlangen zu stellen, zumal, wie oben dargelegt, auch keine Notwendigkeit weiteren präventiven Rechtsschutzes durch den Richter besteht.
Auch die dahingehende Argumentation der Beschwerdeführerin, sie könne sich bei einer richterlichen Überprüfung der Herausgabepflicht hierauf im Verhältnis zu ihren Kunden berufen, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es der Beschwerdeführerin in einem solchen Fall regelmäßig leichter fallen mag, die erfolgte Herausgabe von Unterlagen, Kontoverdichtungen den Kunden zu erklären, wenn sie auf einen richterlichen Beschluss verweisen kann. Auf dieses Interesse kommt es indes nicht an, und dies hieße auch zu verkennen, dass das Herausgabeverlangen von einem Staatsanwalt gestellt ist, der seinerseits - wie die Gerichte - an Recht und Gesetz gebunden ist.
Nach allem war die Staatsanwaltschaft berechtigt, die Herausgabe der Unterlagen zu verlangen.
Infolge der unberechtigten Weigerung der Beschwerdeführerin durfte das Amtsgericht gem. § 95 Abs. 2 StPO ein Ordnungsgeld gegen die Vorstandsmitglieder der Sparkassel festsetzen, nachdem es diese zuvor auf die möglichen Folgen der Verweigerung der Herausgabe mit Schreiben vom 22.11.1999 hingewiesen hatte. Nach den Gesamtumständen ist auch die Höhe des Ordnungsgeldes mit 300,-- DM angemessen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.