05.07.2001 · IWW-Abrufnummer 010849
Landgericht Freiburg: Beschluss vom 15.11.2000 – VIII Qs 13/00
Ausfertigung
Geschäftsnummer
VIII Qs 13/00
Landgericht Freiburg
VIII. Große Strafkammer
BESCHLUSS vom 15.11.00
Strafsache gegen
...
wegen Verdachts der Steuerhinterziehung
hier: Beschwerde gegen die Ablehnung der Durchsuchung
Die Beschwerde des Finanzamts Freiburg-Land gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 14.09.2000 (23 Gs 177/00) wird kostenpflichtig als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Am 31.08.2000 beantragte das Finanzamt Freiburg-Land im Ermittlungsverfahren gegen die ... den Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses hinsichtlich der Wohnräume der Beschuldigten in ... des Arbeitsplatzes des Beschuldigten ... beim ... sowie hinsichtlich der Geschäftsräume von acht Bankinstituten.
Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 14.09.2000 zurückgewiesen.
Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Anlässlich einer Durchsuchung der Volksbank Freiburg überprüfte das Finanzamt Freiburg-Land Tafelpapiere, deren Zinscoupons ab 1993 im Ausland eingelöst wurden. Hierbei ergaben sich Hinweise darauf, dass die Beschuldigte ... am 14.03.1991 per Bareinzahlung Tafelpapiere im Wert von DM 10.407,50 (incl. Stückzinsen) erworben hatte. Mit Schreiben des Finanzamtes Freiburg-Land vom 23.05.2000 wurden die Eheleute ... ohne Bezugnahme auf das bekannt gewordene Tafelgeschäft darauf hingewiesen, dass sich aus bei mehreren Bankendurchsuchungen beschlagnahmten Unterlagen ergeben habe, dass sie "in den letzten Jahren Tafelpapiere gekauft oder Kapital in das Ausland transferiert haben". Zugleich wurden die Beschuldigten, verbunden mit einem Hinweis auf die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO, aufgefordert, zur Prüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der erklärten Einkünfte aus Kapitalvermögen die Kapitalerträge ab dem Kalenderjahr 1993 detailliert aufzuschlüsseln. Mit Schreiben vom 14.06.2000 teilten die Beschuldigten darauf mit, dass über die in den Einkommenssteuererklärungen 1993 bis 1998 angegebenen Kapitalerträge keine weiteren zu versteuernden Einnahmen aus Kapitalvermögen angefallen seien und darüber hinaus weder Tafelpapiere gekauft oder verkauft, noch Kapital zur Anlage ins Ausland transferiert worden seien.
Daraufhin leitete die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Freiburg-Land am 05.07.2000 ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommenssteuer ab dem Jahr 1993 gegen die Beschuldigten ein.
Die Steuerfahndung sah sich dann veranlasst die Einkommens- und Vermögenssituation der Beschuldigten für die Jahre 1992 bis 1998 mittels einer Geldverkehrsrechnung zu überprüfen.
Aufgrund der Geldverkehrsrechnung gelangte die Steuerfahndung zu der Auffassung, die Beschuldigten hätten im genannten Zeitraum über einen Vermögensüberschuss in Höhe von DM 1.264.925 verfügt, dessen Verbleib ungeklärt sei. Hieraus ergäben sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erklärte Einkünfte aus Kapitalvermögen ab 1994.
In seinem Beschluss vom 14.09.2000 ging das Amtsgericht Freiburg aufgrund einer eigenen Geldverkehrsrechnung von einem zu berücksichtigenden ungeklärten Vermögensüberschuss in Höhe von DM 300.166 aus, der auch in Verbindung mit der unterlassenen Angabe der Zinseinkünfte aus dem Tafelgeschäft von 1991 die Anordnung einer Durchsuchung nicht rechtfertigen könne.
In der Beschwerdebegründung vom 05.10.2000 hat das Finanzamt seine Geldverkehrsrechnung dahin korrigiert, dass nunmehr von einem nicht verwendeten Kapital in Höhe von DM 653.811 auszugehen sei, eine Höhe, die die beantragte Durchsuchungsanordnung rechtfertige.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 14.09.2000 (AS. 73 ff) und die Beschwerdeschrift des Finanzamtes Freiburg-Land vom 05.10.2000 (AS. 111 ff).
II.
Die zulässige Beschwerde des Finanzamtes Freiburg-Land ist als unbegründet zurückzuweisen.
Zu Recht hat das Amtsgericht Freiburg den Antrag auf Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses zurückgewiesen.
1. Dem Amtsgericht Freiburg ist darin zuzustimmen, dass das mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahre 1991 von der Beschuldigten ... getätigte Tafelgeschäft als Grundlage für eine Durchsuchungsanordnung nicht ausreichend ist. Es kann daher offen bleiben, ob die von den Beschuldigten am 14.06.2000 abgegebene Erklärung unrichtig ist oder nicht, denn die Veräußerung bzw. sonstige Weitergabe der Tafelpapiere vor dem Finanzamt abgefragten Zeitraum ist immerhin denkbar.
Da mögliche Straftaten bis einschließlich des Veranlagungsjahres 1993 bereits verjährt sind, käme allenfalls eine Strafbarkeit bezüglich des Jahres 1994 in Betracht. Im Hinblick auf den niedrigen jährlichen Zinsertrag in Höhe von DM 900, die daraus resultierende geringe Größenordnung eventuell hinterzogener Steuern und den lange zurückliegenden Tatzeitraum kann somit der Tatverdacht für die behauptete Steuerhinterziehung in dem Zeitraum von 1993 bis 1998 nicht alleine auf das Tafelgeschäft aus dem Jahr 1991 gestützt werden.
Irgendwelche Anhaltspunkte für weitere Tafelgeschäfte in den Folgejahren haben sich bei den Ermittlungen der Steuerfahndung nicht ergeben.
2. Aber auch die von dem Finanzamt Freiburg-Land durchgeführte Geldverkehrsrechnung ist nach Überzeugung der Kammer im konkreten Fall nicht geeignet für sich alleine oder im Zusammenhang mit dem Tafelgeschäft von 1991 einen die Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme rechtfertigenden Tatverdacht gegen die Beschuldigten zu begründen.
Ein Tatverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO setzt das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte voraus, die es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Bloße Vermutungen rechtfertigen die Annahme eines Anfangsverdachts nicht (Kleinknecht / Meyer-Goßner, 44. Aufl., Rz. 4 zu § 152 StPO).
Darüber hinaus verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen nach dem Gewicht der Maßnahme abgestuften, stärker konkretisierten Verdacht, wenn als Ermittlungsmaßnahme eine Durchsuchung bzw. Beschlagnahme angeordnet werden soll (Franzen / Gast / Joecks, Steuerstrafrecht, 4. Aufl., Rz. 44 zu § 397 AO; von Briel/Ehlscheid, Steuerstrafrecht, 1997, Rz. 31).
Zur bloßen Ausforschung darf eine solche Maßnahme nicht benutzt werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rz. zu § 102 StPO).
Grundsätzlich ist die Geldverkehrsrechnung als Beweismittel im Steuerverfahren zulässig. Der Bundesfinanzhof hat die Geldverkehrsrechnung als Beweismittel für Zuschätzungen anerkannt, zugleich aber deutlich gemacht, dass an ihre Plausibilität bzw. Begründetheit hohe Anforderungen zu stellen sind. Nur wenn sie logisch, vollständig und fehlerfrei ist, kommt ihr ein entsprechender Beweiswert zu (Wannemacher, Steuerstrafrecht, 4. Aufl. Rz. 266 m.w.N.).
Auch im Steuerstrafverfahren kann die Geldverkehrsrechnung eine geeignete Methode sein, jedoch sind die an sie zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf die grundsätzlichen Unterschiede der steuerlichen und der strafrechtlichen Verfahrensordnungen erheblich höher als im Besteuerungsverfahren (Wannemacher, Rz. 270).
Vorliegend kann offen bleiben, ob das Finanzamt im konkreten Fall überhaupt zur Durchführung einer Geldverkehrsrechnung berechtigt war. Die Geldverkehrsrechnung betrachtet insbesondere die private Vermögenssphäre des Steuerpflichtigen und erfordert deshalb das Eindringen des Prüfers in dessen Privatbereich. Sie ist deshalb nicht ohne weiteres zulässig, vielmehr sind der Grundsatz des geringst möglichen Eingriffs und das Übermaßverbot zu beachten (Flore / D örn/ Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., S. 99) Den Anlass zur Durchführung der Geldverkehrsrechnung hat das Finanzamt hier letztlich in einem bereits 1991 vorgenommenen Tafelgeschäft von eher untergeordneter Größenordnung gesehen, obwohl sich keine Hinweise auf weitere vergleichbare Geschäfte in den Folgejahren ergeben haben.
Die Kammer hat erhebliche Zweifel, ob dies Auslöser für eine umfassende Überprüfung der Steuerpflichtigen im Wege einer Geldverkehrsrechnung sein kann.
Auf die Entscheidung dieser Frage kommt es indes nicht an, da nach Überzeugung der Kammer die durchgeführte Geldverkehrsrechnung einen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügenden Anfangsverdacht gegen die Beschuldigten nicht begr ünden kann, unabhängig davon, ob der vom Amtsgericht errechnete ungeklärte Vermögensüberschuss in Höhe von DM 300.166 oder der vom Finanzamt hinterher korrigierte Betrag von DM 653.811 zugrunde gelegt wird.
Die Geldverkehrsrechnung wird ersichtlich in Praxis und Rechtsprechung eingesetzt um nicht erklärte Einkünfte des Steuerpflichtigen zu ermitteln und ihm ggfls. zuzuschätzen. Sie beruht dabei auf dem Gedanken, dass der Steuerpflichtige nicht mehr Mittel verbrauchen, d. h. Geld ausgeben oder anlegen kann, als ihm durch steuerpflichtige Einkünfte oder sonstige Vermögenseingänge zur Verfügung stehen.
Hierfür werden die Anfangsbestände mit den Endbeständen des Berechnungszeitraums unter Berücksichtigung der Zugänge und Abgänge verglichen. Da den Steuerpflichtigen in seiner Privatsphäre keine Aufbewahrungs- und Vorlagepflichten treffen, können die relevanten Daten von den Finanzbehörden insbesondere im Bereich der privaten Lebenshaltungskosten häufig nicht vollständig beigebracht werden. Es werden deshalb Schätzungen, insbesondere auf der Basis der statistischen Werte für verschiedene Haushaltstypen zugrunde gelegt.
Die im konkreten Fall vorgenommene Geldverkehrsrechnung versucht indessen Geldanlagen und mithin steuerpflichtige Kapitalerträge mit der Überlegung zu begründen, dass der Steuerpflichtige den nach Abzug der bekannten Ausgaben und der geschätzten Lebenshaltungskosten verbleibenden ungeklärten Vermögensüberschuss vernünftigerweise in Kapitalanlagen oder dergleichen anlegt. Zur Durchführung der Geldverkehrsrechnung sind somit Schätzungen über die Lebenshaltungskosten der Familie der Beschuldigten erforderlich, soweit keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen.
Während bei der klassischen Geldverkehrsberechnung mit den statischen Werten für die verschiedenen Haushaltsklassen relativ verlässliche, den Grundsatz "in dubio pro reo" berücksichtigende Mindestlebenshaltungskosten zugrunde gelegt werden können, die auch bei sparsamer Lebensweise i.d.R. nicht unterschritten werden können, fehlt es für die vorliegende Konstellation an hinreichend sicheren Erfahrungssätzen.
Die in die Berechnung einzustellenden Lebenshaltungskosten und sonstige Ausgaben haben sich neben den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Beschuldigten an deren allgemeinem Lebensstandard zu orientieren.
Konkrete Feststellungen hierzu lassen sich der Akte nicht entnehmen. Ermittlungen hat die Steuerfahndungsstelle insoweit ersichtlich nicht durchgeführt.
Unter Berücksichtigung der überdurchschnittlichen Einkommenssituation und des beträchtlichen Vermögens hält die Kammer einen hohen Lebensstandard mit deutlich höheren Lebenshaltungskosten und sonstigen Ausgaben für nicht ausgeschlossen. Auch sind vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation der Beschuldigten weitere Ausgaben, z. B. für Anschaffungen höherwertiger Güter (z.B. Kraftfahrzeuge, Möbel, Schmuck oder dergleichen) oder für Reisen, sowie höhere Unterhaltsbeträge, sonstige Zuwendungen und Geschenke an die Söhne naheliegend.
Soweit das Finanzamt in der Beschwerdebegründung ausführt, bei den vom Amtsgericht zugrundegelegten Ausgaben der Lebenshaltungskosten handele es sich um reine Spekulationen, ist darauf hinzuweisen, dass es sich auch bei den vom Finanzamt in die Berechnung eingestellten Beträgen letztlich um bloße Spekulationen handelt.
Auf welcher Grundlage das Finanzamt so zu der Annahme monatlicher Ausgaben für die Lebenshaltung in Höhe von DM 10.000 kommt, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar.
Die durchgeführte Geldverkehrsrechnung ist somit von erheblichen Unsicherheiten gekennzeichnet, was sich auch daran zeigt, dass das Finanzamt für die Jahre 1992 bis 1998 zunächst von einem ungekl ärten Vermögensüberschuss in Höhe von DM 1.264.925 ausging, diesen Betrag jedoch nach Ablehnung der Durchsuchungsanordnung um fast die Hälfte auf DM 653.811 korrigiert hat.
Wegen dieser Unsicherheiten und Schätzungsunschärfen kann die Geldverkehrsrechnung einen die Durchsuchungsanordnung rechtfertigenden Anfangsverdacht nicht begründen.
Bei der Beurteilung war auch zu berücksichtigen, dass sich das Finanzamt nicht der ihm zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stehenden sonstigen Mittel bedient hat. Nach Auffassung der Kammer hätte Anlass bestanden zunächst die steuerlichen Mitwirkungspflichten (§§ 90, 93 AO) in Anspruch zu nehmen, beispielsweise die Beschuldigten durch ein Anschreiben gemäß § 88 AO unter konkreter Benennung der Umstände, aus denen das Finanzamt das Vorhandensein weiterer Kapitalerträge schlussfolgert, um Auskunft zu ersuchen (vgl. auch Dörn in DStZ 97, 631 ff).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Royen Spiegelhalter Teubner
Vors. Richter am LG Richter am LG Richter am LG
Ausgefertigt
Haas
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle