03.07.2000 · IWW-Abrufnummer 000698
Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 19.10.1999 – 9 U 30/99
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
9 U 30/99
24 O 123/98
Landgericht Köln
Anlage zum Protokoll
vom 19.10.1999
Verkündet am 19.10.1999
Meinecke, JHS
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
OBERLANDESGERICHT KÖLN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 31. August 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Münstermann, die Richterin am Oberlandesgericht Keller und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Halbach
für Recht erkannt :
Die Berufung der Beklagten gegen das am 4. Februar 1999 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 0 123/98 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorlaufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulassig, aber unbegründet.
Der Kläger hat aus der mit der Beklagten abgeschlossenen Reparaturkostenversicherung einen Anspruch auf Zahlung der ihm zuerkannten 12.000 DM. Er hat für den von ihm am 2. Oktober 1997 gekauften Gebrauchtwagen eine (wirksame) Reparaturkostenversicherung bei der Beklagten abgeschlossen.
l. Die Beklagte meint zu Unrecht, ein Vertrag sei nicht zustande gekommen, weil das Fahrzeug wegen seiner Laufleistung von mehr als 200.000 km "nicht versicherbar" gewesen sei. Die behauptete hohe Laufleistung kann als richtig unterstellt werden, denn sie hat keine Auswirkung auf die Wirksamkeit des Vertrages, zumal die Beklagte nicht behauptet, der Kläger habe von einer über 120.000 km hinausgehenden Laufleistung gewußt.
Der Versicherungsvertrag und die ABRK Stand 3/96 enthalten keine Einschränkung, die dazu führt, daß ein Vertrag nicht zustande kommt, wenn das zu versichernde Fahrzeug eine Laufleistung von mehr als 200.000 km hat. Die Beklagte ist insoweit anderer Auffassung. Sie beruft sich auf das vom Kläger unterzeichnete Antragsformular und meint, Fahrzeuge, deren Betriebsleistung bei Wiederzulassung mehr als 200.000 km betrage, seien nicht versicherbar und nicht versichert, weil das Antragsformular auf die Annahmerichtlinien Bezug nehme, in denen sich unter Nr. l c) eine entsprechende Einschränkung finde. Die Bezugnahme auf die Annahmerichtlinien im Antragsformular ist aus Sicht des Versicherungsnehmers jedoch nicht dahin zu verstehen, daß die Beklagte das Zustandekommen des Vertrages von der objektiven Richtigkeit des im Antrag angegebenen Tachostandes von 120.000 km abhängig machen will, zumal die Annahmerichtlinien dem Versicherungsnehmer nicht bekannt gemacht werden. Die Annahmerichtlinien wenden sich nicht an den (künftigen) Versicherungsnehmer, sondern an den für die Beklagte tätigen Vermittlungsagenten. Auch die Bezugnahme auf die fraglichen Richtlinien im Antragsformular richtet sich an diesen Adressaten. Der das Antragsformular Ausfüllende wird für bestimmte - hier nicht vorliegende Fälle - auf die Annahmerichtlinien hingewiesen, damit er den korrekten, in den Richtlinien vorgesehenen Zuschlag einträgt.
2. Das Landgericht hat angenommen, die Beklagte habe den Vertrag angefochten. Für eine Anfechtung oder Kündigung ist jedoch nichts ersichtlich. Die Beklagte ist hierauf in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden. Sie hat daraufhin eingeräumt, keine entsprechenden Erklärungen abgegeben zu haben, so dass weitere Ausführungen sich insoweit erübrigen.
3. Die Beklagte hat für die Reparaturkosten des Motors und des Getriebes im vertraglich vereinbarten Umfang einzustehen. Die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 ABRK liegen vor. Motor und Getriebe waren gemäß § 1 Nr. 1 ABRK versichert und haben innerhalb der vereinbarten Versicherungsdauer ihre Funktionsfähigkeit verloren, wodurch eine Reparatur erforderlich wurde.
a) Die Beklagte behauptet, der Schaden am Motor beruhe auf einem langfristigen Verschleiß und sei daher nicht erst während des laufenden Vertrages, sondern schon zuvor eingetreten. Deshalb handele es sich nicht um einen Versicherungsfall. Diese Argumentation geht fehl. Nach § 2 Nr. 1 ABRK hat die Beklagte eine Entschädigung zu leisten, "wenn eines der versicherten Teile innerhalb der vereinbarten Versicherungsdauer seine Funktionsfähigkeit verliert und dadurch eine Reparatur erforderlich wird." Dementsprechend ist die Leistungspflicht der Beklagten auch dann zu bejahen, wenn ein Verschleißvorgang, der bei Beginn der Vertragsdauer schon relativ weit vorangeschritten ist, erst wahrend der Vertragszeit zum Verlust der Funktionsfähigkeit und zur Erforderlichkeit einer Reparatur führt. Dafür, daß der Verschleißvorgang beim Verkauf an den Kläger bereits so weit vorangeschritten war, daß ein Verlust der Funktionsfähigkeit vorlag, ist nichts ersichtlich. Sollte der Schadenseintritt für einen Fachmann vorhersehbar gewesen sein, so ist dies ohne Einfluß auf die Einstandspflicht der Beklagten. Im übrigen bediente die Beklagte sich beim Vertrieb der Reparaturversicherung der R.-Vertriebsgesellschaft für Garantieversicherungen mbH (im folgenden nur: R.), die ihrerseits das Autohaus H. einschaltete, um den Vertrag anzubieten und um einen "Sicherheits-Check" vornehmen zu lassen, der Voraussetzung für den Vertragsabschluß war. Wenn das Autohaus H., das dem Kläger den fraglichen Gebrauchtwagen auch verkaufte, einen vorhandenen Schaden nicht festgestellt und jedenfalls vor dem Verkauf und vor Vermittlung der Versicherung nicht behoben hat, so muß die R. und damit die Beklagte sich dies zurechnen lassen. Ein Fehler (oder gar ein eventuell unseriöses Verhalten) der Firma H. ist dem Kläger nicht anzulasten. Anhaltspunkte dafür. daß er mit der Firma H. kollusiv zusammengearbeitet haben könnte, fehlen. Er hat für das offensichtlich schwer verkäufliche Fahrzeug (es war vor dem Verkauf mehr als sieben Monate lang stillgelegt) einen relativ hohen Kaufpreis gezahlt. Zusätzlich war die Versicherungsprämie zu zahlen, und es fielen Reparaturkosten von mehr als 20.000 DM an, die nur teilweise versichert sind.
Die Beklagte will den Kläger darauf verweisen, wegen des Motorschadens die Firma H. als Verkäufer in Anspruch zu nehmen. Hierfür gibt es jedoch keine Rechtsgrundlage. In den Vertragsbedingungen findet sich kein Passus, wonach die Versicherung nur subsidiär eintreten soll. Im übrigen wird in Verträgen über den Kauf von Gebrauchtwagen regelmäßig in wirksamer Weise ein Gewährleistungsausschluß vereinbart. Sollte dies hier nicht geschehen sein, so würde ein eventueller Anspruch des Klägers gemäß § 67 VVG auf die Beklagte übergehen. Die Beklagte ist jedoch nicht berechtigt, den Kläger von vornherein an die Firma H. zu verweisen.
Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg auf Leistungsfreiheit, weil sie nicht schriftlich über die Schäden informiert worden sei (Obliegenheiten gem. § 10 Nr. 2 a) ABRK). Hinsichtlich des Motors liegt keine Obliegenheitsverletzung vor. Dies gilt auch dann, wenn der Schaden nur telefonisch und nicht zusätzlich schriftlich gemeldet wurde. Laut Seite 5 des dem Kläger bei Vertragsabschluß überlassenen Serviceheftes genügte es, den Schaden vor einer Reparatur telefonisch oder fernschriftlich bei der R. zu melden. Dies ist unstreitig geschehen, denn die R. hat einen Sachverständigen eingeschaltet, der den Motor am 24. Oktober 1997 besichtigt hat.
b) Hinsichtlich des Getriebes ist streitig, ob der Schaden der Beklagten (bzw. der R.) am 6. November 1997 telefonisch und fernschriftlich gemeldet wurde. Die Frage bedarf keiner Klärung. Eine (vorsätzliche) Obliegenheitsverletzung kann insoweit unterstellt werden.
Bei einer - wie hier - folgenlos geblichenen Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls wird die Beklagte nach § 6 Abs. 3 VVG in Verb. mit § 10 Nr. 3 ABRK nur dann leistungsfrei, wenn dem Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last fällt und wenn der Verstoß generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden (sog. Relevanzrechtsprechung, vgl. z.B. BGH VersR 1993, 830 = r+s 1993, 308; VersR 1984, 228). Hier fehlt es an einem erheblichen Verschulden des Klägers. Er hat aus seiner Sicht alles getan, um der Beklagten zumindest nachträglich die erforderlichen Feststellungen zum Eintritt des Versicherungsfalls zu ermöglichen, indem er dafür gesorgt hat, daß das Getriebe aufbewahrt wurde. Er hat der Beklagten (über die R.) auch ausdrücklich eine Besichtigung angeboten. Die Beklagte macht demgegenüber geltend, die nachträgliche Besichtigung reiche grundsätzlich nicht, weil sie ein Interesse daran habe, vor der Reparatur vom Schadenseintritt zu erfahren, um so noch Einfluß auf die vorzunehmenden Maßnahmen zu erhalten. Indes hätte die Beklagte ihre entsprechenden Bedenken immer noch geltend machenkönnen, wenn sich bei einer nachträglichen Besichtigung des Getriebes herausgestellt hatte, daß der Austausch nicht erforderlich war. Sie hätte die Versicherungsleistung dann zum Beispiel auf die Kosten einer (nur) erforderlichen Reparatur begrenzen können. Aus Sicht des Klägers bestand insoweit ein gewisses Risiko. Der Umstand, daß die Beklagte von der Besichtigungs- und Überprüfungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, kann nicht dazu führen, daß sie leistungsfrei wird.
Die Beklagte behauptet erstmals in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 1. September 1999, die nachträgliche Besichtigung des Getriebes habe nicht ausgereicht, um die erforderlichen Feststellungen zu treffen, weil die Identität eines ausgebauten Getriebes zweifelhaft sei. Der Schriftsatz gibt keinen Anlaß zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Die Beklagte hat vorprozessual und auch während des Rechtsstreits keine Zweifel an der Identität des ihr zur Besichtigung angebotenen Getriebes geäußert. Sie hat seinerzeit die Besichtigungsmöglichkeit nicht wahrgenommen, weil sie die Schadensmeldung als verspätet behandelt hat. Anhaltspunkte dafür, daß die jetzt geäußerten Bedenken angezeigt sind, sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich. Die BMW-Niederlassung Leipzig, also eine Fachwerkstatt, deren Seriosität die Beklagte nicht in Zweifel zieht, hat das Getriebe ausgetauscht und aufbewahrt. Es ist nichts dafür dargetan, daß diese Firma sich an einem betrügerischen Verhalten des Klägers beteiligt haben könnte. Allein die theoretische Möglichkeit, man habe der Beklagten ein fremdes Getriebe präsentieren können, reichte nicht aus, um von vornherein schon eine Besichtigung des aufbewahrten Getriebes abzulehnen. Im übrigen hätte der Kläger, wenn die Beklagte die Identität bestritten hätte, die Möglichkeit gehabt, die Herkunft des ausgebauten Getriebes zu beweisen - etwa durch die Mechaniker, die mit der Reparatur befaßt waren.
Die Beklagte meint zu Unrecht, bei der Aufbewahrung des ausgetauschten Getriebes handele es sich um ein nachträgliches Verhalten, das keinen Einfluß auf die Beurteilung der vorangegangenen Obliegenheitsverletzung haben dürfe. Der Kläger hat hier gleichzeitig mit der Erteilung des Reparaturauftrages die Anweisung gegeben, das Getriebe aufzubewahren. Das Verschulden, das darin lag, daß die Auftragserteilung nicht mit der Beklagten abgestimmt wurde, ist unter Berücksichtigung dieser Anweisung zu beurteilen. Es ist nachvollziehbar, daß der Kläger annahm, das Interesse der Beklagten an einer Überprüfung des Schadensfalles werde durch die Aufbewahrung des Getriebes hinreichend geschützt. Wenn er sich in dieser Situation - auch um den bereits längere Zeit andauernden Reparaturvorgang zu beschleunigen - entschloß, die Reparatur durchführen zu lassen, so kann hierin kein erhebliches Verschulden gesehen werden.
Soweit die Beklagte aus dem prozessualen Verhalten des Klägers (Behauptung der Schadensmeldung vom 6. November 1997) eine Obliegenheitsverletzung herleiten will, ist dies schon deshalb verfehlt, weil der Prozeßvortrag nicht auf eine Täuschung der Beklagten ausgerichtet ist, sondern allenfalls als ein Versuch, das Gericht zu täuschen, verstanden werden kann. Im übrigen hat der Versicherungsnehmer gegenüber einem erklärtermaßen nicht leistungsbereiten Versicherer keine Aufklärungsobliegenheiten mehr zu erfüllen, vgl. z.B. BGH r+s 1989, 296. Ob der umstrittene Vortrag des Klägers zur Schadensmeldung vom 6. November 1997 zutrifft oder nicht, braucht hier - wie oben dargelegt - nicht geklärt zu werden, weil er nicht entscheidungserheblich ist.
4. Die Schätzung des Landgerichts, die zur Zuerkennung von 12.000 DM führt, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Kläger hat, nachdem er die Klage teilweise zurückgenommen hat, aus der Rechnung der Firma Testa Baresi nur 7.368,47 DM verlangt (Überholung des Motors) und aus der Rechnung der Firma BMW, die den Getriebeaustausch und die sonstigen Arbeiten (Ausbau und Einbau des Motors) betrifft, noch 5.354,84 DM. Diese Beträge wurden mit dem angefochtenen Urteil auf 12.000 DM gekürzt. Diese Summe ist nicht zu hoch. Motor- und Getriebeschaden sind in unterschiedlichen "Baugruppen" versichert (vgl. § 1 Nr. 1 ABRK), so daß für jeden Schaden ein Höchstwert von 10.000 DM gilt, § 7 Nr. 5 ABRK, der hier ersichtlich nicht überschritten wird, auch wenn die vorgelegte Reparaturrechnung der Firma BMW nicht zwischen dem Motor- und dem Getriebeschaden unterscheidet.
Weitere Ausführungen erübrigen sich, denn zur Höhe ist die Verurteilung nicht angegriffen worden.
Die zuerkannten Zinsen stehen dem Kläger gemäß den §§ 288 Abs. 1, 284 Abs. 1 BGB zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 706 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Urteilsbeschwer für die Beklagte: 12.000,00 DM
Münstermann
Dr. Halbach
Keller